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Privatunterricht ertheilt. Nachmittags war wieder Schulunterricht, mit Ausnahme zweier Nachmittage in der Woche, an denen die Zöglinge ins Freie geführt wurden, die Lehrer mit ihnen Ball spielten 2c. Täglich waren Spielstunden angesetzt. Nie befanden sich die Zöglinge ohne Aufsicht. Die höchste Aufgabe der Lehrer war es, ihre Zöglinge genau kennen zu lernen. —

Luther hatte Pensen und Classen geschaffen und das Lehrmaterial zusammengestellt; Melanchthon, Neander u. a. hatten Lehrbücher verfasst; Troßendorf brachte das Princip des Ehrgefühls und der Selbstregierung durch Überwachung mittels selbstgewählter Vorsteher in Anwendung; Sturm hatte die Methode des Unterrichts gepflegt: die Jesuiten bildeten das Überwachungssystem Trogendorfs consequent und mit psychologischem Takte aus, entwickelten Sturms Methode weiter und fügten dem Unterricht im Latein den Unterricht in den Realien bei.

Ihr wichtigstes Erziehungsmittel ist die Ämulation (die Nacheiferung, der Wetteifer).

Wer die Ämulation geschickt zu reizen weiß, der hat durch sie das bewährteste Hilfsmittel im Lehramte, welches beinahe einzig hinreichend ist, die Jugend aufs beste zu unterrichten. Der Präceptor schäße daher diese Waffe hoch und erforsche fleißig die Wege, auf welchen er sie erlangen und wie er dieselbe am meisten und am gemessensten gebrauchen könne.

Es werden durch diese Ämulation die Wettkämpfe geweckt, und es ist deshalb zuträglich, jedem der Schüler Nebenbuhler namentlich beizugeben.

Es sollen, die einander als Nebenbuhler gegenüberstehen, es notieren, wenn gegen die Urbanität (feine Lebensart) gefehlt wird, und es gehe nicht ungestraft hin. Und nicht bloß Nebenbuhler, alle Schüler sind angewiesen, zu ihrem

eigenen Vortheil einander anzugeben.

Um die Ämulation geschickt zu reizen, ist die Erwählung der Magistrate, Prätoren, Censoren 2. in der Schule von großem Gewicht. Dabei sage man den Schülern öfters vor, nichts werde für ehrenhafter gehalten, als von Jahr zu Jahr seinesgleichen zu überflügeln; hingegen werde nichts für schmählicher und arm= seliger geachtet, als von seinesgleichen übertroffen zu werden.

Besonders sollen die Preisvertheilungen den Ehrgeiz anfeuern. Die öffentliche Preisvertheilung wird mit feierlicher Zurüstung und vor zahlreicher Versammlung vorgenommen. Die Namen der Sieger werden öffentlich verkündigt, sie treten hervor, und dann wird jedem seine Prämie feierlich übergeben.

Den Vorzugsschülern werden in der Schule die ersten Plähe eingeräumt, und auch außer der Schule werden ihnen Vorrechte eingeräumt.

Einige gibt es auch, welche an gewissen öffentlichen Tafeln schriftlich aufzeichnen lassen, was von irgend einem talentvoll ausgearbeitet, zierlich gejagt,

geschickt expliciert, fein erfunden worden ist, damit das Andenken einer gelungenen Sache zum ewigen Ruhme des Namens im Reiche der Wissenschaft erhalten werde. Andere stellen in die Mitte des Schulzimmers oder in irgend einen Winkel eine Unglücksbank und benennen sie mit einem Schandnamen, z. B. die Höllenleiter 2c. Wer an diesem Playe siht, ist der Schande verfallen, und es wird ihm eine literarische Strafe aufgeleget, während ihm zugleich auch Gelegenheit gegeben wird, den auf ihm lastenden Makel zu tilgen, wenn er entweder durch Herjagung der Prälection oder durch eine bessere Ausarbeitung der Scription einen andern besiegt hat.

Körperliche Strafen sollen möglichst wenig angewendet werden. „Der Magister schlage keinen mit seinen eigenen Händen, außer in wie weit die Weise unserer Studien es zuläßßt, wo es Geseß ist, dass der Corrector, welcher von der Societät nicht ist, genommen werde, so oft es zu jenem Extrem kommt, dass einer mit Ruthen gezüchtig werden soll."

