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Gesundheitsrücksichten geboten ihm jedoch seine Lehrthätigkeit aufzugeben; er wurde Pfarrer zu Wolfpassing in Nieder-Österreich. Hier vollendete er im Jahre 1812 den zweiten Band seiner Erziehungsfunde.

Nachdem er noch von 1814-1823 als Stadtpfarrer in Krems gewirkt hatte, ernannte ihn Kaiser Franz zum Bischof von Leitmeriz und im Jahre 1831 zum Erzbischof von Wien. Hat Milde

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in seiner Erziehungskunde sich einen bleibenden Plaz in der pädagogischen Literatur erworben, so erwarb er sich durch eine hochherzige Stiftung die Dankbarkeit des Volksschullehrerstandes für alle Zeiten. Aus den Zinsen derselben erhält alljährlich eine bedeutende Zahl von Volksschullehrern, welche in der Wiener Diöcese wirken, namhafte Unterstügungen.

Wildes Erziehungskunde nimmt in ihren Grundsägen den Standpunkt der heutigen Pädagogik ein; er stüßt dieselben auf die Anthro

pologie, bespricht in der Einleitung die Anlagen des Menschen und deren Cultur, behandelt sodann die physische und im zweiten Hauptstück die intellectuelle Bildung, im dritten die Gefühlsanlagen und im vierten das Begehrungsvermögen.

Schließlich mag noch erwähnt werden, dass Milde auch ein hervorragender Praktiker war, sein Lehrton, ganz besonders aber seine Meisterschaft in der Katechese stellten ihn in die erste Reihe der praktischen Schulmänner.

Von dem Gefühlsvermögen. *)

„Der Mensch wird nicht nur durch äußere Eindrücke afficiert, und sich des dadurch bewirkten angenehmen oder unangenehmen Zustandes bewusst (er empfindet); sondern auch Vorstellungen können den Menschen auf verschiedene Art angenehm oder unangenehm afficieren. Wenn der Mensch sich seines dadurch bewirkten innern Zustandes bewusst wird, so sagt man: Er fühlet. Die Anlage dazu nennt man das Gefühlsvermögen. Die einzelnen Gefühle theilt man nicht nur in angenehme, und unangenehme, sondern auch nach den verschiedenen Arten der Vorstellungen, durch welche sie erregt werden, in sinnliche, intellectuelle, ästhetische, sympathetische, moralische und religiöse ein.

Wird ein Gefühl so stark, dass dasselbe das übergewicht über den Verstand erhält, so heißt dasselbe Affect.

Die Anlage zu den verschiedenen Arten der Gefühle findet sich zwar bei allen Menschen, aber schon von Natur in einem sehr verschiedenen Grade, wie uns die Beobachtung an einzelnen Kindern in den frühesten Jahren der Entwicklung lehrt. Diese Verschiedenheit wird durch den Einfluss des Körpers und des intellectuellen Zustandes bei den einzelnen Individuen noch vermehrt. Allge= mein bekannt ist es, wie sehr die Empfänglichkeit, Stärke und Dauer einzelner Gefühle von dem physischen Zustande des Menschen abhängen. Daher bei erhöhter Reizbarkeit des Körpers eine größere Empfänglichkeit für einzelne Gefühle; daher sind im allgemeinen bei Mädchen gewisse Gefühle leichter zu erregen als bei Knaben; daher verliert sich das Feuer und die Stärke einzelner Gefühle in spätern Jahren.

Nicht weniger mächtig ist der Einfluss der intellectuellen Cultur, besonders der Cultur der Einbildungskraft und der Phantasie. Bestimmte Gefühle sezen nicht nur das Vorhandensein bestimmter Vorstellungen, sondern auch einen bestimmten Grad der formellen Cultur des Geistes voraus.

Vorschriften für den Erzieher (in Ansehung der Gefühle). **)

Es ist dem Erzieher nothwendig zu wissen, wodurch die Anlage des Gefühles in dem Menschen abgestumpft oder vernichtet werde, damit er lerne, was

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er bei seinem Zöglinge zu vermeiden oder zu verhindern habe. merkungen werden die beste Quelle diätetischer Warnungen sein:

Folgende Be

1. Eine zu frühe Anstrengung des Geistes mit bloß speculati= ven Gegenständen, eine ausschließliche Beschäftigung mit abstracten Ideen, ein zweckwidriges trockenes Sprachstudium schwächen die Gefühle und können sogar die Vernichtung derselben herbeiführen. Die Ursache davon liegt in der Natur der Gefühle, welche nur in Anschauungen oder anschaulichen Darstellungen ihre Nahrung finden können.

