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Stimme Raum gönnt, ist es doch Pflicht der Kritik, unberufene Persönlichkeiten entschieden von den Schranken ritterlichen Turniers zu weisen.

Er, jener geniale Gründer unserer germanischen Philologie, jener vom reinsten Wahrheitsdrang beseelte unermüdliche Forscher, er soll nicht etwa geirrt, was menschlich sondern wissentlich Irrtum und Schein verbreitet und vor der richtigen Erkenntnis absichtlich die Augen geschlossen haben! Er, unser grosser Todte, dessen unsterbliches Verdienst es ist, dass er nicht nur wie ein königlicher Bauherr den Kärrnern zu thun gab, sondern dass er unserm Volke, er der Erste, das Verständnis alter Herrlichkeit erschloss, und im vollsten Sinne zu den Wohlthätern des gesammten Vaterlandes gehört, er darf nicht etwa im Einzelnen berichtigt, was er selber theils schon that, theils von den Jüngern hoffte sondern von Leuten, nicht wert, dass sie seine Schuhriemen auflösen, wie ein Schulbube zurechtgewiesen werden?

Und wer denn ist der Neider seiner Grösse? Wer der Riese, der in voller Unkenntnis der Würde und Kraft seines Gegners den kecken Angriff wagt? Ein Herr Dr. von SchmitzAurbach in Heidelberg, der den Stolz der Nation zu schmähen sich erlaubt und nichts erlangt, als das beschämende Bewusstsein, eine Unart begangen und sich lächerlich gemacht zu haben.

Nun legen wir aber den Harnisch der Entrüstung ab und beleuchten zu unserer eigenen und der Leser Erheiterung die Donnerkeile unseres Anonymus.

Unser Freund weiss nicht, dass unser Meister Grimm es uns Neueren leider unmöglich gemacht hat, bei der Erforschung sprachlicher Formen bloss mit dem Handwerkszeug der Begriffserklärung zu erscheinen; andere aber sind unserem Freunde unbekannt.

Immer nur redet er von der Gleichheit und Verschiedenheit der Bedeutungen, und weil er sich nicht klar machen kann, wie ein Perfectum zu präsentischer Bedeutung fortschreiten könne, gelangt er zu der Behauptung, die Formen ich kann, ich darf u. s. w. seien echte Präsentia. Da aber die Flexion widerspricht, kommt er zu der Entdeckung einer

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„teutischen Medialconjugation." Hätte unser Freund, statt auf Grimm zu schelten, nach der Lectüre seiner Geschichte der Sprache," deren eigentümliche Stellung unter des geistreichen Philologen Werken er nicht zu kennen scheint (dieselbe bietet neben weiten Perspectiven angriffsfähige Hypothesen), vor allem Bekanntschaft mit Grimms Grammatik, sodann mit der verwandten Literatur gemacht, so würde er erkannt haben, dass man zu solchen Untersuchungen, wie der in Rede stehenden, nach den zwar verwickelten doch sehr bestimmten Gesetzen der Etymologie verfahren müsse, dass dazu unter andern 1) einige Studien in den verwandten germanischen, vor allen in der gotischen Sprache gehören; dass man 2) auch nicht ohne einige Kenntnisse im Griechischen, Lateinischen und im Sanskrit zum Ziele gelange; dass 3) zuweilen auch einige Belesenheit in den verschiedenen Literaturen nützlich sei, und 4) auch etliche sprachgeschichtliche, sage ich lieber „allgemein sprachwissenschaftliche" Studien wünschenswert scheinen.

Unser Freund aber lebt noch in der arkadischen Unbefangenheit, von all diesen Apparaten oder wenigstens von ihrem Gebrauch keine Ahnung zu haben, woraus sich eigentlich auch nur das Wagestück seines Aufsatzes erklärt.

