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Die Religion der Ägypter.

Die Ägypter haben das zum dumpfen Fetischdienst) hinneigende Afrika hineingezogen in den mythologischen Bildungstrieb Asiens. Sie haben die Unsterblichkeit der Seele zuerst gelehrt; diese Angabe aller griechischen Schriftsteller, von Herodot bis Aristoteles, wird durch die Denkmäler aufs glänzendste bestätigt. Der damit verbundene Glaube an die Wanderung der menschlichen Seele durch Thierkörper führte zu dem Thierdienste. Nur die Verbindung der Thiere mit dem Menschen durch die Lehre der Seelenwanderung macht diese seltsame Erscheinung als Volksglauben und öffentliche Religion erklärlich.

Vergebens nimmt man seine Zuflucht zur Erklärung des Thierdienstes aus der Bewunderung oder der Furcht. Weder das eine noch das andere passt auf die unschädliche Schlange; die Wohlthat des Mäusefangens hatte doch wohl schwerlich zu göttlicher Verehrung der Kaße begeistert; auch wohl nicht beim Krokodil, Schakal, Wolf die Furcht vor ihrer Feindschaft, gleichsam als würde dieses Thiergeschlecht, wenn verehrt, dem Menschengeschlecht weniger feindlich sein! Eine größere Beachtung verdient schon die Ansicht, dass dieser Verehrung eine sinnbildliche Darstellung des Jahreslaufes oder gewiffer himmlischer Erscheinungen zugrunde liege. Aber bei allen diesen Erklärungsversuchen wird immer schon das eigentlich zu Erklärende vorausgeseßt: nämlich, wie die Ägypter überhaupt dazu kamen, lebende Thiere göttlich zu verehren? Es dürfte wohl nur zulässig sein zu sagen: der Thierdienst sei das Erzeugnis der Verbindung des Glaubens an die persönliche Fortdauer der Seele mit der Seelenwanderung durch Thierkörper, ein Glaube, welchen das tiefe Gefühl des Ägypters für das Göttliche und Einheitliche im Naturleben und insbesondere im Thierleben vermittelte.

Nimmt man diesen höhern Standpunkt ein, so kann man sich Entstehung, Ausbildung, Dauer und alle Einzelheiten des Thierdienstes erklären. War einmal die Empfindung des Göttlichen und Wunderbaren in der Thiernatur mit dem eigenen inneren Leben der Menschen durch die Seelenwanderung vermittelst geheimer Bande- verbunden, so hörte das Grauen vor dem Thierischen z. B. beim Krokodile auf, und Nüßliches und Schädliches, Muth wie Schlauheit, gewannen einen geheimnisvollen Reiz als Verkleidung menschlicher Gemüthsart und Zustände.

Der wahre Grund der ängstlichen Sorge der Ägypter für die Erhaltung und gleichsam Unvergänglichkeit des Leichnams kann also kein anderer sein, als dass nach ägyptischem Glauben die Seele beim Scheiden vom todten Körper, mit gar seltenen Ausnahmen, eine Wanderung durch Thierkörper während 3000 Jahren antreten muss, ein Zeitraum, welchen Plato ebenfalls für die Seelenwanderung annimmt und den „Kreislauf der Nothwendigkeit“ nennt. Die Seele fährt nämlich beim Tode ihres Leibes in irgend einen thierischen, gerade in dem Augenblicke entstehenden Körper, ehe sie wieder in den mensch

1) Verehrung bezauberter Gegenstände (Fetische); roheste Art des Gößen

dienstes.

lichen Körper, auf gleicher oder höherer Stufe zurückkehrt oder in Osiris ruht. Dass nun die Seele in diesem ihrem Schicksalslaufe gestört oder gehindert werde, wenn ihr altes menschliches Gefäß nicht erhalten bleibe, war entschieden der Volksglaube der Ägypter; ohne Zweifel, verglichen mit dem ursprünglichen Sinne der Priesterlehre, ein grober Aberglaube, aber ein den Gesetzgebern, und namentlich im dichtbevölkerten Ägypten, sehr heilsam scheinender. Ebenso war es mit dem Glauben der Griechen und Römer an die Nothwendigkeit der Bestattung für die Einkehr der Seele in die unsichtbare Geisterwelt.

Des Menschen Seele ist, nach der Ägypter Glauben, göttlich und also unsterblich. Sie hat eine persönliche Verantwortlichkeit zu tragen. Heillose Thaten verbannen sie von Gottes Angesicht; verzeihliche Sünden schiebt der Glaube auf den Leib, der dafür auch der Vernichtung preisgegeben wird. Der gerechtfertigte Mensch ist sich bewusst, ein Sohn Gottes zu sein, bestimmt, Gott zu schauen am Ende seiner Wanderung.

