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ihren Zweck in sich selbst tragen, während sie fürs Geschäft bestimmten Fächer nothwendig sind zur Erreichung gewisser anderer Zwecke. Deshalb haben auch unsere Vorfahren die Musik zur Erziehung gerechnet nicht als ein nothwendiges Fach, denn das ist sie nicht, auch nicht um ihres Nußens willen, wie Lesen und Schreiben zum Gelderwerb und zum Haushalt und zum Weiterlernen und zu vielen bürgerlichen Handlungen. Und ebenso scheint auch die Zeichenkunst nüßlich zu sein, um die Werke der Künstler besser beurtheilen zu können. Und ebenso dient die Gymnastik zur Erhaltung der Gesundheit und Vermehrung der Kraft. Nichts hievon sehen wir aus der Musik hervorgehen. Also bleibt nur übrig, dass sie dient zur Erholung, wozu man sie offenbar auch verwertet. Somit ist sie ein Erziehungsgegenstand, den man seine Kinder lernen lassen muss, nicht weil es nüßlich oder gar nothwendig wäre, sondern weil es etwas Schönes, eines Freigeborenen Würdiges ist.

5. Plutarch1) 50—120 n. Chr.),

geboren zu Chäronea in Böotien, Biograph hervorragender Griechen und Römer; seine Schriften wurden von der Jugend gern gelesen. Er wurde an den römischen Hof gezogen und mit dem Unterricht des nachmaligen Kaisers Hadrian betraut.

Plutarch ist in seinen Schriften, die in historische und moralische zerfallen, bemüht, die alte Religion zu vertheidigen und wieder herzustellen, indem er die Mythen im höheren Sinne deutet, und die im alten Heidenthume enthaltenen sittlichen Elemente zur Geltung bringt. Der Mittelpunkt alles Wissens ist ihm die Philosophie; durch sie sucht er auf die Jugend zu wirken. Da er hiebei nur die höheren Schichten der Gesellschaft im Auge hatte, so haben auch seine Erziehungsschriften vorwiegend auf diese Bezug.

Vom Hören.

(Aus einem Vortrag über die Art und Weise, wie die Jugend die Vorträge der Philosophen anhören soll.)

Der Sinn des Gehörs ist derjenige, der am meisten die Leidenschaften zu erregen vermag. Denn nichts, was man sehen, schmecken oder fühlen kann, veranlasst solchen Schrecken, solche Verwirrung und Betäubung, wie diejenige ist, welche bei irgend einem vor die Ohren tretenden Schalle oder Getöse und Lärm unsere Seele ergreift. Es dient aber dieser Sinn auch mehr der Vernunft als den Leidenschaften. Denn viele Theile des Körpers laffen das Böse eindringen und die Seele treffen, die Tugend aber kann nur an den Ohren junge

1) Plutarch lässt sich auch unter die römischen Pädagogen einreihen.

Leute ergreifen, wenn sie nämlich rein, durch Schmeichelei nicht verdorben und vor schlechten Reden von Anfang an bewahrt werden. Deswegen wollte Xenokrates (ein Schüler des Plato) eher den Knaben, als den Athleten Ohrendecken anlegen, indem bei jenen nur die Ohren durch die Schläge, bei diesen aber die Sitten durch die Reden verdorben würden. Er wollte damit nicht Mangel an Gehör oder Taubheit anempfehlen, sondern nur zur Vorsicht vor schlechten Reden rathen, so lange, bis andere, nüßliche Reden, welche gleichsam als Wächter von der Philosophie dem Charakter eingeprägt worden sind, die Stelle einnehmen, welche am meisten der Erregung und überredung ausgesetzt ist. Bias, jener Weise der Vorzeit, überschickte dem Amasis, der ihm befohlen hatte, das Beste und das Schlechteste des Opferthieres zu senden, ausgeschnittene Zungen, weil die Rede den meisten Schaden wie den meisten Nugen stiften könne.

