*) Bürgers Gedichte, mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Julius Tittmann, Leipzig 1869. - - Heinrich Pröhle, Bürger, sein Leben und seine Dichtungen, Leipzig 1856.
**) Max Wilhelm Göinger, deutsche Dichter erläutert, 3. Aufl. 2 Teile. 1857. (Bürgers Leonore Wilhelm erläutert I, 176 ff.) · Gude, Erläuterungen I, 107 ff. Lüben und Nade II, 193 ff. Pröhle, S. 77 ff. Karl Ludwig Leimbach, ausgewählte Wadernagel, Raffel 1835 (Programm). deutsche Dichtungen erläutert, 2. Aufl., 4 Teile, Kassel, Theodor Kay, 1878-1880. (Bürgers Leonore erläutert I, 58 ff.) Aus deutschen Lesebüchern III, 479.
Sie frug den Zug wohl auf und ab Und frug nach allen Namen; Doch keiner war, der Kundschaft gab, Von allen, so da kamen.
Als nun das Heer vorüber war, Zerraufte sie ihr Rabenhaar Und warf sich hin zur Erde Mit wütiger Geberde.
Die Mutter lief wohl hin zu ihr: „Ach, daß sich Gott erbarme! Du trautes Kind, was ist mit dir?" Und schloß sie in die Arme. „O Mutter, Mutter! hin ist hin! Nun fahre Welt und alles hin! Bei Gott ist kein Erbarmen. O weh, o weh mir Armen!“
„Hilf, Gott, hilf! Wer den Vater kennt, Der weiß, er hilft den Kindern. Das hochgelobte Sakrament Wird deinen Jammer lindern."
,, Mutter! Mutter! was mich brennt, Das lindert mir kein Sakrament! Kein Sakrament mag Leben Den Toten wiedergeben."
"Hör', Kind! Wie, wenn der falsche Mann
Im fernen Ungerlande Sich seines Glaubens abgethan Zum neuen Ehebande?
Laß fahren, Kind, sein Herz dahin! Er hat es nimmermehr Gewinn! Wann Seel' und Leib sich trennen, Wird ihn sein Meineid brennen."
„O Mutter, Mutter! Hin ist hin! Verloren ist verloren!
Der Tod, der Tod ist mein Gewinn! Owär' ich nie geboren!
Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus! Stirb hin! stirb hin in Nacht und Graus! Bei Gott ist kein Erbarmen.
O weh, o weh mir Armen!".
„Hilf, Gott, hilf! Geh nicht ins Gericht Mit deinem armen Kinde!
Sie weiß nicht, was die Zunge spricht; Behalt' ihr nicht die Sünde! Ach, Kind, vergiß dein irdisch Leid Und denk' an Gott und Seligkeit, So wird doch deiner Seelen Der Bräutigam nicht fehlen!" -
„Mutter! was ist Seligkeit? O Mutter, was ist Hölle? Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit, und ohne Wilhelm Hölle!
Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!
Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus!
Ohn' ihn mag ich auf Erden, Mag dort nicht selig werden!"
So wütete Verzweifelung Ihr in Gehirn und Adern. Sie fuhr mit Gottes Vorsehung Vermessen fort zu hadern, Zerschlug den Busen und zerrang Die Hand bis Sonnenuntergang, Bis auf am Himmelsbogen Die goldnen Sterne zogen.
Und außen, horch! ging's trapp, trapp, trapp,
Als wie von Rosses Hufen; Und klirrend stieg ein Reiter ab An des Geländers Stufen.
Und horch! und horch! den Pfortenring Ganz leise, leise, flinglingling! Dann kamen durch die Pforte Vernehmlich diese Worte:
Wie flog, was rund der Mond beschien, Wie flog es in die Ferne! Wie flogen oben über hin
Der Himmel und die Sterne!
Graut Liebchen auch? . . . . der Mond scheint hell!
Hurra! die Toten reiten schnell! Graut Liebchen auch vor Toten?" , weh! laß ruh'n die Toten!"
„Rapp'! Rapp'! Mich dünkt, der Hahn schon rust
Bald wird der Sand verrinnen. Rapp'! Rapp'! ich wittre Morgenluft Rapp'! tummle dich von hinnen! Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf; Das Hochzeitbette thut sich auf! Die Toten reiten schnelle! Wir sind, wir sind zur Stelle."
Rasch auf ein eisern Gitterthor Ging's mit verhängtem Zügel: Mit schwanker Gert' ein Schlag davor Zersprengte Schloß und Riegel. Die Flügel flogen klirrend auf, Und über Gräber ging der Lauf; Es blinken Leichensteine Rundum im Mondenscheine.
Ha sieh'! Ha sieh'! im Augenblick Huhu! ein gräßlich Wunder! Des Reiters Roller, Stück für Stück, Fiel ab, wie mürber Zunder. Zum Schädel ohne Zopf und Schopf, Zum nackten Schädel ward sein Kopf; Sein Körper zum Gerippe Mit Stundenglas und Hippe.
Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp'
Und sprühte Feuerfunken: Und hui! war's unter ihr hinab Verschwunden und versunken. Geheul, Geheul aus hoher Luft, Gewinsel kam aus tiefer Gruft; Lenorens Herz, mit Beben, Rang zwischen Tod und Leben.
Nun tanzten wohl bei Mondenglanz Rundum herum im Kreise
Die Geister einen Kettentanz Und heulten diese Weise:
„Geduld! Geduld! Wenn's Herz auch
Mit Gott im Himmel hadre nicht!
Des Leibes bist du ledig:
Gott sei der Seele gnädig!"
× Das Lied vom braven Mann.*) 1776. ¿
Hoch klingt das Lied vom braven Mann, Wie Orgelton und Glockenklang. Wer hohen Muts sich rühmen kann, Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang. Gottlob! daß ich singen und preisen kann, Zu singen und preisen den braven Mann.
Der Tauwind kam vom Mittagsmeer Und schnob durch Welschland trüb und feucht.
Die Wogen flogen vor ihm her, Wie wann der Wolf die Herde scheucht. Und fegte die Felder, zerbrach den Forst, Auf Seen und Strömen das Grundeis borst.
Am Hochgebirge schmolz der Schnee, Der Sturz von tausend Wassern scholl, Das Wiesenthal begrub ein See, Des Landes Heerstrom wuchs und schwoll; Hoch rollten die Wogen entlang ihr Gleis Und rollten gewaltige Felsen Eis.
*) Göinger 1, 206 ff. Gude II, 147 ff. Leimbach 1, 18 ff. Me
Auf Pfeilern und auf Bogen schwer, Aus Quadersteinen von unten auf, Lag eine Brücke d'rüber her, Und mitten stand ein Häuschen drauf. Hier wohnte der Zöllner mit Weib und
„Zöllner! o Zöllner! entfleuch geschwind!"
Es dröhnt' und dröhnte dumpf heran; Laut heulten Sturm und Wog' ums Haus. Der Zöllner sprang zum Dach hinan Und blickt' in den Tumult hinaus. „Barmherziger Himmel erbarme dich! Verloren! verloren! wer rettet mich?“
Die Schollen rollten, Schuß auf Schuß, Von beiden Ufern, hier und dort; Von beiden Ufern riß der Fluß Die Pfeiler samt den Bogen fort. Der bebende Zöllner mit Weib und Kind, Er heulte noch lauter, als Strom und Wind. Lüben und Nade II. 160 ff
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