Page images
PDF
EPUB

für deutsch, zeitvokalisch für stark, Entfussung für Entstehung, Enthauptung für Verkürzung, Ausdrücke, die zu dem gewaltthätigen Verfahren des Verfassers vortrefflich passen, sondern vor allen Dingen hat er sich von Grimm emancipirt in seiner ganzen Art der Forschung, die ebenso unwissenschaftlich, ungründlich und leichtfertig ist, wie die des grossen Meisters wissenschaftlich, gründlich und ernst.

[ocr errors]

Vielleicht würde der Verfasser in seinem Bestreben, die Wissenschaft von der Autorität Grimms zu befreien, nicht ganz so rücksichtslos gewesen sein, wenn ihm der Gang der deutschen Sprachforschung seit Grimm einigermassen wenigstens bekannt gewesen wäre. Er hätte wissen können, dass die Autorität Grimms nichts weniger ist als eine übermässige, alle freie Forschung lähmende, vergötterte, dass sie im Gegentheil von der Sprachvergleichung, welche seit Grimm, die deutsche Grammatik in die Hand genommen hat, viel zu sehr in den Hintergrund gestellt worden ist und dass vortreffliche Winke und Vermuthungen Grimms, ja sogar manche sichere Resultate seiner Forschung unbenutzt geblieben sind. Von Grimm auszugehn, ist noch immer die Pflicht des deutschen Sprachforschers und eine Reaktion gegen die nivellirende Willkür der Sprachvergleichung wäre in der That mehr am Platze als eine Opposition gegen die Autorität Grimms. Wir empfehlen daher dem Verfasser eine erneute, gründliche Prüfung der Grimmschen Ansicht vom verschobenen Präteritum, wir empfehlen ihm ferner eine hierher gehörige Abhandlung Leo Meyers in Benfeys Orient und Occident (Bd. I., Heft 2) die er noch nicht zu kennen scheint, und er wird uns dann mit der zweiten Abhand-lung über denselben Gegenstand, die er in Aussicht stellt, hoffentlich verschonen.

Minden.

Dr. Adolf Moller.

Beurtheilungen und kurze Anzeigen.

Englische Grammatik.

Von Eduard Mätzner. 1. Theil. Die Lehre vom Worte. 1860. 2. Theil. Die Lehre von der Wort- und Satzfügung. Erste Hälfte. Berlin. Weidmann'sche Buchhandlung. 1864.

Einem Werke wie diesem gegenüber kann von Kritik naturlich keine Rede sein. Ich für meinen Theil wenigstens kann mich nur als Jünger vor dem Meister beugen und mich von ihm mit aufrichtigem Danke belehren lassen. Dass hier ein Meisterwerk im vollsten Sinne des Wortes vorliegt, welches deutschem Geiste und deutscher Gelehrsamkeit zur höchsten Ehre gereicht, ist im Kurzen mein Urtheil über die ihren Gegenstand erschöpfende Leistung des berühmten Verfassers. Obschon anzunehmen ist, dass das Werk in den Händen Aller, die diese Anzeige lesen, sich befindet, so will ich doch der Ordnung halber die Hauptrubriken des Inhalts angeben und dann mögen einige allgemeine Betrachtungen folgen. Die Lehre von Worte also enthält nach einer als Einleitung vorgeschickten gedrängten Geschichte der englischen Sprache die Lautlehre als ersten und die Formenlehre als zweiten Abschnitt. Selbstverständlich hält dieser Band sich durchweg auf der Höhe der heutigen Sprachwissenschaft, obgleich bei der Etymologie nicht über den engern Kreis des germanischen Elementes einerseits und des romanischen andrerseits hinausgegangen wird. Innerhalb dieses Kreises aber wird die Geschichte jedes der angeführten Wörter mit möglichster Genauigkeit und Vollständigkeit angegeben, und so bietet dieser Theil, soweit die darin vorkommende Wörterzahl reicht, den Vortheil eines zuverlässigen etymologischen Nachschlagebuchs, dem es nur an einem als Anhang beigegebenen alphabetischen Register gebricht, um es zu diesem Zwecke brauchbar zu machen. Hoffen wir, dass der noch zu erwartende dritte Theil diesem Mangel abhelfen werde. Vom darauffolgenden Ab schnitte, dem der Formlehre an, haben wir schon Gelegenheit, die zweite Seite, welche dieses Werk auszeichnet und ihm einen Werth verleiht, den die Zeit oder der Fortschritt der Wissenschaft nie schmäleru kann, zu be wundern. Denn hier wird nicht bloss die aussere Gestaltung des Wortes und die Entwickelung der Form geschichtlich verfolgt und nachgewiesen, sondern es wird auch diese letztere im echt philosophischem Geiste beleuch tet und ihrem ersten Aufkeime nachgespürt. Diese Behandlungsweise kent zeichnet denn auch durchweg die vorläufig erschienene erste Halfie des zweiten Theils, welche die Lehre von der Wort- und Satzfügung entbat