So fasst man wohl auch gewöhnlich kleine Kinder, wenn man sie küsst, bei den Ohren und heißt sie ein gleiches thun, wodurch man ihnen scherzhafter Weise andeuten will, dass sie diejenigen vorzüglich lieben sollen, welche durch die Ohren nüßlich sind. Denn es ist klar, dass ein Jüngling, der von allem Unterricht fern, nie eine belehrende Rede vernimmt, ganz ohne alle Frucht, ja selbst ohne allen Keim für die Jugend bleibt, dass er sich vielmehr leicht zum Laster verleiten, und aus seiner Seele, wie aus einem unbebauten, brachliegenden Acker viel Unkraut aufschießen lassen möchte. Wenn man nämlich die Triebe zu Genüssen und die Abneigung gegen Arbeit, die beide nicht von außen her, noch durch Reden in die Seele eingeführt werden, sondern gleichsam einheimisch sind und die Quelle unzähliger Leidenschaften und Krankheiten werden, ihren natürlichen Weg frei fortgehen lässt und nicht durch nüßliche Reden ihnen ihre Kraft benimmt, oder ihnen eine andere Richtung gibt und so der Natur zu Hilfe kommt, so gibt es kein Thier, das nicht zahmer wäre als der Mensch.

Da also das Hören für junge Leute ebenso nüglich als gefährlich werden kann, so halte ich es für gut, mit sich selbst sowohl als auch mit einem andern zu überlegen, wie man hören soll. Denn wir sehen, wie die meisten auch davon einen schlechten Gebrauch machen: sie üben sich im Reden, bevor sie sich gewöhnt haben zu hören, und glauben, zum Reden gehöre Unterricht und Übung, das Anhören aber könne, auf welche Weise es auch stattfinde, nur nüßlich sein. Beim Ballspiele zwar besteht das Lernen ebenso wohl im Werfen als im Auffangen des Balles; bei dem Gebrauch der Rede aber geht die richtige Auffassung voraus, ehe man selbst etwas von sich geben kann, gleichwie bei dem Gebären die Empfängnis vorangehen muss. Man erzählt, dass die Windeier bei den Vögeln nur unvollkommene und unbeseelte Geburten hervorbringen; bei den Jünglingen, die nicht zuhören können und sich nicht gewöhnt haben aus dem, was sie hören, Nußen zu gewinnen, zerfällt die Rede, wie vom Winde verweht. „Unter den Wolken zerstäubt, umsonst und vergeblich gehöret."

Auch Gefäße, wenn sie etwas, das eingegossen wird, aufnehmen sollen, hält und fasst man in der Richtung, dass wirklich von einem Eingießen, nicht von einem Ausschütten die Rede sein kann, junge Leute aber lernen nicht, an den Redner sich anzuschließen und mit Aufmerksamkeit ihn anzuhören, damit

kein nüßliches Wort seiner Rede ihnen entgehe, sondern, was unter allem das Lächerlichste ist, wenn sie zufällig einen finden, der von einem Gastmahl, einem Aufzug oder einen Traum oder einer Zänkerei, die er mit einem andern gehabt hat, erzählt, so hören sie still und aufmerksam zu und dringen in ihn, noch mehr zu erzählen; wenn aber einer zu ihnen tritt, der sie etwas Nüßliches lehren oder zu ihrer Pflicht ermahnen, oder ihre Vergehungen ihnen verweisen, oder ihren Zorn besänftigen will, so halten sie es nicht aus, sondern sehen wo möglich ihre Ehre darein, gegen eine solche Rede anzukämpfen und den Sieg zu behalten. Gelingt ihren dies aber nicht, so laufen sie davon zu anderem unnüzen Gerede und füllen ihre Ohren gleich schlechten und morschen Gefäßen lieber mit allem andern, als mit dem, was ihnen nothwendig ist. Wer sein Pferd gut abrichten will, lehrt es dem Zügel zu gehorchen; so auch soll man die Kinder anhalten, aufmerksam auf die Rede zu sein, und sie lehren, viel zu hören und wenig zu reden. Daher lobte Spintharus den Epaminondas mit den Worten, er habe nicht leicht einen getroffen, der mehr wusste und weniger redete. Man kann auch anführen, dass die Natur einem jeden von uns zwei Ohren gegeben aber nur eine Zunge, weil man weniger reden als hören soll.