Es ist früher schon bemerkt worden, dass die Jesuiten den Realien einen Plaz im Unterrichte einräumten; die Realgegenstände wurden jedoch nicht als selbständige Fächer betrieben. Man führte die Realien als Privatgegenstände unter dem Namen Erudition (Gelehrsamkeit) ein, und zwar in der Form von einschlägigen Notizensammlungen, Geschichten, Fabeln u. dergl.

Wenn auch der Jesuitenorden die Bildung der niederen Volkes nicht ganz außeracht gelassen hat, so war doch sein Augenmerk vorzugsweise auf die höheren Stände gerichtet.

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Mehr als die Jesuiten machte sich der von Jesef Calasanza im Jahre 1660 gestiftete Orden der Piaristen und der von Baptist de la Salle (1680) gestiftete Orden der Schulbrüder um die Volkserziehung verdient. In den Schulen beider Orden wurde der Unterricht unentgeltlich ertheilt, und ihre Schulzucht war eine milde und humane.

Die bekanntesten und bedeutendsten Katechismen der katholischen Schule sind der von Canisius und der Tridentiner.

B. Vom Anfange des XVII. bis zum Ende des XVIII. Jahrhunderts.

Wolfgang Natichius (Natke).

(Geb. 1571 zu Wölster im Holsteinischen; gest. 1635 zu Erfurt.)

Ratich empfieng seine Gymnasialbildung in Hamburg; auf der Universität Rostock studierte er mit großem Eifer Theologie und

Philosophie. Dem Predigeramte, das er sich erwählt hatte, musste er entsagen, da er eine schwere Zunge hatte; darum widmete er sich ganz den Wissenschaften und machte es sich außerdem zur Aufgabe, das Schulwesen seiner Zeit gründlich zu studieren. Zu diesem Zwecke verweilte er längere Jahre in England und Holland. Ganz besonders war er beslissen, das holländische Schulwesen, das damals großen Ruf hatte, genau kennen zu lernen.

Das Ergebnis seiner Beobachtungen war die Einsicht, dass sowol die Lateinschulen als die deutschen Schulen aller Orten einer durchgreifenden Reform bedürftig seien. Es fehlte an passenden Lehrbüchern, die Disciplin war hart, und die Muttersprache wurde vernachlässigt. Da trat Ratich mit einem neuen System der Unterrichtskunst auf. Er bot seine neue Lehrweise verschiedenen Höfen und Magistraten, und im Jahre 1612 auch dem Reichstage zu Frankfurt a. M. bei Gelegenheit der Krönung des Kaisers Mathias um Geld zur Ausführung an.

Er rühmte sich, in seinem Plane die Kunst zu besißen, durch welche nicht nur das Lernen der Sprachen erleichtert, die Zucht gemildert und die Schulen gebessert, sondern auch das ganze deutsche Reich in Sprache, Regierung und Religion geeinigt werden könne.

Seine didaktischen Grundsäge sind folgende:

1. Alles mit vorgehendem Gebete.

2. Alles mit Ordnung und Lauf der Natur.

3. Nicht mehr denn Einerlei auf einmal; niemals soll man Neues vornehmen, bis das frühere gründlich und genügend erfasst ist.

4. Eines oft wiederholt.

5. Alles zuerst in der Muttersprache.

6 Aus der Muttersprache sodann in andere Sprachen. In der Muttersprache seßt er erklärend hinzu ist der Vortheil, dass der Schüler nur auf die Sache zu achten hat, die er lernen soll, und dass er durch die Sprache nicht am Verständnis der Sache gehindert wird.

7. Alles ohne Zwang.

a) Man soll die Jugend nicht schlagen zum Lernen. Du schlägst Knaben, weil sie deine Lehre nicht behalten haben; hättest du aber recht gelehret, so würden sie es schon verstanden (und dann behalten) haben.

b) Der Lehrjünger muss sich nicht vor dem Lehrmeister entseßen, sondern ihn lieben und ehren.

c) Nichts soll auswendig gelernt werden. Wenn ein Ding durch häufige Wiederholung dem Verstande recht eingebildet wird, so folgt das Behalten vom Gedächtnis von selbst nach.

d) Täglich soll man etliche Stunden zur Ergößung und Kurzweil geben. e) Der Lehrmeister soll nichts wiederfordern, bis er gewiss schließen kann, der Lehrjünger habe es wohl gefasst.

