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Bedürfnis fühlte, sich mit dem Leben bekannt zu machen. Es waren die Schulwanderungen ein Hauptmittel, den Unterricht mehrerer und verschiedener Lehrer von Ruf zu hören. Sie waren die Erzeugnisse eines neuen geistigen Lebenstriebes, die Producte neuer Wissenslust."

Eine überaus anschauliche Schilderung von diesem wunderlichen Schülerleben gibt uns Thomas Platter, 1499 im Walliser Land geboren. In seiner ersten Jugend Hirtenbüblein auf den Alpen, zog er später als Schüß mit einem ältern Verwandten, einem fahrenden Schüler, ins Reich. In seinem achtzehnten Jahre konnte Platter kaum lesen und saß in einer bessern Schule unter den kleinen ABCSchüßen wie eine Henne unter den Küchlein“. Im einundzwanzigsten Jahre konnte Platter kaum declinieren, und er hat gewiss weniger seiner Schule als seinem Eifer zu verdanken, welcher ihn von dem in späteren Jahren erlernten Seilerhandwerk zum Griechischen und Hebräischen trieb, dass er schließlich ein wohlangesehener SchulProvisor und wohlhabender Buchdruckereibesizer in Basel wurde. Über seinen ersten Ausflug erzählt er:

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I.

„Als nun mein Vetter, Paulus Sommermatter, wieder wandeln wollte (als fahrender Schüler), sollte ich zu ihm gen Stalden kommen. In Stalden ist ein Haus, das heißt „Zmilibach“; da wohnte einer, der hieß Simon zu der Sommermatten, meiner Mutter Bruder, der sollte mein Vogt sein; der gab mir einen Goldgulden, den trug ich im Händlein bis gen Stalden, lugte oft unterwegs, ob ich ihn noch hätte, gab ihn dem Paulus. So zogen wir zum Land hinaus. Da musste ich für mich betteln und meinem Bacchanten (Vaganten), dem Paulus, auch geben, denn wegen meiner Einfalt und ländlichen Sprache gab man mir viel. Als wir über den Berg Grinsel nachts in ein Wirtshaus kamen, hatte ich nie einen Kachelofen gesehen, und der Mond schien an die Kacheln, da wähnte ich, es wäre so ein großes Kalb, denn ich sah nur zwei Kacheln schimmern, das, meinte ich, seien die Augen. Am Morgen sah ich Gänse, deren ich nie gesehen hatte, da meinte ich, als sie mich anpfauchten, es wäre der Teufel und wollte mich fressen, floh und schrie.

Danach kamen wir gen Zürich. Da wartete Paulus auf etliche Gesellen, die wollten mit uns nach Meißen ziehen. Nachdem wir nun bei acht oder neun Wochen auf Gesellschaft gewartet hatten, zogen wir auf Meißen zu; das war mir eine weite Reise, da ich nicht gewohnt war, so weit zu ziehen und dazu unterwegs zu essen zu bekommen.

Wir zogen also unser acht oder neun miteinander, drei kleine ABCschüßen, die andern große Bacchanten, wie man sie da nennt, unter welchen ich der allerkleinste und jüngste Schüß war.

