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So habe ich mich zur Herausgabe entschlossen, zumal da ich in meinem Buch über die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts" wie vielfach so gerade auch in dem über Nietzsche Gesagten manches unbegründet habe lassen müssen. Als eine erste Ergänzung zu jenem größeren Werk mag also diese Schrift gelten. Vielleicht erkennt der eine oder andere der vielen unholden Kritiker jenes Buches daraus nachträglich, daß hinter den leichtgeschürzten Skizzen desselben weit mehr ernsthafte Arbeit steckt, als sie sich das in ihrer mir so weit überlegenen Weisheit und Gründlichkeit haben vorstellen mögen.

Das Büchlein gestatte ich mir Herrn Professor Sigwart in Tübingen zu seinem siebzigsten Geburtstag zu überreichen. Neben J. F. Reiff war er mein erster Lehrer in Philosophie, dem ich sehr vieles verdanke, insbesondere auch mein Interesse für wissenschaftliche und angewandte Psychologie. Daß ich diesem Meister der Logik eine Schrift über den großen Alogiker widme, ist keine beabsichtigte Paradoxie, sondern lediglich ein Zufall. Ich bin in diesem Jahr Rektor der Straßburger Universität und kann daher keine neue für jenen Anlaß sich beffer eignende Arbeit unternehmen, sondern muß mich begnügen, ein in der Hauptsache Fertiges vollends zum Abschluß zu bringen. Und da das Buch zur Einreihung in eine Sammlung von Biographien bestimmt ist und dieselbe eröffnen soll, so muß ich mit meiner Geburtstags= gabe auch noch zu früh kommen. So bitte ich Herrn Professor Sigwart, dieses Zeichen meiner dankbaren Gesinnung mit allerlei freundlicher Nachsicht aufnehmen zu wollen.

Straßburg im August 1899.

Theobald Ziegler.

Inhaltsübersicht.

Seite

Einleitung .

Wie der „Unzeitgemäße“ so rasch populär geworden. Der
Fall Niezsche ein Zeitproblem.

Nietzsches Kindheit und Jugend

1-9

10-18

Herkunft. Kindheit und Elternhaus. Schulzeit in Naum= burg und Schulpforta. Universitätsjahre. Berufung nach Basel.

Perioden seiner schriftstellerischen Thätigkeit . . 18-23 Von wann an ist Nießsche geistig krank? Drei Perioden. Erste Periode: Nietzsche im Banne Schopenhauers und Wagners

1. Die Geburt der Tragödie

24-75

24-38

Niezsche als Philologe. Das Problem von der Ent=
stehung der Tragödie bei den Griechen. Apollinisch und
Dionysisch. Der Tod der Tragödie: Euripides und
Sokrates. Wiedergeburt der Tragödie durch Musik und
Mythus. Wilamowiß und Rohde über die Schrift. Die
Empedokles-Tragödie; Hölderlin und Nießsche.

"

2. Niezsche als Kritiker der deutschen Kultur . 38-57 Kritik der Jeztzeit. David Strauß, der Bekenner und Schriftsteller". Der „Unzeitgemäße“. „Vom Nußen und Nachteil der Historie für das Leben“. Basler Vorträge über die Zukunft unserer Bildungsanstalten". Die Kulturlosigkeit der Deutschen.

3. Schopenhauer als Erzieher

57-63

Niezsches Verhältnis zu Schopenhauer. Der dionysische
Denker und das Ziel aller Geschichte und Kultur. Der
Schopenhauersche Mensch. Dissonanz zwischen Ideal und
Wirklichkeit; Romantik.

4. Niehsches Freundschaft mit Richard Wagner
und der Bruch mit ihm

63-75

Persönliche Beziehungen zu Wagner. ,,Bayreuther
Horizontbetrachtungen". Beginnende Entfremdung. „Richard
Wagner in Bayreuth". Enttäuschung bei Eröffnung der
Bayreuther Bühnenfestspiele. Bruch. „Der neue Umblick“.
„Der Fall Wagner“ und „Nießsche contra Wagner“.

Zweite Periode: Nietzsche als Positivist

Wie Niezsche Positivist geworden. Paul Rée.
Süden. „Menschliches Allzumenschliches“.

1. Das Moralproblem

Geite 76-113

Der

82-87

Psychologische, nicht metaphysische Grundlage. Die Quellen der Moral. Kastenmoral.

2. Das Kulturproblem

87-93

Neue Schäßung des Sokrates und der Wissenschaft. Gegen das „Genie“. Mindere Wertung des Künstlers und der Kunst. Das Ziel ist Erkenntnis.

3. Staat und Religion

Der

94-101

gute

Demokratie als Verfallform des Staates.
Europäer". Unentbehrlichkeit des Krieges. Gegen die Religion.
Gegen das Christentum. Allerlei Irrtümer aufs Eis gelegt.
4. Übergang zur dritten Periode

101-113

Psychologie und Physiologie. Der Positivismus als Maske und Selbstvergewaltigung. Idealismus und Religiosität. Der „Wanderer“. Poesie. Beziehung zur Natur. Tänzer und Luftschifffahrer. Gegen die Tyrannei des Wahren. Fröhliche Wissenschaft, incipit tragoedia.

