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kippung Nietsches ins Christliche war im Anzug, sie wird durch den Antichrist angekündigt.1) Cesare Borgia als Papst auch hier!

Doch dieser groteske Kanofsagang, diese lezte und größte Wandlung und Demaskierung im Entwickelungsgang des Wandlungsreichen und Vielgestaltigen, gegen die er sich mit solcher Heftigkeit zur Wehre sezte, blieb ihm erspart. Auf den Antichrist folgt das Ende in unheilbarem Wahnsinn. Namentlich in den Vorworten zu seinen Werken und am Ende des Antichrist sehen wir denselben in unheimlichster Deutlichkeit kommen, wachsen und ins Ungeheure sich steigern. Der gesunde Niezsche wäre vor allem nicht so geschmacklos, auch in seiner Eitelkeit nicht so geschmacklos gewesen.

So unerfreulich ist das Ende, ein Tragisches ohne Versöhnung; Hamlets Wort drängt sich uns auf die Lippen: welch ein edler Geist ist hier zerstört!

1) Ähnliches deutet auch Hans Gallwiz, Friedrich Nießsche. Ein Lebensbild. Dresden 1898, an, und noch bestimmter Bonus in einer Besprechung dieses Buches in den Preuß. Jahrbüchern Bd. 93, S. 132 ff. Beide haben aber Nießsche in eine viel zu „einseitig religiöse Beleuchtung“ gerückt, wie das Bonus schließlich selbst zugiebt.

Schluß.

Wir sind am Ende, und doch fehlt noch die Hauptsache, auch diesmal wieder die Position zu all dem vielen Negativen. Im lezten Buch der Umwertung aller Werte sollte dieses Positive zusammengefaßt werden, „die Philosophie der ewigen Wiederkunft“, die Apotheose des Lebens, dem es immer wieder da capo zuzurufen gilt, sollte hier noch folgen. Wohl wissen wir, daß der Wille zum Leben und sich steigernd der Wille zur Macht jenes Positive ist: „Leben selbst ist Wille zur Macht“. Aber wie sich Nietzsche dieses Leben und Ausleben, dieses Mächtigsein und Herrschen im einzelnen gedacht hat, das blieb er uns zu sagen schuldig: weder dichterisch hat er das Reich Zarathustras aufzubauen noch lehrhaft die Philosophie der ewigen Wiederkunft als lezter Jünger des Gottes Dionysos darzulegen vermocht. Wie die Welt aussieht, in der die neuen „Edelmenschen“ sich ausleben, Wollust, Herrschsucht und Selbstsucht zu Tugenden ge= worden sind und die Ausbeutung zum Prinzip erhoben ist, die Welt mit den neuen Tafeln und den oder dem herrschenden Einzelnen, das erfahren wir nicht. Denn es ging, wie damals in Basel, als er die Zukunft unserer Bildungsanstalten positiv darlegen sollte: er wurde krank und kam nicht mehr dazu.

So blieb die Aufgabe, seine Aufgabe ungelöst. Ist aber wenigstens die meinige, ein Bild von dem ganzen

Ziegler, Nietzsche.

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Menschen und damit selbst ein Ganzes zu geben, gelöst? Nietzsche versteht man nur entweder ganz oder man versteht ihn gar nicht. Nun heißt aber ganz und ein Ganzes glücklicherweise nicht alles. Denn bei einem so reichen und vielseitigen Schriftsteller und vor allem bei einem Aphoristen, der über alles redet wie Nießsche, ist es unvermeidlich, daß man vieles übergehen und unbesprochen lassen muß. Das thut dem Gesamtbild so lange keinen Eintrag, als das Übergangene kein Wesentliches ist und die Züge des Bildes dadurch nicht verändert werden. So wäre es z. B. möglich, Nietzsches Urteile über Kunst und Künstler zusammenzustellen und daraus einen Überblick über seine Ästhetik zu gewinnen. Allein hier ist doch alles so aphoristisch, vieles auch bereits veraltet, einzelnes, wie das, was er über die „Herkunft des Komischen“ sagt, so banal, die Hauptsache aber und der Schlüffel zu allen diesen Einzelurteilen, seine Anschauung vom Dionysischen und vom Genie auf der einen, sein Verhältnis zu Richard Wagner auf der anderen Seite früher schon so ausführlich besprochen, daß wir einer solchen Zusammenstellung neue Züge nicht mehr ab= gewinnen könnten.

