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§ 3.

Wichtigkeit der Schuldisciplin.

Wir haben unter § 1 einmal unter Schuldisciplin die Mittel und Anstalten selbst verstanden, durch welche das zur Erreichung der Schulzwecke nöthige Verhalten unter den Schülern erhalten wird, oder alles das, wodurch in den Schulen, nächst einem zweckmäßigen Unterrichte der Zweck der Schulen gefördert wird, dann aber auch das Wort von der Wissenschaft der Regeln zur Beförderung des für die Zwecke der Schule nöthigen Verhaltens der Schüler gebraucht. Wir mögen nun unter dem Worte Disciplin die Wissenschaft, oder das Object der Wissenschaft verstehen, so leuchtet die Wichtigkeit derselben ein.

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Als Object der Wissenschaft genommen, wo könnte jemand, der auch nur eine oberflächliche Kenntnis des Lebens und Treibens im Kreise der Schule hat, der nur einen Augenblick die ernsten Zwecke der Schule und die Schwierigkeiten bedenkt, welche die Erreichung derselben besonders in einem zahlreichen Kreise von Kindern hat, ihre Wichtigkeit bezweifeln, und wer könnte, wenn auch nur Monate oder Wochen lang, als Lehrer an einer Schule gearbeitet haben, ohne davon überzeugt worden zu sein, dass ohne Schuldisciplin die Erreichung der Zwecke der Schule fast unmöglich, dass dieselbe also durchaus unentbehrlich ist?

Wo mehrere sich zu einem Zwecke vereinen, da ist eine gewisse gesellschaft= liche Ordnung nöthig, und eine solche Ordnung muss nicht nur entworfen und eingerichtet, sondern mit Ernst aufrecht erhalten werden, die einzelnen Glieder des Vereins müssen genöthigt werden können, so lange sie Glieder des Vereines sind und bleiben wollen, jene für die ungestörte Erreichung der Zwecke des Vereines nöthige Ordnung zu beobachten. Ist dies aber in jedem menschlichen Vereine der Fall, wie sollte es dies nicht auch ganz vorzüglich in dem Vereine des Lehrers mit Schülern sein, da diese Vereine nicht nur so zahlreich sind, sondern Schüler, bei ihrem Leichtsinne, bei dem der Jugend eigenthümlichen Mangel an Überlegung, an richtigem Urtheile und Charakter, weit leichter als erwachsene und verständige Personen in ihren Ansichten von dem, was der Zweck des Vereines fordert, irren, oder diesen Zweck ganz aus den Augen verlieren, und sich ein Betragen, ein Verhalten erlauben, bei welchem die Erreichung des Zwecks des Vereins an ihnen selbst und anderen erschwert, oder gar unmög= lich wird.

Ohne Schuldisciplin können die Zwecke der Schule nicht erreicht werden. Fasst man auch bloß den materiellen Zweck des Unterrichts ins Auge, was hilft aller Unterricht, und was kann er nüßen, wenn unter den Schülern keine Stille, keine Aufmerksamkeit, kein Fleiß herrscht. Da arbeitet der Lehrer umsonst, und erfolglos bleibt der Schulbesuch der Schüler. Mancher sehr gelehrte Mann stiftet als Lehrer wenig oder gar keinen Nußen und ist mithin ein schlechter Lehrer, bloß weil er keine Disciplin halten kann.

Und wenn wir den großen formalen Schulzweck, den Zweck der Erziehung ins Auge fassen, wie wäre es möglich ihn ohne Schuldisciplin zu erreichen? Die Schule aber hat die Bestimmung, diesen Zweck zu erreichen, sie darf ihn nicht aus dem Auge verlieren, wenn sie nicht sogleich in eine elende Abrich

tungsanstalt verwandelt sein will. Von jeher hat man von den Schulen die Bildung eines frommen, tugendhaften Geschlechts, die religiöse und sittliche Bildung der Jugend, erwartet und gefordert, ja nur zu häufig möchte man sie thörichter Weise ganz und allein von ihnen fordern, nur zu gern möchten viele Eltern sie ganz den Schulen anheimgeben und selbst nichts für dieselbe thun; nur zu oft vergisst man, wenn man die Verwilderung der Jugend den Schulen allein beimessen will, den wichtigen Einflußß, den hier die häusliche Erziehung hat und haben muss. Schon die Alten stellten die Bewahrung und Beförde= rung der Sittlichkeit unter allen Zwecken der Schulen obenan und machten dem Lehrer eigene Sittenreinheit zur heiligsten Pflicht, und in christlichen Schulen wurde von jeher die Erziehung zur Religion als eine Hauptaufgabe gefordert. Unsere Vorfahren", sagt Herder (Sophron. Gesammelte Schulreden S. 170), „nannten die Schulen Werkstätten des Geistes Gottes, eine altväterliche Benennung, von der man sich vielleicht wundern muss, dass ich sie in unsern Zeiten wiederhole, und nicht lieber vom Tempel des Apollo, der Musen und Grazien rede. Die Benennung, recht verstanden, drückt aber eine so edle Sache, und zwar viel wahrer und inniger aus, als alle jene Idolennamen nur immer bezeichnen mögen."

