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und häufig auch ernüchternd, nach den Gründen und Grenzen solchen Ruhmes.

Aber eines ist bei Nietzsche allerdings auffällig, und hier beginnt sofort das Paradoxe und Problematische für einen, der sich eingehender mit ihm beschäftigt. Wie kommt es, daß jenes Inkubationsstadium bei ihm so viel kürzer war als bei Schopenhauer, daß es mit seinem Indie-Mode-Kommen und Berühmt-werden so viel rascher gegangen ist? Wenn darauf seine Anhänger und Verehrer antworten wollten: weil er so viel größer ist! so mahnt ein Wort von Kuno Fischer: „Von Schopenhauer ist mehr zu lernen als von Zarathustra!" solchem Überschwang gegenüber mindestens zur Vorsicht; dagegen wer= den sie auch in Nietzsches eigenem Sinne nichts einwenden wollen, wenn ich zwar das „größer“ dahingestellt sein lasse, aber hinzufüge: jedenfalls aber noch viel unzeitgemäßer! Doch damit schürzt sich das Problem erst recht, wie dieser unzeitgemäße Geist so schnell hat zeitgemäß und populär, geradezu zum Abgott und Propheten der Zeit hat werden können, der er doch so viel Böses nachsagte und die er so geflissentlich brüskierte. Darauf wird die ganze folgende Darstellung seines Lebens und Philosophierens die Antwort zu geben haben; aber ein paar auf der Hand liegende Gründe für dieses ungeahnt rasche Populär-werden des Unpopulären müssen wir doch hier schon aufzählen, um uns so den Zugang zu ihm und das Verständnis für ihn zu erschließen.

Sie liegen zum Teil äußerlich in der Form. Nietzsche ist ein glänzender Stilist, feingeschliffen und kunstvoll gefaßt breitet er seine Gedanken vor uns aus, und wie wir gerade durch Schopenhauer gelernt haben, daß man, um tief zu sein, nicht schwerfällig und plump sein müsse, so ist das der Köder, der von ihm ausgeworfen mit gutem Grund ihm viele Leser und Verehrer gewinnt

und zuführt. Wer Sinn und ästhetisches Gefühl für Stil hat, muß sich an Nietzsche freuen, wenn wir auch selbst nach dieser Seite hin später allerhand Vorbehalte und Einschränkungen zu machen haben werden; durch den Vorwurf, daß wer so gut und gewählt schreibe, ungründlich und oberflächlich bleiben müsse, braucht man sich jedenfalls nicht mehr bange machen zu lassen. Zum zweiten ist Nietzsche Aphorist. In unserer schnelllebenden hastigen Zeit wer kann und mag da noch mit Geduld ernst= hafte Bücher ganz durchlesen? Nietzsches Werke aber darf man nur aufschlagen, immer findet man etwas Fertiges, Abgerundetes, Ganzes; er ist der Philosoph des Augenblicks, weil er für jeden Augenblick ein Ganzes giebt. Und Nietzsche ist Paradoxist. Die Paradorie aber ist so recht die Form der Jugend: etwas von wagehalsiger Kühnheit steckt darin und, wenn sie sich mit dem Aphorismus paart, auch etwas von absoluter Souveränetät und Unverantwortlichkeit. Jede Paradorie ist wahr, weil sie immer nur halbwahr zu sein braucht, immer nur cum grano salis aufgefaßt werden darf; wird sie aber vollends als Aphorismus vorgetragen, so verbirgt sich ihre Herkunft nach rückwärts und ihre Konsequenz nach vorwärts, weder Vergangenheit noch Zukunft kommt dafür in Betracht, und so hat sie für den Augenblick gewonnenes Spiel, hat recht - avant nous et après nous le déluge! Endlich, Nietzsche ist Dichter nicht nur weil und wo er Verse macht und Dramen entwirft, sondern mitten in seiner Prosa und mitten in seinem Philosophieren; er ist der Dichter unter den Philosophen, wie vor Sokrates Empedokles ein solcher gewesen ist. Denn schon von Haus aus ist er eine durch und durch poetische, künstlerische Natur, das giebt seinen Gedanken den Glanz und den Schimmer, das Ansehen und den Reiz von Kunstwerken; auch Zarathustra ist eine dichterische Figur.

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Und seine Gedankendichtungen sind tief, oft dunkel, verborgen und einsam, geheimnisvoll und symbolisch. Darum berührt sich seine Art zu philosophieren und psychologisch zu analysieren und zu zerfasern mit dem fünstlerischen Symbolismus und Mysticismus und mit der litterarischen Vorliebe für das Ergründen und Erwühlen der intimsten seelischen Erlebnisse und Stimmungen, wie es seit etwa acht Jahren langsam, aber mächtig anwachsend in Kunst und Litteratur sich eingebürgert hat. Ein solcher Symbolist und Mystiker, ein solcher Psychologist und Analy= tiker ist auch Nietzsche, und so wird er geradezu zum Symbol und zum Führer dieser Richtung, so ist er mit einem Wort zeitgemäß geworden.