Nur eines vermisse auch ich in meiner Darstellung Nietzsches Urteile über die Frauen, wie er sie im Zarathustra in dem Kapitel „Von alten und jungen Weiblein" oder im siebenten Hauptstück von „Jenseits von Gut und Böse“ zusammengefaßt hat. Sie habe ich nicht unterzubringen und einzureihen gewußt, vor allem deswegen nicht, weil mir zu ihrem Verständnis der Schlüffel fehlt. Nietzsche ist der allerpersönlichste Schriftsteller; seine philosophischen Anschauungen müssen daher stets im intimsten Zusammenhang mit seiner Persönlichkeit und mit seinen Erlebnissen betrachtet und verstanden werden; und so müßten auch seine Urteile über die Frauen aus per

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de l'amour

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sönlichen Erfahrungen und Eindrücken sich ableiten lassen. Ein Wort wie das: „der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es haßt: denn der Mann ist im Grunde der Seele nur böse, das Weib aber ist dort schlecht" hat eine Geschichte; die brutale Äußerung, daß ein Mann, der Tiefe habe, über das Weib immer nur orientalisch denken könne und es als „verschließbares Eigentum“ behandeln müsse, hat ihre Geschichte; und auch das oft citierte Du gehst zu Frauen? Vergiß die Peitsche nicht!" ist nur persönlich zu erklären. Darüber täuscht auch die ausdrückliche Verwahrung: „Zarathustra kennt wenig die Weiber" nicht hinweg, wenn man auch zugeben mag, daß fremder Einfluß ich denke an Stendhals Schrift den thatsächlichen Mangel an mannigfaltiger Erfahrung gelegentlich ergänzen mußte. Über diesen Punkt ist nun aber die Biographie der Schwester in den beiden bis jezt erschienenen Bänden von einer offenbar absichtlichen Prüderie und Schweigsamkeit; Malvida von Meysenbug, seine mütterliche Freundin, weiß darüber nichts zu berichten, und auch Frau Lou Andreas-Salomé steuert in ihrem gescheiten Buche über Niezsche höchstens so viel dazu bei, als man zwischen den Zeilen lesen kann, auch hat sie zu kurz mit ihm in Verkehr gestanden. Etwas mehr findet man davon bei Fräulein Meta von Salis-Marschlins, die sich sogar fragen läßt, warum Nietzsche und sie sich nicht geheiratet haben, es aber dann doch nicht über sich gewinnt, darauf die einzig richtige und ehrliche Antwort zu geben: weil er sie nicht gewollt habe. Allein gerade ihr eitles Gerede läßt schließen, daß andere über diesen Punkt vielleicht doch mehr zu erzählen hätten. Dabei verstehe man mich recht: ich halte Nietzsche auch hierin für eine vornehme, noch deutlicher, für eine reinliche Natur. Des= halb könnte er aber doch manches erlebt haben, was für

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das Verhältnis von Mann und Frau bedeutsamer ist, als der rein geistige Verkehr mit so hochstehenden Frauen wie Fräulein von Meysenbug oder Frau Cosima Wagner. Die Frau, die ein „Spielzeug" ist und zugleich eine gefährliche und schöne Kaze“, deren Gemüt „Oberfläche ist, eine bewegliche stürmische Haut auf einem seichten Gewässer“, fehlt unter den uns bekannten Freundinnen, und doch wären Beziehungen Nießsches zu einem solchen „Wilderen, Wunderlicheren, Süßeren, Seelenvolleren", wäre die Kenntnis von einem großen Erlebnis und einer großen Enttäuschung in der Liebe der Schlüssel zu vielem. Solange wir ihn nicht haben, stehen seine Urteile über die Frauen für uns in der Luft, sie wollen sich jedenfalls mir nicht einfügen in das Ganze seiner Persönlichkeit. Das bestätigt sich uns auch durch das, was wir an diesen Urteilen wirklich auf persönliche Erlebnisse zurückführen und darum verstehen können. Ich meine einerseits das Bild seiner Schwester, das sich auf Grund ihrer Veröffentlichungen auch vor uns immer deutlicher ausbreitet und darlegt und uns manches allgemeine Urteil des Bruders über die Frauen verständlich macht; und dann vor allem seine Beziehungen zu den sich an ihn herandrängenden „Litteraturweibern“. Diese lezteren lassen uns vor allem seine Wut verstehen über die „Dummheit“, daß Frauen selbst die Emanzipation des Weibes verlangen und fördern, eine Dummheit, „i deren sich ein wohlgeratenes Weib von Grund aus zu schämen hätte", und ebenso seinen Unwillen über die „Entzauberung“ und die „Verlangweiligung“ des Weibes, die er durch diese Bewegung heraufkommen sieht. Und endlich steckt auch in diesen Urteilen wiederum etwas wie Selbstüberwindung und Sehnsucht: ihm selbst haftet von seiner Erziehung und von seinen Nerven her etwas Feminines an, darum stellt er im Gegensah dazu

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