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„Auf Planmäßigkeit, Ordnung und Methode in Unterricht und Disciplin legte er hohen Wert; das Studium und die Berücksichtigung der Individualitäten galt ihm als eine Hauptsache; mit der Lehrthätigkeit seßte er das Erziehungsgeschäft in engste Verbindung. Er sorgte für zweckmäßige und gesunde Lehr- und Wohnräume, für gute Schulapparate, Unterrichtsmittel und Bücher, sezte die eutwickelnde Gesprächsform an die Stelle des Kathedervortrages und suchte in der Zucht die Liebe mit dem Ernste zu verbinden." - (Dittes.)

Was die nichtpädagogischen Zweige der „Franckeschen Stiftungen" betrifft, so möge hier nur erwähnt werden, dass zu denselben eine Apotheke, eine Buchhandlung und Druckerei und ein Witwenhaus gehören.

Die Seelenzahl der gegenwärtig in den „Franckeschen Stiftungen“ versammelten Jugend beläuft sich auf 3700.

Der Pietismus.

Gegen das Ende des 17. Jahrhunderts trat die religiöse Opposition gegen den starren Kirchenglauben (Orthodoxismus) als Pietismus auf; der Begründer desselben ist Philipp Jakob Spener (geb. 1635). Seine religiöse Richtung spricht sich in Folgendem aus:

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Vor allem muss man den Grundsay festhalten, dass das Christenthum sich nicht im Wissen, sondern in der Ausübung zeigt, und dass daher die Christen fleißig angeleitet werden müssen zu Werken uneigennüßiger Liebe, zur Bezähmung ihres Unwillens über erlittene Beleidigungen, zur Enthaltung von aller Rache, zu einer wohlwollenden Gesinnung, welche auch dem Feinde Gutes thut, zur Liebe und Duldung auf theologischem Gebiete."

Auf das Schulwesen wirkte Spener durch Neubelebung des katechetischen Unterrichts, wozu er seine Katechismusvorträge: Einfältige Erklärung der christlichen Lehre nach der Ordnung des kleinen Katechismus Luthers" und „Katechetische Tabellen" veröffentlichte. Praktischerseits verlangte er, dass in den Schulen tugendhafte Menschen, nicht bloß Gelehrte, gebildet würden.

Von einem ähnlichen Bestreben war Francke und der bereits genannte Schüler Frances, der Stifter der Herrnhuter-Gemeinden, Nikolaus Graf von Zinzendorf, beseelt.

Verwandte Bestrebungen finden wir ferner bei den würtembergischen Pädagogen Bengel und Flattich.

In Frankreich fand die pietistische Richtung im Sinne der katholischen Lehre in Fenelon (1651–1715), dem Prinzenerzieher und dem Verfasser der berühmt gewordenen Bücher „Fürstenspiegel“ und „Telemach“ einen glänzenden Vertreter. In seiner Anleitung zur Mädchenerziehung geht er von der Ansicht aus, dass eine schlechte Erziehung der Frauen, den Trägerinnen der religiösen Idee, mehr Unheil erzeugt als die der Männer. Daher verlangt er, dass die Erziehung des weiblichen Geschlechts besonders gefördert und von der Religion des Herzens ausgehe.

Als das „pädagogische Haupt" des Pietismus ist August Hermann Francke anzusehen. Von ihm und seinen Schulanstalten gieng ein erfrischtes Leben durch die Pädagogik der deutschen Schule. Aller Orten wurden Armenschulen und Waisenhäuser gegründet, und in Berlin rief der aus der Franckeschen Schule zu Halle hervorgegangene Johann Julius Hecker die erste deutsche Realschule ins Leben. Man erkannte die Bedürfnisse des praktischen Lebens und richtete Schulen ein, die es nicht mit Spra= chen, sondern mit Sachen zu thun hatten. Im Verein mit Semler (ebenfalls einem Schüler Franckes) richtete Hecker seine Realschule derart ein, dass sie zugleich dem Zwecke der Lehrerbildung diente; er machte somit den Anfang mit der Errichtung der nachmaligen Lehrer-Seminarien.

Die Erziehung des Pietismus war epochemachend in der Zeit ihres Auftretens und ein entschiedener Fortschritt in der Erziehungsidee. Die Schule war durch den Pietismus wieder für das Leben gewonnen. Es waren die verschiedenen Schulen als ein organisches Ganzes erfasst, als dessen Basis die Volksschule hingestellt ward.

