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in Beziehung auf die Sprache liegt aber noch mehr und hauptsächlich in der Mannigfaltigkeit und Biegsamkeit des Ausdrucks. Derselbe schmiegt sich auf eine wunderbare Weise dem Inhalt an und wechselt demselben gemäsz; er ist bald kräftig, rauh und gewaltsam, wie in der Hölle, dagegen sanft, wohlklingend, musikalisch im Fegefeuer und Paradies.

Wir haben schon oben angedeutet, dasz der Einflusz der provenzalischen Sprache auf die Sprache der Altitaliäner unermeszlich war. Es läszt sich denken, dasz die Sprache Dante's, der ja ein so ausgezeichneter Kenner und gerechter Beurtheiler der provenzalischen Litteratur war, auch provenzalischen Einflusz in groszem Umfange aufweisen wird. Dieser provenzalische Einflusz ist doppelter Art: 1) der schon durch die Altitaliäner überkommene, 2) der direct auf Dante selbst ausgeübte. Dies ist nun die interessanteste und echt philologische Seite der Frage, nachzuweisen und aufzuspüren, was für Wörter, Redeformen und Gedankenwendungen bei Dante provenzalischen Ursprungs sind. Weil die bisherigen Commentatoren, Ausleger und Herausgeber Dante's sowohl in Italien als auch im Auslande in gänzlicher Unbekanntschaft mit der provenzalischen Sprache und Litteratur lebten, so haben sie natürlich keine Ahnung davon gehabt, was sie daraus zur besseren Erklärung ihres Dichters lernen und gewinnen konnten. Dasz sie die von Dante im Purgatorio 26, 140 eingeschalteten und dem Arnaut Daniel in den Mund gelegten acht provenzalischen Verse, die von den Abschreibern der Divina Commedia gräulich entstellt waren, nicht verbessern und nicht erklären konnten, versteht sich von selbst. Sie haben aber auch manche falsche Lesart in den Text der Commedia aufgenommen, die durch das Provenzalische verbessert werden konnte, sie haben viele der von Dante gebrauchten Wörter unrichtig erklärt, während sie durch das Provenzalische ihre wahre Bedeutung leicht finden und durch zahlreiche Anwendungen erhärten konnten. Dieser letztere Vorwurf trifft ganz besonders auch die Crusca. Was würde man von einem klassischen Philologen sagen oder erwarten, der z. B. den Apollonius Rhodius erklären wollte, und nicht das Geringste von Homer wüszte oder gelesen hätte? Ähnlich verfahren aber diejenigen, welche die Schriften Dante's zu erklären versuchen,

ohne das Provenzalische zu Rathe ziehen zu können oder zu wollen. Es gab allerdings einige wenige Italiäner, wie Perticari, Galvani, Nannucci, die mit der provenzalischen Sprache und Litteratur mehr oder weniger vertraut waren. Diese gingen aber in der nur beiläufigen Anwendung ihrer allgemein provenzalischen Forschungen auf Dante nicht weit und tief genug, theils weil ihnen nicht so viel Hülfsmittel zu Gebote standen als uns jetzt zugänglich sind, indem der gröszte Theil der Denkmäler der provenzalischen Sprache und Litteratur noch in den Bibliotheken vergraben lag, theils weil sie nur geringe allgemeine Sprachkenntnisz der Quantität und Qualität nach besaszen, und ihnen auch die heutige Sprachwissenschaft entweder noch nicht zu Gebote stand oder ihre Existenz noch gar nicht bekannt geworden war, wie dieses letztere besonders an Nannucci recht sichtbar wird. Dennoch würden wir ungerech

sein, wenn wir, bei dieser allgemeinen Sterilität, ihre Bemühungen nicht mit Dank anerkennen wollten. Aber das Schlimmste war, sie erlangten selbst durch das Wenige, was sich bei ihnen auf Dante bezog und für dessen Erklärung hätte verwerthet werden können, da es von ihnen nicht direct auf Dante in irgend einer besonderen Ausgabe desselben angewandt wurde, keinen Einflusz auf die Commentatoren und Herausgeber, die es auf der groszen Heerstrasze, auf der sie zu wandern gewohnt waren. nicht vorfanden.