In allen Fällen wird daher Schweigen für den Jüngling der schönste Schmuck sein, besonders wenn er über die Rede eines andern nicht in Unruhe geräth und ihn bei jedem Worte nicht gleich anfährt, sondern auch, wenn ihm die Rede nicht allzusehr gefällt, an sich hält und wartet, bis der andere aufgehört hat zu reden, und auch dann, wenn dieser geendet hat, nicht gleich mit seinen Einwürfen sich vordrängt, sondern, wie Äschinos sagt, eine Zeitlang hingehen lässt, wenn etwa der, welcher gesprochen, seinen Worten etwas hinzufügen, oder auch etwas ändern und wegnehmen wollte. Diejenigen, welche anderen gleich in die Rede fallen, betragen sich unanständig, weil sie weder selbst zuhören, noch gehört werden und ins Reden hineinreden. Wer sich jedoch gewöhnt hat, gelassen und mit Ehrerbietung zuzuhören, pflegt die nüßliche Rede anzunehmen und zu bewahren, die unnühe und falsche aber besser zu durchschauen und zu fassen; so zeigt er sich als Freund der Wahrheit und nicht des Streites, oder als einen vorlauten, zanksüchtigen Menschen. Daher behaupten manche nicht übel, man solle den jungen Leuten eher die Einbildung und den Stolz aus dem Kopfe blasen, als die Luft aus den Schläuchen, in welche man etwas Nüzliches gießen will, sonst nehmen sie voll Stolz und Anmaßung nichts an.

Wenn man eine Rede anhöret, soll man sich nicht durch den Glanz der= selben blenden lassen. Man muss von dem nichtigen Wortprunke absehen und der Frucht selbst nachgehen; man muss nicht die kranzflechtenden Weiber, sondern die Bienen nachahmen. Denn jene sehen bloß auf bunte und wohlriechende Blumen, die sie einander reichen und zu einem lieblichen Kranze flechten, der indes nur einen Tag währet und keinen Nuhen bringt; diese aber durchfliegen oftmals Veilchen-, Rosen- und Hyacinthenbeete und eilen weg zu dem rauhesten und herbsten Thymian, bei dem sie sich niederlassen, dem gelben Honig nachgehend, und wenn sie etwas Brauchbares gefunden haben, so fliegen sie damit weg zu ihrem Hausgeschäfte.

So muss auch der zwar kunstliebende, aber unbefangene Zuhörer blühende und üppige Worte, Handlungen, die mehr für die Bühne oder Volksfeierlichkeiten berechnet sind, für Futter der Drohnen, das ist der Sophisten, halten und davon wegsehen; dagegen muss er mit Aufmerksamkeit in den Sinn der Rede eindringen, sowie in den Charakter des Redners, um daraus das Brauchbare und Nüßliche zu gewinnen; er soll eingedenk sein, dass er nicht in ein Theater, oder in einen Gesangsaal, sondern in eine Schule und in eine Lehranstalt getreten ist, um seine Lebensweise durch das, was er hört, zu bessern. Deshalb soll man auch das Gehörte betrachten und prüfen mit Rücksicht auf sich selbst und den eigenen Zustand, man soll sehen, ob damit eine Leidenschaft be= sänftigt, irgend ein Kummer erleichtert, ob muthiges Vertrauen und Festigkeit der Seele, ob Begeisterung für die Tugend und das Edle uns dadurch geworden sei. Tritt man nicht, wenn man die Barbierstube verlassen hat, vor den Spiegel und befühlt sein Haupt, um zu sehen, wie die Haare abgeschnitten und der Bart geschoren ist? Sou man nun nicht auch, wenn man eine Vorlesung oder eine Schule verlassen hat, sogleich einen Blick auf sich werfen, um zu prüfen, ob die Seele etwas von dem Überflüffigen, das sie belästigte, abgelegt hat und dadurch erleichtert und beruhigt worden ist? Denn weder ein Bad, noch eine Rede kann von Nugen sein, wenn sie nicht reinigen.