Bald jedoch begannen die Schulen des Pietismus an demselben Widerspruch zu leiden und in dasselbe Extrem zu fallen, wie seine religiöse Anschauung. Wie der Pietismus in der Kirche den Menschen nach und nach völlig dem wirklichen Leben entfremdete und ihm alle unschuldigen Freuden verkümmerte, so dass es an manchen

Orten, z. B. in Leipzig, für ein Zeichen der Orthodoxie galt, wenn man wacker zu Tanze und in die Komödie gieng: so wurde er auch in der Schule eine kirchlich polizeiliche, durch Angst und Furcht herrschende Zuchtanstalt. An die Stelle des Geistes trat in der pietistischen Schule die Form. Die äußere geistige Geberde wurde das Wesentliche. Man führte harte Sittenpolizei ein; Lüge und Heuchelei, liebloses Richten und Pharisäerthum stellten sich als Erziehungsresultate ein, und indes auf einer Seite bei einzelnen Individuen alle Frische und individuelle Lebenskraft unterdrückt wurde, so dass sie in ihrem ganzen Leben nicht thatkräftig und muthvoll aufzuathmen vermochten, brach auf der andern Seite in starken Naturen das lang verhaltene und zurückgehaltene Feuer des Selbst später in Leben und Kraft verzehrenden Flammen auf.“ (Schmidt. Gesch. d. Erz. 259.)

Aus Fenelons „Abhandlung über die Erziehung der Töchter."

Wichtigkeit der Frauenbildung.

„Die Welt ist kein Traumbild, sie ist eine Gesammtheit von Familien. Und wer könnte diese mit größerer Liebe und Sorgfalt zur Gesittung führen als die Frauen, zumal, wenn deren Naturanlagen durch eine sorgfältige Erziehung zur Aufmerksamkeit auf das Kleine, zur Erwerbsamkeit, zur sanften einnehmenden Beredsamkeit ausgebildet wären? Wo ist aber für die Männer einige Hoffnung wahren Lebensgenusses, wenn ihre innigste Verbindung auf Erden, die der Ehe, ihnen verbittert ist? Was soll aus den Kindern, der Pflanzschule künftiger Geschlechter werden, wenn schon ihre Mütter sie von frühester Jugend an verderben? Daher sind denn die Beschäftigungen der Frauen nicht minder wichtig als die der Männer."

Bildung und Verbildung.

,,Gebildete Personen, die sich mit ernsthaften Dingen beschäftigen, haben in der Regel wenig Neugierde. Das, was sie wissen, macht gewöhnlich, dass sie viele Dinge gering achten, die sie nicht wissen. Sie sehen die Nuhlosigkeit nnd Lächerlichkeit vieler Dinge ein, welche nur leere Köpfe für wissenswürdig halten. Daher schreitet auch die Phantasie ungebildeter und unthätiger Mädchen unaufhörlich in der Frre umher. Da sie keinen soliden Gegenstand hat, so wendet sich ihre Neugierde mit aller Lebhaftigkeit auf eitle, ja gefährliche Dinge. Diejenigen, welche Geist haben, prunken damit, und sie greifen nach allen Büchern, aus welchen sie Nahrung für ihre Eitelkeit schöpfen können. Sie lesen mit Leidenschaft Romane, Komödien und Erzählungen abenteuerlicher Begebenheiten, wobei

die sinnliche Liebe eine Hauptrolle spielt. Ihr an den Wortschwall der Romanhelden gewöhnter Geist verfällt sodann in lauter Träumereien.“

Kinderfragen.

„Die Neugierde der Kinder ist ein Naturtrieb, der dem Unterrichte gleichsam den Weg bahnt. Versäumt nicht, sie zu benußen. Wenn sie z. B. auf einem Spaziergange eine Mühle sehen, und wissen wollen, wozu sie sei, so muß man ihnen zeigen, wie das den Menschen nährende Getreide verarbeitet wird. Ihre Fragen sollen uns nie belästigen, denn es sind Zugänge, welche die Natur dem Unterrichte öffnet.“

Berufsbildung.

„Bei der Erziehung eines jungen Mädchens find ihr Stand, der Ort, wo sie ihr Leben zubringen soll und ihr muthmaßlicher Beruf zu berücksichtigen. Verhütet es sorgfältig, daßß sie Hoffnungen über ihren Stand und ihr Vermögen faffen. Jedem kommen seine übertriebenen Hoffnungen theuer zu stehen. Das, was uns hätte glücklich machen können, wird uns zum Ekel, sobald wir etwas Höheres erwarten."

Einfachheit des Gefühles.

