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finitionen und Problemen die Rede wäre, noch von einer andern Beweisform als durch Deckung.

Man vernachlässigt die Richtigkeit der Figuren, man sezt sie voraus und hält sich an die Beweisführung. Uns, im Gegentheil, wird es vornehmlich wichtig sein, möglichst gerade richtige, gleiche Linien zu ziehen, möglichst vollkommene Quadrate und Kreise zu ziehen.

21. Das Gehör.

Sprechen. Singen.

,,Das Kind vergleiche Gesichts- und Gehörseindrücke, die zusammengehören, es bemerke z. B., dass der Blig früher gesehen wird, als man den Donner hört. Der Zögling spreche recht. Lass ihn ja nicht declamieren; er wird zu viel gesunden Sinn haben, um Dinge, die er nicht versteht, mit Betonung, Ge fühle, die er nicht hat, mit Ausdruck vorzutragen. Lehrt ihn ohne Anstoß deutlich, ohne Affection und so laut sprechen, dass er verstanden werde; lehrt ihn richtig und wohlklingend singen, nur keine Opernmusik; bildet sein Ohr für Takt und Harmonie."

23. Der Geschmack.

„Im Urzustande waren den einfachen Menschen die Nahrungsmittel, welche ihnen am besten schmeckten, auch am gesundesten. Den Kindern ist der primitive Geschmack möglichst zu erhalten, ihre Nahrung sei gewöhnlich und einfach, nicht pikant; Fleischspeisen sind nicht für sie.

Bei solcher Nahrung lasst sie essen, so viel sie mögen.

Essen ist die Leidenschaft der Kinder. Daher lassen sie sich durch „gute Bissen“ führen; jedenfalls ist dies natürliche, sinnliche Motiv dem der Eitelkeit weit vorzuziehen.

Gefräßigkeit tritt zurück, Eitelkeit nimmt zu mit den Jahren.

24. Charakteristik des zwölfjährigen Emil.

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„Sein Äußeres verräth Sicherheit und Zufriedenheit; er spricht naiv, einfach, und schwäßt nichts Unnüßes. Seine Ideen sind beschränkt, aber klar; er weiß nichts auswendig Gelerntes, aber viel durch Erfahrung. Liest er weniger gut in unsern Büchern, so liest er desto besser in dem Buche der Natur; er hat weniger Gedächtnis als Urtheilskraft; er spricht nur eine Sprache, versteht aber, was er sagt; spricht er nicht so gut als die andern, so ist er geschickter als sie zum Thun.

Routine, Gebrauch, Angewöhnung kennt er nicht, sein gestriges Handeln bestimmt das heutige nicht. Weder Autorität noch Beispiel imponieren ihm, er handelt und spricht nur, wie es ihm zusagt. Er weiß nichts von einstudierten Reden und Manieren, aber sein Ausdruck entspricht seinen Ideen, seine Aufführung entspricht seinen Neigungen.

Er hat wenige, aber seinem Alter entsprechende moralische Begriffe. Sprecht ihr ihm von Pflicht, Gehorsam, so weiß er nicht, was ihr wollt; befehlt ihm

etwas, so versteht er euch nicht; sagt ihr aber zu ihm: wenn du mir das zu Gefallen thust, so werde ich dir gelegentlich wieder etwas zu Gefallen thun, so wird er augenblicklich sich beeifern, euren Wunsch zu erfüllen, denn nichts ist ihm lieber als Erweiterung seiner Herrschaft und Rechtsansprüche an euch zu erlangen, welche er für unverleßlich hält.

Hat er selbst Hilfe nöthig, so nimmt er den ersten, der ihm begegnet, in Anspruch, gleichviel, ob es ein König oder ein Bedienter ist; alle Menschen sind noch in seinen Augen einander gleich. Ihr seht es dem Bittenden an, dass er fühlt, niemand sei verpflichtet, ihm die Bitte zu gewähren. Er ist einfach und lakonisch in seinen Ausdrücken, weder kriechend noch herrisch. Gewährt ihr ihm seine Bitte, so wird er euch nicht danken, aber fühlen, dass er euer Schuldner ist; gewährt ihr sie nicht, so wird er sich nicht beklagen, nicht in euch dringen, sondern sich darein schicken.

