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Gedanken und Dinge. -In Deutschland hat sich aus der Physiologie, [Psychologie und comparativen Sprachfunde allmälig eine wirkliche Philosophie der Sprache zu bilden angefangen, welche wohl am meisten dazu beiträgt, den Begriff der Sprache aus der eigentlichen Logik auszuscheiden. In den gewöhnlichen französischen propädeutischen Werken wird in der Logik noch immer ein Capitel: des signes et des langage et de leurs rapports avec la pensée vorgetragen, welches ein Ges misch Leibnizischer und Locke'scher Philosopheme über diesen Gegenstand enthält.

II. Die Topik und Mnemonik.

Die Grammatik enthält concreter Weise als Be= griff der Sprachformen die Logik in fich. Die Wörter verbinden sich zu Sähen, die Säße zu Perioden. Die Periode ist das Element der Rhetorik. Der Satz ist seiner Form nach ein Urtheil und die Entwicklung der Periode geht wesentlich in ein Schließen über. Wie daher der Grammatik die Elemente des Urtheils zu Grunde liegen, nämlich Subject, Prädicat und Copula, so der Rhetorik die verschiedenen Formen des Urtheilens und Schließens. Die Syntax ist der Selbstübergang der Grammatik in die Rhetorik. Wie immer eine Darstellung auch von Seiten der Empfindung und der Phantasie eine besonders gefärbte sei, so muß sie doch von Seiten der Gliederung logisch sein. Die Definition und die Division, die von so großer rednerischer Wichtigkeit

sind, gehören dem Begriff selbst an, dem Verhältniß des Allgemeinen, Besondern und Einzelnen.

Da die Rhetorik wesentlich Wissenschaft einer Kunst ist, so wird in ihr die Logik allerdings zur Kunstlehre des Denkens, wie man sie nicht selten genannt hat. Die Verbindung der Logik mit der Rhetorik ist eine vollkommen natürliche und von den Stoikern an bis auf unsere Tage stets erneuete. Noch A. Schopenhauer: die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, 1844, S. 101 sagt hierüber: „Logik, Dialektik und Rhetorik gehören zusammen, indem sie das Ganze einer Technik der Vernunft ausmachen, unter welcher Benennung fte auch zusammen gelehrt werden sollten. Logik als Technik des eigenen Denkens, Dialektik des Disputirens mit Andern und Rhetorik des Redens zu Vielen (concionatio); also entsprechend dem Singular, Dual und Plural, wie auch dem Monolog, Dialog und Panegyrikus."

Die Modification, welche die Logik als rhetorische erhalten hat, haben die Alten Topik genannt, weil ste dem Redner die vornehmsten Anhaltpuncte, zum deutlichen, reichlichen und gutem Sprechen über irgend einen Gegenstand gewähren sollte. Im Organon des Aristoteles folgt fic auf die Analytiken und bestimmt gleich Eingangs ihren Swed fo: «Η μὲν πρόθεσις τῆς πραγματείας μέθοδον ἑυρεῖν, ἀφ ̓ ἧς δυνησόμεθα συλλογίζεσθαι περὶ παντὸς τοῦ προτεθέντος προβλήματος ἐξ ἐνδόξων, καὶ αὐτοὶ λόγον ὑπέχοντες μηδὲν ἐροῦμεν

ὑπεναντίον. πρῶτον οὖν ῥητέον τί ἐστι συλλογισμὸς καὶ τίνες ἀυτοῦ διαφοραί, ὅπως ληφθῇ ὁ διαλέκτικος συλλογισμός· τοῦτον γὰρ ξητοῦμεν κατὰ τὴν προκει μένην πραγματείαν." Kriftoteles führt mit befonderer Berücksichtigung der Fehler, die dabei gemacht werden können, den Begriff der Definition und richtigen Begründung so wie den Begriff der deutlichen Feststellung des Themas und der Disposition aus. Die Ciceronianischen Arbeiten dieser Art sind am Bekanntesten.

Unsere Bilderfibeln befolgen ebenfalls ein mnemonisches Verfahren, die Abstraction eines Lautes und Zeichens an eine Anschauung zu knürfen.