Wer kennete nicht, unsere reiferen Gymnasiasten nicht ausgeschlossen, das Grimm'sche Gesetz der Lautverschiebung, wonach z. B. die griechische oder römische Muta t im Gotischen als aspirata th, im Hochd. als d auftritt (vgl. tu, thu, du)? Unser Freund kennt dies Gesetz nicht; er steht noch auf dem verjährten Standpunkt einiger urwüchsiger Südländer unserer Teuten-Nation" und huldigt dem Irrtum einer „teutischen" Sprache, während andere Leute längst deutsch reden. Nach jenem allbekannten Gesetze des Kreislaufs der Mutenverschiebung entspricht griech. oder röm. d einem gotischen t und dies beim Mangel einer hochdeutschen Aspirate unserm ß, so dass z. B. in gesetzmässiger Form neben einander stehen vidi, vait, weiß (wie pedes, fôtjus, Füße u. v. a.). Unser Freund aber, in Unkenntnis dieser Zusammengehörigkeit, sagt: die Herleitung des weiß von vidi ist irrig; das Zeitwort weiß ist vielmehr ein mediales Präsens von weisen und bedeutet bin unterwiesen. Leider müssen wir ihm sagen, dass diese

Herleitung eine etymologische Unmöglichkeit ist, ebenso wie die folgende. Er hält nämlich dafür unglaublich zu sagen — es sei wissen mit sein, „das ursprünglich issen (1) gelautet haben werde und sein anlautendes w einbüsste," zu vergleichen. So völlig ist ihm das Gesetz der Lautverschiebung fremd, dass er sich durch die zufällige heutige Schreibung wissen, in der die beiden ss nur orthogr. Ungenauigkeiten für ß sind, das seinerseits aus t entsprang, verleiten lässt, es mit dem Hilfsverb sein zu verbinden, dessen s in allen verwandten Sprachen ein uraltes, und, weil es nicht zur Mutenreihe gehört, niemals in die t-Reihe verschoben werden konnte. Man vergleiche die constanten s mit den verschiebbaren Dentalen in folgenden zwei Reihen:

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Es gehören s und so verschiedenen Lautreihen an, dass unsers Freundes angesetztes iten (für issen oder sein) sich als völlig gesetzwidrig ergiebt. Er wolle hieraus ersehen, dass strengere Studien süddeutschen Schwärmereien zwar Zügel, aber doch sehr heilsame anlegen.

Und warum soll denn weiß durchaus keine Perfectform sein und warum muss die etymologische Zusammengehörigkeit mit vidi geleugnet werden? Weil der Begriff ich habe gesehen niemals die präsentische Bedeutung ich weiss habe erlangen können! Allein in der Phrase: „Ich weiss es, ich habe es selber gesehen" haben doch beide Glieder eigentlich gleichen Sinn. Andererseits zeigen sich Begriffsveränderungen aller Orten in der Sprache. Erhält doch der ursprüngliche Optativ im Lateinischen conjunctivischen Sinn; das Participium amamini bekommt den Begriff bestimmter Persönlichkeit, der Locativ die Bedeutung des Genitivs u. s. w. Aehnlicherweise wird der Dativ Wegen zur Präposition: wegen seiner Abwesenheit, und empfängt das Dingwort sêr (= Schmerz, vgl. versehren) ganz abweichenden adverbialen Sinn: sehr natürlich. Und was den Uebergang perfectischer Bedeutung in präsentische anlangt, so liegt er sogar nahe, da beide Zeiten Gegenwarten sind, die eine die vollendete, die andere die dauernde. Was aber jeden Zweifel daran hinwegräumt, dass

weiß ein Perfectum ist (übrigens zweifelt Niemand als unser Freund), ist der Umstand, dass auch im Griech. die Perfectform olda und ebenso im Sanskr. vêda ich weiß bedeutet. So allgemein bekannten Thatsachen gegenüber fallen unsers Freundes etymologische Phantasien in Nichts zusammen, wie noch einige Beispiele deutlich machen sollen.

Er sagt: Darf steht neben dürfen; dies entsprang aus dur (durch, Thor) und heffen haben. Dürfen ist ein Durchhaben, ein Thor haben, eine Erlaubnis haben. Hier finden wir dieselbe Unkenntnis der Lautverschiebungsgesetze, wie oben, indem die verschiedenen Anlaute in durch und Thor von vornherein die Vergleichung mit dürfen verbieten.