Aus den tiefen Wurzeln, welche dieser Unsterblichkeitsglaube im ägyptischen Geiste geschlagen, erklärt sich auch allein das Ungeheuere und Maßlose, und dabei das Herrliche, Sinnvolle und Kunstreiche des Pyramidenbaues im alten Reiche. Die Seele war unsterblich, aber ihre Seligkeit, wo nicht ihre Lebensfähigkeit, war gebunden an die Erhaltung des Körpers. Die Zerstörung der Leiche war also die Zerstörung der Seele. Wir verdanken sicherlich den Wunderbau der Pyramiden noch mehr der abergläubischen Furcht vor der Zerstörung des Leibes, als der bloßen Eitelkeit und Prachtsucht ihrer Erbauer.

(C. C. J. Bunsen. Ägyptens Stellung in der Weltgesch.)

5. Die Erziehung bei den Israeliten. 1)
(Der theokratische Staat.)

Die Erziehung der Israeliten war eine religiös-nationale. Jehovah, der Gott der Israeliten, wird als ihr Nationalgott verehrt, der durch den Hohenpriester und durch Propheten, die er erweckte, durch begeisterte Liederdichter das Volk leitet und regiert, mit dem er gewissermaßen einen Vertrag (Bund) geschlossen und ihm Verheißungen gegeben hat.

Bildung und Erziehung waren streng religiös, und das gesammte häusliche Leben, dem der größte Theil der Erziehung zufiel, durch religiöse Gebote genau geregelt. Während Gott als das Haupt der Volksfamilie verehrt wurde, galt der Hausvater für den Priester Gottes. Als solcher erzog er die Kinder zu Gottesfurcht und Glauben. Unbedingter Gehorsam, Ehrfurcht und freudige Dahingabe an den Nationalgott waren die Grundlagen aller Erziehung.

1) Vergl. Fr. Körner. Gesch. d. Päd.

Jeder Erstgeborene war Gott geweiht; fromme, bedeutsame Namen wurden dem Kinde gegeben; nach 40 Tagen empfiengen die Knaben im Tempel den Segen Gottes durch des Priesters Hand und Mund. An den Nationalfesten mussten sie zeitig theilnehmen, und im Hause vernahmen sie das Wort des Herrn und lernten die religiösen Vorschriften kennen.

Achtzig Jahre vor Chr. blühten Schulen durch die ganze Länge und Breite Judäas; man hatte den Schulzwang eingeführt. Während sich vor der Gefangenschaft nicht ein einziger Ausdruck für „Schule“ finden lässt, gab es zur Zeit der Gefangenschaft bereits eine beträchtliche Anzahl Schulen.

Die überwiegende Bedeutung, welche der öffentliche Unterricht im Leben der Nation gewonnen hatte, ergibt sich am besten aus Volkssprüchen wie die folgenden: 1)

„Jerusalem ward zerstört, weil der Unterricht der Jugend vernachläfsigt wurde.

Die Welt wird durch den Athem der Schulkinder erhalten.

Ein Gelehrter ist größer als ein Prophet.

Verehre deinen Lehrer mehr als deinen Vater selbst; der lettere hat dich in diese Welt gebracht, der erstere zeigt dir den Weg in die nächste.

Heil dem Sohne aber, der von seinem Vater gelernt hat, er wird ihn doppelt verehren, als seinen Vater wie als seinen Lehrer, und Heil dem Vater, der seinen Sohn selber unterweisen kann.“

Eine besondere Art von Schulen waren die Prophetenschulen. Schon vor Samuel waren solche vorhanden; durch ihn gelangten sie jedoch erst zur Blüte. Eine Anzahl Jünglinge und Männer vereinigten sich hier unter einem Vorsteher, bei dem sie wohnten, der sie in tieferer Auffassung des Gesezes, in Poesie, Musik, in der Heilkunde, in der Schreibkunst unterrichtete und zu frommer Gesinnung und zu heiligem Wandel anhielt.

Unter Salomo und den nachfolgenden Königen erlitt jedoch die häusliche Erziehung offenbare Verschlechterung, weil der Sinn für einfache Sitte und Häuslichkeit durch üppiges Leben untergraben wurde. Erst das Exil machte dem Verfall ein Ende.

