Page images
PDF
EPUB

3. das philanthropische Princip will dem Blinden durch ein bequemes Befriedigen seiner Bedürfnisse und durch ein mehrjähriges Zusammenleben mit seinen Leidensgefährten einige genussreiche Jahre bereiten, an deren Reminiscenz er sich späterhin erlaben soll;

4. die eklektische*) Richtung endlich beruht auf der Überzeugung, dass einem jeden, dessen Vernunft die Natur nicht unlösbare Fesseln anlegte, eine den geselligen Verhältnissen, in wel= chen er leben soll, angemessene Körper- und Geistesbildung zukommen muss, wobei die Eigenthümlichkeit eines jeden die specielle praktische Richtung bestimmt.

Der Taubstummen-Unterricht

begann schon gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts durch den Mönch Pedro de Ponce in Spanien. Doch hat man bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nur einzelne Versuche im Unterricht Taubstummer unternommen. Der Abbé de l'Epée in Paris und Samuel Heinicke in Leipzig waren die ersten, die wirkliche Institute gründeten und den Taubstummen-Unterricht auf didaktische Grundsäge stügten.

Ihren verschiedenen Bestrebungen gemäß unterscheiden wir zwei Hauptrichtungen der Taubstummen-Unterrichtsmethode: die französische und die deutsche. Jene bedient sich neben der natürlichen auch der künstlichen Geberdensprache, diese benut nur die natürliche Geberdensprache, als Muttersprache des Tauben, zur Vermittelung beim Unterrichte, hält jedoch an dem eigentlichen Zwecke, dem der Erlernung der Laut- oder Tonsprache fest und nimmt lettere selbst beim Unterricht in Dienst.

Der Abbé de l'Epée strebte somit intellectuelle Bildung ohne Rücksicht aufs praktische Leben an, er hielt die Lautsprache für zeitraubend und beschränkte sich neben der künstlichen Geberdensprache auf die Schriftsprache; Heinicke dagegen fasste als Ziel

=

*) Eklekticismus das Streben, aus mehrerem das Beste zu wählen. Eklektiker, so nennt man denjenigen, der sich zu keiner bestimmten Secte der Philosophen bekennt, sondern von jeder das annimmt, was ihm zusagt.

des Unterrichts vor allem die Befähigung fürs praktische Leben auf und nahm auf die möglichste Ausbildung der Lautsprache mit Zuhilfenahme der natürlichen Geberdensprache Bedacht.

Die Taubstummen-Anstalten waren geschlossene Anstalten. Man schlug vor, Taubstummen-Colonien zu errichten, in denen nur Taubstumme zusammenleben, Handwerke und Künste betreiben, sich verheiraten 2c., ja man bildete selbst Taubstumme zu Taubstummenlehrern aus. Dieses Isolierungssystem wurde jedoch aufgegeben.

Im Jahre 1779 wurde von Dr. Fr. Stark eine Freischule für Taubstumme in Wien errichtet und diese im Jahre 1785 erweitert.

Neben den Taubstummen- und Blinden-Instituten ward seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Erziehung der Gretinen und Blödlinge mehr in Betrachtung gezogen. Aus der Theorie gieng jedoch diese Erziehung erst entschieden heraus und in die Praxis über, als der Schweizer Guggenbühl 1841 seine CretinenAnstalt auf dem Abendberge errichtete.

Neben dem physischen Elend suchte die Pädagogik der Neuzeit vor allem auch die physische Armut mit den aus ihr hervorgehenden Gebrechen zu heben und arme, verlassene und verwaiste Kinder zu brauchbaren Staatsbürgern zu erziehen. Dahin strebte vor allem Philipp Emanuel von Fellenberg, „der Stifter von Hofwyl", wie er sich gern nannte, weil er im Wylhof 1804 sein pädagogisches Gemeinwesen gründete. Er nahm verwahrloste Knaben, selbst Sträflinge auf, um sie vorzugsweise durch landwirtschaftliche oder auch gewerbliche Arbeit mit daneben fortgehendem Unterricht zu nüßlichen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft zu bilden. Sein Wahlspruch war: Bete und arbeite! Er war der festen Überzeugung, der wahre Vortheil der Menschen erheische es, dass das Volk seinen Beruf mit Lust und Liebe, nicht bloß aus Noth und Gewinnsucht treibe. Und auf Grund dieser Überzeugung wollte er die Armut aus ihrer Versunkenheit retten.

Der Mitarbeiter Fellenbergs war Wehrli, der die Schule in Hofwyl zu einer Musteranstalt erhob. Nach ihr entstanden vieler Orten in und außerhalb Europa sogenannte Wehrlischulen.

Werwandt mit den Wehrlischulen sind die Rettungshäuser, in denen ausgesprochen demoralisierte Kinder wie schon der Name sagt gerettet werden sollen.

Den ersten Anstoß zur Gründung von Rettungshäusern in Deutschland gab Johannes Falk mit seiner 1813 zu Weimar gegründeten Anstalt.

