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Aus den verschiedensten Ländern strömten der Anstalt Schüler zu, kamen Lehrer, um hier zu lernen; Staatsmänner und Fürsten besuchten Pestalozzi.

Ein Nachtheil für die Schule in Iferten war es, dass hier in zwei Sprachen unterrichtet werden musste; hielt doch Pestalozzi jedes Morgengebet zuerst deutsch, dann französisch. Hiezu kam die Ungleichheit der Elemente bei den Zöglingen, wie nicht minder der häufige Wechsel und die Uneinigkeit derselben unter einander bei der anerkannten Regierungsunfähigkeit Pestalozzis. Im Jahre 1815 verlor Pestalozzi seine treue Lebensgefährtin, die 45 Jahre hindurch in schwerer Leidenszeit ihm hilfreich und tröstend zur Seite stand. Blochmann, ein Lehrer der Anstalt, schildert dessen Abschied von der Verstorbenen ergreifend:

Nachdem die Glieder des Hauses im Betsaale ein Sterbelied gesungen hatten, trat der trauernde Greis ein, nahte sich dem Sarge der Entschlafenen und führte in tiefbewegter Rede die Hauptzüge ihres gemeinschaftlichen Lebens und Strebens vor. Und als er zu jenen Tagen kam, von welchen er sagte: „Wir waren von allen geflohen und verspottet, Krankheit und Armut beugte uns nieder und wir aßen unser trockenes Brot mit Thränen“, da fragte er die Entseelte: „Was gab dir und mir in schweren Tagen Kraft, auszudauern und unser Vertrauen nicht wegzuwerfen?" Da ergreift er eine in der Nähe liegende Bibel, drückte sie der Todten an die Brust und rief: „Aus dieser Quelle schöpftest du und ich Muth und Stärke und Frieden." Bald darauf wurde der Sarg geschlossen und alle folgten ihm, begleitet von den Bewohnern Jfertens, nach den beiden prächtigen Walnussbäumen des Schlossgartens, unter welchen sie zu ruhen gewünscht hatte.

Im Jahre 1824 sah sich Pestalozzi genöthigt, die Armenanstalt, welche er einige Jahre vorher mit seinem Institut verbunden hatte, aufzulösen, und im nächsten Jahre schloss er dieses selbst.

Gebeugt und gebrochen gieng er zur Erholung nach Bulet auf dem Jura. Sein Mitarbeiter Schmid besorgte eine Gesammtausgabe von Pestalozzis Werken, welche 50.000 Gulden eintrug. Diese Summe bestimmte Pestalozzi zur Errichtung eines Armenhauses in Clindy. Auch dies Unternehmen scheiterte, da es Pestalozzi an der Gabe zum Regieren fehlte. Da hob er 1825 mit seinem Institut zu Iferten das Armenhaus in Clindy auf und zog sich zu seinem Enkel nach Neuhof zurück. „Wahrlich, es war mir," so schreibt er über die Auflösung, „als mache ich mit diesem Rücktritt meinem Leben selbst ein Ende, so weh thut er mir."

Von Pestalozzis geistiger Frische zeugen seine leßten Schriften : „Meine Lebensschicksale" und sein Schwanengesang", in dem er seine innere Entwickelung und den Schaß seiner Ideen darlegt und sie der Nachwelt zum Schluss mit den Worten empfiehlt:

„Prüfet alles, behaltet das Gute, und wenn etwas Besseres in euch selber gereift, so seget es zu dem, was ich euch in diesen Bogen in Wahrheit und Liebe zu geben versuche, in Wahrheit und Liebe hinzu, und wer fet wenigstens das Ganze meiner Lebensbestrebungen nicht als einen Gegenstand weg, der, schon abgethan, keiner weitern Prüfung bedürfe. Es ist wahrlich noch nicht abgethan und bedarf einer ernsten Prüfung ganz sicher, und zwar nicht um meiner und um meiner Bitte willen."