Wenn ich nicht gut zu gehen vermochte, gieng mein Vetter Paulus hinter mir mit der Ruthe oder dem Stöcklein und zwickte mich um die bloßen Beine, denn ich hatte keine Hosen an und schlechte Schühlein. Ich weiß auch nicht mehr alle Dinge, wie es uns auf der Straße ergangen ist, doch etlicher bin ich eingedenk. Als wir nämlich auf der Reise waren und man dann allerlei redete, sagten die Bacchanten zusammen, wie es in Meißen und Schlesien der Brauch wäre, dass die Schüler Gänse und Enten, auch andere solche Speisen rauben dürften, und thäte man einem nichts darum, wenn man dem entronnen sei, dessen ein Ding gewesen wäre. Eines Tages waren wir nicht weit von einem Dorf, da war ein großer Haufen Gänse bei einander und war der Hirt nicht dabei, denn ein jeglich Dorf hatte einen eigenen Gänsehirten, der war ziemlich weit von den Gänsen bei den Kuhhirten. Da fragte ich meine Gesellen, die Schüßen: Wann sind wir in Meißen, dass ich Gänse todt werfen darf. Da sprag, chen sie: Jezt sind wir drinnen." Da nahm ich einen Stein, warf eine und traf sie an ein Bein, die anderen flogen davon, die hinkende aber konnte nicht aufkommen. Da nahm ich noch einen Stein, traf sie an den Kopf, dass sie niederfiel (denn ich hatte bei den Geißen werfen lernen, dass kein Hirte meines Alters es mir gleich that, konnte desgleichen auch das Hirtenhorn blasen und mit dem Stecken springen, denn in solchen Künsten übte ich mich unter meinen Mithirten). Da lief ich hinzu und erwischte die Gans bei dem Kragen und mit unter das Röcklein und gieng die Straße durch das Dorf. Da kam der Gänsehirt nachgelaufen und schrie im Dorf: „Der Bube hat mir eine Gans geraubt.“ Ich und meine Mitschüßen flohen, und die Füße der Gans hiengen unter dem Röcklein hervor. Die Bauern kamen hervor mit Barten, die sie werfen konnten, und liefen uns nach. Als ich sahe, dass ich nicht mit der Gans entrinnen konnte, ließ ich sie fallen; vor dem Dorfe sprang ich vom Wege ab in ein Gesträuch, zwei meiner Gesellen aber liefen der Straße nach, die wurden von zwei Bauern ereilt. Da fielen sie nieder auf die Knie und begehrten Gnade, sie hätten ihnen keinen Schaden gethan; und da auch die Bauern sahen, dass sie nicht die waren, der die Gans hatte fallen lassen, so giengen sie wieder in das Dorf und nahmen die Gans. Jch aber sah, wie sie meinen Gesellen nachgeeilt waren, war in größten Nöthen und sprach zu mir selbst: „Ach Gott, ich glaube, ich habe mich heut nicht gesegnet!" (wie man mich denn gelehrt hatte, ich sollte mich alle Morgen segnen). Als die Bauern wieder in das Dorf kamen, fanden sie unsere Bacchanten im Wirtshaus (denn sie waren voran in das Wirtshaus gegangen, und wir kamen nachher), vermeinten, sie sollten die Gans zahlen, es etwa wäre um zwei Bazen zu thun gewesen, ich weiß aber nicht, ob sie sie bezahlt haben oder nicht. Als sie nun wieder zu uns kamen, lachten sie und fragten, wie es gegangen wäre. Ich entschuldigte mich, vermeinte, es wäre so Landesbrauch; da sprachen sie, es wäre noch nicht Zeit.

II.

Ein andermal kam ein Mörder zu uns allen in einen Wald, elf Meilen diesseit Nürnberg, da waren wir alle bei einander; der wollte anfangs nur mit unseren Bacchanten spielen, dass er uns hinhielte, bis dass seine Gesellen zusammenkämen; da hatten wir gar einen redlichen Gesellen. mit Namen Antoni Schallbetter aus Wallis, der fürchtete vier oder fünf nicht, wie er denn das zu Naumburg und München wohl gezeigt hatte. Derselbe dräuete dem Mörder, er solle sich von uns machen; das that er. Nun war es spät, dass wir bloß in das nächste Dorf kommen konnten, und waren zwei Wirtshäuser da; sonst wenig Häuser. Da wir in das eine kamen, war der Mörder vor uns da und andere mehr, ohne Zweifel seine Gesellen. Da wollten wir nicht da bleiben und giengen in das andere Wirtshaus. Bald kamen sie auch in das Wirtshaus. Als man nun zu Nacht gegeffen hatte, war jeder so geschäftig im Haus, dass man uns kleinen Buben nichts geben wollte; denn wir saßen nirgends an dem Tisch zum Mahl, man wollte uns auch nicht niederführen, sondern wir mussten im Rossstall Liegen. Als man aber die Großen niederführte, sprach Antoni zum Wirt: „Wirt, mich dünkt, du habest seltsame Gäste, und du seiest nicht viel besser. Ich sage dir, Wirt, lege uns, dass wir sicher sind, oder wir werden dir ein Wesen machen, dass dir das Haus zu eng werden soll." Da begehrten die Schelme anfangs mit unseren Gesellen Schachzabel zu spielen (so nannten sie das Schach, das Wörtlein hatte ich nie gehört). Als man sie niederführte, ich und die andern kleinen Buben ungegessen im Rossstall lagen, waren in der Nacht etliche, vielleicht der Wirt selber, vor die Kammerthür gekommen und hatten wollen aufschließen. Da hat Antonius inwendig eine Schraube eingeschraubet vor das Schloss, das Bett an die Thür gerückt und ein Licht angeschlagen, denn er hatte allweg Wachskerzen und ein Feuerzeug bei sich; und hat die andern Gesellen schnell aufge= weckt. Wie das die Schelme hörten, sind sie gewichen. Am Morgen fanden wir weder Wirt noch Knecht; das sagten sie uns Buben, wir waren auch alle froh, dass uns im Stalle nichts geschehen war. Nachdem wir jezt eine Meile gegangen waren, kamen wir zu Leuten, welche, als sie gehört, wo wir zunacht gewesen waren, sich verwunderten, dass wir nicht alle ermordet waren; denn fast das ganze Dörflein war der Mörderei halben verdächtig.