2. Eben daher verliert jede Vorstellung ihren Einfluss auf das Gefühlsvermögen, je mehr dieselbe bloß als ein Product oder Object der abstracten Speculation behandelt wird. Ein trockener, bloß speculativer Unterricht in der Religion oder Moral ist keine Nahrung, sondern oft eine Schwächung des religiösen oder moralischen Gefühls.

3. Mangel an Erregung in den früheren Jahren der Jugend hat oft eine bleibende Schwäche oder Unwirksamkeit einzelner Gefühle zur Folge. Daher sind die äußeren Veranlassungen und das Beispiel derjenigen, die das Kind umgeben, von mächtigem Einflusse.

4. Das oft wiederholte Einwirken der dem Gefühle entgegengeseßten Vorstellungen hindert dessen Entstehung, oder schwächt und vernichtet dasselbe. So wird das moralische Gefühl bei Kindern durch den fortwährenden Anblick unmoralischer Handlungen, das Gefühl der Menschenachtung durch die wiederholte Erfahrung von der Bosheit oder Dummheit der Menschen nach und nach vernichtet.

5. Auf der andern Seite schwächt sogar die Vorstellung der zur Erregung des Gefühls geeigneten Gegenstände das Gefühl, wenn dieselben zu oft, oder fortwährend einwirken. Das Gefühl der Ehrfurcht und Bewunderung über die Menge und Größe der Himmelskörper wird bei den Astronomen durch den oft wiederholten Anblick derselben, das Gefühl der Sympathie wird bei Chirurgen und Armenvätern durch den immerwährenden Anblick der Leiden und des Elends sehr leicht geschwächt, wenn man nicht durch andere Mittel vorbeugt.

6. Zwar nicht allezeit, aber sehr oft werden Gefühle bei Kindern unterdrückt, wenn man derselben spottet, sie als unmännliche Schwärmerei lächerlich zu machen, und als Thorheit darzustellen sucht.

Was Religiosität sei. *)

Der Erfolg der religiösen Bildung hängt theils von der Vorstellung, worin Religiosität besteht, theils von der Art und Weise ab, diese in den Kindern hervorzubringen. Derjenige, der seinen Zöglingen leere, unverständliche oder sinnlose Formeln einprägt, der die Überzeugung von religiösen Vorstellungen zu begründen versäumt, der diesen Wahrheiten keinen Einflußß auf das Gefühls- und Begehrungsvermögen gibt, derjenige, der den Zögling bloß zu einer mechanischen Ausübung religiöser Gebräuche verhält, kann nicht

*) II, 183.

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sagen, er habe denselben religiös zu machen gesucht. Religiosität und Religionskenntnis, Religiosität und Religion ausübung sind sehr verschieden und nicht allezeit verbunden. Religiosität ist nicht bloß eine Eigenschaft des Kopfes, sondern des Herzens. Sie besteht in der richtigen. Erkenntnis, festen Überzeugung von Gott und unserm Verhältnis zu ihm, in dem lebhaften Andenken und wirksamen Einflusse dieser Vorstel= lungen auf die Gesinnungs- und Handlungsart der Menschen.

Der Unterricht in Religionslehren ist ein Geschäft bestimmter Stunden und geschickter Lehrer; die religiöse Bildung aber lässt sich nicht auf Stunden beschränken und gedeihet unter den Händen religiöser Eltern, besonders religiöser Mütter, oft besser, als gelehrter Theologen. In der Behauptung des Pestalozzi, dass Mütter zur ersten religiösen Bildung der Kinder die tauglichsten sind, liegt nach meiner Überzeugung viel Wahres, nur müssen sie selbst eine reine, richtige Religiosität in ihrem Herzen haben, und den vollständigen höheren Religionsunterricht zweckmäßig gewählten Lehrern überlassen.“

Natur des Begehrungsvermögens. *)

„Der Mensch unterscheidet die Gegenstände, insofern er dieselben_in_ver= schiedenen Verhältnissen wahrnimmt oder denkt, als angenehm oder unangenehm, als nüßlich oder schädlich, als recht oder unrecht. Wenn ein Gegenstand in einem dieser Verhältnisse gedacht wird, so erhält derselbe Interesse, und es entsteht Lust oder Unlust in dem Menschen. Daraus erfolget das Verlangen nach dem Sein oder Nichtsein dieser Objecte, der Mensch begehrt oder verabscheuet dieselben. Das Vermögen hiezu nennt man das Begehrungsvermögen oder den Willen im weitesten Sinne. Das Begehrungevermögen ist in seiner Thätigkeit von den angegebenen Verhältnisvorstellungen abhängig. Das Nichtkennen oder Misskennen eines Verhältnisses hat die Unthätigkeit oder die Verirrung des Begehrungsvermögens zur Folge. Nicht alle Vorstellungen der einzelnen Objecte oder der Verhältnisse sind bei jedem Individuum gleich lebhaft und wirken gleich stark auf das Begehrungsvermögen. Die subjective Möglichkeit, dass das Begehrungsvermögen für oder gegen einen Gegenstand leichter als für andere bestimmt wird, nennt man eine Neigung oder Abneigung, und die zur Fertigkeit gewordene habituelle Neigung heißt ein Hang.