Das gilt aber nicht bloß von der Form, sondern auch vom Inhalt seiner Schriften. Den Übergang dazu bildet ein einzelner Zug, ich nenne es das Brutale in ihm, ohne damit vorläufig irgend welchen Tadel aussprechen zu wollen; das „Harte“ wäre mir dafür noch nicht bezeichnend genug. Auch das liegt unserer Zeit näher, als man denkt. Die siebziger Jahre waren, z. B. auf dem Gebiet des Strafrechts, Jahre der Humanität; heute sieht man in einer gewissen antiliberalen Stimmung darauf zurück als auf die Zeit des „Humanitätsschwindels“ und des „Gefühlsdufels“; das „Landgraf, werde hart!" ist kein ganz selten zu vernehmendes Wort. Auf einem anderen Boden nennt man es das „Schneidige" und meint damit jenen militaristischen Geist, dessen Typus der junge Reserveleutnant ist und der sich durch ihn auch auf civilistische Verhältnisse überträgt. Das „werdet hart“ tönt uns aber in ganz besonderer Schärfe aus Niezsches Schriften entgegen, und fast wie absichtlich zeigen einzelne Bilder von ihm die Züge eines halb schneidigen, halb verlegenen Reserveoffiziers.

Damit kommen wir aber zur Hauptsache und zum

eigentlichen Problem. Unsere Zeit ist social und socialistisch, das ist ihr Kennzeichen und Losungswort, und darin steckt doch immer schon ein Humanitäres, Mitleidsvolles, Menschenfreundliches, das Gegenteil von Härte, Brutalität und Schneidigkeit. Wie konnte in einem solchen socialistischen Zeitalter Nietzsche, dieser Gegner alles Socialen und Altruistischen, dieser dezidierte Individualist, der Modephilosoph werden?

Zunächst ist es gerade der Gegensaß, der anzieht und imponiert. Man hat spottend gesagt, der Socialismus werde an seiner eigenen Langeweile bald genug zu Grunde gehen. Damit hat es einstweilen noch gute Wege. Aber dieses blasierte und cynisch-frivole Wort entspricht unserer nach beständiger Abwechslung lüsternen und hastenden Zeit: wir sind überreizt, deshalb müssen die Reize, die uns erregen, stark sein und immer stärker werden; dabei greifen sie die Nerven an und stumpfen sich daher so schnell ab. Und aus diesem Grunde griff denn auch unsere raschlebende Zeit und unsere ungeduldig vorwärts drängende Jugend kritiklos nach Nietzsche, weil er neu war und im Gegensatz stand zu dem ihr bereits langweilig werdenden Socialismus. Aber Nietzsche ist, wenigstens oberflächlich angesehen, auch bequemer. Der Socialismus sinnt dem Einzelnen Opfer an, mutet ihm zu, sich in das Ganze zu fügen, sich der Armen und Elenden anzunehmen, ein Herz zu haben für seine Mitmenschen. Im Gegensaz dazu sagt Nietzsche: Sei du ein Einzelner für dich, sondere dich ab von der Masse und sei gegen andere hart und ohne Mitleid! Und soweit das bequem ist, schmeichelt es auch der Eitelkeit der Menschen. Zum Sturm und Drang der Jugend gehört es, grenzenund schrankenlos zu sein, sich für mehr zu halten, als sie ist, sich genial selbst zu überschäßen. Darum denkt jeder, er sei oder strebt jeder, daß er werde eine vornehme,

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geniale Natur im Sinne Nießsches, mit einem Wort ein Übermensch. Endlich, im Socialismus steckt wirklich eine Gefahr, die Gefahr des Gleichmachens und Nivellierens, die Gefahr, daß der Einzelne zu kurz komme und sich verliere, die Gefahr, daß uns der Respekt und der Sinn für das Einzelne und Große abhanden komme. Darum sieht der Socialismus in der Größe eines Einzelnen

man denke an sein Verhältnis zu Bismarck! - seinen Gegensah und seinen Feind. Socialismus und Heroenverehrung widersprechen sich, wenn jener siegt, ist es mit den Heroen aus. Und daher das Grauen vieler, die etwas auf sich und von sich halten, vor einer alles nivellierenden Socialdemokratie.

Solche Gegensatströmungen und plöglichen Umschwünge sind auf allen Gebieten des geistigen Lebens nichts Seltenes. Allein sie dringen doch nur dann durch, wenn hinter dem Gegensatz eine innere Verwandtschaft verborgen liegt; und auch das ist hier in fast paradorer und doch höchst einfacher Weise der Fall. Auch der Socialismus ist ein Kampf um den Einzelnen, um das Recht der Individualität. Die Arbeiter waren so lange nur Masse, nur Hände, jezt wollen sie Menschen werden, sich differenzieren, sich höher entwickeln, teilnehmen an den höchsten Gütern der Kultur. So steckt im Socialismus, den Nietzsche so einseitig und verständnislos nur der Gleichmacherei beschuldigt, ein individualisierendes und differen= zierendes Element, etwas vom Pathos der Distanz, da= durch ist er dem Wesen und der Art nach Niezsche viel verwandter, als es erst scheint. Socialist und Niezscheaner zugleich sein wollen, ist freilich ein Widerspruch und eine Gedankenlosigkeit, aber nur deswegen, weil die, die am lautesten beides zugleich zu sein behaupten, keinem von beiden auf den Grund sehen. Ein neues Kulturideal suchen beide, aber es nimmt sich, von oben und von

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