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Kühl zu deinem Verstand spricht jegliche Lehre; sie bleibt dir
Ewig ein Totes, sobald fremd sie von außen dir kommt.
Was dir ein anderer giebt, und wär' es das Köstlichste, frommt nicht,
Wenn du den schlafenden Klang tief in der Seele nicht trugst.
Wunder begreifen sich nicht, du mußt sie im Innern erleben.
Jeglicher Glaub' ist ein Wahn, den du nicht selber erfuhrst.
Nur was selbst du erkennst als ein Göttliches, das dir herabkam,
Hat, ein lebendiger Hauch, dich zu verwandeln die Macht.

Morgenwanderung. *)

Wer recht in Freuden wandern will, Der geh' der Sonn' entgegen! Da ist der Wald so kirchenstill, Kein Lüftchen mag sich regen; Noch sind nicht die Lerchen wach, Nur im hohen Gras der Bach Singt leise den Morgensegen.

Die ganze Welt ist wie ein Buch,
Darin uns aufgeschrieben

In bunten Zeilen manch ein Spruch,
Wie Gott uns treu geblieben;
Wald und Blumen nah und fern
Und der helle Morgenstern

Sind Zeugen von seinem Lieben.

Da zieht die Andacht wie ein Hauch Durch alle Sinnen leise,

Da pocht ans Herz die Liebe auch
In ihrer stillen Weise,

Pocht und pocht, bis sich's erschließt,
Und die Lippe überfließt
Von lautem, jubelndem Preise.

Und plößlich läßt die Nachtigall
Im Busch ihr Lied erklingen,
In Berg und Thal erwacht der Schall
Und will sich aufwärts schwingen,
Und der Morgenröte Schein
Stimmt in lichter Glut mit ein:
Laßt uns dem Herrn lobsingen!

Der Mai ist gekommen. **)

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus,
Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus!
Wie die Wolken dort wandern am himmlischen Zelt,
So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.

Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt'!
Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht?
Es giebt so manche Straße, die nimmer ich marschiert,
Es giebt so manchen Wein, den ich nimmer noch probiert.

Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl,
Wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Thal!
Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all';
Mein Herz ist wie 'ne Lerche und stimmet ein mit Schall.

Und abends im Städtlein, da kehr' ich durstig ein:
„Herr Wirt, Herr Wirt, eine Kanne blanken Wein!"
Ergreife die Fiedel, du lustiger Spielmann du,
Von meinem Schaß das Liedel, das sing ich dazu.

*) Lüben und Nade III, 584. - Leimbach II, 11. Aus deutschen Lesebüchern II, 703. **) Leimbach II, 8.

Aus deutschen Lesebüchern II, 445.

Und find' ich keine Herberg', so lieg'ich zur Nacht
Wohl unter blauem Himmel, die Sterne halten Wacht;
Im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach,
Es küsset in der Frühe das Morgenrot mich wach.

O Wandern! o Wandern, du freie Burschenlust!
Da wehet Gottes Odem so frisch in der Brust,
Da finget und jauchzet das Herz im Himmelszelt;
Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt!

Schon fängt es an zu dämmern,

Der Mond als Hirt erwacht

Und singt den Wolkenlämmern

Ein Lied zur guten Nacht;
Und wie er singt so leise,
Da dringt vom Sternenkreise
Der Schall ins Ohr mir sacht:

Gute Nacht.

Schlafet in Ruh, schlafet in Ruh!
Vorüber der Tag und sein Schall,
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.

Nun suchen in den Zweigen
Ihr Nest die Vögelein,
Die Halm' und Blumen neigen
Das Haupt im Mondenschein,
Und selbst des Mühlrads Wellen
Lassen das wilde Schwellen
Und schlummern murmelnd ein.

Schlafet in Ruh, schlafet in Ruh!
Vorüber der Tag und sein Schall,
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.

Von Thür zu Thüre wallet
Der Traum, ein lieber Gast,
Das Harfenspiel verhallet
Im schimmernden Palast.
Im Nachen schläft der Ferge,
Die Hirten auf dem Berge
Halten ums Feuer Rast.

Schlafet in Ruh, schlafet in Ruh!
Vorüber der Tag und sein Schall,
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.