Selbst in sachlicher Beziehung wird manche Stelle bei Dante durch die Kunde der Verhältnisse, wie sie nur die provenzalische Litteratur darbietet, geheilt, die noch in den neusten und besten Ausgaben unrichtig ist. Wer z. B. die Poesieen Bertran de Born's gelesen hat und also mit dem Leben dieses Sängers vertraut ist, der wird nicht, wie Witte und Tommaseo, Inferno 28, 135 noch einen Augenblick länger den re Giovanni stehen lassen statt des re giovane, womit bei Bertran de Born stets Heinrich, der älteste Sohn Heinrichs II. von England, gemeint ist. Tommaseo möchte gern schon dem Dante, der die Biographie und die Poesieen Bertran de Borns sicher ge nau genug kannte, den Schnitzer in die Schuhe schieben, weil auch Villani und die Abschreiber ihn gemacht haben. Diese konnten ihn machen, der der provenzalischen Verhältnisse kun

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dige Dante konnte es nicht. Schon Diez Leben und Werke der Troub. 1829, p. 190, übersetzt richtig: der im Leben dem jungen König bösen Rath verlieh ;" ihm folgt auch Blanc, aber Witte liest mit seinen vier besten Codices unrichtig quelli che diedi al re Giovanni mai conforti, und übersetzt demgemäsz auch: „der schlimmen Rath ertheilt Johann dem König“; woraus dann der Schlusz und die Regel zu ziehen, dasz es Fälle giebt, wo man von dem im Allgemeinen richtigen Grundsatz, bei Herausgabe eines Schriftstellers einige der besten Codices zu Grunde zu legen, abzuweichen und eine Lesart aus verhältniszmäszig schlechteren Codices als die allein richtige in den Text aufzunehmen verpflichtet sein kann. Inf. 31, 4 pflegen die Commentatoren zu dem von Dante gebrauchten und schon den Altitaliänern geläufigen Gleichnisz Bernart's von Ventadorn von Peleus' Lanze die Auffassung und Erklärung Hygin's anzuführen, dasz die Wunde, die Peleus' Lanze geschlagen, mit Rost, der von der Eisenspitze abgeschabt war, geheilt wurde. mag Hygin sich so gedacht haben. Es war aber durchaus nicht weder die Ansicht und Auffassung der Provenzalen, noch der Altitaliäner, und also auch nicht Dante's. Bei den beiden ersteren heiszt es immer ausdrücklich, dasz die Eigenthümlichkeit der Lanze des Peleus darin bestand, dasz man von einem Stich damit nur dann genesen konnte, wenn man sie nochmahls in die von ihr gemachte Wunde stiesz (cf. Werke der Troub I, 17. Nan. 1,227. 358. Ovid. Remedia Amoris 47: Vulnus in Herculeo quae quondam fecerat hoste, Vulneris auxilium Pelias hasta tulit. Ovid. Met. 12, 112: opus meae bis sensit Telephus hastae.).

Das

Ich habe es nun für ein zweckmäsziges Unternehmen gehalten, die italiänischen Wörter, die bei Dante und bei den Provenzalen zugleich vorkommen, zu sammeln, sowohl solche, die aus dem Provenzalischen geradezu entlehnt sind, als auch solche, die einen gemeinschaftlichen Ursprung mit denen dieser Sprache haben, dieselben damit zu vergleichen, und wenn nöthig ihren etymologischen Ursprung nachzuweisen, alles zu dem Zweck, dasz auf dergleichen italiänische Wörter, besonders auf die schwierigen, selteneren und dunkleren, und auf die Stellen, wo sie bei Dante vorkommen, durch das Provenzalische ein mehr

oder weniger helles Licht falle, und sie mehr oder weniger aufkläre und berichtige. Zu diesem Ende habe ich sie in mehrere Klassen eingetheilt, in welche aufgenommen sind: A. Solche Wörter, welche von den Commentatoren für landschaftlich ausgegeben werden, die aber zunächst provenzalisch sind. B. Solche Wörter, denen es zukommt, einen Einflusz auf die richtigere und genauere Gestaltung des Textes zu üben. C. Solche, welche die Bedeutungen der bei Dante vorkommenden Wörter richtiger und fester gegen die Meinungen und Ansichten der Commentatoren bestimmen, und endlich D. Solche, welche mehr oder weniger zur Erläuterung der in ihren Bedeutungen schon festeren und weniger bestrittenen Dantischen Wörter dienen.

