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geführt hat. Doch darf man diesem edelsinnigen Pädagogen nicht den Dank entziehen dafür, dass er die Aussprache zu reineren Lauten gewöhnt."

Der Philanthropismus.

Philanthrop bedeutet Menschenfreund, Philanthropie Menschenfreundlichkeit. Philanthropinum nannte Basedow seine in Dessau gegründete Erziehungs- und Unterrichtsanstalt. Philanthropist ist ein Anhänger und Freund der Basedowschen Grundfäße. Die Philanthropen bilden in der Pädagogik eine eigene Schule. Die vornehmsten Vertreter derselben, außer Basedow, find Salzmann und Campe.

In ihrem Lehrverfahren folgten sie in der Hauptsache den von Comenius, Locke, Rousseau aufgestellten Grundsäßen; sie überschäßten jedoch die Methode und verfielen dabei in den Fehler, den wir bei Ratich bereits bemerkt haben. Daher kam es, dass sie in dem einen Punkte: rasche Unterrichtserfolge anzustreben, von Rousseau, welcher den Unterricht so viel als möglich verlangsamt wissen will, völlig abwichen. (Basedows Tochter, Emilie, lernte bereits im dritten Jahre lesen und wurde überhaupt zu einem Wunderkinde abgerichtet.)

Die Verdienste, welche sich die Philanthropen um die Förderung der Unterrichtsmethode erworben haben, wurden bereits bei Basedow hervorgehoben. Bei ihrem Streben jedoch, das Lernen spielend zu betreiben, verfielen sie oft in bedenkliche Tändelei, die auf die Dauer jeder geistigen Arbeit abträglich ist. Den Leseunterricht z. B. mittels gebackener Buchstaben betreiben, um dieselben bei günstig erzielten Unterrichtsresultaten als Belohnungen benüßen zu können, ist offenbar abgeschmackt.

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Was ihre Erziehungsideen im allgemeinen betrifft, so stan= den sie mit Rousseau auf gleichem Standpunkte. Der Erziehungszweck der Philanthropen, sowie Rousseaus, war: harmonische Entwickelung des Menschen nach Leib und Seele unter der Voraussetzung: der allgemeine Weltzustand der Gegenwart ist ein grenzenlos verderbter. In Kirche und Staat, Schule und Familie, Volkssitte und Wissenschaft herrscht allgemeine Fäulnis. Vor allen Dingen ist die Schule in ihrem Grundbau fehlerhaft.

Dieser Negation gegenüber stellt der Philanthropismus als Position:*)

1. Es müssen vor allen Dingen Künstler gebildet werden, wenn die Kunst (Erziehungskunst) gedeihen soll.

2. In der körperlichen Erziehung muss zu der Methode der Alten zurückgekehrt werden. Abhärtung und Gymnastik werden stärken und bilden.

3. In der geistigen Ausbildung muss Erziehung zur Humanität das letzte Ziel sein. Bisher hat man nur Gelehrte und Edelleute, oder Handwerker erzogen. An Menschen, an Kosmopoliten ist der Welt weit mehr gelegen.

4. Durch Vernunft, aber dabei durch strengen Gehorsam muss der Wille gelenkt werden. Man muss dazu auf besondere Belohnungs- und Bestrafungsmittel denken - Auszeichnungen durch Meritentafeln, goldene Punkte, Orden des Verdienstes 2c.

5. Die Religion soll in der Jugend nur in der höchsten Einfalt und ohne alle Rücksicht auf Secten und Parteien gelehrt werden. Der Kirchenglaube gehört für spätere Jahre.

6. Man muss Tugend und Religion der Jugend angenehm machen, damit sie beide lieb gewinnt. Man muss den natürlichen Hang zur Freiheit nicht unterdrücken, sondern nur leiten. Die Kinder sind von Natur gut; der Zwang macht sie meist schlechter. Sie sind von Natur menschenfreundlich; man verschuldet oft, dass sie die Menschen hassen. Philanthropie muss die Tendenz aller Erziehung sein.

7. Das sinnliche Kind, der sinnliche Knabe, der für nichts Abstractes und Unverständliches Sinn hat, sollte vor allen Dingen mit der Sinnenwelt bekannt werden. Diese zeige man ihm in der Natur, oder wenn das nicht möglich ist, mit treuen Abbildungen.

Der Fortschritt, welchen der Philanthropismus auf dem Gebiet der Pädagogik in sich schloss, lässt sich auf folgende Punkte zurückführen:

1. Er versuchte die Pädagogik zur Wissenschaft zu erheben, indem er das Unterrichten aus einem Schulmeister-Handwerk zum Object wissenschaftlicher Forschung machte.

*) Vergl. Karl Schmidt. Gesch. d. Päd. 277.

2. Er verschaffte der körperlichen Ausbildung Geltung. 3. Er verbannte durch möglichste Veranschaulichung beim Unterrichte den todten Gedächtniskram aus der Schule.

4. Er machte die Schulstuben zu heitern Sihen der G esundheit, des Frohsinns und der Liebe und schuf die dem Leben abgestorbenen herrschsüchtigen Schuldespoten zu liebevollen Vätern und Freunden ihrer Zöglinge um.

5. Er verbannte Stock und Ruthe aus der Schule und befreite die Jugend von dem unnatürlichen Zwange conventioneller Mode. Das übliche Frisieren, Kräuseln, Pudern und Salben des Haares verbannte er aus seinem Institute, an die Stelle der Tressenröcke, kurzen und engen Beinkleider, seidenen Strümpfe, der steifen Halsbinde, des Degens und Haarbeutels sezte er eine bequeme, schlichte und für alle Zöglinge gleiche Kleidung. Spaziergänge und Leibesübungen förderten in wohlthuender Weise die Gesundheitszwecke, und praktische Handfertigkeiten machten den Knaben geschickt fürs praktische Leben.