III.

Eine Viertelmeile von Naumburg waren wieder unsere großen Gesellen in einem Dorfe zurückgeblieben; denn wenn sie zusammen zehren wollten, schickten sie uns voran. Da waren unser fünf, da kamen im weiten Felde acht auf Roffen an uns mit gespannten Armbrüsten, umritten uns, begehrten von uns Geld und kehrten die Pfeile gegen uns, denn da führte man noch keine Büchsen zu Ross. Und einer sprach: „Gebt Geld!" da antwortete einer unter uns, der ziemlich groß war: „Wir haben kein Geld, sind arme Schüler." Er sprach noch zweimal „Gebt Geld!" so sagte unser Gesell wieder: „Wir haben kein Geld, und geben euch kein Geld, und sind euch nichts schuldig." Da zuckte der Reiter das Schwert, hieb ihm stracks am Kopfe hin, dass er ihm die Schnüre auf dem Bündel zerhieb.

Unser Geselle hieß Johannes von Schalen von Visp aus dem Dorfe. Sie ritten davon wieder in ein Holz, wir aber giengen auf Naumburg zu, bald kamen unsere Bacchanten, die hatten die Schelme nirgends gesehen. Wir sind auch sonst oft in Gefahr gewesen, der Reiter und Mörder halb, als im Thüringer Walde, in Franken, in Polen.

IV.

Zu Naumburg blieben wir etliche Wochen. Wir Schüßen giengen in die Stadt, etliche sangen, die singen konnten, ich aber gieng betteln. Wir giengen da aber in keine Schule. Das wollten die andern nicht leiden und drohten, uns in die Schule zu ziehen. Der Schulmeister entbot auch unseren Bacchanten, sie sollten in die Schule kommen, oder man würde sie faffen; Antoni entbot ihm wieder, er möchte nur kommen! Und als etliche Schweizer auch da waren, ließen diese uns wissen, auf welchen Tag man kommen würde, damit man uns nicht unversehens überfiele. Da trugen wir kleinen Schüßen Steine auf das Dach, Antoni aber und die andern nahmen die Thür ein. Da kam der Schulmeister mit der ganzen Procession seiner Schüßen und Bacchanten, aber wir Buben warfen mit Steinen auf sie, dass sie weichen mussten. Als wir nun vernahmen, dass wir vor der Obrigkeit verklagt waren, hatten wir einen Nachbar, der seiner Tochter einen Mann gehen wollte, der hatte einen Stall mit gemästeten Gänsen, dem nahmen wir nachts drei Gänse und zogen in den andern Theil der Stadt, eine Vorstadt, wieder ohne Ringmauern, wie auch der Ort war, wo wir bisher gewesen waren; da kamen die Schweizer zu uns, zechten mit einander, und zog von da unser Haufe auf Halle in Sachsen zu, und giengen in die Schule zu St. Ulrich.

V.

