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des Unterrichts vor der soliden Begründung der Anfangspunkte ihrer niedern Stufen so allgemein missbilligte, und als das Grundübel der Zeiterziehung ansah, auch ihm in meinem Erziehungsplan selber mit allen Kräften entgegenwirken zu wollen glaubte, ließ mich durch die Vorspiegelung der größeren Abträglichkeit der höhern Zweige der Industrie, ohne weder sie noch die Mittel ihres Erlernens und Einführens auch nur von ferne zu kennen, dahin lenken, im Spinnen- und Webenlehren meiner Schulkinder eben die Fehler zu begehen, die ich, wie eben gesagt, im Ganzen meiner Erziehungsansichten so sehr verwarf, missbilligte und für den Haussegen aller Stände gefährlich achtete. Ich wollte das feinste Gespinst erzwingen, ehe meine Kinder auch nur im Groben eine Festigkeit und Sicherheit in ihre Hand gebracht, und ebenso Musselintücher verfertigen, ehe meine Weber sich genugsam Festigkeit und Fertigkeit im Weben gemeiner Baumwollentücher erworben. Geübte und gewandte Fabrikanten gehen bei einem solchen verkehrten Benehmen zugrunde; wie vielmehr musste ich damit zugrunde gehen, der ich in der Beurtheilung alles deffen, was es hiezu erforderte, so blind war, dass ich bestimmt sagen muss, wer nur einen Faden des meinigen in seine Hand nahm, war sogleich im Stand, den halben Wert desselben darin für mich verschwinden zu machen. Auch steckte ich, ehe ich mich versah, in unerschwinglichen Schulden, und der größere Theil des Vermögens und der Erbhoffnungen meiner lieben Frau war gleichsam in einem Augenblick in Rauch aufgegangen. Unser Unglück war entschieden. Ich war jezt arm. Die Größe und Schnelligkeit meines Unglücks war nebenbei auch dadurch herbeigeführt, dass ich in diesem Unternehmen, wie in dem ersten leicht, sehr leicht, ein ungeprüftes Vertrauen erhielt. Mein Plan fand bald einen Grad von Zutrauen, das er bei ernster Aufmerksamkeit auf mein früheres diesfälliges Benehmen bei der gegenwärtigen Unternehmung gar nicht verdient hatte. Man ahnte, bei allen schon gemachten Erfahrungen meiner diesfälligen Fehler, dennoch den Grad meiner Kraftlosigkeit in allem praktischen Thun noch nicht so groß, als er wirklich war. Ich genoss eine Weile auch jezt noch ein dem Anschein nach weitführendes Vertrauen. Aber da mein Versuch, wie er musste, schnell scheiterte, verwandelte sich das in meinen Umgebungen in einen eben so wenig genugsam überlegten Grad des Gegentheiles, in eine völlig blinde Wegwerfung auch des leßten Schattens der Achtung meiner Bestrebungen und des Glaubens an meine Tüchtigkeit zur Erzielung irgend eines Theils derselben. Es ist der Welt Lauf, und es gieng mir, wie es jedem, der also durch seinen Fehler arm wird, geht. Ein solcher Mensch verliert auch mit seinem Geld gemeiniglich den Glauben und das Zutrauen zu dem, was er wirklich ist und wirklich kann. Der Glaube an die Kräfte, die ich für meine Zwecke wirklich hatte, gieng jezi mit dem Glauben an diejenigen verloren, die ich mir, in meinem Selbstbetrug irrend, anmaßte, aber wirklich nicht hatte."

Nach einem Bestande von 5 Jahren brach das klägliche Ende der Anstalt in Neuhof herein; es fehlte an Geld und Nahrungsmitteln, ja selbst an Holz. Die Gattin Pestalozzis, die ihr ganzes Vermögen für ihn eingesezt hatte, wurde schwer krank, und es ist

wohl nicht zu verwundern, wenn Pestalozzis Freunde erklärten, er sei ein verlorener Mann".

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3. Die Abendstunde eines Einsiedlers.

