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Art moralisch-didaktisches Epos, das Leben des Bõēthius, bereits aus dem Ende des 10. Jahrhunderts, also wenigstens noch um 100 Jahre vor dem ersten bekannten Troubadour, dem Grafen von Poitiers und Herzog von Aquitanien, Wilhelm dem neunten, welcher von 10711127 lebte, während das älteste italiänische Gedicht etwa um 1200 verfasst sein mag. Die provenzalische Poesie war in der Zeit, aus welcher uns Werke geblieben sind, wesentlich lyrische Poesie und zwar Kunstpoesie; ihr hauptsächlichster Gegenstand war ein unerschöpflicher, die Liebe, jedoch keinesweges so ausschliesslich als bei den späteren nordfranzösischen Trouvères und den deutschen Minnesängern. Von den Neueren wird sie gewöhnlich in ihren Litteraturgeschichten, Geschichts - Handbüchern und Encyclopädien mit dem Namen des Gay Saber oder der Gaya Sciensa (d. i. lustige Wissenschaft) beehrt. Zur Zeit der altprovenzalischen Troubadours führte sie diesen Namen nicht. Erst nach dem Untergange derselben wurde die im Jahre 1323 durch die Sobregaya Companhia dels set Trobadors de Tolosa ins Leben gerufene zahme Afterpoesie so genannt, daher der Ausdruck auch zuerst in dem Leys d'amors erscheint. Auf die altprovenzalische Poesie angewandt ist dieser Name ein Anachronismus und zugleich eine Herabsetzung. Auszer den Canzonen und Streitgedichten der Troubadours verdienen besonders die Sirventesen oder Dienstgedichte Beachtung, die entweder zum Kampfe oder zu Kreuzzügen auffordern, die gegen die Groszen und Mächtigen Lob oder Tadel verhängen, und die sich besonders auch in scharfen Rügen und Satyren gegen die Verderbtheit und Entartung der Geistlichkeit und der Kirche aussprechen, also im Ganzen rein politischer und geschichtlicher Natur sind, und vor den erstaunten Augen des Lesers ein groszes und doch wenig oder gar nicht bekanntes Stück aus der Geschichte des Mittelalters entrollen.

In Italien entfaltete sich die Dichtkunst aus mancherlei hier nicht weiter zu entwickelnden Ursachen später als in der Provence und den übrigen romanischen Ländern, die dem Ausgangspunkte ihrer Idiome, d. h. dem lateinischen Italien, ferner lagen. Die Norditaliäner dichteten, wenn sie poetische Anlage hatten oder in dichterischer Stimmung waren, provenzalisch, mit

welcher Sprache sie in Folge ihrer Nachbarschaft und der grösseren Verwandtschaft ihrer eigenen Dialecte sich ohne grosze Schwierigkeit bekannt machen konnten. Wir finden daher unter den provenzalischen Dichtern manche bedeutende, die von Geburt Italiäner, d. h. Norditaliäner, waren, z. B. Bartolome Zorgi aus Venedig (der in einem Sirventes Conradins und Friedrichs von Baden Hinrichtung beklagte), Bonifaci Calvo, Lanfranc Cigala und Simon Doria aus Genua, *) Sordel, gleich Virgil aus. Mantua; ferner Ferrari von Ferrara am Hofe von Este, Nicolet von Turin (1 Tenz. und 2 Str.), Paul Lanfranc von Pistoja (1 Bruchst.), Peire von la Mula (2 Sirv.), Peire von La Caravane (1 Ged., worin er die deutsche Sprache mit dem Gebell der Hunde vergleicht), Albert oder Albertetz Cailla (1 Ged.), und unter den Groszen der Markgraf Albert von Malaspina (2 Ged.), der ital. Markgraf Lanza (1 Sirv.), und Friedrich III. (II.) von Sicilien (1 Sirv.). Auszerdem lebten und dichteten an den kleinen Höfen in Norditalien, wo sie wie in Verona an dem Grafen Ezzelin von Romano, in Treviso an dessen Bruder Alberico von Romano, ferner an den Markgrafen Azzo VI. und Azzo VII. von Este zu Ferrara, an den Markgrafen Bonifaci II. und Wilhelm IV. von Montferrat und an dem Grafen Wilhelm von Malaspina Freunde und Gönner fanden, viele aus der Provence eingewanderte Troubadours. Sonst dichtete und schrieb man wohl auch, so gut es gehen wollte, in der Sprache aller Gelehrten und Gebildeten, im Latein. Eine Volkspoesie konnte daher entweder gar nicht oder nur in so geringem Masze aufkommen, dasz sie keine eigentliche Einwirkung auf die spätere Entwicklung der Kunstpoesie ausüben konnte, wie es doch mit der provenzalischen Poesie der Fall war, der eine Volksdichtung voraufging, in welcher sie wurzelte, und die sie auch nachher noch sporadisch begleitete. Wir sehen daher die italiänische Poesie auch mit keinen epischen Gedichten debütiren, wie dies in Frankreich, Spanien und selbst in der Provence

