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Zunächst wird sich dies hoffentlich zeigen

1. in mehrerer Beschränkung der Unterrichtsgegenstände in unsern Schulen 2. in mehr Planmäßigkeit und Gründlichkeit bei der Behandlung aller Objecte des Unterrichts;

3. in der Bestimmung der Grenzen unserer katechetisch-sokratischen Lehrart, besonders bei den sogenannten Verstandesübungen;

4. in der Übung der Sprachfertigkeit.

Über die sokratische Lehrart. 1)

Die wahre sokratische Lehrart besteht nicht bloß in einem stets an die Schüler gerichteten Herausfragen, sondern auch in Zweifeln und um Belehrung bittenden Fragen des Schülers.

Sehr wahr sagt Kant (Tugendlehre, S. 165): „Wenn jemand der Vernunft des andern etwas abfragen will, so kann es nicht anders als dialogisch, d. i. dadurch geschehen, dass Lehrer und Schüler einander wechselseitig fragen und antworten. Der Lehrer entwickelt bloß die Anlage (Fähigkeit) zu Begriffen in demselben durch vorgelegte Fälle; der Lehrling, welcher hiebei inne wird, dass er selbst zu denken vermöge, veranlasst durch seine Gegenfragen, oder durch Zweifel, welche den eingeräumten Säßen entgegenstehen, dass der Lehrer nach dem befannten docendo discimus selbst lernt, wie er gut fragen müsse." Da dies nun weit eher im Unterricht einzelner Kinder als ganzer Haufen von Kindern möglich ist, so folgt auch, dass jene Lehrart im wahren Sinn und Geist des Sokrates sich ungleich weniger zum häufigen Gebrauch in Schulen eigne, als die, welche positiv unterrichtet, das Erlernte ost wiederholt, und nur da, wo es zweifelhaft ist, ob der Zögling dies erlernte auch wirklich gefasst habe, durch unerwartete Zwischenfragen nachforscht und prüft.

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Was man gewöhnlich Katechisationen nennt, besteht doch eigentlich aus einer planmäßig entworfenen Reihe von Fragen, wobei sich der Lehrer die Antworten gedacht hat. Sein ganzes oft recht ängstliches Streben geht nur dahin, dass das Gespräch nicht einen Schritt aus dem Geleise seines Planes weiche, und dass der Schüler durch allerlei oft höchst unnatürliche Wendungen dahingebracht werde, gerade die Antwort zu geben, die jener sich ausgedacht und selbst aufgeschrieben hat, wohl gar in denselben Worten und Kunstausdrücken, die er vielleicht niemals hörte. Denn vielen Katecheten liegt oft ungleich mehr an einem Wort, als an der Deutlichkeit des Begriffs, und sie verwerfen oft die besten Antworten, sobald sie in andern dem Kinde vielleicht weit natürlicheren Worten ausgesprochen sind. Sie peinigen sich und das Kind so lange, bis es das rechte Wort trifft. Denn gerade an dies schließt sich nun die nächste Frage ihres Heftes, das sie keinen Augenblick aufgeben wollen.

Den Anfang des Kinderunterrichts mit einem sokratischen Katechisieren zu machen, ist von gar keinem Nugen. Es muss erst ihrem Verstande etwas gegeben sein; sie müssen im eigentlichen Sinne des Wortes belehrt, müssen unterrichtet werden; man muss ihnen folglich übersinnliche 1) III. 384 ff.

und sinnliche Gegenstände, Begriffe beibringen, als den Stoff, woran sich ihre schwachen Kräfte zuerst üben, und den sie unter der Leitung des Lehrers verarbeiten lernen. Daher ist es rathsam, dass sie gewiffe Säge, die sich auf äußere und innere Anschauungen gründen, ins Gedächtnis faffen. An diese muss alsdann der Lehrer sein weiteres Gespräch knüpfen und von Zeit zu Zeit erforschen, was verstanden oder nicht verstanden ist, wobei allerdings die Methode erotematisch, aber nicht eigentlich sokratisch im wahren Sinne des Wortes werden muss.