Die verwahrlosten Kinder wurden in Familien untergebracht, die der Schule entwachsenen Knaben zur Erlernung eines Handwerks Meistern übergeben. Die Versorgung und Unterstützung geschah nicht aus einer gemeinschaftlichen Casse des Vereines, sondern in mehr persönlicher Weise, indem die einzelnen Vereinsmitglieder sich einzelner Kinder, die zum Zweck genauer Bekanntschaft zuerst eine Zeitlang in Falks Hause gewesen waren, annahmen.

Der Unterricht wurde nach Umständen auf verschiedene Weise und zu verschiedenen Zeiten ertheilt: einige Zöglinge empfiengen ihn in Privatstunden, andere in den Schulanstalten des Orts; für den jungen Handwerker wurde in einer Sonntagsschule gesorgt, zu deren Besuch dieselben verpflichtet waren. Die Unterrichtsgegenstände waren: Bibellesen, Schreiben, Rechnen und Zeichnen; die Mädchen giengen in die Näh-, Spinn- und Strickschule; an den an jedem Abend von Falk gehaltenen Bibelstunden" nahmen die Knaben theil, welche sich dem geistlichen Stande widmen wollten; in ihnen wurde nicht bloß gelesen und gelernt, sondern auch Musikunterricht ertheilt."

Die Bestrebungen Falks waren von rein humanen Absichten geleitet; die Idee der Rettungshäuser trat jedoch in der Folge nicht immer und überall in Falks Weise hervor. Eines der größten Rettungshäuser ist das im Jahre 1833 von Wichern gegründete „Rauhe Haus" zu Horn bei Hamburg.

Zu den Humanitätsanstalten der neueren Zeit gehören ferner die Findelhäuser und Waisenhäuser.

Die

Die drückende Armut in den unteren Ständen, deren Ausfluss namentlich in größeren Städten geistige und körperliche Verwahrlosung ist, hat den christlichen Humanismus zur Anlegung von Krippen geführt. Marbeau ist der Gründer derselben. ,,Krippe" soll an die Stelle der Mutter treten. Sie ist eine Warteanstalt, welche (in Österreich) Kindern unter drei Jahren jene Pflege angedeihen lässt, die ihnen die Eltern nicht gewähren können. Die größten derartigen Anstalten sind in Wien und Paris.

Den Grund der Kinderbewahranstalten legte noch vor 1780 der durch seine großartige Wirksamkeit berühmte Oberlin zu

Steinthal im Elsaß. Da die Eltern, stets mit ihrem Gewerbe oder ihrem Ackerbau beschäftigt, die Kinder nicht hinlänglich beaufsichtigen konnten und daher zu befürchten war, dass, wenn man sie sich selbst überließe und ihnen erlaubte, auf den Straßen zu spielen, sie mancherlei Gefahren ausgesezt und schlechte Gewohnheiten annehmen würden, so ließ Oberlin auf seine Kosten geräumige Zimmer mieten und einrichten, wo solche Kinder unter freundlicher, mütter= licher Leitung von Aufseherinnen, die er selbst mit Hilfe seiner Gattin zu diesem Geschäft gebildet hatte, den Tag nüßlich und angenehm hinbrachten. In Gegenwart dieser Aufseherinnen durften die Kinder nur rein französisch sprechen. Die ältesten lernten stricken, spinnen, nähen; hatten sie sich lange genug damit beschäftigt, so legten ihnen die Aufseherinnen Landkarten, namentlich vom Steinthal und dessen Umgebung, oder bemalte Kupferstiche über biblische Geschichten vor, wobei sie die nöthige Erklärung zufügten.

In Wien wurde durch die Bemühungen des Pfarrers Lindner und des J. R. von Wertheimer 1830 in der Vorstadt Landstraße die erste Bewahranstalt eröffnet. Nach einer Verordnung des f. f. österreichischen Unterrichts-Ministeriums dürfen Kinder vor dem zurückgelegten dritten Lebensjahre in Kinderbewahranstalten nicht aufgenommen werden.

Die Kinderbewahranstalten, wenn sie wahrhaft segensreich wirken wollen, und, nach der Zukunft derselben, mit der Volksschule in organische Verbindung treten, - müssen diese ihre Zöglinge von den Krippen empfangen und in die Volksschule abgeben. Wünschenswert ist es in hohem Grade, dass dieselben in Pestalozzis Geiste geleitet werden.

21. Deutsche Dichter und Denker, welche auf das Erziehungswesen hervorragenden Einfluss genommen haben.

Johann Gottfried von Herder

wurde im Jahre 1744 zu Mohrungen in Ostpreußen geboren, wo sein Vater Lehrer war. Die Herdersche Familie lebte in dürftigen Verhältnissen. Im Jahre 1762 nahm ein Feldscher den jungen

[graphic][merged small]

Herder mit sich nach Königsberg. Dort hörte derselbe Vorlesungen über Religions- und Sprachwissenschaft und bei dem berühmten Philosophen Kant über Philosophie und Mathematik, auch wurde er hier mit der englischen Sprache und mit den Dichtungen Shakespeares bekannt. 1765 war er bereits als Lehrer und Prediger in

« PreviousContinue »