Folquet von Marseille wird auch oft als Genuese bezeichnet (z. B. von Ideler in seinem Handbuche der ital. Litteratur, Theil 2, p. 5, offenbar dazu bewogen durch Petrarca's Verse: Folchetto che a Marsiglia il nome ha dato, ed a Genova tolto); es ist aber (cf. Diez Leben 234) ungewisz, ob er in Genua, oder erst, nachdem sein Vater sich in Marseille niedergelassen hatte, in letzterer Stadt geboren war.

geschah. Die italiänische Dichtung musste, sobald sie einmahl entstand, reine Kunstdichtung werden, jedoch gleich der provenzalischen, ohne allen Anstrich von Gelehrsamkeit. Sie nahm ihren Ursprung hauptsächlich in Sicilien am Hofe von Palermo, unter gröszerer oder geringerer Anwendung des sicilischen Dialects, aber doch schon in einer allgemeinen, sich dem toscanischen Dialect mehr nähernden Dichtersprache, in einem Volgare illustre, was Dante selbst daher erklärt, dasz an diesem Hofe die Besten aus ganz Italien zusammengeströmt seien. Manche nehmen freilich, aber nicht ganz richtig an, dasz diese am sicilischen Hofe entstandenen Gedichte im reinen Dialect dieser Insel abgefaszt seien. Eine Vergleichung der Sprache derselben mit dem damaligen sowohl als jetzigen wirklichen Dialecte dieser Insel zeigt jedoch bedeutende Verschiedenheit, wobei allerdings zuzugeben ist, dasz in den uns gebliebenen Handschriften der sicilische Charakter der Sprache zum Theil verwischt sein mag, indem die Schreiber die Sprache der Gedichte immer dem ihnen selbst geläufigsten Dialect zu nähern suchten: daher einiges was Sicilianismus zu sein scheint, eher Neapolismus genannt werden könnte. Es wurden aber wiederum auch von einzelnen florentinischen Dichtern wirkliche Sicilianismen angenommen und nachgeahmt. Für den ersten sicilischen und italiänischen Dichter überhaupt hält man gewöhnlich Ciulle d'Alcamo, der noch in die Zeit Heinrichs VI. (geb. 1165, er oberte seit 1191 Apulien, Neapel und Sicilien, starb in Messins 1197) fallen soll. Der Herausgeber der Poeti del primo secolo I, 1 setzt seine Blüthe um 1197. Wir haben nur noch ein einziges längeres Gedicht von ihm in 32 Strophen (von 5 Versen wovon die drei ersten 15sylbig, und die beiden letzten 11sylbig sind), ein Liebesgespräch zwischen Amante und Madonna. Dieses Gedicht sollte, wie man aus ihm selbst schlieszen wollte weil darin il Saladino erwähnt wird, wenigstens vor 1193 verfaszt sein. Allein nach neueren Forschungen und Annahmer (namentlich des Prof. Grion in Padua in seiner kritischen Ab handlung über dieses Gedicht, womit man Mussafia's Recensio und Bericht in Eberts Jahrbuch 1, 1, 112 vergleiche) fällt dss selbe in eine spätere Zeit und zwar nach 1231. Die beige brachten Argumente sind jedoch nicht unanfechtbar, und die