Diesen erziehenden Zweck aber, der also nicht bloß die intellectuelle Bildung, sondern die gesammte Bildung des Menschen umfasst, wie soll er erreicht werden ohne Schuldisciplin? Der Unterricht allein, und wäre er der beste, kann diese Aufgabe nicht lösen, und wir haben so eben gesehen, dass er ohne Disciplin in der Schule erfolglos wird. Alle Moralität des Kindes tritt zuerst als Gehorsam hervor, und muss es; diesen aber kann nur eine zweckmäßige Schuldisciplin bewirken; der bloße Unterricht ohne sie vermag es nicht. Und ist nicht das ganze Wesen der Tugend Ordnung und Regelmäßigkeit? muss also nicht schon das Kind an sie gewöhnt und zu ihrer Beobachtung genöthigt werden? Müsste nicht die Jugend ohne fie verwildern, sobald die Schulen, in denen sie einen so großen Theil ihrer Zeit verlebt, auf Moralität und Sitte nicht achteten, und die Lehrer, unbekümmert um die Moralität der Zöglinge, sich bloß zum eigent= lichen Unterricht berufen glaubten? Es gibt freilich solcher Mietlinge auch in unsern Tagen noch genug, die, wenn sie nur Ruhe in ihrer Classe haben, um ungestört unterrichten zu können, sich um die Sittlichkeit ihrer Zöglinge nicht kümmern, elende Söldner, die nur soweit Disciplin halten, als es nöthig ist, um desto bequemer ihr Brot verdienen zu können, elende Pfuscher im heiligen Schulamte, die keine Idee von moralischer Diätetik, Cultur und Heilkunde haben, und daher bei den erbärmlichen Disciplinarmitteln sich völlig beruhigen. Eine Schule ohne Disciplin oder auch nur mit erschlaffter Disciplin, stiftet mehr moralischen Nachtheil, als sie intellectuellen Vortheil stiften kann, die Jugend verwildert in ihr, saugt die verderblichsten Gesinnungen und Grundsäße ein, lernt Anmaßung, Geringschäßung des Geseßes und der Vorgeseßten und Bosheiten aller Art, und der Staat sollte solche Anstalten geradezu auflösen, oder, wenn sie nöthig sind, ganz neu schaffen, als sie zum größern Verderben länger dulden.

Ist aber die Disciplin selbst so höchst wichtig, so kann es auch nicht befremden, dass die Pädagogik für sie besondere Regeln aufstellt; und wenn gleich die Gabe, Disciplin zweckmäßig zu handhaben, größtentheils von Eigenschaften des Lehrers abhängt, für die sich nur schwer, und zum Theil, weil sie Gabe der Natur und Resultate des ganzen Charakters und der ganzen Gemüthsart sind, gar keine Regel mit der Hoffnung eines Erfolgs geben lassen, so ist doch die Einwirkung auf Moralität und Gemüth auf den Sinn des Gehorsams, der Ordnung, der Verträglichkeit u. s. w. eben so wohl gewissen Geseßen unterworfen, als die Einwirkung auf die intellectuellen Kräfte, und die Erfahrung hat, so verschieden auch die zu erziehenden Subjecte sind, doch gewisse allgemeine Regeln als sicher und richtig bestätigt.

Die Schuldisciplin schöpft ihre Regeln aus der Psychologie und aus Erfahrungen und Beobachtungen besonders über die Kindernatur, und weiset den Grund ihrer Vorschriften überall in jener Wissenschaft nach.

Es bedarf wohl nicht noch der Anführung besonderer Gründe, weshalb es dem Lehrer höchst wichtig sein müsse, diese Regeln kennen zu lernen. Dass es eine zahllose Menge von Lehrern gibt, die Jahre lang, die bis an ihr Ende die Disciplin in Schulen verwaltet haben, ohne je ein Wort über Schuldisciplin gelesen oder gehört zu haben, ist wahr; allein daraus folgt noch nicht, dass die Kenntnis jener Regeln entbehrlich sei. Wie haben sie die Schuldisciplin vielleicht gehandhabt? Das ist die erste Frage, und wenn einzelne eigenes Nachdenken und richtiges Gefühl) in dieser Hinsicht sicher und richtig leiteten, so ist dies ein Glück, und gewiss würden gerade diese Männer am liebsten wissenschaftlich den fraglichen Gegenstand behandelt gesehen haben.