Die allermeisten Gegenstände, welche man in unsern zu Verstandesübungen bestimmten Katechisationen abzuhandeln pflegt (psychologische, moralische, 3. B. Verhältnis, Kraft, Tugend, Pflicht, Recht 2c.), sind für das kindliche Alter viel zu abstract, und der Gewinn, welcher aus der auch in vielen bessern Schriften angestellten künstlichen Analyse hervorgeht, ist äußerst unbedeutend. Entweder sollte man diese Materien noch ganz verschieben, oder mehr positiv lehren was für Anfänger davon zu wissen nüßlich ist. Die der Analyse vorangehende Synthesis ist auf keine Weise ein Hindernis des Nachdenkens. Selbst die sinnlichen Objecte faffen wir anfangs als ein Ganzes auf, bei dessen weiterer Beschauung wir immer fähiger werden es zu zergliedern und in seine feinsten Theile aufzulösen; und so wie das ins Gedächtnis gefasste Wortzeichen einer Vorstellung, die Vorstellung selbst in uns dauerhafter macht und bei jeder Erneuerung ein weiteres Nachdenken darüber veranlasst, so wird auch oft eine vorangestellte selbst dem Gedächtnis eingeprägte fassliche Erklärung, Beschrei bung, Regel der katechetisch-sokratischen Begriffsentwickelung am besten vorangehen.

Hierin unterscheidet sich der Pestalozzische Gang von unserer herrschend gewordenen Katechisiermethode, und ich denke, wir sollten nach und nach aus ihren nicht sehr erfreulichen Früchten lernen, dass sehr viel Fehlerhaftes darin liegen müsse.

Stufenweise Ausbildung der Seelenkräfte. 1)

Die Seelenkräfte entwickeln sich stufenweise. Daher ist es die erste Regel der Lehrmethode: in jedem Alter die Seelenkräfte vorzüglich in Thätigkeit zu sehen, welche ihm eigenthümlich sind. Denn diese Me= thode ist gleichsam die Form, nach welcher die zu lernende Masse abgetheilt und gebildet werden soll, um sie der jedesmaligen Fassung des jugendlichen Verstandes darzustellen und die Geisteskräfte des Zöglings damit zu beschäftigen. Eine andere Methode fordert das Kind, eine andere das mittle re und reifere Alter. Kinder sind eines wissenschaftlichen, systematischen Unterrichts unfähig. Je mehr ihnen also das, was sie lernen sollen, durch Anschauung, durch sinnliches Bild, Beschäftigung der Einbildungskraft, Verbindung dessen, was man lehrt, mit ihren Lieblingsneigungen und Beschäf= tigungen beigebracht werden kann, desto besser wird der Grund aller weiteren Bildung gelegt, und die Schule ihnen um so lieber sein, je mehr sie den Namen,

1) I. 321 ff.

welchen ihr die ersten Römer gaben (Ludus), entspricht. Sobald man die Me= thode spielend zu lernen, auf dies Alter einschränkt, so wird auch schwerlich der strengste Theoretiker etwas dagegen einzuwenden haben. Sobald der Verstand über Sinnlichkeit und Phantasie die Oberhand gewinnt, wird dies von selbst wegfallen; heranwachsende Knaben müssen schon mehr an anhaltende Arbeit gewöhnt werden, und 3öglinge werden es selbst unter ihren Jahren finden, wenn man, statt sie ernsthaft zu belehren, mit ihnen spielen wollte.

Heinrich Stephani.
(1761-1850.)

Zu den Schulmännern, welche ihr ganzes Leben hindurch für die Freiheit und Selbständigkeit der Schule gekämpft haben, gehört auch der baierische Schulrath, Heinrich Stephani, der Begründer

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der Lautiermethode. Seine Fibel (1802) und seine metho= dische Anweisung zum Leseunterrichte (1804) wurden hiefür entscheidend. Im Jahre 1805 erschienen seine „Grundlinien der Staatserziehungswissenschaft", welche er später im System der öffentlichen Erziehung" weiter ausgeführt hat.