8. Gleichförmigkeit in allen Dingen, sowohl in der Lehrart, als in den Büchern.

9. Erst ein Ding an ihm selbst, darnach die Weise von dem Dinge.

Der Schüler soll die Regel durch Nachdenken aus dem Sage finden. Wenn er sie gefunden hat, so wird er sie leicht behalten, weil er sie verstanden hat, weil sie aus eigener Einsicht, als Erkenntnis ihm erwachsen sind.

10. Alles durch Erfragung und stückliche Untersuchung (per inductionem et experimentum). Nichts soll auf Treu und Glauben hingenommen werden, weil dies ein unvermitteltes Wissen, ein bloßes Gedächtniswissen bleibt.

Der Schüler soll durch Einsicht und Überzeugung Sicherheit und
Gewissheit erhalten.

Diese reformatorischen Grundsäße Ratichs kamen zu rechter Zeit, und seine Verheißungen machten die Welt um so erwartungsvoller, als man von der Nothwendigkeit didaktischer Reformen überzeugt war und dieselben herbeisehnte.

In den Gliedern des Anhaltischen Hauses fand nun auch Ratich die gewünschte thatkräftige Unterstüßung, namentlich von Seite der Herzogin Dorothea von Weimar und der Gräfin Anna Sophie von Rudolstadt. Der Bruder dieser fürstlichen Frauen, Ludwig von Anhalt, richtete Ratich zu Köthen eine Schule ein, in der bei 6 aufsteigenden Classen in den unteren nur Deutsch unterrichtet und das Lateinische erst in der vierten Classe begonnen wurde. Allein, wie so oft im Leben, zeigte sich auch hier, dass Wissen und Können oft weit auseinander liegen. Wäre Ratich ein ebenso gewandter Praktiker gewesen, als er ein einsichtiger Theoretiker war, so hätte er in der That eine Schulreform durchführen können. Aber der Erfolg entsprach den großen Erwartungen nicht. Dazu kam, dass die Unverträglichkeit Ratichs jedes förderliche Zusammenwirken mit den übrigen Lehrern der Anstalt unmöglich machte; er wurde daher seines Amtes in Köthen entseßt. Der arg getäuschte

Fürst Ludwig ward ihm sehr ungnädig und ließ ihn sogar 1619 verhaften. Erst um die Mitte des Jahres 1620 wurde er wieder freigelassen, musste aber erst einen Revers unterschreiben des Inhalts, dass er „ein Mehreres gelobet und versprochen, als er verstanden und ins Werk habe richten können“.

Nach seiner Freigebung gieng Ratich nach Magdeburg, wo er vom Rathe begünstigt wurde. Aber auch hier entzweite er sich nach kurzer Zeit mit dem dortigen Rector und verließ auch diese Stadt bald wieder. Später nahm sich die Prinzessin Anna Sophie, eine frühere Schülern Ratichs, seiner an und empfahl ihn dem schwedischen Kanzler Oxenstierna, welcher auch Ratichs Didaktik prüfen ließ. Oxerstierna äußerte sich später gegen Comenius über Ratich folgendermaßen: „Ratichius hat die Gebrechen der Schulen nicht übel aufgedeckt, allein die Heilmittel, welche er dage= gen vorschlug, schienen mir nicht hinreichend.“

Charakteristisch ist es, dass Ratich, als sich Comenius im Jahre 1629 wiederholt brieflich an ihn wandte, um sich Aufschluss über die neue Methode zu erbitten, keine Antwort gab. Und als ein Lehrer der Goldberger Schule den Ratich in derselben Absicht besuchte, erklärte ihm dieser: er wolle seine Erfindung nur einem Könige theuer verkaufen, und auch das nur unter der Bedingung, dass die Gelehrten, denen er sie mittheilte, verpflichtet würden, dieselbe zu vertheidigen.

Im Jahre 1633 rührte ihn der Schlag. An der Zunge und der rechten Hand gelähmt, lebte er noch bis 1635.

Comenius. 1)

Johann Amos Comenius ist bei Ungarisch-Brod in Mähren im Jahre 1592 geboren. Den Namen Komensky (Comenius) muss er schon von seinem Vater ererbt haben, dessen Vorfahren von Komna herstammen mochten. Er verlor sehr früh seine Eltern, welche sich zu den böhmischen Brüdern bekannten; Vormünder vernachlässigten ihn sosehr, dass er im achtzehnten Jahre erst das Latein anfieng. Er sagt: diese Vernachlässigung im Unterricht, worunter er sehr gelitten, habe ihm schon früh Mitleid gegen andere eingeflößt.

1) Vergl. Raumer. Gesch. d. Päd. II, 48.

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