„Es ist außer Zweifel, dass die Philanthrophie bei diesen Männern nicht ein bloßes Aushängeschild war; in ihnen lebte wirklich eine Liebe, die deshalb nicht, wie bei Rousseaus Hass, mit literarischen Feldzügen sich begnügte, sondern sich zum schweren Erziehungswerke selber hingab." (Palmer.)

Es ist hier der Ort, auch derjenigen philanthropischen Bestrebungen zu gedenken, welche auf die unglücklichen „Viersinnigen“ zunächst die Taubstummen gerichtet waren.

Charles de l'Epée,
(1712-1789.)

der Sohn eines Architecten, wurde zu Versailles geboren und widmete sich dem geistlichen Stande. In dem Alter von 17 Jahren erhielt er bereits die Priesterweihe; er hatte jedoch wenig Aussicht auf die Verleihung eines geistlichen Amtes, weil er sich weigerte, eine seiner Überzeugung zuwiderlaufende, durch die jansenistischen Streitigkeiten eingeführte Glaubensformel anzuerkennen.

Nach dem Wunsche seines Vaters entschied er sich daher für die Rechtswissenschaften und trat nach vollendeten Studien als Parlaments-Advocat in die gerichtliche Praxis ein. Da aber dieser

Beruf seiner Denk- und Gefühlsweise wenig entsprach, so kehrte er zur Theologie zurück und erhielt das Amt eines Predigers, das ihm jedoch schon nach kurzer Zeit aus dem bereits erwähnten Grunde wieder abgenommen wurde.

* De l'Epée zog sich nun von der Welt zurück und lebte in Paris in völliger Abgeschiedenheit.

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Geringfügig scheinende Begebenheiten und Zufälle haben im Leben oft große Wirkungen zur Folge; das sollte auch de l'Epée erfahren. Eines Tages begab sich der Abbé in ein Haus der Rue des fosses Saint-Victor, wo er zwei junge Mädchen, ernsthaft auf ihren Stühlen sizend, mit Nähtereien beschäftigt fand. Die Mutter der Mädchen war abwesend; der gute Priester will deren Rückkehr abwarten, und die beiden Mädchen empfangen ihn, ohne eine Silbe zu reden, indem sie still und in sich gekehrt bei ihrer Arbeit verbleiben. Der Abbé bewunderte die in Paris ungewohnte Bescheidenheit der anmuthigen Kinder, wagte aber dennoch eine Frage an sie zu richten; die beiden jungen Personen verharrten in ihrem Schweigen,

ohne auch nur die Augen von ihrer Arbeit zu erheben. Der Geistliche begann zu fürchten, dass hier weniger die Bescheidenheit, als eine schlechte Erziehung im Spiele sei; er fragte abermals, und — gleiches Stillschweigen. Da langt die Mutter der beiden Mädchen an, der Abbé begrüßt sie, beklagt sich aber, obwohl nur milde, über den sonderbaren unfreundlichen Empfang.

„Ach, das ist nicht ihr Fehler“, erwiderte die Mutter_in_traurigem Tone, „sie sind ja beide ta u b st u m m geboren“. Sie erzählte Hierauf, dass ein Klostergeistlicher, Pater Vanin, den Mädchen mit Hilfe von Bildern einigen Unterricht ertheilt habe; der Pater sei jedoch gestorben, und die armen Geschöpfe entbehrten nunmehr jeden Unterricht. Die Mutter weinte, und der Abbé verließ sie betrübten Herzens.

Unausgesezt mit dem Gedanken beschäftigt, wie den unglücklichen Wesen zu helfen sei, beschloss der edle Mann, den Unterricht derselben fortzusehen und unbekannt mit dem, was vor ihm von andern in diesem Fache geleistet worden war — schuf er, den Mitteln zur Erreichung seines Zweckes nachforschend, die ihm eigenthümliche Unterrichtsmethode.

In der Hauptsache besteht dieselbe darin, dem Taubstummen die Wortsprache mittels einer derselben analog ausgeprägten Zeichensprache in Verbindung mit der Schrift so weit zu vermitteln, um auf diese Kenntnis der Wortsprache alles das zu gründen, was der Taubstumme an intellectueller wie religiös-sittlicher Bildung sich erwerben soll.

De l'Epées Bemühungen waren erfolgreich, man besprach seine Wirksamkeit in öffentlichen Blättern, er erhielt mehrere Schüler, und er unternahm es, aus eigenen Mitteln eine Schule für Taubstumme zu errichten, die er später zu einer Erziehungsanstalt, in der den Zöglingen auch Kost und Pflege zutheil wurde, erweiterte. Hier entfaltete sich sein ganzer menschenfreundlicher Charakter. Was er besaß, opferte er seinem edlen Werke; er darbte, damit seine Zöglinge nicht Mangel litten. Sein Ruhm verbreitete sich über Frankreichs Grenzen hinaus. (Bouilly schrieb ein Schauspiel: „L'Abbé de l'Epée“, und Kozebue bearbeitete dasselbe für die deutsche- Bühne.)

Allein es fehlte dem edlen Menschenfreunde auch nicht an Feinden und Neidern, namentlich verschonte ihn die gelehrte Welt

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