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fremde provenzalische Sprache hoch halten und loben, und die eigene Sprache herabsetzen und verachten. Dante selbst war allerdings als Dichter ein Schöpfergeist (Genie), aber dennoch darf er als ein solcher von seinen Beurtheilern nicht, wie es geschieht, ganz isolirt aufgefaszt werden, so dasz er ihnen als ein Wunder oder ein Räthsel erscheint. Man denkt sich gewöhnlich zwischen ihm und seinen Vorgängern eine Kluft, die durch nichts auszufüllen ist, oder über die weder Steg noch Brücke führt. Dante selbst war gerechter gegen dieselben, weil er sie kannte und studirt und von ihnen gelernt hatte. Er bekennt sich sogar zum Schüler einiger von ihnen, wie z. B. Edes Italiäners Guido Guinicelli, welchen er im Purgatorio für seinen Vater und Meister erklärt, und den er im Convito Nobile und im Volg. Floq. Massimo nennt. In dem Sonett „Amore e 'l cor gentil sono una cosa, Siccome il saggio (Guinicelli) in suo dittato pone" bezieht er sich auf Guinicelli's herrliche Canzone: Al cor gentil ripara sempre Amore, Siccome augello in selva alla verdura. In demselben Sonett ist die Ähnlichkeit des Gedankens „Fagli Natura, quand' è amorosa, Amor per sire, e 'l cor per sua magione mit Guinicelli's Amor in gentil cor prende rivera (d. i. stanza, magione) in derselben Canzone unverkennbar. Dem Vers Inf. V, 100 ,,Amor che al cor gentil ratto s'apprende" dient Guinicelli's Vers ,,Foco d'Amore in gentil cor s'apprende" in derselben Canzone als Vorbild. Und so lassen sich eine grosze Menge Stellen anführen, deren Nannucci 1, 46 auch noch viele beibringt, bei welchen Dante die Gedanken und Wendungen Guinicelli's vorgeschwebt haben, wie er denn diesen Dichter überhaupt im Stil nachahmen konnte und wirklich nachgeahmt hat, so dasz also der Meister nicht direct vom Himmel gefallen ist, wie man sich dem Sprichwort zuwider einbildet.

Denn wie oft begegnet man in unseren Litteraturgeschichten, Handbüchern und Encyclopädieen nicht Phrasen wie diesen: „Ueber alle diese im Ganzen nur unbedeutenden Dichter erhebt sich einsam ohne Vorgänger und Nachfolger der Riesengeist Dante Alighieri's." Es sind aber eben weiter nichts als Phrasen, ohne Werth und Wahrheit. Wie sehr sich Dante auch durch die Provenzalen gebildet haben mag, läszt

Archiv fn. Sprachen. XXXVIII.

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sich nach obigem denken, besonders ist diese provenzalische Einwirkung in seinen Jugendgedichten, in den Sonetten und Canzonen der Vita Nuova, und selbst in einigen der späteren Rime nicht zu verkennen. Ja Dante und später Petrarca haben sich auszerdem auch noch durch ihre Hochschätzung und Erwähnung der Troubadours das Verdienst erworben, dasz die Kunde von ihnen und ihrer Sprache nicht ganz verloren ging, und ihre Werke später aus dem Staube der Bibliotheken hervorgeholt, und so der Vergessenheit, in die sie schon gesunken waren, entrissen werden konnten (Diez Poesie 282).

Dante faszte die Liebe geistiger und ethischer auf als die Provenzalen; dies thaten aber auch schon, gleich unsern Minnesängern, die meisten früheren Italiäner, ganz besonders aber der schon öfter erwähnte Guinicelli, den er deswegen so hochschätzte, und weil er sich ihm auch sonst noch durch so hohe Dichtergabe empfahl, dasz er ihn zu seinem vorzüglichsten Vorbild wählen konnte; auszerdem that dies auch Guido Cavalcanti, den Dante in der Vita nuova als den ersten seiner Freunde bezeichnet, und Cino da Pistoja, der der lyrischen Sprache durch seine wohllautenden und geistreichen Dichtungen so grosze Anmuth verlieh., Zu Dante's Ueberlegenheit trug aber auch seine höhere Bildung und gröszere Gelehrsamkeit bei, die er sowohl seinem Lehrer Brunetto Latini, als auch seinem Aufenthalt auf den Universitäten zu Bologna und Padua (Balbo p.63) verdankte. Er hatte Virgil, Horaz, Ovid, Statius und andere Dichter studirt, Livius (Tommaseo zu Inf. 4, 127. 141), so wie den Laelius des Cicero und Boëthius de consolatione philosophiae gelesen, wie wir durch ihn selbst in seinem Convito erfahren. Dem Virgil verdanke er den schönen Styl, der ihm und seinem Werke solche Ehre gemacht, sagt er uns selbst in seiner Commedia, Inf. 1, 87. Er hatte die scholastische Philosophie, mit Einschlusz der damals damit eng verbundenen Theologie, in ihrem ganzem Umfang inne. Er schrieb selbst das Lateinische mehr als mittelmäszig. Die Liebe erscheint, wie wir oben schon andeutetèn, bei Dante in hohem Grade veredelt und vergeistigt. Sie ist fast überirdisch, und daher bei aller Glut der Empfindung und Leidenschaft rein platonisch, da er ja nie ein Wort mit Beatrice de' Portinari, dem Gegen