Nach dem Eril machte sich um so lebhafter das Bedürfnis nach öffentlicher Belehrung geltend; es wurden Synagoge n gegründet;

1) E. Deutsch. Der Talmud S. 27.

die Schriftgelehrten, welche sich den Titel Rabbi beilegten, machten hier das Volk mit dem Geseze und dessen traditioneller Auslegung bekannt, gaben ihr Gutachten in zweifelhaften Rechtsfällen ab, besorgten das bürgerliche Schreibwesen und unterrichteten wissbegierige Jünglinge, die sich zum Amte der Rabbi ausbilden wollten; auf diese Weise entstanden die Schulen der Rabbiner.

Unter den Schriftgelehrten befanden sich manche, welche der traditionellen Überlieferung in Betreff der Schriftauslegung die höchste Bedeutung gaben und die Gesezeserfüllung vorzugsweise in der äußern Beobachtung der vorgeschriebenen Sagung fanden; das waren die Pharisäer. Ihnen gegenüber standen die Sadducäer, die alle Tradition verwarfen, dagegen nur das mosaische Geseß als bindend ansahen. Endlich gab es noch eine dritte Partei, die Essäer, welche den todten Glauben der Pharisäer und den Unglauben der Sadducäer verwarfen, dagegen in einem frommen, stillen Leben ihre Aufgabe erblickten. Durch dieses Sectenwesen verlor der nationale Glaube an Kraft und Einfluss, und die öffentliche Erziehung blieb davon keineswegs unberührt, da die Schulen von den Rabbinern abhängig waren.

B. Die Erziehung bei den Völkern des Occidents.

1. Die Erziehung bei den Griechen.

Zwischen der Erziehung der orientalischen und occidentalischen Völker fand insofern ein wesentlicher Unterschied statt, als bei jenen der Einzelne im Dienste des Ganzen auf. gieng, bei diesen aber mehr die Freiheit der individuellen Entwickelung und der persönlichen Selbstbestimmung hervortrat. Dieses lettere charakteristische Merkmal treffen wir unter den abendländischen Völkern in erster Linie bei den Griechen an.

Was ihre religiösen Anschauungen betrifft, so spiegeln sich dieselben in dem Princip der individuellen Erziehung ab: „sie kleideten ihre Gottheiten in die Gestalt menschlicher Wesen; sie ließen sie menschlich denken, fühlen und fehlen, legten aber auch alles Hohe und Edle in

sie hinein, dass sie Menschheits- Ideale vor sich hatten, denen nachzueifern ihr ernstliches Bestreben war".

Dieses Streben war zunächst darauf gerichtet, alle geisti= gen und körperlichen Kräfte harmonisch zu entwickeln, ein Geschlecht zu bilden, dem das Schöne und Gute identisch und die Schönheit das Princip war, von welchem Denken und Handeln beherrscht ward.

Schönheit und Kunst war das Ideal der Griechen.

* Die Staatseinrichtung wirkte darauf hin, dass der Einzelne nicht bloß gegen die Leidenschaft und Willkür anderer geschüßt war, sondern auch seine Anlagen und Kräfte in unbeschränktem Maße entwickeln und zur Geltung bringen konnte. Jedem stand es frei, in selbständiger Weise in den Tempel der Wissenschaft einzudringen, und die Erziehung war darauf bedacht, nicht nur unabhängige, geistig freie Menschen heranzubilden, sondern auch durch Pflege des Eigenthümlichen der Stammes-Individualität das Nationalgefühl zu wecken und den Menschen zum Griechen zu entwickeln. Das zur Selbständigkeit entwickelte und veredelte Individuum sollte befähigt und veranlasst werden, in hingebender, aufopfernder Weise zur Verwirklichung der Staatsidee beizutragen. —

Die hauptsächlichsten Erziehungsmittel der Griechen waren troß der großen Verschiedenheit, welche in dem staatlichen Leben der einzelnen Stämme zu finden war, die Gymnastik und die Musik. Durch die Gymnastik sollte vorzüglich Haftung und Bewegung des Körpers und harmonische Entwicklung der Glieder erzielt werden; man bewahrte durch sie die Jugend vor Verweichlichung und gewöhnte sie an Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung.

Die musische Erziehung erstreckte sich anfangs nur auf Poesie und Gesang; später aber umfasste dieser Theil der Erziehung überhaupt allen Unterricht, der die geistige Entwickelung zur Aufgabe hatte. Die Musik sollte nicht bloß Genuss bereiten, sondern ein sittliches Bildungsmittel im allgemeinen sein; sie sollte für das Schöne und Gute begeistern, die Leidenschaft beherrschen und die Harmonie der Seele herstellen. Daher war sie auch, wie die Gymnastik, nicht im Besiz Einzelner, sondern Eigenthum des ganzen Volkes: Musik begleitete die gottesdienstlichen Handlungen, die gymnastischen Übungen und die gemeinschaftlichen Spiele.

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