Lebhaft, thätig übernimmt er nichts, was seine Kräfte übersteigt, die er erprobt hat und kennt. Er hat ein aufmerksames, verständiges Auge: er thut keine unnüße Frage über alles, was er sieht, sondern untersucht es selbst. Da seine Imagination noch unthätig ist und man nichts gethan hat, sie aufzuregen, so sieht er nur, was wirklich da ist, überschäßt die Gefahren nicht und bleibt stets bei kaltem Blute.

Mag er sich beschäftigen oder spielen, beides ist für ihn gleich, seine Spiele sind seine Beschäftigungen; er findet zwischen beiden keinen Unterschied. Unter den Stadtkindern ist keines geschickter, alle sind schwächer als er; den Bauernkindern an Stärke gleich, übertrifft er sie in Gewandtheit. Im Laufen, Springen, Schäßen der Entfernungen ist er Meister. Er ist gemacht, seine Altersgenossen zu leiten, durch Talent und Erfahrung, ohne andere Autorisation. Ohne befehlen zu wollen, wird er den andern voranstehen, sie werden ihm gehorchen, ohne es zu bemerken.

Er ist ein reifes Kind und hat ein Kinderleben geführt, sein Glück auch nicht für seine Bildung hingegeben.

Stirbt er jung, so hat man doch nur seinen Tod, nicht auch sein Leben zu beweinen.

Für einen so gebildeten Knaben haben gewöhnliche. Menschen freilich kein Auge, sie sehen in ihm nur einen Schlingel (polisson). Der Lehrer kann nicht mit ihm Parade machen, ihm nichts abfragen, und darauf geht doch die Lehrweise der meisten hinaus.“

Hiezu bemerkt K. v. Raumer: „Ein gesunder, starker, ge= wandter, sinnengeübter Knabe, ein methodisch für eine rein irdische Existenz und kalte Selbständigkeit dressierter, ein französisiertes Karaiben- oder karaibisiertes Franzosenkind, ohne Phantasie, ohne Poesie, ohne Liebe, ohne Gott" das ist Rousseaus Emil.

C. Zur dritten Periode.

25. Bücher. Robinson. Werkstätten.

,,Aus Büchern lernt man über Dinge sprechen, die man nicht versteht. Es gibt aber ein Buch, das als der trefflichste Tractat über naturgemäße Erziehung betrachtet werden kann; ein Buch, das lange Zeit die ganze Bibliothek des Zöglings bilden möge nämlich Robinson Crusoe. Robinson, isoliert auf einer Insel, genöthigt alles, was ihm nöthig, durchaus selbst zu schaffen, werde des Knaben Ideal, der fortan nur nach dem fragen wird, was ihm auf einer Robinsoninsel nöthig sei.

Der Lehrer besuche mit dem Zögling Werkstätten, lasse ihn selbst Hand anlegen, wodurch er alles beffer verstehen lernt, als durch vieles Erklären. Er lerne zugleich die wahrhaft nüßlichen Handwerker höher achten, als die in der Welt mehr geschäßten, sogenannten Künstler. Ein Schloffer soll ihm höher stehen als ein Goldschmied; Steinschneider, Vergolder sind in seinen Augen Tagediebe, welche sich mit unnüßen Spielereien beschäftigen; selbst Uhrmacher gelten ihm wenig. Er würdigt alle menschlichen Arbeiten, und ebenso alle Naturerzeugnisse, je nachdem sie zu seinem Nußen, seiner Sicherheit und zu seinem Wohlbefinden beitragen; Eisen hält er viel höher als Gold, Glas höher als den Diamant."

D. Zur vierten Periode.

26. Religionsunterricht.

,,Im fünfzehnten Jahre weiß Emil noch nicht, ob er eine Seele hat, vielleicht erfährt er es im achzehnten noch zu früh.

Ein Kind soll in der Religion seines Vaters erzogen werden, sagt man, und beweist ihm, diese sei die einzig wahre, die andern seien absurd. Hängt die Stärke dieser Beweisführung aber nur vom Lande ab, wo man sie führt, nur von der Autorität, auf welche Emil nichts geben soll, wie dann? In welcher Religion werden wir ihn erziehen? Darauf die einfache Antwort: in keiner; wir wollen ihn nur in den Stand sehen die zu wählen, zu welcher ihn der beste Gebrauch seiner Vernunft führen muss.