stande derselben, sprach, und durch das blosze Erblicken und Anschauen derselben schon voller Seligkeit war. Sie wird sogar von ihm mit der Religion in Verbindung gebracht, (denn Dante ist überhaupt ein tief religiöser Dichter), und dauerte mit der gröszten Treue und Innigkeit, ja Heiligkeit, fort, nachdem Beatrice längst aus dem Leben verschwunden war. Sie weckte die Poesie in ihm, und feuerte ihn an, sich der Beatrice durch Hervorbringung groszer und vorzüglicher Werke, worin er sie zu verherrlichen gedachte, immer würdiger zu machen. Die Liebe Dante's, die er gegen Beatrice von frühster Jugend an hegte, muszte schon der Art des Ursprungs nach eine andere, wahrere, innigere und idealere sein, als die der meisten Troubadours, die immer nur verheiratheten Frauen galt, und dadurch etwas mehr Gemachtes, Conventionelles, Sinnliches, ja oft Unsittliches erhielt. Trotz allem dem aber ist der Unterschied der poetischen Kraft zwischen den Minneliedern, d. i. den Canzonen, Ballaten und Sonetten Dante's, und denen der besseren Provenzalen und Altitaliäner nicht so grosz, als man anzunehmen beliebt hat. Schon ein äuszerer materieller Beweis wird dadurch geliefert, dasz die Handschriften oft ein und dasselbe Gedicht bald dem Dante, bald einem anderen zeitgenössischen Dichter zuschreiben, und man also schon eine scharfe, mehr oder weniger schwierige Kritik anwenden musz, um die Wahrheit herauszufinden. Obgleich diese Rime, sowohl an und für sich als wegen des Zusammenhangs, in welchem sie mit der göttlichen Komödie stehen, eine gröszere Beachtung verdienen, als man ihnen meistens zu schenken pflegt, so wird er doch hierin von Petrarca, den man den letzten und gröszten aller Troubadoure nennen kann, übertroffen, wenn auch Petrarca's Liebe zur Laura etwas weit Conventionelleres an sich trug und an sich tragen muszte. Anders verhält es sich aber mit Dante in seiner Divina Commedia, diesem groszartigen episch-didaktisch-dramatischen Gedicht voller Handlung und Leben, an welches, wie er uns selbst (Parad. 25, 1) sagt, Erde und Himmel Hand angelegt haben; hier tritt er im höchsten Grade selbstständig und schöpferisch auf, hier ist er unvergleichlich, die Kraft der poetischen Gestaltung ist hier unermeszlich, der Flug der Phantasie kühn und erhaben, die Erfindung, wenn auch oft selt