Dritte Periode: Zarathustra und seine Verkündigung 1. Nietzsche als Dichter

1. Epigrammatisches und Lyrisches

114-192

114-128

114-121

Zarathustra ist ein Dichter. Epigramme. Gedankenlyrik.
Lyrische Prosa.

2. Also sprach Zarathustra

121-128

Stil. Symbolismus. Verständnis und Deutung des Buches. Die Gestalt Zarathustras. Inhalt und Komposition. Der fehlende Schluß und die Entwürfe dazu.

II. Zarathustras Verkündigung

1. Die Wiederkunft des Gleichen

129-192

129-137

Formulierung und Herkunft dieser Lehre. Ihr Beweis. Religiöses und sittliches Ideal. Nießsche „muß“ daran glauben, also will" er es auch. Apotheose des Lebens.

2. Der Übermensch

137-148

Wo Nietzsche das Wort vom Wege aufgelesen. Drei Auffassungen: die überart, der neue Adel, der geniale Ausnahmemensch. Der dreifache Gegensaß. Das Persönliche in dieser Lehre.

Geite

3. Die Umwertung aller Werte . Das Hauptwerk und seine vier Teile. a) Der Immoralist

. . 148-192

149-177

Der Kampf um den Einzelnen im 19. Jahrhundert. Niezsches Moralphilosophie in ihrem historischen Zusammenhang. Sein Gegensaß gegen Socialismus und Anarchismus. Sein Herrschaftsideal. Opposition gegen die englische und die Schopenhauersche Moral. Die philologische Herleitung der moralischen Werturteile: gut und schlecht, nicht gut und böse. Die Werte geschaffen durch die Vornehmen und Mächtigen. Napoleon I. Zum Herrscher wird man durch Leiden. Grausamkeit und Härte. Die persönlichen Züge in diesem Bild des Herrschers. Die Selbstsucht selig und heilig gesprochen. Einschränkung der Selbstsucht. Der Sklavenaufstand in der Moral. Dekadenten. Die ganze Konzeption ist sophistisch und unhistorisch. Die KleineLeute-Moral des Ressentiment. Das böse Gewissen. Die asketischen Ideale. Der Priester und seine Mission. Auch Wissenschaft ist Askese.

b) Der freie Geist.

177-183

Auflösung des Dings an sich. „Wir Psychologen". Das Problem vom Werte der Wahrheit. Der Philosoph als Künstler und Schaffender. „Wir Immoralisten“. Nießsche als freier Geist und als Philosoph. Gözendämmerung". c) Der Antichrist

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184-192

Christentum und Buddhismus lebensfeindlich, asketisch.
Religion von Priestern geschaffen. Das Alte Testament
höher als das Neue. Jesus als heiliger Anarchist und
Symbolist. Die Apostel und das Neue Testament. Die
Kirche zerstört das imperium Romanum. Die Renaissance,
Cesare Borgia der lezte Papst. Luther macht die Renaissance
zu einem großen Umsonst. Sind wir noch Christen? Der
Schluß voll Haß. Niezsche auf dem Weg zum großen
Symbolisten? Das Ende im Wahnsinn.

Schluß.

193-202

Das Positive zu aller dieser Negation fehlt. Ein Ganzes, nicht alles. Nießsches Urteile über die Frauen. Schwierig= feit ihn zu widerlegen. Nießsches Einfluß. Nießsche als Vorkämpfer des Individualismus. Was von ihm bleiben wird?

Einleitung.

Schopenhauer hat die Philosophieprofessoren seiner Zeit verantwortlich gemacht für die vierzigjährige Nichtbeachtung seiner Philosophie: er fabulierte von einer Verschwörung derselben, um ihn zu „sekretieren“, und von den Angstzuständen dieser Herren vor ihm und seinen Schriften. Als aber seine Zeit gekommen war und seine Bücher wirklich gelesen wurden, da haben sich die Philosophieprofessoren ohne alle Angst mit ihm beschäftigt, haben über ihn gelesen und geschrieben und Preisaufgaben über seine Philosophie gestellt. Das Inkubationsstadium für Friedrich Niezsche und seine Werke jede bedeutende geistige Erscheinung hat ein solches war fürzer: 1872 erschien seine erste philosophische Schrift, und schon zwanzig Jahre später war seine Zeit gekommen, Niezsche zum Modephilosophen und vor allem zum Philosophen der Jugend geworden; und nun fingen auch alsbald die Professoren an über ihn zu schreiben und zu lesen. Daraus folgt, daß auch hier das Wort Hegels von der Eule der Minerva gilt, die ihren Flug erst mit der einbrechenden Dämmerung beginnt. Nicht wir Professoren machen den Ruhm eines Schriftstellers oder Philosophen, der kommt ohne unser Zuthun unabhängig von uns, wir hinken vielmehr hinterdrein und fragen, etwas nüchtern

Ziegler, Nietzsche.

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