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Johann Christian Friedrich Guts-Muths
(1759-1839.)

stammt aus einer Quedlinburgschen Bürgerfamile; er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt und später die Universität zu Halle, um Theologie zu studieren. Unter den Männern der Wissenschaft, die hier einen nachhaltigen Einfluss auf Guts-Muths nahmen, gehört in erster Linie Niemeyer.

Nach Beendigung seiner Universitätsstudien übernahm er in dem Hause des Leibarztes Dr. Ritter in Quedlinburg das Amt eines Erziehers. Leider starb der Dr. Ritter frühzeitig, und die hinterbliebene Witwe (Mutter von vier Söhnen und einer Tochter) ent= schloss sich, einen ihrer Söhne, Karl Ritter — der nachmals als Geograph so berühmt geworden in die damals neu errichtete Erziehungsanstalt Salzmanns nach Schnepfenthal zu bringen. Guts-Muths begleitete im März 1784 seinen Zögling dorthin, und diese Reise wurde entscheidend für Guts-Muths' Zukunft. Salzmann nahm nicht bloß den verwaisten Karl Ritter und dessen Bruder Johann auf, sondern erkor sich auch Guts-Muths, dessen Tüchtigkeit und ideales Streben er sofort erkannte, zu seinem Gehilfen in Schnepfenthal. Dieser blieb ihm jedoch in der Folge nicht ein bloßer Gehilfe, sondern wurde ihm bald ein wahrer und inniger Freund. Salzmann übergab Guts-Muths die Leitung der Leibesübungen seiner Zöglinge, und dieselben gediehen in der That bei der methodischen Auffassung, mit welcher sie dieser betrieb, zu großer Vollkommenheit in Schnepfenthal. Gewiss hat der Schweizer Turnpädagoge Spieß recht, wenn er sagt: „Wenn man Jahn den Vater der deutschen Turnkunst nennt, so sollte man billiger Weise auch den Groß- und Erzvater derselben, Guts-Muths, nicht vergessen."

Außer dem Turnunterricht hat Guts-Muths auch den Unterricht in der Geographie in neue Bahnen geleitet und durch eine Reihe von Fachschriften sowie durch seine „Bibliothek der Pädagogik“ sich einen achtungswerten schriftstellerischen Namen geschaffen. Diesterweg nennt Guts-Muths „den lezten Philanthropen", und erkennt dessen Verdienste: 1. in der Förderung der Emnastik und dessen, was von einem umsichtigen Geiste als damit zusammenhängend betrachtet wird; 2. in der Mithilfe zur Verdrängung des geistlosen

Niedergefäß, Geschichte der Pädagogik.

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Notizenkrames in dem Unterrichte der Geographie durch bessere Lehrbücher und bildende Methode; 3. in der allgemeinen Anregung, welche er zwanzig Jahre hindurch (1800-1819) dem gesammten Lehrstande durch seine „Bibliothek der Pädagogik" gegeben hat.

Wie Guts-Muths das Wesen des Turnunterrichts auffasste, davon gibt das Vorwort zu seinem „Turnbuch für die Söhne des VaterLandes" (Frankfurt a. M. 1817) beredtes Zeugnis:

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Edle Frauen erschienen in alter Zeit an den Schranken zur Schau; sie selbst zogen, wer mag es bezweifeln? geistige Schranken um das Sinnen, Trachten und Wollen der ritterlichen Helden. Welche Schuhgeister sollen in jetziger Zeit auf unseren Pläßen das Sinnen und Trachten und Streben der jugendlichen Turner zügeln und lenken? Ich nenne

die Vaterlandsliebe. Jeder Turnplag ist vaterländische Anstalt nicht bloß für Bildung zum Menschenthum, sondern vorzüglich zum Bürgerthum. Entwickeln will sie die volle Wehrkraft dem Körper zum Schuß des Ganzen, auch geistig huldigen dem vaterländischen Sinne, soviel es sein kann. Sollen Arbeiten