Und wie nun alle Kerzen Verlöschen durch die Nacht, Da schweigen auch die Schmerzen, Die Sonn' und Tag gebracht; Lind säuseln die Cypressen, Ein seliges Vergessen Durchweht die Lüfte sacht.

Schlafet in Ruh, schlafet in Ruh!
Vorüber der Tag und sein Schall,
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.

Und wo von heißen Thränen
Ein schmachtend Auge blüht,
Und wo in bangem Sehnen
Ein liebend Herz verglüht,
Der Traum kommt leis und linde
Und singt dem kranken Kinde
Ein tröstend Hoffnungslied.

Schlafet in Ruh, schlafet in Ruh!
Vorüber der Tag und sein Schall,
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.

Gute Nacht denn' all' ihr Müden,
Ihr Lieben nah und fern!
Nun ruh' auch ich in Frieden,
Bis glänzt der Morgenstern.
Die Nachtigall alleine
Singt noch im Mondenscheine
Und lobet Gott den Herrn.

Schlafet in Ruh, schlafet in Ruh!
Vorüber der Tag und sein Schall,
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.

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Minnelied,

Es giebt wohl manches, was entzücket, Es giebt wohl manches, was gefällt: Der Mai, der sich mit Blumen schmücket, Die güld'ne Sonn' im blauen Zelt. Doch weiß ich Eins, das schafft mehr Wonne, Als jeder Glanz der Morgensonne, Als Rosenblüt' und Lilienreis; Das ist getreu im tiefsten Sinne Zu tragen eine fromme Minne, Davon nur Gott im Himmel weiß.

Wem er ein solches Gut beschieden, Der freue sich und sei getrost! Ihm ward ein wunderbarer Frieden, Wie wild des Lebens Brandung tos't. Mag alles Leiden auf ihn schlagen: Sie lehrt ihn nimmermehr verzagen, Sie ist ihm Hort und sich'rer Turm; Sie bleibt im Labyrinth der Schmerzen Die Fackelträgerin dem Herzen, Bleibt Lenz im Winter, Ruh' im Sturm.

Doch suchst umsonst auf irrem Pfade Die Liebe du im Drang der Welt; Denn Lieb' ist Wunder, Lieb' ist Gnade, Die wie der Tau vom Himmel fällt. Sie kommt, wie Nelkenduft im Winde, Sie kommt, wie durch die Nacht gelinde Aus Wolken fließt des Mondes Schein; Da gilt tein Ringen, tein Verlangen, In Demut magst du sie empfangen, Als kehrt' ein Engel bei dir ein.

Und mit ihr kommt ein Bangen, Zagen, Ein Träumen, aller Welt versteckt; Mit Freuden mußt du Leiden tragen, Bis aus dem Leid ihr Kuß dich weckt; Dann ist dein Leben ein geweihtes, In deinem Wesen blüht ein zweites, Ein reineres voll Licht und Ruh'; Und todesfroh in raschem Fluten Fühlst du das eig'ne Ich verbluten, Weil du nur wohnen magst im Du.

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Es blüht; es ist der Lenz tief innen, Ein Geisteslenz für immerdar; Du fühlst in dir die Ströme rinnen Der ew'gen Jugend wunderbar. Die Flammen, die in dir frohlocken, Sind stärker als die Aschenflocken, Mit denen Alter droht und Zeit; Es leert umsonst der Tod den Köcher, So trinkst du aus der Liebe Becher Den süßen Wein: Unsterblichkeit.

Spät ist es hinter dunklen Gipfeln Färbt golden sich der Wolken Flaum; Tiefrötlich steigt aus Buchenwipfeln Der Mond empor am Himmelssaum. Der Wind fährt auf in Sprüngen, losen, Und spielet mit den weißen Rosen, Die rankend blüh'n am Fenster mir. O fäuselt, säuselt fort, ihr Lüfte, Und tragt, getaucht in Blumendüfte, Dies Lied und meinen Gruß zu ihr!

Rühret nicht daran!

Wo still ein Herz von Liebe glüht, O rühret, rühret nicht daran! Den Gottesfunken löscht nicht aus! Fürwahr, es ist nicht wohlgethan.

Wenn's irgend auf dem Erdenrund Ein unentweihtes Pläßchen giebt, So ist's ein junges Menschenherz, Das fromm zum ersten Male liebt.

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