Sache bleibt immer noch streitig; besonders scheint der Inhalt und ganze Ton des Gedichts mehr auf eine frühere Zeit hinzuweisen; wenigstens kann Ciullo d'Alcamo, wenn er immer so gedichtet hat, kein Kunst- und Hofdichter gewesen sein, indem das Gedicht durchaus im ächtesten und vollständigsten Volkston gehalten ist. Es war daher auch, wovon selbst in dem uns durch die Handschriften überlieferten und von den Abschreibern vielfach veränderten und dialectisch umgeschriebenen Texte noch Spuren vorhanden sind, aller Wahrscheinlichkeit nach vollständig im sicilischen (oder sicilisch- neapolitanischen) Dialecte geschrieben, weswegen hier und da auch selbst noch normannisch-französischer Einflusz in der Sprache durchschimmert. Ganz besonders blühte aber die italiänische lyrische Kunstpoesie am sicilischen Hofe Friedrichs II., dem Sohne Kaiser Heinrichs VI. (geb. 1194, gest. 1250, bestieg 1197 als dreijähriges Kind den Thron von Sicilien). An seinem Hofe und an dem seines natürlichen Sohnes und Nachfolgers Manfred (bis 1266) traten eine Menge Dichter auf, unter welchen, auszer Friedrich II. selbst, die vorzüglichsten sind: sein natürlicher Sohn Enzio oder Enzo (um 1245, geb. 1225 zu Palermo), der König von Sardinien wurde, sein Kanzler Peter von Vineis (Piero delle Vigne, um 1220), von dem wahrscheinlicher Weise das erste nachweisbare Sonett herrührt (nicht von dem späteren Guittone von Arezzo, wie manche, unter anderen auch Ideler in seinem Handbuche der ital. Litteratur, poet. Theil, p. 9, irrthümlich angenommen haben; doch kann vielleicht auch der Florentiner Lodovico della Vernaccia, um 1200, darauf Anspruch machen), Ranieri von Palermo, Ruggerone von Palermo (beide um 1230), Inghilfredi Siciliano aus Palermo (um 1240), Guido delle Colonne (di Messina, giudice, um 1245), Odo delle Colonne (ein Verwandter des vorigen, um 1245), Tommaso di Sasso (aus Messina, um 1250), Stefano Protonotario (aus Messina, um 1250), Jacopo da Lentino (notajo, um 1250, von Dante im Purg. Canto 24, und in Trattato della Volgare Eloquenza, Lib. 1, cap. 12 mit Anerkennung erwähnt), Mazzeo, o Masseo, o Matteo Ricco da Messina (um 1250 oder auch früher), Lanzaloto o Lancellotto Siciliano (um 1240). Auch eine Dame La Nina Siciliana (um 1290), die in ein poetisches Liebesverhältnisz mit dem toskanischen Dichter

Dante da Majano trat, die, ohne ihn je gesehen zu haben, mit ihm Sonette voller Liebeserklärungen wechselte, und sich ihm zu Ehren La Nina di Dante nannte, darf nicht unerwähnt bleiben. Mit dem Untergange Manfreds, der 1266 in der Schlacht bei Benevent gegen Karl von Anjou, den Bruder König Ludwigs IX. von Frankreich, fiel, verstummte die Sicilische Poesie. Aber während dieselbe, ja man kann sagen noch ehe dieselbe in Sicilien blühte, hatte sie schon längst in dem übrigen Italien, namentlich auch in Toscana, festen Fusz gefaszt. Der älteste Toscanische Dichter ist nämlich Folcacchiero dei Folcacchieri aus Siena, welcher ungefähr um 1150 geboren war, also etwa um 1170 1190 blühte. Ihm zunächst an Alter steht Lodovico della Vernaccia aus Florenz (um 1200), von dem wir auszer einem Fragment nur noch ein Sonett übrig haben, welches, wie schon vorhin erwähnt, einem anderen von Piero delle Vigne den Rang des Alters streitig macht. Dann folgt Bonaggiunta Monaco (della badia di Fiorenza, um 1230), ferner Ser Noffo Notajo d'Oltrarno in Toscana (um 1240), Bartolommeo, o Meo, o Mino Maconi da Siena (um 1240), und Arrigo Testa aus Arezzo in Toscana (um 1240), der als einer der Väter der italiänischen Poesie betrachtet wurde. In Rom und den ihm näher liegenden Landschaften ist die Zahl der Dichter spärlich, was daher zu erklären ist, dasz hier die lateinische Sprache längere Zeit das Uebergewicht behauptete. Doch gehört hierher einer der ältesten, San Francesco d'Assisi (um 1210, geb. 1182, gest. 1226), der Stifter des Franciscanerordens, Verfasser unter anderen des berühmten Cantico del Sole und des Liedes der Creaturen: Altissimo, omnipotente, bon Signore; eigentlich hiesz er Giovanni Moriconi d'Assisi, einer Stadt in der päpstlichen Delegation Perugia, aber wegen seiner Fertigkeit im Französischsprechen wurde er später Franciscus genannt; ferner Pacifico aus der Mark (Ancona), um 1210, welcher in jener Zeit den Titel eines Principe dei Poeti erhielt, und den Lorbeerkranz aus den Händen Kaiser Friedrichs II. selbst; es ist uns aber kein Gedicht mehr von ihm übrig geblieben; Fabruzzo aus Perugia (am 1230), Ceccolino und Arcolano da Perugia (Pertic. p. 231), Monaldo aus Orvieto (ibid. p. 235). Ganz besonders aber ragte in dieser früheren Periode Bologna als Geburtsort

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