und Mühungen nicht bloße Spielerei sein, so müssen sie einen von der Vernunft gesezten Zweck haben. Die Jugend lerne und wisse den Zweck des Plakes mit seinen Übungen, sie wisse, dass sie selbst in ihrer Gesammtheit vom Vaterlande als Beschüßer angesehen wird. Aus dem Vertrauen entkeime ein wackerer Sinn. Ich nenne

die Freude und den heitern Sinn. Am besten gedeihen die jungen Eichen im heitern Stande; freudiges Thun belebt das Leben, wie Sonnenhimmel die Auen. Der Jugend ist vom Himmel selbst ein freudiges Sein bestimmt, es entkeimt von selbst dem noch ungestörten Gleichgewicht zwischen Leib und Geiste. Lustig ist sie zu jeder Arbeit, zu jeder Anstrengung bereit. Darum weg mit drillender Härte; für ein heiteres Gesicht sorge der Lehrer; im Kreise der Jugend vergesse er der Schwiele, die das Leben ihm vielleicht drückt; fühlen nicht Hohe und Niedere ohne Ausnahme dergleichen? Und ist es nicht ein freudiges Wirken, dem Vaterlande Männer zu bilden?

den Geist der Ordnung.

Dennoch aber nenn' ich zunächst

Schweigen, Sehen, Hören, Aufmerken, Aneinanderschließen, Ordnung halten, Zeichen geben und empfangen sind Hauptstücke auf einem Turnplage.

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Wehre den Furchtmachern von außen; den Unordnungmachern, den Lärmmachern von innen. Ein rauhes Drillen ist unbillig. Ordnung aber muss sein. Wer sich dieser nicht fügen will, bleibe weg, oder lasse sich ein immer strengeres Zurückdrängen gefallen. Bei Vorübungen scherze und rede jeder bescheiden über das, was zur Hand ist, so lange er selbst die Übung nicht macht. Bei strengeren Turnübungen aber soll oft selbst kein Laut fallen, bis sie vollbracht sind; möge dann selbst ein allgemeines Hurrah! laut werden. Ich nenne

die Bescheidenheit. Kein schönerer Anblick, als Kraft im Geist und Leibe schön vereint zum bescheidenen Manne. Das ist kurz, was ich meine. Der Turnlehrer halte die Anmaßung, die Unbescheidenheit, das lächerliche Dickthun weit entfernt aus den Schranken des Plazes. Ich nenne

den Ernst, den wirklich bedachtsamen männlichen; denn ich erschrecke bei dem Gedanken, daß sich in der edlen Turnkunst, der ich Wort und That so lange gewidmet, ein Geist der Faselei wegen und bewegen könnte, dass er gedankenund erfahrungslos um sich gaffte, und von den Künsten solcher Menschen, die sich zur Schau verkaufen, leichtsinnig eintauschte, ohne sich darum zu bekümmern, ob es die Würde des Menschen beeinträchtige oder körperlich abstumpfe. Die Menschengestalt ist der vollkommenste Lebensbau (Organismus), der tiefe, sorgfältige Betrachtung erheischt, wenn man die wahre Erhöhung seiner Gliederkraft und Gewandtheit, und die Steigerung seiner Gesammtkraft durch die Steigerung jeder einzelnen Kraft nicht stören oder gar hemmen, sondern wahrhaft erheben will. Wie bedenklich ist es, hier nicht zu viel oder zu wenig zu thun; aber leicht zu begreifen, wenn eins unvermeidlich wäre, sich lieber zu dem lezten zu neigen. Darum seid nüchtern und wachet, denn euer Widersacher der zum Herrn gewordene Lieblingsgedanke geht umher, euch niederzuarbeiten. Ge

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Während sich Guts-Muths um die Hebung des Turnwesens und des geographischen Unterrichts Verdienste erwarb, schuf sich sein Mitarbeiter Harald Lenz in Schnepfenthal einen bedeutenden Namen als Förderer der Naturgeschichte. Seine „Gemeinnüßige Naturgeschichte“ und seine „Schlangenkunde“ haben eine weite Verbreitung gefunden.