In Frankreich, wo Rousseaus Werk bei seinem Erscheinen eine gewaltige Wirkung hervorbrachte und manche Familie in Gefahr brachte, aus einem Extrem ins andere zu verfallen, hatten dennoch Rousseaus Ideen im großen und ganzen wenig praktischen Erfolg; Deutschland aber hegte und kämpfte die neuen Ideen zur Klarheit durch und reinigte sie von den Einseitigkeiten und Irrthümern.

August Hermann France.

(Geb. 1663, gest. 1727.)

France wurde zu Lübeck geboren, wo sein Vater Syndikus beim Domcapitel des dortigen Stiftes war. Im Jahre 1666 wurde dieser von Herzog Ernst dem Frommen als Justizrath nach Gotha berufen, was für den jungen Francke nicht ohne wichtige Folge blieb. 1) Auf dem damals schon berühmten Gymnasium empfieng er eine vortreffliche Bildung, so dass er als Jüngling von vierzehn Jahren bereits als reif für die Universität erklärt werden konnte. Er bezog

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jedoch erst in seinem 16. Jahre die Hochschule zu Erfurt, gieng aber noch in demselben Jahre nach Kiel. Sein Fach war die Theologie; der scholastische Geist, mit der sie damals gelehrt wurde, brachte ihn in Gefahr, mit dem Studium derselben die Religion zu ver

1) Siehe „Herzog Ernsts Schulmethodus“. Diese Verordnung war von so bedeutender Wirkung, dass man bald sprichwörtlich sagte, Herzog Ernsts Bauern wären gelehrter als alle Edelleute Deutschlands.

lieren. Nur der fromme Sinn, der ihm im elterlichen Hause eingepflanzt worden war, erhielt ihn aufrecht.

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Um seinen nach allen Richtungen hin regen Wissenstrieb zu befriedigen, hörte er neben den theologischen Vorlesungen auch Vorträge über Naturwissenschaften und andere weltliche Fächer. In diesen Studien ist der Grund zu seiner späteren realistischen Richtung auf dem Gebiet der Schule zu suchen. Bedeutsam ist auch, dass sich Francke während seiner Candidatenjahre praktisch mit dem Elementarschulwesen befasste. Vom Jahre 1687 bis 1688 leitete er eine Kinderschule, die stark besucht war; hier wurde seine pädagogische Richtung für immer bestimmt. „Bei Errichtung der Schule," sagt er, ,,ward mir's immer klarer, wie verderbt das gewöhnliche Schulwesen und wie höchst mangelhaft die Kinderzucht sei; und dies bewog mich schon damals zu wünschen, dass ich von Gott gewürdigt werden möchte, zur Verbesserung des Schul- und Erziehungswesens etwas beizutragen." In dieser Zeit schloss er sich in religiöser Beziehung entschieden an den Probst und Consistorialrath Jakob Spener an, den er auch von Hamburg aus in Dresden besuchte. Franckes epochemachendes Wirken entfaltet sich in Halle a. d. Saale, wohin er 1692 als Professor der griechischen und orientalischen Sprachen und zugleich als Pfarrer der Vorstadt Glaucha berufen wurde, und wo er auch nach einer fünfunddreißigjährigen Wirksamkeit im Jahre 1727 starb.

Die großartigen Anstalten, die er ins Leben rief, und welche unter dem Namen „Francke'sche Stiftungen" noch heute bestehen, nahmen ihren kleinen und dürftigen Anfang im Jahre 1694. Es kamen nämlich an jedem Donnerstage Arme in das Pfarrhaus. Anstatt ihnen nun vor der Thüre Brot zu reichen, nahm Francke sie ins Haus, katechisierte mit den jüngeren, die älteren hörten zu, und mit einem Gebet wurde geschlossen. Auf diesem Wege lernte er das Volk und dessen physisches, geistiges und sittliches Elend kennen. Dies bekümmerte ihn tief, insbesondere aber, dass so viele Kinder wegen der Armut ihrer Eltern weder zur Schule gehalten wurden, noch sonst einiger guten Erziehung genossen, sondern in der schändlichsten Unwissenheit und in aller Bosheit aufwuchsen.“

Diesem Elend wollte er begegnen; er darbte um der Armen willen und sammelte Almosen. Im Jahre 1695 befestigte er eine

Niedergefäß, Geschichte der Pädagogik.

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