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A. Die Erziehung bei den Bölkern des Orients.

1. Die Erziehung bei den Chinesen.

(Der Familienstaat.)

Das älteste Culturvolk sind die Chinesen. Wir finden sie geschickt in allerlei Kunstfertigkeit und in der Nachahmung, aber so wenig geistig selbstthätig, dass z. B. die von ihnen gemachten Erfindungen des Schießpulvers, des Compasses, der Buchdruckerkunst 2c. ohne wesentlichen Nugen für sie blieben.

Die Religion des Chinesen ist Naturreligion, sein Gott bleibt ihm eine äußerliche Macht, eine feindliche Naturgewalt, welcher er sich unbedingt unterwerfen muss, welcher er sich mit Furcht und Zittern naht. Dieser Weltauffassung gemäß kennt er im Staat, in der Familie, in der Erziehung nur Gewöhnung zum nnbedingten Gehorsam, zu blinder Unterwerfung, und im Unterricht die unwandelbare überlieferung der geltenden religiösen Sazungen durch das Gedächtnis. Eine vielseitige Entwickelung des Geistes durch den Lehrstoff ist ebensowenig erlaubt, als ein Fortschreiten vom angewöhnten Gehorsam zur freien That. Es fehlt ihm das Gefühl der Persönlichkeit, das Bewusstsein vom Recht der Individualität und von der Selbständigkeit seines Denkens, Wollens und Empfindens. Dies gilt von dem Orientalen im allgemeinen, vom Chinesen aber im besondern; jedoch treten bei ihm noch andere Eigenthümlichkeiten hinzu.

In China betrachtet sich der Kaiser als der Vater seines Volkes, welches seine Familie ausmacht und ihm gegenüber unmündig und willenlos ist. Diese Grundanschauung trägt sich auf die öffentlichen Verhältnisse über. Der Sohn bleibt dem Vater unterthan, so lange dieser lebt, und wenn sich jemand in China auszeichnet, so wird der Vater belohnt, der einen solchen Sohn erzog.

Dasgroße chinesische Reich verlangt einen wohlgeregelten Beam: tenmechanismus; die Erziehung ist daher in erster Linie in China darauf gerichtet, den Zögling fähig zu machen, dass er als Beamter die höchste Staffel erreiche. China ist das Land der Schulen

und der Prüfungen, durch welche man von Stufe zu Stufe aufwärts rückt. Doch darf alles Wissen nur Gedächtniswerk sein, da ein Erforschen und selbständiges Durchdenken der Lehrgegenstände nicht erlaubt ist.

In den Städten sorgt die Obrigkeit für die Errichtung von Volksschulen, auch größere Dörfer stellen auf eigene Kosten Schulen her. Der Unterricht beginnt mit dem fünften und sechsten, und dauert ohne Ferien bis zum zwölften oder vierzehnten Jahre. Beim Unterrichte bedient man sich gedruckter Bücher. Da die Chinesen keine Buchstaben, sondern Zeichen für die Begriffe haben, die unter sich zu verschiedenen Begriffserweiterungen benußt werden, und da ferner die Betonung und die Stimmlage beim Sprechen dem Worte selbst eine ganz verschiedene Bedeutung geben kann; so ist das Lesen- und Schreibenlernen eine sehr schwierige Sache. In China gibt es außer den Volksschulen viele höhere Lehranstalten; Mädchenschulen fehlen jedoch; Arme werden des Abends unterrichtet. An der Spize aller Bildungsanstalten steht die kaiserliche Akademie.

Da in China jede Handlung durch ein Gesez vorgeschrieben ist, so gibt es über Methode und Schulpraxis auch viele ins Einzelne gehende Anweisungen. 1)

„Die Einrichtung der Schule ist sehr einfach. Der Lehrer bekommt einen Tisch und einen Lehnseffel für sich, und jeder der Schüler hat selbst seinen Schreibtisch und Stuhl mitzubringen. Die Bücher hat ein jeder selbst anzuschaffen, sowie Papier, Tusch und Pinsel zum Schreiben.

Der Eintritt in die Schule ist mit einer feierlichen Ceremonie begleitet. In jedem Schullocale ist nämlich ein kleiner Altar angebracht, der dem Confucius und dem Wuntschongya, der als Gott der Wissenschaften gilt, ge= heiligt ist.