sam, genial und unerschöpflich, die Schilderungen und Beschrei bungen aus Geschichte und Natur sind vortrefflich und oft einzig in ihrer Art. Sogar das Metrum, die terza rima, diese der fortschreitenden epischen Erzählung so angemessene Form, eine Strophenverschlingung von je drei Versen mit dreimahl wiederkehrendem Reim, scheint er dazu erfunden zu haben. Durch die göttliche Komödie, in welcher er auf seiner Reise durch die drei Reiche der Hölle, des Fegefeuers und des Paradieses beständig auf die Erde zurückblickt und Bezug nimmt, erregte er das allgemeine Interesse der ganzen Nation, indem er die politischen und religiösen Ideen, die sein Zeitalter bewegten und beherrschten, darin zu der anschaulichsten Darstellung brachte und der gerechtesten und objectivsten Beurtheilung unterwarf, und zwar in stetem Hinblick auf die allgemein sittliche Idee des christlichen Lebens, ja auf die absolute Idee der Menschheit überhaupt. Denn sein Zweck war, durch seine Darstel lung eine Reform und Besserung zunächst des italiänischen Lebens und der italiänischen Zustände hervorzurufen, die Gebrechen, woran zu seiner Zeit der Staat, die Kirche und die Gesellschaft litt, zu heilen, und die lasterhafte und sich in Bürgerkriegen aufreibende Nation zu einer nationalen, politischen und moralischen Einheit zurückzuführen, was, wenn es für Italien gelungen wäre, dann auch der ganzen christlichen Menschheit zu gute gekommen wäre. Bei der Auslegung der Allegorien des Gedichts ist daher der politische und individuelle Sinn als der die Grundlage bildende voranzustellen, die allgemein moralische und allgemein menschliche Beziehung liegt aber immer, wenn auch immer erst in zweiter Linie, dahinter ver borgen. Dennoch wird dieses herrliche Gedicht nie im eigentlichen Sinne populär sein und werden können weder in Italien noch bei anderen Nationen, obgleich dort Eseltreiber, Handwerker und wasserschöpfende Weiber einzelne Verse und Stellen daraus gesungen haben sollen. Dazu gehört es zu sehr seiner Zeit an, dazu ist es zu tief, zu räthselhaft, zu mystisch. Nur durch Studium und grübelnde Überlegung dringt man in dasselbe ein. Um es zu verstehen, ist eine vollständige Kenntnisz des Mittelalters, aller Verhältnisse dieser Zeitepoche in Geschichte, Politik, Kunst und Wissenschaft, Theologie, scholasti

sche Philosophie, Astronomie etc. erforderlich; ja selbst diese reicht nicht aus, wenn man nicht noch Objectivität genug hinzubringt, um sich vollständig in eine Zeit, die so ganz fern liegt, und die uns besonders seit der Reformation selbst ferner liegt. als das klassische Alterthum, versetzen zu können, und für Nichtitaliäner kommt auch noch die verschiedene, die fremde Nationalität hinzu. Wie schwer das ist, kann man noch heute alle Tage sehen, wenn man, trotz aller Gelegenheit und Veranlassung zu etwas Besserem, die vielen schiefen, verfehlten und ungerechten Urtheile bei unseren Kunstrichtern und Kritikern liest, die zum Beispiel, freilich gewöhnlich auch ohne alle vorher von der Sache erworbene Kenntnisz, über die provenzalischen Troubadours gefällt werden. Dieselben glauben dabei noch Wunder wie objectiv zu sein, es ist aber weiter nichts, als die krasseste, brennendste und krampfhafteste Subjectivität. Sie verlangen nichts Geringeres als dasz der fremde Geist ein deutscher Geist, und der alte Geist ein heutiger und moderner sei; sie setzen voraus, dasz man damals schon dieselben Ideen und Kenntnisse gehabt haben müsse als jetzt; sie glauben, dasz man die damalige Poesie von demselben Standpuncte aus beurtheilen könne. als die heutige und moderne. Die Poesie aber wurde damahls weit mehr als eine erlernbare Kunst angesehen, und der Hauptaccent nicht auf einen bedeutenden und philosophischen Gedankeninhalt, den man zu der Zeit nicht haben konnte, sondern auf einfache und natürliche Gedanken, wie sie aus der vorherrschenden Hingebung an die äuszere Welt hervorgingen, und deren zierliche Einkleidung in eine wohllautende Sprache gelegt. Was die Divina Commedia betrifft, so verstand es selbst ein Göthe nicht, dieselbe gehörig zu würdigen; er verhielt sich zu derselben kalt und ablehnend, was er freilich auch sonst wohl noch that, wie unter anderen zu den Nibelungen. Ohne weitläufige und ausführliche Kommentare ist es nicht möglich, Dante's Divina Commedia weder in sachlicher noch sprachlicher Beziehung genau und vollständig zu verstehen; und selbst diese reichen nicht immer aus, indem sie bei ihrem groszen Umfange einerseits zwar viel Überflüssiges enthalten, aber andererseits trotz desselben in vielen Hauptsachen noch nicht den nöthigen Aufschluss geben und oft auch nicht geben können. Und dennoch sind wir Deutsche im All

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