Es soll demnach der Jüngling nur dann an einer Rede Gefallen finden, wenn er daraus Nußen ziehen kann, keineswegs aber soll er das Vergnügen bei dem, was er hört, als Endzweck sich sezen; er soll auch nicht glauben, er müsse aus der Schule des Philosophen gehen, vor Freude singend und frohlockend, noch soll er nach Salbe verlangen, wenn ein Bad oder Pflaster nöthig ist, sondern soll es mit Dank erkennen, wenn jemand gleichwie den Bienenstock durch Rauch, so die Seele durch scharfe Rede von der Finsternis und Stumpfheit, woran sie leidet, reinigt. Denn wenn auch der Redner das Angenehme und Gefällige nicht gänzlich im Vortrage vernachlässigen darf, so darf doch der junge Mensch darauf am wenigsten sehen, zumal am Anfange. Nachher kann man wohl, gleichwie man beim Trinken, wenn der Durst gestillt ifi, die künstliche Arbeit des Becherz ron allen Seiten betrachtet, ihm, wenn er hinreichend die Lehre gefasst hat, zur Erholung verstatten, auch darauf sein Augenmerk zu richten, ob der Vortrag geschmückt und schön ist. Wer aber gleich von Anfang an sich nicht streng an die Sache hält, sondern dahin seine Forderung stellt, dass der Ausdruck attisch und fein sei, der gleicht dem, der eine Arznei nicht nehmen will, wenn nicht das Gefäß aus Thon von Kolias in Attika verfertigt ist, und dem, der im Winter keinen Mantel tragen will, wenn er nicht aus Wolle von attischen Schafen ist, sondern lieber unthätig und unbeweglich da sigt in dem dünnen und abgetrage= nen Gewande einer Rede des Lysias. Denn solche Schwächen erzeugen in den Schulen nicht bloß einen großen Mangel an gesunden Verstande und guter Gesinnung, sondern auch viel Spitfindigkeit und Geschwäßigkeit, indem die jungen Leute weder an das Leben noch an die Handlungsweise und die politischen Gesinnungen eines Philosophen sich halten, sondern bloß Redensarten, Worte und einen schönen Vortrag loben ohne zu wissen oder prüfen zu wollen, ob das, was vorgetragen wird, nüßlich oder unnüß, nothwendig oder wichtig und überflüssig ist.

2. Die Erziehung bei den Römern.

Das Leben bei den Römern hatte eine entschieden praktische Richtung; es wurde durch Rücksichten der Nothwendigkeit, der Nüzlichkeit und Zweckmäßigkeit geleitet. Die Idealität der Athenienser, die ungebrochene Heiterkeit des Lebens, die harmonische Menschenbildung um ihrer selbst willen, das freie Spiel und die allseitige Entwickelung zur Schönheit und persönlichen Vollendung war dem römischen Volksgeiste fremd. Er kannte weder eine freie Gymnastik, noch eine rein musikalische Bildung; die Ausgestaltung des Leibes und Geistes war ihm nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Erwerb, zur Arbeit, zum Staats- und Kriegsdienst, zur Führung eines achtbaren Lebens, zur Erlangung von Ansehen und Ehrenstellen. Was man auf dem Standpunkte des nüchternen Verstandes nicht als nüßlich erkannte, unterblieb, und was als nüßlich erschien, betrieb man nur innerhalb der Grenzen und nach der Methode der Nüßlichfeit. Daher erblickte der Römer im Landbau, im Handwerk, im Kriegsdienst und im Schwimmen hinlängliche Gelegenheit zur Leibesübung, und die Kunst schäßte er nur wegen ihrer Brauchbarkeit, nicht wegen ihrer Schönheit, sie musste für die Bedürfnisse des Privatlebens, des Staates und des Cultus arbeiten, aber ihre äst he= tische Selbständigkeit, ihr freies Walten im Reiche der Phantasie war nicht anerkannt. Ähnlich verhielt es sich mit der Wissenschaft; sie wurde betrieben, so weit sie praktisch war: die Rechtskunde und die vaterländische Geschichte, weil sie zur Regelung des bürgerlichen und politischen Lebens dienten, die Landwirtschaftslehre, weil sie einen gewinnreichen Betrieb der Naturproduction herbeiführte. Wer insbesondere eine öffentliche Laufbahn einschlagen wollte, besliss sich der Redekunst, die in Rom eine große Rolle spielte. Die Moral der alten Römer zeichnete sich zwar durch Reinheit und Tugend aus; frühzeitig wurde die Jugend an Gehorsam und Geseßlichkeit, an Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung, an Thatkraft und Ausdauer, an Treue und Gerechtigkeit gewöhnt. Da aber die Römer, wie alle alten Völker, sich nie zur rückhaltlosen Anerkennung der allgemeinen Menschenrechte und Pflichten erhoben haben, so blieb ihre Tugend auf das Verhalten gegen ihre Mitbürger beschränkt, und ihr Patriotismus gestattete die Verletzung der Humanität. Sie sahen

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