Hier bringt der Lehrer zuerst ein Opfer und bittet um die geistige Gegenwart dieser vergötterten Persönlichkeiten, damit unter ihrem segensreichen Einfluffe die Schule gedeihe und berühmte Männer daraus hervorgehen. Dann folgen die Schüler mit der Darbringung ihrer Ehrfurchtsbezeigung, welche im Verbrennen von Weihrauch und in Verbeugungen vor dem Altare besteht, indem sie sich durch diese Ceremonie unter den besonderen Schuß der hier verehrten Götter stellen wollen. Bei dieser Gelegenheit bekommen die Knaben neue Namen. Bisher wurden sie bei ihren sogenannten Milchnamen genannt; der wird nun abgelegt, und der Schulname tritt an seine Stelle. Die Namensveränderung kommt noch mehrere male vor, z. B. wenn einer zum erstenmale einen Grad

1) Vergl. R. Lechler. Acht Vorträge über China S. 102 ff.

erlangt, oder wenn sich einer verheiratet 2c. Jeden Tag, wenn die Schüler zur Schule kommen, verneigen sie sich gegen den Altar wie gegen den Lehrer und nehmen dann ihre Pläge ein. Dem Lehrer liegt überhaupt nicht bloß der Unterricht, sondern auch die Erziehung seiner Schüler ob. Er muss sie daher auch stets in gutem Benehmen unterrichten und ihnen die Regeln des Anstandes und der Höflichkeit beibringen.

Seine Methode das Lesen zu lehren ist folgende. Das Buch wird aufgeschlagen, und der Lehrer fängt ohne weiteres an zu lesen. Die Schüler, deren jeder sein Buch vor sich hat, sprechen dem Lehrer Wort für Wort nach, die Augen unverwandt aufs Buch gerichtet und mit dem Zeigefinger den Worten folgend. Es wird nur eine Zeile gelesen, und diese so lange repetiert, bis die Schüler sich die Aussprache eines jeden Zeichens gemerkt haben und ohne den Lehrer die Zeile lesen können. Nun müssen sie dies auswendig lernen. Das thun sie mit lauter Stimme, indem sich jeder besonders seine Aufgabe so lange vorschreit, bis sie sich seinem Gedächtnis eingeprägt hat. Wer damit fertig ist, geht zum Lehrer hin, legt sein Buch vor denselben auf den Tisch, kehrt ihm den Rücken zu und sagt so seine Aufgabe her. Dann geht der Lehrer an die nächste Zeile und fährt so fort, bis das ganze Buch auswendig gelernt ist.

Außer dem Erlernen des Lesens wird in den Anfangsschulen nur noch das Schreiben gelehrt. Die Schüler bekommen eine Vorschrift vom Lehrer zuerst mit den einfachsten Zeichen von wenigen Strichen, bis sie allmählich die mehr zusammengesezten schreiben lernen. Diese Vorschriften werden unter das Papier gelegt, auf das der Schüler schreiben soll, und von demselben mit dem Pinsel nachgezeichnet. Da die Chinesen sich zum Schreiben des kohlschwarzen Tusches bedienen und ihr Schreibpapier ungemein dünn und durchsichtig ist, so liegen die feinen und groben Striche der Vorschrift ganz deutlich vor den Augen des Schülers. Diese Weise das Schreiben zu erlernen wird so lange fortgesett, bis der Schüler einige Übung und Fertigkeit erlangt hat, worauf er dann erst anfängt aus freier Hand zu schreiben."

Die ganze Schuleinrichtung in China, und insbesondere die Methode, stimmt überein mit dem Mechanismus, der den Grundton des chinesischen Volkslebens angibt. Selbst die großen Weisen der Nation z. B. Confucius (551 v. Chr.) haben sich über den alles beherrschenden Mechanismus nicht erheben können und haben weder eine das Weltall regierende Gottheit, noch die wahre Bestimmung des Menschen erkannt, sondern es nur zu einer ein glückliches Dasein bedingenden Moral gebracht.

Der Zweck der chinesischen Erziehung, demgemäß sich die Erziehungspraxis gestaltet, lässt sich daher nach folgenden Gesichtspunkten kennzeichnen:

Indem die chinesische Erziehung in der chinesischen Familie und im chinesischen Staate das Ideal der Vollkommenheit findet

und die Einführung fremder Culturelemente bekämpft, erhebt sie das Stabilitätsprincip zur obersten Richtschnur;

indem sie nur im Auge hat, den Zögling in diesem Leben glücklich zu machen, huldigt sie dem Utilitätsprincip, und

indem sie den Zögling nur für gewisse Lebensformen bildet, in denen er sichere Routine an den Tag zu legen hat, ist sie, wenn auch praktisch, doch nur conventionell.

Mit den Chinesen standen lange Zeit hindurch die Japanesen auf gleicher Bildungsstufe. In neuerer Zeit jedoch sind sie aus ihrer Abgeschlossenheit herausgetreten und der abendländischen Cultur zugänglicher geworden.