Er lehrt ferner: Das Zeitwort kan ich erkenne hat durch Enthauptung des lat. cogn-osco seine Entstehung gefunden. () Sei ihm gesagt, dass kenne nicht aus unverstandenem cogn- herübergenommen, sondern aus der asiatischen Heimat mitgebracht worden. Im Sanskr. heisst die Wurzel gnâ, zu der im Gr. yvw-9, im Lat. (g)novi und im Deutschen, natürlich mit Verschiebung des g zu k, die Wurzel knâ und kan, ken-ne zu stellen ist.

Die Perfectform in ich mag leugnend, behauptet unser Freund, es sei ein mediales Präsens, hänge mit mic in a-mic-us zusammen und bedeute ursprünglich: ich liebe. Allein die Trennung a-mic-us, in der mic der Stamm sein soll, ist nur für Jemand möglich, der keine hinlänglichen sprachlichen Studien gemacht hat. Man hat zu theilen am-icus, von am-o aus cam-o, wie aus câ-rus (für cam-rus) hervorgeht. Die Sanskritwurzel heisst kam, lieben. Also ist unsers Freundes Präsens mag aus amicus hinfällig. Er hätte vielmehr an lat. magnus, und, wäre ihm der Sanskrit zugänglich gewesen, an manhwachsen denken sollen; ich mag heisst also ursprünglich ich bin gewachsen, woraus die präsentische Bedeutung ich habe Kraft, ich vermag entsprang. Dieser Sinn klingt in möglich noch an; im Simplex mag hat sich die Bedeutung noch weiter schattirt, statt Kraft haben, bedeutet es jetzt Muth, Lust haben. Hiernach beurtheile man, ob Grimm nicht Recht hatte, mag und vermag für gleicher Abstammung zu halten, worüber ihn unser Freund aber ernstlich meistert:

Durch blossen Gleichlaut sollte kein Wortforscher sich verleiten lassen, zweien Wörtern einerlei Herkunft beizumessen." „Grimm hat anders gedacht, hat darf und bedarf und ebenso mag und vermag für Eins gehalten." Aber auch in dem Tadel wegen der Verbindung von darf und bedarf verrathen sich sehr lückenhafte Kenntnisse. Hätte unser Süd-Teutone, falls ihm dies freistände, eine Luther'sche Bibel zur Hand genommen, so hätte er gegen Ende des Matthäus gefunden: Er hat Gott gelästert; was dürfen wir weiter Zeugnis, wo neuere Drucke bedürfen setzen. Und anderwärts steht: Die Gesunden dürfen des Arztes nicht und ähnliche an vielen Orten. Auch bedeutet ja das alte darbâ im Hildebrandsliede (darbâ gistoutun) Mangel, Entbehrung, wofür wir jetzt Bedarf sagen.

So erfährt das berauschende Gefühl unsers Freundes, Auffinder einer „teutischen Medialconjugation" zu sein,. hiermit einige Abkühlung. Wären seine sprachgeschichtlichen Studien schon gründlicher geworden, so würde ihm nicht entgangen sein, dass das ursprünglich complicirte Flexionssystem unserer indoeuropäischen Sprachen sich in demselben Masse vereinfachte, als sich die einzelnen Völker von der asiatischen Quelle entfernten. So sank allmählich das Medium, das Passivum, der Dualis, der Locativ und andere Fälle; so büssten schon die Römer, mehr noch die Goten die reduplicirten Perfecta, die Romanen ihre flectirende Comparation ein, und immer mehr nehmen unsere Sprachen die Richtung, ihre Flexionsformen durch Umschreibung zu bilden. Daher war es von vornherein sehr bedenklich, in unserer modernen Sprache noch Medialformen auffinden zu wollen.

Endlich erregen unseres Freundes wahrhaft antediluvianische Vorstellungen von der Genesis der Sprachen unsere höchste Heiterkeit. Völlig unbekannt muss ihm sein, dass uns europäischen Völkern von unserer gemeinsamen asiatischen Mutter auch eine gemeinsame Mitgift an Sprachstämmen gegeben wurde, die von jedem Volke zwar nach eigenen Gesetzen fortgebildet wurden, die aber aller Orten die Sprachverwandtschaft bekunden. Nun aber meint unser Freund: Das Zeitwort will sei aus der teutischen Sprache in die lateinische eingedrungen, denn im Latein finde sich kein Wort, welchem dies

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