und mit den Präpositionen schliesst. Der Sprachbildungsprocess wird hier bis auf seine letzte Quelle den denkenden Geist verfolgt, jede Schattirung des Gedankens mit mathematischer Präcision nachgezeichnet und jede Wendung des Ausdrucks mit logischer Schärfe ergründet. Wir sehen das Walten des Sprachgeistes gleichsam vor unseren Augen enthüllt und erkennen auch hier dieselbe Vernunft wieder, die im All herrscht. Sie ist es, die der Sprache Gesetz und Regel giebt, und wie ein rückwärts gekehrter Prophet, also als echter Historiker, weist der Verfasser in dem Gesetz und der Regel, wie solche in den Schriftwerken in die Erscheinung treten, die Vernunft nach, welche das ganze Sprachgebäude durchleuchtet. In doppelter Weise wird uns das Werden der Sprachen vor Augen geführt: einmal nämlich, wie sie oder um es genauer zu fassen, wie die besondere Ausdrucksweise der englischen Sprache im Geiste, dann aber auch, wie sie im Laufe der Zeit, also in den aufeinanderfolgenden Sprachperioden, die bis zum Angelsächsischen hinauf verfolgt werden, geworden ist. Die Belesenheit des Verfassers in den verschiedenen hieher gehörigen Sprachquellen, als da sind die neu-, mittel- und altenglischen und die halb- und angelsächsischen Schriften, grenzt ans Unglaubliche. Den Glanzpunkt dieses zweiten Theils, wenn bei einem so gediegenen Werke, wo überall die Meisterschaft zu erkennen ist, überhaupt etwas besonders hervorgehoben werden darf, bildet meinem Dafürhalten nach jedenfalls die erschöpfende Darstellung der Präpositionen.

Wenn ich nun nach dieser flüchtigen Inhaltsangabe einige allgemeine Bemerkungen hinzufüge, so wird wohl Niemand sie nach dem Vorangegangenen im tadelnden Sinne auslegen. Es sind einfach und lediglich padagogische Rücksichten, die mich dazu bestimmen dem Werke seine richtige Stelle anzuweisen, damit der, welcher im Archiv Belehrung darüber sucht, wisse, woran er sei. Der anspruchslose Titel englische Grammatik köunte nämlich den weniger Kundigen glauben machen, das Werk sei gleich anderen englischen Grammatiken für den praktischen Gebrauch geeignet und beim Unterricht zu verwenden. Das wäre freilich ein Irrthum. Äller Faselei und blosser Sprachmeisterei ist mit diesem Werke ein Ende gemacht und es wird fortan jedem Lehrer der englischen Sprache geboten sein, sich an demselben zu schulen und in allen Fällen Belehrung daraus zu schöpfen; ganz abgesehen aber davon, dass es bei der Abwesenheit von Uebungsstücken zum praktischen Gebrauche nicht eingerichtet ist, ist das Werk so angelegt, dass es behufs des Unterrichts in der heutigen Sprache nur von Kundigen benutzt werden kann. Indem Mätzner nämlich, um mich nochinals philosophischer Categorien zu bedienen, das Werden der Sprache entwickelt, hat er nothwendigerweise nicht bloss Alles, was da ist, sondern auch Alles, was da gewesen ist beleuchtet, und es folgt daraus, dass der Lehrer das Veraltete von dem noch Ueblichen, dann aber auch da ebensowohl Dichter als Prosaisten als Autoritäten herbeigezogen sind, was in der Prosa von dem, was allein in der Poesie zulässig, zu scheiden verstehen müsse. Hierzu kommt noch ein Anderes. Wie in Allem, was dem Geiste entsprungen, so findet sich auch in der Sprache Freiheit und Nothwendigkeit verschmolzen. In der Grammatik machen sich diese Categorien als Regel und Ausnahme geltend, und es gehört eine vollständige Kenntniss des Sprachgebrauchs dazu, zu bestimmen, in wiefern die Ausnahme statthaft sei. Wer mit dieser Kenntniss nicht vorher ausgerüstet ist, den dürfte Mätzner's Grammatik oft in Verlegenheit setzen; denn gerade in Folge ihrer erschöpfenden Behandlung des Gegenstandes wird man so oft auf Abweichungen von der Regel stossen, dass man leicht meinen könne, es herrsche nur Willkür auf diesem Gebiete. Erst kürzlich hat Herr Dr. Poppo im Archiv (Bd. XXXVII 1. Heft) Randglossen zu der vom Herausgeber desselben bearbeiteten Wagner'schen Grammatik veröffentlicht, wobei er bemerkt, dass manche Angaben der Grammatiker noch nicht die Ge