Confucius. 1)

Confucius, Kong-fu-dsü, d. h. der Doctor Kong, bildet den Mittelpunkt von Chinas Geistesleben. Dieser edle und weise Mann war 551 v. Chr. im Vasallenfürstenthum Lu als der Sohn eines Mandarinen geboren. Er zeigte schon im Knabenalter ein geseßtes, männliches Betragen und würdigen Ernst. Durch Talent und Fleiß erwarb er sich ausgezeichnetes Wissen und Ansehen; mehrmals bekleidete er im Vaterlande und in benachbarten Provinzen hohe Ehrenämter. Troßdem zog er es vor in Dürftigkeit zu leben und das Volk zu belehren. Er begeisterte seine Schüler für die Wissenschaft, lehrte sie anständiges Betragen und erzog sie zu Treue und Aufrichtigkeit.

Er theilte sie in vier Classen, deren erste den Geist durch Nachdenken und das Herz durch Erwerbung von Tugenden bilden, die zweite Rech tsprechen und Beredsamkeit üben, die dritte die Staatswissenschaft und Staatsverwaltung studieren und deren vierte besonders die Moral, theoretische Kenntnis und praktische Fertigkeit im Sittengeset sich aneignen sollte.

Confucius beabsichtigte durch seine Lehre die Menschen dahin zu bringen, dass sie die uranfängliche Reinheit, die sie zuerst vom Himmel erhalten hätten, wieder erlangten. Darum sollten seine Schüler seine Worte verbreiten, damit fie ein Gemeingut des Reiches, das Licht und Gesetz der Folgezeit würden.

Als echter Chinese knüpfte er an die Vergangenheit an und nannte die alten Weisen seine Lehrer. „Meine Lehre,“ sagt er, „ist die, welche unsere Vorfahren gelehrt und überliefert haben; ich habe nichts hinzugefügt und nichts hinweggenommen; ich lehre sie in ihrer ursprünglichen Reinheit; sie ist unveränderlich wie der Himmel selbst, von dem sie stammt. Ich streue nur, wie der Landmann, den empfangenen Samen unverändert in die Erde. Ich erfinde nichts Neues, ich verbessere nur das Alte. Die Weisen der Vorzeit stehen bei mir in großer Achtung."

1) Vergl. Dr. J. Chr. G. Schumann. Päd. Chreftomathie I, 5.

Confucius sammelte die schönsten Lieder der Chinesen und gab als Grundlage der Philosophie das Buch der Wandlungen heraus, in welchem die symbolischen Zeichen, die man Fohi zuschrieb, in Sinnsprüchen erklärt werden. In einem andern Werke behandelt er die Tugenden und Fehler der Herrscher und zieht die Consequenzen für das öffentliche Leben daraus; ferner behandelt er in einer Reichsschrift: Das Buch der Gebräuche die Regeln der guten Sitte, des Anstandes, der Ceremonien. Es hat dieses Werk zur Bildung des Nationalcharakters sehr viel beigetragen, indem es die Lebensformen des Chinesen fest= stellt, nach denen er sein Thun und Lassen einzurichten hat.

2. Die Erziehung bei den Indern.
(Der Kasten staat.)

„Der Chinese erzieht für das praktische Leben, der Inder für das ideale; jener für die Erde, dieser für den Himmel; jener erzieht den Sohn für das Fortkommen in der Welt, dieser zum Fortkommen aus der Welt; jener erzieht ihn zum Bürger, dieser zum Priester; jener zum Wirken, dieser zum Wissen; jener lehrt ihn das Staatsgefeß, dieser das Wesen der Gottheit; jener führt den Sohn in die Welt, dieser ihn aus der Welt, in sich hinein; jener lehrt ihn erwerben und genießen, dieser betteln und entsagen."1)

Dies sind die scharfen Gegensäge zwischen den Chinesen und den frommen Bewohnern des Ganges-, Indus- und Nilthales, den Indern. In China kommt der Staat nicht über den Begriff der Familie hinaus und ist der Kaiser weltliches und geistliches Oberhaupt zugleich, Mensch, und als Sohn des Himmels zugleich auch Stellvertreter Gottes; in Indien (und Ägypten) gliedert sich dagegen die Staatsgesellschaft in Kasten, in erbliche Berufsstände, die den Einzelnen zu einer bestimmten Lebensrichtung zwingen.

Obenan stehen die Priester, neben ihnen die Krieger, deren Kaste der König angehört.

Da die Priester kraft des Rechts ihrer Kaste im Besiz alles Wissens sind, so ist alles Wissen und alle Bildung priesterlich. Durch den Unterricht wird der Inder entweder geradezu zum Priesteramte vorbereitet, oder es werden ihm die Hauptlehren, Gebote und Ceremonien des Religionsdienstes so weit mitgetheilt, als es nöthig ist, damit er sich am Cultus betheilige und in der Gewalt der Priester bleibe.

1) Wuttke. Gesch. des Heidenthums.

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