Im Mittelalter verschmolz die Topik mit der Mn emonik zu einer Erfindungskunst, deren lockende Verheißungen seit der Lullianischen Ars magna noch Jahrhunderte hindurch selbst vorzügliche Geister geäfft haben. Die Redner der Griechen und Römer bedienten fich der Mnemonik wirklich, um sich das abstracte Firiren von Vorstellungen und Namen zu erleichtern. Für die Trefflichkeit der Sache folgt jedoch aus dieser Thatsache nichts. Die Alten hatten ein ihnen natürliches Wohlgefallen an aller Symbolik und ließen auch für die Technik der Redekunst ihr unterhaltendes Spiel zu, jedoch, nach Allem zu schließen, in einer sehr untergeordneten Weise. Sie unterschieden Örter und Bilder, τόποι καὶ ἐδῶλα, loci uns simulacra per imagines im eigentlichen Sinn. Um irgend eine Vorstellung in sich zu befestigen, sollte man sich 1) einen wirkichen Ort;

2) in diesem Ort irgend einen Gegenstand gleichsam als Erinnerungssignal vorstellen und 3) mit diesem diejenige Vorstellung und denjenigen Namen verknüpfen, um welche es zu thun war. Die übrigens ganz willkürliche Erfindung von Örtern nannte man Topologie, die eben so willkürliche von Bildern Glyphographie. Die Örter waren ursprünglich die nächsten Localitäten, Gebäude, Straßen, Pläge. Man empfahl einsame vor belebteren, weil jene einen festeren Anhalt darböten. Man warnte vor der Anlegung von Örtern an SäuLengängen, weil Säulen eine zu große Ähnlichkeit mit einander hätten und daher leicht zu Verwechselungen führen könnten u. dgl. m. Simonides der Dichter sollte die Mnemonik erfunden haben. Cicero de oratore II, 86 88 weiß ein artiges Geschichtchen zu erzählen, wie Simonides bei einem Gastmahl dem Tode durch den Einsturz der Zimmerdecke zufällig entgangen sei, aber aus der Erinnerung des Ortes, auf welchem jeder Gast gelegen, die Sammlung der sonst unkenntlichen Gebeine eines jeden möglich gemacht habe. So sei er auf die Wichtigkeit des Ortes für das Gedächtniß ge= kommen, habe dann die Schreib kunst dem Gedächtniß, die Schreibtafel dem Orte und den Buchstaben dem Bilde verglichen. Das Gehör durch das Gesicht, das Innere durch das Äußere zu unterstügen, sei der Zweck der Mnemonik. Die ausführlichste Auseinandersehung hierüber gibt uns der Auctor libri ad Herennium III, 16–24, allein aus ihr gerade können

wir abnehmen, wie unbeholfen in der That eine Kunst gewesen, die von Cicero bei manchen Bedenken gegen die verbildlichende Manier doch als eine so vorzügliche ge= priesen wird. Capitel 21 wird als Beispiel angeführt: jam domicitionem reges Atridae parant. Die domicitionem zu merken, soll man sich einen gewissen Domitius vorstellen, wie er die Hände zum Himmel erhebt, als er von den königlichen Marciern gepeitscht wird. Sodann soll man sich die Schauspieler Aesop und Cimber vorstellen, wie sie in dem Schauspiel Jphigenie den Agamemnon und Minelaos darstellen, um sich hierdurch an die Atridenkönige zu erinnern!

In der That, scheint dies Beispiel nicht eigends erfunden zu sein, von aller Mnemonik abzuschrecken? Mahnt es uns nicht sogleich an jenen Irländer, der doch zu Fuß nach England zu kommen hoffte, wenn er nur einen recht großen Umweg nähme? Alle sogenannte Methoden der Mnemonik laufen freilich immer auf das Deutsche Sprichwort hinaus, die Meile fünfviertel zu gehen. Zu einem Beispiel wählt man gern ein solches, welches die Wahrheit und den Vortheil einer Lehre recht augenscheinlich hinstellt und so könnte man, stünd' es nur nicht bei Cicero, jenes von Unbequemlichkeiten wimmelnde Beispiel für eine Satire auf die Mnemonik halten. Wie einfach ist der Saz: Die Atridenkönige rüsten sich zur Heimkehr. Wie leicht läßt er sich be= halten! Statt dies aber geradezu zu thun, soll ich vielmehr eine Menge gar nicht dazu gehöriger Vorstellungen

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