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Es lag in seinem Streben und in den damals in kirchlichen Kreisen herrschenden Anschauungen der Grund für mannigfache Widerwärtigkeiten und für seine frühzeitige Versehung in den Ruhestand. Als Aufgabe der Erziehung betrachtete Stephani „die Entwickelung aller menschlichen Anlagen und Kräfte zur sittlichen Selbstbestimmnng; besondern Wert legte er auf die praktische Ausbildung für das bürgerliche Leben.

Das Princip der Erziehungskunst

heißt nach Stephani 1): Behandle deinen Zögling als ein freies Wesen, welches seinen Willen stets nach den Vorschriften der Vernunft selbstthätig so gebrauchen lernen soll, wie es seine höchste Bestimmung erfordert. Denn den Menschen erziehen heißt nichts anderes, als ihn in eine Lage sehen, worin er zu der für seine Bestimmung nöthigen Ausbildung seiner Kräfte gelangen kann. Die Erziehung hat alles geleistet, was sie zur Vervollkommnung des Menschen an sich, oder zur unmittelbaren Ausbildung seiner Kräfte für den Zweck seines Daseins beitragen konnte und sollte, wenn sie ihm eine Lage bereitet hat, in welcher er sich dahin vervollkommnen kann, daß er

1. in Ansehung seines Körpers zur gehörigen Ausbildung seines Organismus gelangte, sich an ein durchaus diätetisches Betragen gewöhnte, seinem Körper die natürliche Gewandtheit und Schönheit verschaffte;

2. in Ansehung auf sein Herz sich von dem thierischen Lebensgenusse losriss, und zu dem höheren, geistigen, durch Weckung und Stärkung seines Sinnes für das Reich der Schönheit, der Wahrheit und der Sittlichkeit erhob;

3. in Ansehung seines Verstandes dahin gelangte, sich eine große Fertigkeit im Denken und die nöthige Kenntnis von seiner eigenen Natur und der ihn umgebenden Welt zu erwerben;

4. in Ansehung seines Willens sich dahin bildete, dass er solchen nach dem Sittengesehe und den Regeln der Klugheit zu leiten imstande ist.

Um lezteres zu erreichen, muss die Schulzucht reformiert werden: a) Man halte auch das Kind für einen ganzen und nicht für einen 3⁄4 oder Menschen und behandle es nur als ein freies Wesen.

b) Die Sittlichkeit soll dem Menschen weder eingeprügelt noch durch Aufregung der Ehrliebe in ihm erzeugt werden, sondern sie soll Frucht der Freiheit und innern Anerkenntnis ihres eigenen Wertes sein.

c) Ein sittlicher Sinn kann der Jugend nicht sowohl gelehrt, als ihr vielmehr eingeübt werden.

d) Die Schule werde nicht für eine bloße Lehranstalt, sondern auch für ein sittliches Gymnasium im ursprünglichen Sinne dieses Wortes, oder als eine Vorschule zum sittlichen Leben für die bürgerliche Welt angesehen. Damit eine solche Erziehung möglich werde, muss sie eine öffentliche Angelegenheit des Staates werden.

1) Vergl. Diesterweg a. D.

Friedrich Heinrich Christian Schwarz

(1766-1837)

wurde zu Gießen als der Sohn eines Professors geboren. Er widmete sich der Theologie und betrieb außerdem das Studium der Philosophie nach Kants Systeme. In Derbach, wo er als Pfarrer wirkte, errichtete er eine Erziehungs-Anstalt; hier trat er auch mit dem bekannten Freiherrn von Vincke und mit Jung-Stilling

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in Verbindung. Im Jahre 1804 wurde er Professor der Theologie in Heidelberg; sein Erziehungsinstitut behielt er bei. In dieser Zeit entstand sein „Lehrbuch der Pädagogik oder Erziehungskunde." Es war zum Leitfaden für seine Vorlesungen bestimmt, zu denen er als Vorsteher des pädagogischen Seminares verpflichtet war.

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Den Hauptinhalt dieses Lehrbuches ersehen wir aus der Übersicht", die er demselben beifügt:

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