Pestalozzi hatte bei der Gründung der Armenanstalt in Neuhof seine Kraft einem Unternehmen zugewandt, dem er mit Rücksicht auf seine Eigenart nicht gewachsen war. Die Auflösung dieser Anstalt war für ihn - und für die Welt ein Glück.

Seine Arbeit, so erfolglos sie nach außen erschien, war jedoch für ihn selbst nicht vergeblich gewesen. Als eine Frucht des Läuterungsprocesses auf dem Neuhof haben wir seine „Abendstunde eines Einsiedlers", die er im Jahre 1780 veröffentlichte, anzusehen. Es ist dies eine Reihe von Aphorismen, die jedoch unter einander in einem innigen Zusammenhang stehen. Sie bilden, wie Raumer sagt: Programm und Schlüssel seines pädagogischen Wirkens. Es mögen dieser Aphorismen einige folgen:

„Hirten und Lehrer der Völker, kennt ihr den Menschen, ist's euch Gewissenssache, seine Natur und Bestimmung zu erkennen ?

Die ganze Menschheit ist in ihrem Wesen sich gleich, sie hat zu ihrer Befriedigung nur eine Bahn. Die natürlichen Gaben aller sollen zu reiner Menschenweisheit ausgebildet werden. Diese allgemeine Menschenbildung muss jeder Standesbildung zur Grundlage dienen.

Durch Übung wachsen die Gaben.

Die Geisteskraft der Kinder darf nicht in ferne Weiten gedrängt werden, ehe sie durch nahe Übung Stärke erlangt hat.

Der Kreis des Wissens fängt nahe um einen Menschen her an, und dehnt sich von da concentrisch aus.

Den Wortlehren, der Rederei müssen Realkenntnisse vorangehen.

Alle Menschenweisheit beruht auf der Kraft eines guten, der Wahrheit folgsamen Herzens. Wissen und Ehrbegierde müssen dem innern Frieden und stillen Genuss untergeordnet werden.

Glaube an Gott ist „vertrauender Kindersinn der Menschheit gegen den Vatersinn der Gottheit“. Dieser Glaube ist nicht Folge und Resultat gebildeter Weisheit, sondern reiner Sinn der Einfalt; Kindersinn und Gehorsam ist nicht Folge einer vollendeten Erziehung, sondern frühe und erste Grundlage der Menschenbildung. Aus dem Glauben an Gott erwächst die Hoffnung des ewigen Lebens. „Kinder Gottes sind unsterblich.“

Der Glaube an Gott heiligt und befestigt das Band zwischen Eltern und Kindern, zwischen Unterthanen und Fürsten; Unglaube löst alle Bande, vernichtet allen Segen.

Sünde ist Quelle und Folge des Unglaubens, sie ist ein Handeln gegen das innere Zeugnis von Recht und Unrecht, Verlust des Kindersinnes gegen Gott Freiheit ruhet auf Gerechtigkeit, Gerechtigkeit auf Liebe, also auch Freiheit. auf Liebe.

Reiner Kindersinn ist die wahre Quelle der Freiheit, die auf Gerechtigkeit ruhet, und reiner Vatersinn ist die Quelle aller Regierungskraft, die Gerechtigkeit zu thun und Freiheit zu lieben erhaben genug ist.

Und die Quelle der Gerechtigkeit und alles Weltsegens, die Quelle der Liebe und des Brudersinns der Menschheit, diese beruht auf dem großen Gedanken der Religion, dass wir Kinder Gottes find, und dass der Glaube an diese Wahrheit der sichere Grund alles Weltsegens sei. In diesem großen Gedanken der Religion liegt immer der Geist aller wahren Staatsweisheit, die reinen Volkssegen sucht, denn alle innere Kraft der Sittlichkeit, der Erleuchtung und Weltweisheit ruhet auf diesem Grund des Glaubens der Menschheit an Gott. Und Gottvergessenheit, Verkenntnis der Kinderverhältnisse der Menschheit gegen die Gottheit ist die Quelle, die alle Segenskraft der Sitten, der Erleuchtung und der Weisheit auflöset. Daher ist dieser verlorene Kindersinn der Menschheit gegen Gott das größte Unglück der Welt, indem es alle Vatererziehung Gottes unmöglich macht, und die Wiederherstellung dieses verlorenen Kindersinns ist Erlösung der verlorenen Gotteskinder auf Erden.