[ocr errors]

Ich

nauigkeit und Vollständigkeit erlangt haben, wie sie ein Grammatiker, der im Griechischen und Lateinischen besonders gelebt hat, gewöhnt ist“ und dann eine ziemlich lange Reihe von Anomalien aufzählt, die ihm bei der Lektüre der gedachten Grammatik aufgefallen sind. Ob der Vorwurf der Ungenauigkeit gerecht ist, möchte fraglich sein; jedenfalls aber könnte das Verzeichniss der Abweichungen von der Regel noch beliebig vermehrt wer den. Je weiter man eben in der Kenntniss der Sprache vorgeschritten ist, desto mehr lernt man die Wahrheit des nulla regula u. s. w. beherzigen. Nichts scheint dann festzustehen, Alles scheint sehwankend zu sein. Da gilt es eben, selbst festzustehen, selbst nicht schwankend zu werden. Zu dieser Sicherheit aber kann keine Grammatik verhelfen. Diese erlangt man nur durch die fortwährende und unablässige Lektüre. Man darf aber auch nicht jeden Schriftsteller als massgebend betrachten, wenigstens nicht in allen Fallen. Selbst Mätzner hat vielleicht Dickens z B. zu oft citirt. Seine sprachliche Autorität wird in Deutschland viel zu hoch angeschlagen. In England würde es keinem klassisch Gebildeten einfallen, Dickens als Autorität in grammatischen Punkten anzuführen. Er ist wohl schöpferisch für die Sprache und mehrt ihren lexicalischen Reichthum, dürfte aber schwerlich als ihr grammatikalischer Gesetzgeber gelten. Dasselbe gilt von fast sämmtlichen heutigen Novellisten, nur dass man ihnen Dickens Verdienst um die Sprache nicht in dem Masse wie ihm zuerkennen kann. Oder nelmen wir den bei Mätzner so häufig. citirten Dichter Lord Byron. bin fern davon, ihm seine Autorität als testa di lingua abzusprechen; trotzdem frage ich, was soll ein in der Sprache unfertiger beispielsweise mit dem „lay" anfangen, welches eine der schönsten Stellen in seinen ganzen Werken entstellt (childe Harold IV. 180.)? Irre ich nicht, so findet sich auch einmal der in Shakspeare's Zeit noch gewöhnliche doppelte Comparativ more better bei ihm. Beweis genug, dass man weder ihn, noch die das Alterthümliche gern benutzenden Dichter überhaupt in allen Fallen als Norm für den gangbaren Sprachgebrauch gelten lassen kann. Shakspeare selbst und seinen Zeitgenossen kann nicht die Rede sein; denn sie zählt Niemand zu den neuenglischen Schriftstellern. Die Grenzlinie, welche das Altenglische (nach Andern das Mittelenglische) vom Neueng lischen scheidet, verlegt auch Mätzner eigentlich erst ins siebzehnte Jahrhundert; doch muss das Neuenglische von dem neueren abermals getrennt werden, so dass die heute mustergiltige Prosa nicht etwa, wie man oft glaubt, von der Essayistenperiode, sondern erst vom letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts her datirt. Das allerneueste Englisch ist freilich noch jünger, indessen kann man die Unterabtheilungen nicht ins Unendliche fortsetzen, was bei einer lebenden Sprachen allerdings nöthig wäre. Denn jeden Tag sprudelt die Quelle neu hervor, wird die Sprache neu geschaffen. Wie sie ihren Wortschatz bereichert, so ändert sie auch ihre Formen oder Ausdrucksweisen, und von Stillstand giebt es hier ebenso wenig wie bei dem unaufhörlich dahinrauschenden Strom. Was das Weltmeer für diesen, das ist die Literatur für die Sprache, nur dass das Verhältniss ein umgekehrtes ist, oder streng genommen auch nicht; denn wenn die Literatur einerseits das Behältniss für den Sprachstrom ist, so erzeugt sie auch wieder andrerseits die Sprache und nährt ihre Quellen, also gerade wie die Ströme ins Meer sich ergiessen, von diesem aber vermittelst der Ausdünstung ihre Nahrung wieder erhalten.