Wenn aber die Kenntnis der Regeln der Schuldisciplin jedem Lehrer noththut, so wird dieselbe doppelt wichtig und nöthig, wo mehrere Lehrer an einer und derselben Schule arbeiten, oder mehrere Schulen eines Ortes zu einem wohlorganisierten Gesammtschulwesen in aller Absicht vereinigt sind. In diesem Falle ist übereinstimmung in disciplinarischen Grundsäßen wenigstens eben so wichtig, als hinsichtlich der Lehrmethode Übereinstimmung und gehöriges Jneinandergreifen nöthig ist. Wo in einem Hause an einem Knaben Großmutter, Tanten, Vater, Mutter, Brüder, Schwestern, Dienstboten u. s. w. herumpredigen, schelten, schlagen und erziehen, da wird gewiss aus dem Kinde nichts, und wo in einer Schule eine Anzahl Lehrer nach beliebigen Ansichten erlauben und verbieten, belohnen und strafen, da kann aus dem Tone der Schule und aus den Schülern nichts werden. Viele Köche verderben den Brei, und viele Ärzte geben dem Kranken nur um so schneller das Grab. Wo mehrere an einem und demselben Werke arbeiten, da muss unter ihnen die nöthige Übereinstimmung stattfinden, da müssen alle gewisse Regeln als Norm ihres Verfahrens anerkennen. Die Erfahrung bestätigt dies genugsam, es bedarf nur eines Blicks in solche Schulanstalten, wo jeder Lehrer nach Lust und Belieben die Disciplin handhabt, um die nachtheiligen Wirkungen davon zu sehen.

Friedrich Ludwig Jahn
(1778-1852)

war der Sohn eines Predigers in dem Dorfe Lanz bei Lenzen in der Priegnig. Der Vater Jahns scheint eigenthümliche Ansichten über Erziehung gehabt zu haben, was daraus zu entnehmen ist, dass er den Knaben nicht mit Altersgenossen verkehren ließ, ihm dagegen den ungezwungensten Verkehr mit alten Soldaten, die im sieben

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jährigen Kriege gekämpft hatten, mit den Schiffern des Dorfes und sogar mit den Paschern des Heimatsortes gestattete. Reiten, Schwimmen, Klettern 2c. waren daher Fertigkeiten, auf die sich Ludwig Jahn schon in früher Jugend trefflich verstand. Dabei unterließ der Vater keineswegs, den Knaben intellectuell und sittlich zu bilden. Nachdem er in Salzwedel und Berlin das hatte, bezog er 1796 die Universität zu Halle.

Gymnasium besucht Wie er seine Studienjahre und das Universitätsleben auffasste, schildert er selbst,

indem er sagt: „Die Hochschuljahre bleiben des angehenden Gelehrten Wanderzeit. Da soll er sich weder einpferchen noch verunken. Er muss erwachsen in der Öffentlichkeit Lust und Licht. Er muss seinen Umgang freikürig wählen dürfen, darf nicht in einen bestimmten Gesellschaftskreis gebannt sein, wo er sich dann so einlebt wie ein Stammgast einer Kneipe, dass ihm lange nachher nirgends wohl ist, und er von vorne wieder zu leben anfangen muss, um sich mühsam in der wirklichen Welt zurecht zu finden, bevor er eine wahre Wirksamkeit gewinnen kann.“

Das Studium der Theologie, für das ihn sein Vater bestimmt hatte, sagte ihm wenig zu; dagegen sprach ihn die Beschäftigung mit Sprachen um so lebhafter an. Nach einem vierjährigen Aufenthalte in Halle zog er nach Greifswald, um nordische Sprachen zu studieren. Hier trat er mit Arndt in Verbindung und veröffent lichte in dieser Zeit die Schrift: „Bereicherung des hochdeutschen Sprachschazes" (1806).

In den nächstfolgenden drei Jahren wurde Jahn von den politischen Verhältnissen völlig in Anspruch genommen; im Jahre 1809 finden wir ihn in Berlin wieder, 1810 als Hilfslehrer am Kölnischen Gymnasium und 1812 am (Pestalozzisch-) Plahmannschen Institut angestellt. Fichtes Reden an die deutsche Nation hatten damals die Gemüther erregt; Pestalozzis Methode war in Aufnahme gekommen, und die hervorragendsten Männer, wie Freiherr von Stein, sahen in der Nationalerziehung das einzige Mittel zur Hebung der Volkssittlichkeit und Volkskraft. In diese Zeit fällt die Aufnahme des Turnens in den Kreis der Erziehungsmittel

Über die Anfänge desselben spricht sich Jahn in der Vorrede zu seinem 1816 erschienenen „Turnbuche" folgendermaßen aus:

„Wie so viele Dinge in der Welt, hat auch die deutsche Turnkunst einen kleinen, unmerklichen Anfang gehabt. Ich wanderte gegen Ende des Jahres 1809 nach Berlin, um den Einzug des Königs zu sehen. Bei dieser Feier gieng mir ein Hoffnungsstern auf, und nach langen Frrjahren und Irrfahrten wurde ich hier heimisch. Liebe zum Vaterlande und eigene Neigung machten mich wieder zum Jugendlehrer, was ich schon so oft gewesen. Zugleich ließ ich mein „Deutsches Volksthum" drucken.

In schöner Frühlingszeit des Jahres 1810 giengen an den schulfreien Nachmittagen der Mittwochen und Sonnabende erst einige Schüler mit mir in Feld und Wald und dann immer mehr und mehr. Die Zahl wuchs, und es wurden Jugendspiele und einfache Übungen vorgenommen. So gieng es fort bis zu den

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