Der Mann Gottes, der mit Leiden und Sterben der Menschheit das allgemein verlorene Gefühl des Kindersinns gegen Gott wieder hergestellt, ist der Erlöser der Welt, er ist der geopferte Priester des Herrn, er ist Mittler zwischen Gott und der gottesvergessenen Menschheit.

Seine Lehre ist reine Gerechtigkeit, bildende Volksphilosophie, sie ist Offenbarung Gottes des Vaters an das verlorene Geschlecht seiner Kinder.“

4. Lienhard und Gertrud.

Im Jahre 1781, also ein Jahr nach dem Erscheinen der „Abendstunde“, gab Pestalozzi den ersten Theil des Buches heraus, welches seinen Ruhm gründete, in weiten Kreisen wirkte und fortwirken wird: Lienhard und Gertrud. Der Anstoß zur Bearbeitung dieses Stoffes ist merkwürdig. Pestalozzi hatte nämlich in einem humoristischen Auffage die alten, einfachen Stadtwächter in ihrer hergebrachten Kleidung, welch lettere gegen eine modische Uniform vertauscht werden sollte, vertheidigt. Ein Bruder seines Freundes, des Buchhändlers Füßli, las diesen Aufsatz zufällig und äußerte, als er von der traurigen Lage des Verfassers hörte: „Der Mann kann sich als Schriftsteller gewiss helfen, wenn er nur will." Füßli theilte diese Bemerkung seinem Freunde Pestalozzi mit, und dieser versucht sich an der Arbeit, die sich zu einem Meisterwerk gestaltet.

Der Inhalt dieses echten Volksbuches ist kurz folgender:

Wir treten in die Hütte eines herzguten Mannes, der aber dennoch Weib und Kind unglücklich macht. Lienhard (Leonhard), der Maurer, ist in den Händen des Vogtes Hummel, der die Dorfbewohner in seinem Wirtshause verführt, so dass sie in Schulden gerathen und in Sünde und Noth verfallen. Die Hilfe kommt. Arner verheißt dem Lienhard den Bau einer Kirchhofsmauer. Dem Vogt kommt durch diese Zusage die Ahnung, dass ein neuer Geist ins Dorf einziehe. Wir lauschen den Gesprächen in der Schenke, wo Schelme sich gegen das Gute verschwören und doch innerlich uneins und misstrauisch gegen einander selbst sind. Auf diesem dunkeln Hintergrunde hebt sich freundlich das Bild von Lienhards Hause ab, dem der Friede wiedergekommen ist, und das ernste Stübchen Rudis, in dem eine sterbende Mutter den Sohn segnet. Ihr Segen baut dem frommen Sohne das Haus wieder. Der Vogt hat ihm eine grasreiche Wiese durch Meineid entrissen. Bei einem neuen Schurkenstreiche wird er durch eine besondere Fügung entlarvt. Ihm und den Armen wird Recht. Nachdem der Hauptverführer unschädlich gemacht ist, gestaltet sich alles in dem Dorfe beffer. Mit vereinten Kräften wirken dazu Arner, der wackere Pfarrer, der Baumwollen-Meier, der Repräsentant des Fortschritts auf volkswirtschaftlichem Gebiete, und Glülphi, der Lieutenant, ein Freund Arners. Alle kommen darin überein, dass eine bleibende Verbesserung nur durch die Erziehung der Jugend in der Schule fest gegründet werden könne. Glülphi erklärt: „Ich_will_Schulmeister werden." Auf Meiers Rath tritt Glülphi in Gertrudens Haus, um von ihr für die übernommene Schularbeit zu lernen. Er sieht, wie sie mit den Kindern am Morgen in der Bibel liest und betet, wie die wichtigsten Worte des Gelesenen den Tag über im Munde der Mutter und der Kinder bleiben, sieht, wie die Kinder unter der Vorarbeit und dem Auge der Mutter ihre Hände am Spinnrocken und im Garten emsig regen. „Als die Herren von der Gertrud weggiengen, sagten sie ihr noch, sie wollten morgen wieder zu ihr kommen. Sie antwortete ihnen: Warum das? Ihr werdet morgen und immer wieder das Nämliche finden. Glülphi antwortete ihr: Du könntest dich und dein Thun nicht besser rühmen, als mit diesem Wort. Und er hatte recht. Das, was sich immer gleich bleibt, nähert sich dem, was ewig bleibt, eben so das, was sich immer verändert, dadurch auffallen macht, dass es nichtig und vergänglich ist." Glülphi arbeitet wacker und voll Einsicht in dem übernommenen Beruf. Die Frucht reift allseitig, wenn auch langsam und unter manchem Widerstande. Das Segenswerk erregt die Aufmerksamkeit in weiteren Kreisen. Der Fürst hört davon, prüft, sieht und benut Rath und That der Männer, die im engen Kreise so Großes gethan für die Unglücklichen und Bedürftigen im Bolke.