Friedrich Olivier,

aus der Schweiz gebürtig, wirkte im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts am Philantropin zu Dessau und erregte im Anfange des 19. Jahrhunderts durch seine Schriften über Verbesserung des Sprachunterrichts im allgemeinen und über die Methode des Leseunterrichts im besondern berechtigtes Aufsehen. Sein Hauptwerk gab er unter dem Titel heraus:

Ortho-epo-graphisches-Elementarwerk, oder Lehrbuch für die in jeder Sprache anwendbare Kunst, rechtsprechen und rechtschreiben zu lehren. Dessau, 1804.

Es ist dieses Werk eine Fortsetzung der früher erschienenen kleinen Schrift: „Die Kunst, lesen und rechtschreiben zu lehren.“ Der „Elementarcursus" ist nach seinem Systeme folgender:

I. Vorbereitungsunterrich t.

a) Ein völlig reines, zwangloses, aber deutliches und im Tone des gewöhnlichen Umganges gehaltenes Erzählen des Lehrers anfangs nur kurzer Säße, nach und nach aber zusammenhängender Erzählungen mit steter Hinsicht auf die Entwicklung der sinnlichen Begriffe, und Richtung der Aufmerksamkeit des Kindes.

b) Ein deutliches und bestimmtes Vorsprechen seitens des Lehrers von verschiedenen Wörtern, Säßen und Redetheilen, welche der Zögling eben so deutlich und bestimmt wiederholen muss. Diesem folgt endlich

c) ein Eintheilen der ganzen Säße in Wörter, aus welchen sie zusammengesetzt sind.

II. Übergang zum Lesenlehren.

a) Hier wird ein weiteres Zerlegen der Silben nach dem Takte, abwechselnd mit dem Construieren der Wörter, stufenweise von der Stammsilbe auf bis zu den äußersten Zusammensehungen und Modificationen derselben erfordert.

b) Diese Silben müssen noch einmal in ihre lezten Momente zerlegt werden, welche dann die Elemente der Tonsprache ausmachen. Damit muss in Verbindung stehen die Übung der Fertigkeit des zusammenseßenden sowohl als des auflösenden natürlichen Buchstabierens oder Elementierens, des erstern als Grundlage des Lesenlernens, des lezteren als Grundlage des Rechtschreibenlernens.

c) Jezt müssen alle Sprachlaute im Organe einzeln bearbeitet und möglichst scharf ausgesprochen werden; an dieses einzelne Element erinnert ein jedes Schriftzeichen, dessen Verbindung mit einem Sprachlaute in der Seele des Lernenden nach allen vorhergegan= genen Übungen nun nicht mehr im mindesten Schwierigkeiten machen

fann.

Hieran schließen sich

III. Vorübungen zur Kenntnis der Buchstaben als wirklicher Lautzeichen. Dahin gehören:

a) Vorläufige Mittheilung der anschaulichen Erkenntnis sämmtlicher Schriftzüge als bloßer Figuren bis zur deutlichsten Unterscheidung aller besondern Merkmale ihrer Ähnlichkeit und Unähnlichkeit.

b) Systematische Anordnung des Lautalphabets mittels einer Folge zweckmäßig geordneter bildlicher Gegenstände, an deren anschauliche Ordnung die Folge der aus ihrer Benennung hervorgehenden Lautelemente und zugleich der schriftlichen Zeichen dieser leßteren sich von selbst anschließt und festknüpft.

(Zu diesem Behuse hatte Olivier mehrere Lesetafeln entworfen; die erste sollte zunächst die Kenntnis und Erlernung der Buchstaben vermitteln helfen; so war den Buchstaben b und p das Bild einer Tau-be und einer Tul-pe, den Buchstaben d und t das Bild einer Wei-de und einer Fich-te zugesellt 2c.)

Daran schloss sich endlich

IV. Das Zusammenseßen der Laute zu Silben und Wörtern.

Über Oliviers Methode gibt Schwarz in seiner Erziehungslehre folgendes Urtheil ab: „Man kann dem Fleiße, die Buchstaben als Naturlaute auszuscheiden eine vorzügliche Achtung, aber auch ein Bedauern nicht versagen, dass so viel auf Untersuchung gewendet ist, die doch nicht die Natur betrifft, sondern nur zu einer Künstelei

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