9. Pestalozzis lehte Jahre.
(1825-1827.)

Pestalozzi hatte nur ein Kind, einen Sohn, geboren 1770, welcher schon im Jahre 1794 starb und selbst einen Sohn hinterließ. Dieser Enkel Pestalozzis war im Besiß von Neuhof; zu ihm zog der Greis und lebte nach wie vor den Ideen der Kindererziehung.

Im Juli 1826 besuchte Pestalozzi mit Schmid die Anstalt
Zellers in Beuggen. Die Kinder empfiengen ihn mit Gesang.
Man reichte ihm einen Eichenkranz, er nahm ihn nicht an: „Nicht
mir, sondern der Unschuld gebührt der Kranz", sagte er. Die Kinder
sangen ihm das in Lienhard und Gertrud aufgenommene Goethesche
Lied:
Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest,

Ach! ich bin des Treibens müde!

Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede!

Komm, ach komm in meine Brust!

Da erstickten Thränen die Stimme des Greises.

Von Jugend auf war Pestalozzi schwächlich und wiederholt schwer krank.

Im Jahre 1812 litt er lange Zeit hindurch sehr schmerzhaft, da er sich eine Stricknadel zufällig ins Ohr stieß.

Aber troß Kränklichkeiten und gefährlicher Unfälle erhielt Gott sein Leben bis ins hohe Greisenalter.

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Endlich nahete er sich dem Ziele seines Lebens. Vor seinem Tode sprach er noch: „Ich vergebe meinen Feinden, mögen sie den Frieden jezt finden, da ich zum ewigen Frieden eingehe! Ich hätte gern noch einen Monat gelebt für meine letzten Arbeiten, aber ich danke auch wieder der Vorsehung, die mich von diesem Erdenleben abruft. Und ihr, die Meinigen, bleibet still für euch und suchet euer Glück im stillen, häuslichen Kreise.“

Bald darauf verschied er. Nur wenige Tage war er krank gelegen. Den 15. Februar 1827 hatte man ihn von seinem Landhause nach Brugg gebracht, damit er dem Arzte näher wäre; den 17. vormittags starb er nach heftigen Fieberkämpfen, und den 19. ward er zur Erde bestattet. Seine Leiche wurde bei dem neuen Armenhause vorbeigetragen, das er angefangen hatte zu bauen, aber nicht vollenden konnte, und in Birr beigesezt, unter einer stillen, bescheidenen Grabesfeier. Wenige Freunde wohnten seinem Begräbnisse bei, denn es lag viel Schnee, und seine Beerdigung fand viel früher statt, als man erwarten konnte; man hatte in Aarau kaum Kunde davon erhalten. Schullehrer aus den umliegenden Dorfschaften und Dorfkinder sangen dem Verewigten in kunstlosem Gesang ihren Dank ins Grab nach.

August Hermann Niemeyer,

geboren 1754 und gestorben 1828 zu Halle, gehört zu jenen Pädagogen, welche in hervorragender Weise an der kritischen Sichtung der seit dem 17. Jahrhundert in Fluss gerathenen pädagogischen Ideen sich betheiligten. Der Schwerpunkt seiner Wirksamkeit liegt darum in seinen literarischen Leistungen. Im Jahre 1784 wurde er zum Inspector und im Jahre darauf zum Mitdirector der Franckeschen Stiftungen ernannt. Gestüßt auf die Erfahrungen, die er hier sammelte, und ausgerüstet mit klarem Urtheil und reicher wissenschaftlicher Bildung, unternahm er es, in seinem dreibändigen Werke: Grundsäße der Erziehung und des Unterrichts" (1799) die deutsche Pädagogik in ein abgeschlossenes System zu fassen. Diesem System fügte er den Entwurf zu einer Geschichte der Pädagogik bei.