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Sittliche Bildung aller Menschen, weise Erziehung der Jugend, das ist das Mittel, welches Pestalozzi zur Beseitigung des socialen Elends in „Lienhard und Gertrud“ empfiehlt.

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Bald nach Lienhard und Gertrud erschien Christoph und Else"; er schildert darin das Familienleben in einem Bauernhause,

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in dem Lienhard und Gertrud gelesen werden. Ebenso verfasste er „die Figuren zu einem ABC Buche", eine Reihe Fabeln, und endlich: „Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwickelung des Menschengeschlechtes“.

5. Pestalozzi in Stanz.

Nach 18 Jahren bittrer Noth riss ihn die Revolution wieder empor zu öffentlicher Thätigkeit. Von seinem Freunde Le Grand, einem der Directoren der Schweiz, zur Theilnahme am Staatsdienste berufen, erwachten in ihm die alten Wünsche für die Volkserziehung mit ungeschwächter Kraft; er fasste den Entschluss: „Ich will Schulmeister werden."

Pestalozzi war damals 52 Jahre alt, und man hatte die Absicht, ihn zum Director des Seminars in Aargau zu ernennen; allein es kam anders.

Im September 1798 wurde der Canton Unterwalden von den Franzosen verwüstet und Stanz verbrannt; eine große Zahl vater= und mutterloser Waisen irrten umher. Die Regierung musste dem Elend steuern; fie sandte Pestalozzi (nebst Heinr. Zschokke) nach Stanz, und Pestalozzi wurde der Vater der armen Waisen. Seine Wirksamkeit in Stanz wurde der Höhepunkt seines Thatlebens.

Große Schwierigkeiten waren auch hier zu überwinden. Das ihm zugewiesene neuerbaute Ursulinen-Kloster war noch nicht ausgebaut, die Räume waren feucht und voll Kalkstaub. Anfangs war er mit seinen Kindern, deren Zahl sich bald auf 80 belief, in einer Stube von kaum 8m zusammengedrängt; er allein mit dieser Schar, nur von einer alten Gehilfin unterstützt. Das waren die äußern Übelstände.

Innerlich stand seiner Wirksamkeit das Misstrauen der Angehörigen seiner Zöglinge, die politische und die religiöse Anschauung einzelner Parteien, ja sogar das Misstrauen einzelner Zöglinge entgegen. Doch seine Berufsliebe überwand alle Schwierigkeiten.

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„Ich war" so schildert er diese Zeit selbst ,,vom Morgen bis Abend so viel als allein in ihrer Mitte. Alles, was ihnen an Leib und Seele Gutes geschah, gieng aus meiner Hand. Jede Hilfe, jede Handbietung in der Noth, jede Lehre, die sie erhielten, gieng unmittelbar von mir aus. Meine Hand lag

Niedergefäß, Geschichte der Pädagogik.

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