Da sich aber unsere Bacchanten so ungebührlich gegen uns hielten, wurden unser etliche mit Paulo, meinem Vetter, einig, von den Bacchanten zu laufen und zogen gen Dresden. Da war daselbst eine durchaus nicht gute Schule und auf der Schule in den Habitazen 1) alles voll Läuse, dass wir zu Nacht im Stroh unter uns haben knistern hören. Wir brachen auf und zogen auf Breslau zu, mussten viel Hunger unterwegs erleiden, also dass wir etliche Tage nichts als rohe Zwiebeln gesalzen aßen, etliche Tage gebratene Eicheln, Holzäpfel und Birnen, manche Nacht lagen wir unter heiterm Himmel, denn nirgend wollte man uns bei den Häusern leiden, wie freundlich wir auch um Herberge baten, manchmal hezte man die Hunde auf uns. Da wir aber gen Breslau in Schlesien kamen, da war alles vollauf, ja so wohlfeil, dass sich die armen Schüler überaßen und oft in große Krankheiten fielen. Da giengen wir zuerst im Dom zum heiligen Kreuz in die Schule. Als wir aber vernahmen, dass in der obersten Pfarre zu St. Elisabet etliche Schweizer waren, zogen wir dahin. Die Stadt Breslau hat sieben Pfarren und jegliche eine besondere Schule; es durfte kein Schüler in

1) Schlafkammer der fremden Schüler.

des andern Pfarre singen gehen, oder sie schrien: ad idem, ad idem! So liefen dann die Schüßen zusammen und schlugen einander gar übel. Es sind auf einmal in der Stadt, wie man sagt, etliche tausend Bacchanten und Schüßen ge= wesen, die sich alle des Almosens ernährten. Man sagt auch, dass etliche von zwanzig, dreißig Jahren und mehr dagewesen wären, die ihre Schüßen hatten, die ihnen präsentierten. Ich hab meinen Bacchanten oft an einem Abend fünf oder sechs Trachten heim auf die Schule getragen, wo sie damals wohnten. Man gab mir auch recht gern, darum dass ich klein war und ein Schweizer, denn man hatte die Schweizer sehr lieb.

VI.

Von dannen zogen unser acht wieder hinweg auf Dresden zu; kamen wieder in Noth, dass wir wieder großen Hunger litten. Da beschlossen wir, uns auf einen Tag zu theilen, etliche sollten nach Gänsen aussehen, etliche nach Rüben und Zwiebeln, einer nach einem Topf, wir Kleinen aber in die Stadt Neumark gehen, die nicht weit davon an der Straße war, und sollten nach Brot und Salz lugen, auf den Abend vor der Stadt wieder zusammenkommen, so wollten wir außerhalb der Stadt ein Lager schlagen und kochen, was wir dann hätten. Da war einen Büchsenschuss von der Stadt ein Brunnen, dort wollten wir die Nacht bleiben, aber wie man in der Stadt das Feuer gesehen hatte, schoss man zu uns heraus, traf jedoch nicht. Da wichen wir hinter einen Rain zu einem Wässerlein und Wäldlein; die großen Gesellen hieben Stangen ab, machten eine Hütte, ein Theil rupfte die Gänse, deren hatten wir zwei; andere rösteten Rüben im Topf, thaten Kopf und Füße, item die Därme hinein, andere machten zwei hölzerne Spieße und fiengen an zu braten; und wo es ein wenig roth war, huben wir es am Spieß ab und aßen's, also auch die Rüben. In der Nacht hörten wir etwas schnattern; da war neben uns ein Weiher, den hatte man am Tag abgelassen, und sprangen die Fische auf dem Schlamm. Da nahmen wir Fische so viel wir in einem Hemde am Stecken tragen konnten und zogen davon, bis in ein Dorf; da gaben wir einem Bauern Fische, dass er uns die andern in Bier kochte.“

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Am meisten und tiefsten für christlich-wissenschaftliche Jugendbildung vor der Reformation wirkten die Brüder des gemeinschaftlichen Lebens. Sie waren ursprünglich Mitglieder eines nach dem heiligen Hieronymus benannten geistlichen Ordens. Der Stifter der nachmaligen zu Deventer in den Niederlanden 1334 gestifteten Congregation war Gerhard Groote. Er studierte auf der Universität zu Paris, erwarb sich große Gelehrsamkeit und wurde bald Domherr zu Aachen. Er zog sich dann drei Jahre in ein Kloster zurück, ohne jedoch Mönch zu werden. In die Welt zurück

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