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Niemeyer suchte in seiner praktischen Wissenschaft die Klippe abstracter Speculation und zerfließender Empirie (Erfahrungskunde)

weislich zu vermeiden und verknüpfte die Wahrheit bewährter Erfahrung nach dem wissenschaftlichen Standpunkte der Zeit. Sein Werk enthält nicht bloß den pädagogischen Gewinn seines eigenen Lebens, sondern er fasste auch die Ergebnisse der Vergangenheit auf pädagogischem Gebiet kritisch ins Auge. Er zählt sich zu den Eklektikern; seine Überzeugungen waren jedoch nicht ein loses Aggregat fremder Ansichten.

August Hermann Niemeyer.

Begriff der Erziehungswissenschaft und der Erziehungskunst. 1)

Die Theorie der Erziehungsgesehe heißt die Erziehungswissen= schaft. (Theoretische Pädagogik.)

Jhr Studium bildet den theoretischen Erzieher (Pädagogiker). Die Geschicklichkeit einer praktischen Anwendung der Theorie, oder die Summe der Kenntnisse und Fertigkeiten, welche ein Erzieher besißen muss, ist die Erziehungskunst. (Praktische Pädagogik.) Sie ist das Geschäft des Erziehers (Pä= dagogen).

1) Niemeyer. Grunds. d. E. u. d. Unterr. I. 18.

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Erziehungskunst beruht demnach auf Erziehungswissenschaft; und wenn die Erfahrung lehrt, daß viele Menschen glücklich erziehen, ohne jemals über die Principien nachgedacht, viel weniger sie in ein System gebracht zu haben, so that entweder die Natur das Beste, oder es gründete sich ihre Methode auf ge= wisse psychologische Prämissen, welche ihr gesunder Menschenverstand aus der Erfahrung und aus dem Umgange mit Menschen, besonders mit Kindern, abgezogen hatte, und die sie anwendeten, ohne sich dessen selbst deutlich bewusst zu werden. Je vollständiger und richtiger man folglich die Theorie kennt, desto geschickter sollte man auch in der Kunst sein. Wenn gleichwohl nicht immer die besten Theoretiker am glücklichsten in der Ausübung sind, so fehlt es ihnen bei aller Kenntnis der Geseze doch entweder an dem guten Willen darnach zu handeln, oder an dem rechten Urtheil und an der Klugheit, allgemeine Regeln auf die rechte Art anzuwenden, an tieferer Kenntnis der eigenthümlichen Beschaffenheit der Zöglinge und an dem Beobachtungsgeiste, dem keine Modification der natürlichen Anlagen und Kräfte entgeht. Dass aber, wie einige gemeint haben, die Theorie wohl gar der Praxis schade, kann entweder nur von einer unrichtigen folglich auch irreführenden Theorie gemeint sein, oder es kann nur insofern zugegeben werden, als speculative Köpfe oft gerade am wenigsten bemüht find sich auch praktische Fertigkeiten zu erwerben

Die Grundsäße der Erziehung. 1)

1. Wecke und bilde jede dem Zögling als Mensch und als Individuum gegebene Anlage und Fähigkeit.

2. Bringe Einheit und Harmonie in die Ausbildung jener Anlagen und Fähigkeiten durch deutliche Vorstellungen von ihrer naturgemäßen Bestimmung und ihrem gegenseitigen Verhältnis.

3. Richte die erweckte Kraft auf alles, was der Vernunft als des Menschen würdig erscheint, durch jedes Mittel, das mit den Rechten des Zöglings als Vernunstwesen verträglich ist.

4. Lass die Harmonie der Freiheit mit der Vernunft dein höchstes Ziel sein, weil auf ihr der sittliche, folglich der unbedingte und höchste Wert des Menschen beruht.

Als Princip der Erziehung stellt somit Niemeyer die harmonische Ausbildung aller menschlichen Anlagen und Kräfte auf.

Wünschenswerter Einfluss der Pestalozzischen Grundsätze auf die Verbesserung herrschender Fehler des Unterrichts. 2)

Die Principien der neuen Methode können nur dann von wohlthätigem Einfluss sein, wenn man das Auge mehr auf den Geist als den Buchstaben richtet.

1) III. 28.

2) III. 383 ff.

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