Hier an diesem Ort und heute bei dieser Gelegenheit kann ich nur ein Paar Beispiele aus Klasse C. anführen, womit ich meinen Vortrag schliesze.

I. In Dante's Divina Commedia Paradiso 12, 142 finden wir folgende Verse: Ad inveggiar cotanto paladino Mi mosse la infiammata cortesia Di fra Tommaso, e il discreto latino. Dies wird von Blanc, dem neuesten Übersetzer und einem der gewiegtesten Dante-Kenner und -Ausleger so übersetzt: „So groszen Kämpen zu verherrlichen, Hat Bruder Thomas' glühn'de Freundlichkeit, Und seine weise Rede mich getrieben." Nach Blanc ist also inveggiare so viel als verherrlichen, und ähnlich nach Streckfusz preisen und nach Kannegieszer seinen Preis weihen. Nach Buti ist inveggiare hier 8. v. a. manifestare e lodare, ed è parlar lombardo. Diesem folgt auch Lombardi, indem er sagt, dasz es per metonimia für commendare stehe. Nach Tommaseo und dem Ottimo (bekanntlich der technische Ausdruck für einen der ältesten und besten, aber anonymen Commentare zu Dante) ist es gleich emulare, perchè l'emulazione è una nobile invidia. Diesen letzteren folgt Witte in seiner so eben erst erschienenen Übersetzung. Dort heiszt es: Solch hohem Paladine nachzueifern, etc." Der Bedeutung nacheifern gab auch Blanc in seinem Vocabolario Dantesco den Vorzug, aber in seiner Übersetzung der Commedia hat er sich wieder anders besonnen, und hat die Bedeutung rühmen, loben, verherrlichen gewählt. Aber alles dieses ist nicht richtig. In

veggiare hat hier die echt provenzalische Bedeutung von enveiar, welches auszer beneiden so viel als heftig verlangen, ersehnen, desiderare, heiszt. Eben so wird invidiare, welches die dem Lateinischen noch näher stehende und ältere Form für inveggiare ist, das, wie es scheint, bei Dante nur durch den Reim erzwungen steht, von Ciullo d'Alcamo gebraucht. Rosa invidiata ist bei diesem nicht die beneidete, sondern die ersehnte Rose. Eben so invidia in der Vita nuova (p. 9. ed. Keil); pieni d'invidia ist dort pieni di desiderio. Im Französischen hat das aus lat. invidia entstandene envie dieselbe Bedeutung, nämlich Lust, Verlangen, Begierde, und envier heiszt, auszer beneiden, zu besitzen wünschen, mit Sehnsucht verlangen: voilà le poste du monde que j'envierais le plus, den ich am liebsten haben möchte. Dasz aus beneiden leicht die Bedeutung mit Sehnsucht verlangen, ersehnen hervorgeht, ist leicht einzusehen, unbegreiflich ist es aber, wie beneiden in wetteifern oder gar in offenbaren, loben oder verherrlichen übergehen könne. Denn der Beneidende verhält sich stets passiv, er empfindet ein passives Miszvergnügen über die Wohlfahrt und die Vorzüge anderer, verbunden mit der bloszen Begierde sie selbst statt des andern zu besitzen; aber nie tritt er activ auf, indem er sich lebhaft bestrebt, es dem andern gleich oder zuvor zu thun, die Vorzüge des andern durch Anstrengung und Thätigkeit auch zu erwerben oder wohl noch zu übertreffen; würde er dieses anstreben, dann hört er eben auf zu beneiden und thut das gerade Gegentheil davon.

II. Inferno 10, 39 heiszt es: Le tue parole sien conte. Dieses übersetzt Streckfusz: „Was er fragt, mach' offen ihm bekannt." Kannegieszer: ,,Nun rede mit Verstand." Philalethes: „Gezählt seien deine Worte." Blanc: „Gewählt seien deine Worte." Witte: „Klar seien deine Worte." Im Vocabolario Dantesco drückt sich Blanc über diese Stelle folgendermaszen aus: Dans un sens d'extension Inf. 10, 39. le tue parole síen conte, probablement, claires, précises, deutlich, Boccace l'explique par composte ed ordinate; d'autres le prennent pour contate, comptées, gezählt. Später in der philologischen Erklärung dunkler Stellen erklärt Blanc conte durch manifeste, chiare. L. Lemcke (Jahrb. 4, 1, 77) möchte mit Biagioli und

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