Die Neigungen sind entweder natürliche oder erworbene, je nachdem dieselben in der ursprünglichen Einrichtung der Natur begründet sind, oder durch äußere Einwirkungen begründet wurden. Die wirkliche Thätigkeit und Richtung des Begehrungsvermögens auf ein bestimmtes Object wird Begierde genannt. Jede Begierde seht die, wenn auch dunkeln oder irrigen, Vorstellungen des Objectes, des Verhältnisses desselben, und der wirklichen oder geträumten Möglichkeit der Realisierung voraus. Wird eine Begierde so heftig, dass die

*) II, 77.

Niedergefäß, Geschichte der Pädagogik.

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ruhige Überlegung und die von dieser abhängige Freiheit verloren gehen, so nennt man sie Leidenschaft, und eine fortwährende heftige Begierde heißt Sucht.

Leidenschaften können sich daher nur in vernünftigen Geschöpfen finden, und vernunftlosen Wesen können Neigungen, Begierden, aber keine Leidenschaften beigelegt werden.

Der Mensch erwartet endlich die Realisierung seiner Wünsche nicht bloß vom Zufall oder von der Thätigkeit anderer Wesen, sondern er kann durch Anwendung seiner eigenen Kräfte diese bewirken und trachtet durch äußere Thätigs keit nach der Befriedigung seiner Begierden. Der innere Drang_nach_Realisierung heißt Trieb. Es kann daher Neigungen, aber keine Triebe zu passiven Zuständen geben, und Triebe sind nur bei lebenden selbstthätigen Wesen möglich.

Die Vorstellungen, durch welche die Begierden und das Streben nach Befriedigung derselben erregt werden, heißen Triebfedern. Diejenigen Triebe, welche durch sinnliche Eindrücke ohne deutliche Vorstellung, den ursprünglichen Gesezen der Natur zu Folge, entstehen, z. B. der Trieb der Selbsterhaltung bei Thieren und bei sehr kleinen Kindern u. dergl., nennt man Instincte. Die Art und Beschaffenheit der Urtheile, Gefühle, Neigungen und Begierden in Rücksicht auf ein Dbject nennt man die Gesinnung eines Menschen.

Die Art und Beschaffenheit aller Neigungen, Begierden und Triebe machen den individuellen Character des Begehrungsvermögens eines Menschen au 3

Cultur des Begehrungsvermögens.

Derjenige, der allzeit das will, was er als Recht und Pflicht erkennt, ist ein sittlich guter Mensch. Nicht die Handlungen, sondern die Gesinnungen bestimmen die Sittlichkeit eines Menschen, und die Allge= meinheit und Festigkeit der Richtung des Begehrungsvermögens find wesentliche Eigenschaften eines sittlich guten Charakters. Es wäre überflüssig, weitläufig zu beweisen, dass Sittlichkeit die höchste Bestimmung des Menschen ist, und dass die Begründung eines sittlich guten Charakters der lezte Zweck der Erziehung sein müsse. Alle Aufklärung des Kopfes, alle Cultur der Gefühle, alle Feinheit der äußern Bildung hat keinen Wert, wenn die sittliche Bildung des Herzens nicht damit verbunden wird. Der Erzieher kann durch Bildung des Kopfes seines Zöglings glänzen, er kann durch sogenannte humane Gefühle, durch Feinheit des äußern Anstandes den Unverständigen täuschen; aber nur durch Bildung des Willens kann er seiner Pflicht Genüge thun und dem Zwecke der Erziehung entsprechen.

Der Charakter des Zöglings verdient und fordert die größte Aufmerksamkeit des Erziehers. Die Erziehung muss dafür sorgen, dass nicht bloß die Sinnlichkeit in der Wahl des Angenehmen, dass nicht bloß der Verstand in der Berechnung des Nukens, sondern dass die Vernunft in Bestimmung der Rechtmäßigkeit geübt werde. Sie muss dafür sorgen, dass nicht bloß sinnliche Lust, sondern rein moralische Gefühle den Zögling beleben, dass er nicht bloß nach

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