Von

Indem ich dem Herrn Verfasser zum Schluss nochmals meinen Dank für seine hochverdiente Arbeit abstatte, erlaube ich mir noch, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass die Zahlen bei den Citaten hier und da einer etwas strengeren Revision bedürfen, obschon ich dem Werke im Uebrigen eine seltene Correctheit nachrühmen muss, die um so mehr anzuerkennen ist, als die Belegstellen so massenhaft und in so kleinem, wie auch scharfem und deutlichem Druck aufgespeichert sind. Selbstverständlich wird Jeder, dem ein grund

liches Studium der englischen Sprache am Herzen liegt, der Fortsetzung des Werkes mit Spannung entgegensehen und dem Verfasser Kraft und Ausdauer zu dessen Vollendung wünschen.

Leipzig, 1865.

Dr. David Asher.

Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des deutschen Volkes. Von Georg Büchmann. Zweite Auflage. Berlin 1865. Haude- und Spener'sche Buchhandlung (F. Weidling).

Voll weiser Sprüch" das ist das Motto dieses, 1864 in erster und bereits ein halbes Jahr darauf in zweiter Auflage erschienenen und in kurzer Zeit so bekannt gewordenen Büchleins, dass sich Referent entschuldigen muss, mit seiner Besprechung so spät nachzukommen, nachdem ihn bereits fast alle Zeitungen und Zeitschriften des Inlandes, einige sogar des Auslandes (wie Athenaeum, Saturday Review u. a.) vorangegangen sind Und doch hat, da hier in den Citatenschatz aller neueren Völker gegriffen ist, die vorliegende Zeitschrift ein ganz besonders nahes Interesse an dieser literarischen Erscheinung. Das Citat hat sich in den gebildeten Nationen langst schon Bürgerrecht neben dem Sprichwort erworben: es ist der zugezogene feine Herr unter einer eingebornen, landestüchtigen Bevölkerung; es ist aber heimisch geworden und das Alt- und wie das Neuberechtigte hat sich gegenseitig in der Praxis längst arrangirt. Theoretisch war bisher kaum eine Scheidung vorgenommen, am wenigsten aber war eine Sammlung und Zusammenstellung unserer Citate neben den oft herausgegebenen Sprichwörtern bis jetzt geschehen. Diese Lücke füllt das Buch von Herrn Georg Büchmann aus. Citat und Sprichwort verhalten sich wie Kunst- und Volkspoesie; und wie in dem grossen Kreise der Literatur diese Beiden sich ergänzen, oft unmerklich ihre Grenzen gegen einander vertauschen, so ist es mit Citat und Sprichwort der Fall; beide gehen oft in einander über. Der Schriftsteller benutzt ein Sprüchwort, und dieses tritt von da ab im Gewande eines Citats auf; das Citat wird so volksthümlich, dass des Schriftstellers, von dem es ausgeht, nicht ferner gedacht wird, und es bekommt so den Charakter eines Sprichwortes." Und wie das Sprichwort hat es ähnliche Wirkung. Es giebt Sprichwörter wie Citate, die schlecht wirken, an denen eine laxe Sittlichkeit oder ein depravirter Geschmack eine Stütze finden; die, „gleich dem Unkraut wüste Häupter schüttelnd" tausendfältigen schädlichen Samen ausstreuen. Was das Citat anbelangt, so dürfte man vielleicht hierher das parodirte Citat rechnen, und jene, die die Gedankenlosigkeit bemänteln, so dass sie, nach der Vorrede unseres Büchleins, zum esprit de ceux, qui n'en ont pas" werden. Andererseits sind Sprichwort wie Citat, ohne Missbrauch verwendet, fruchtbare Keime, die manchem unklaren, werdenden Gedanken in der Brust des Volkes oder der Jugend plötzlich die lichte, ausdrucksvolle Form geben, und somit dem Denken wie dem Sprechen einer Nation Prägnanz und Präcision, Geist und Witz verleihen. So wirken auch sie sprachbildend, und insofern klares Sprechen klares Denken ist, sind sie ein wesentliches Glied in der complicirten Werkstätte der geistigen Bildung eines Volkes.

Von solchen Gesichtspunkten geleitet, hat der Verfasser seinen Citatenschatz gesammelt und für den bisher in unserer Sprache fehlenden, dem Citat aquivalenten Ausdruck sein „geflügeltes Wort eingeführt, nicht im Homerischen Sinne, sondern um die Natur der schnellen Verbreitung desselben zu bezeichnen. Dem Verfasser ist es gelungen, unserer Sprache damit ein neues Sprachbild zu geben, denn der Ausdruck ist bereits adop

« PreviousContinue »