„Leicht findet derjenige Freuden, den scharfe Genüsse noch nicht verdorben haben und dem noch keine glühende Leidenschaften im jungen Herzen brennen. Gesundheit und Unschuld sind die wahren Quellen aller Freude; diejenigen aber, die das Unglück gehabt haben, sich an verkünftelte Genüsse zu gewöhnen, verlieren den Geschmack an gemäßigten und reinen Freuden und jagen immer mit unruhiger Seele nach Vergnügungen.

Es ist mit dem Vergnügen wie mit den Speisen. Man kann sich so an stark gewürzte Kost gewöhnen, daß man den Geschmack an gewöhnlichen und einfachen Speisen ganz verliert. Fliehen wir also jene großen Seelenerschütterungen, die nur Ekel und Langweile zurücklassen. Sie sind hauptsächlich für Kinder zu fürchten, die ihren Gefühlen noch wenig widerstehen können. Erhalten wir ihren Geschmack an einfachen Dingen; so wenig gewürzt ihre Speisen sein sollen, so wenig sollen es auch ihre Freuden sein. Jene Mäßigkeit, welche die Gesundheit des Leibes und der Seele ausmacht, gewährt uns immer eine sanfte und milde Freude, welche keiner künstlichen Zurüstung neuer Schauspiele, noch großer Ausgaben bedarf, um zu befriedigen. Ein kleines Spiel, das man erfindet, ein gutes Buch, eine angenehme Beschäftigung, ein unschuldiges Ge spräch, womit wir uns nach gethaner Arbeit erholen, verschaffen uns reinere Freuden, als das kunstreichste Concert.“

Scherz über religiöse Dinge.

‚Erlaubt euch niemals vor den Kindern Scherze über religiöse Gegenstände. Man lacht über die Frömmigkeit irgend eines Einfältigen, man spottet

darüber, daß er seinen Beichtvater zu Rathe zieht, oder die ihm auferlegten Bußen. Alles das haltet ihr für unschuldig, aber ihr betrügt euch, denn in dieser Hinsicht bleibt nichts ohne Folgen. Nie darf Gottes oder dessen, was zum Gottesdienste gehört, ohne gebührende Ehrfurcht und ohne Ernst erwähnt werden. Nichts, was der Anstand erfordert, dünke euch unerheblich; am allerwenigsten in diesem Stücke. Oft sind die Leute, welche es mit den Forderungen der Schicklichkeit in der Welt sehr genau nehmen, die rohesten in dem, was in Betreff der Religion schicklich ist.“

Basedow. 1)

Johann Bernhard Basedow, geb. 11. Sptbr. 1723 in Hamburg, † 25. Juli 1790 in Magdeburg, berühmt als freisinniger Schriftsteller auf dem Gebiete der Theologie und als unermüdlicher Arbeiter an der Verbesserung des deutschen Erziehungs- und Unterrichtswesens ; ein Mann, der durch sein unerschrockenes und oft rücksichtsloses Auftreten sich viele Feinde, durch seine großen Erfolge sich viele Neider machte, der in den letzten Jahren seines Lebens und unmittelbar nach seinem Tode, wegen seiner Zerwürfnisse mit frühern Mitarbeitern, auch wegen des Fehlschlagens der übertriebenen Erwartungen, die man von seiner Erziehungsanstalt, dem Philanthropin in Dessau, gehegt hatte, von vielen. hart und ungerecht beurtheilt worden ist, dessen wahres Verdienst aber, als einer der kühnsten Vorkämpfer im Kampfe für Menschenrechte und Menschenwürde, für Wahrheitstreue und Geistesfreiheit, sowohl durch die Stimme der Besten seiner Zeit als durch das unparteiische Urtheil der Nachwelt bekräftigt worden ist.

Von seinen Vorfahren ist nur wenig bekannt, und auch das wenige ist nicht sehr zuverlässig. Sein Vater war ein armer Bürger in Hamburg, `sein Großvater ein Ostindienfahrer, von dem man sagte, dass er dreimal reich und dreimal arm geworden. Sein Urgroßvater soll Baron gewesen sein und großer Verluste wegen sein Gut Basedow verkauft haben. Basedows eigene Erziehung war eine sehr unvollkommene. Die Heftigkeit und Strenge seines Vaters und die fast krankhafte Schwermuth seiner Mutter übten schon in den ersten Jahren seiner Kindheit einen schädlichen Einfluss auf das Gemüth des Knaben. Sein Vater verschaffte sich einen kümmerlichen Unter

') Vergl. „Allgemeine deutsche Biographie." Max Müller. Essays IV. Leipzig, 1876.

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