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des Denkens auf das Sein stehen bleiben zu müssen. Vergäße ich dies, bildete ich mir ein, im Denken die Sache selbst zu erfaffen und die Wahrheit an und für sich zu erkennen, so würde ich transcendent und überschritte die dem Denken nothwendigen Grenzen, obwohl ich den Begriff der Wahrheit als der Identität des Denkens und des Seins habe. In dem offenbaren Widerspruch dieses Bewußtseins und jener Mäßigkeit liegt der Mangel dieser Logik.

Als Kant sie mit der Gewissenhaftigkeit des Vorfthers eines über Leben und Tod richtenden Tribunals erschuf, verlor er das wahre Problem der Speculation keinen Augenblick aus dem Geficht; allein eben so unaufhörlich mühete er sich, die Identität des Denkens und Seins, außer im Begriff des Selbstbewußtseins, wieder in Abrede zu stellen. Ueberblickt man die Kritik der reinen Vernunft, so kann man bei dieser krausen Architek= tonik, bei diesen vielen Neubildungen subtiler Begriffe sich zuweilen der Vorstellung nicht entschlagen, ob nicht eine einfachere Gestaltung möglich, ob nicht diese seltsamen Benennungen zu vermeiden gewesen? Ja wohl, nun die That geschehen, kann man sich allerlei vorstellen, wie es anders zu machen. Eitle Altklugheit! Hätte Kant diese Vollständigkeit der Entwicklung nicht durchgemacht, so würde die Aufhebung des Dualismus von Sein und Denken, wie er ihn noch bestehen ließ, viel schwerer ge= worden sein. Wie er ihn noch bestehen ließ, denn er that dies so, daß die Gegensäße überall schon ineinander

versunken waren und es, ihre Morschheit offenbar zu machen, nur noch Eines Stoßes bedurfte. Man könnte es eine Lift Kants nennen, die Seiten des Gegensages in so mannigfaltige Wendungen zu kleiden, als ob immer von etwas Anderem, Neuem die Rede wäre, indessen doch nur die Synthesis a priori, die sich selbst als Sein be= stimmende Nothwendigkeit des Denkens, den eigentlichen, constanten Gegenstand der Untersuchung ausmacht. Die vier Kategorien des Verstandes mit ihren Trichotomien; die Apprehension, Reproduction, Recognition und Synthefts des Selbstbewußtseins; die Ariome der Anschauung, die Anticipationen der Wahrnehmung, die Analogien der Erfahrung und die Postulate des empirischen Denkens; endlich die Dialektik der Paralogismen der Psychologie, der Antinomien der Kosmologie und die Ideal= schlüsse der Theologie bauen ein weitläufiges Gebäude der Wissenschaft auf, in dessen Einzelheiten die Richtung auf die Cardinalfrage öfter zurückzutreten, ja zu verschwinden scheint. Aber es scheint nur so, denn Kant vergißt im Besondern das Allgemeine nicht, vielmehr verstärkt er es durch die Vielgestaltigkeit, in welcher er es logisch, psychologisch, metaphysisch wiederkehren läßt.

Die Eigenthümlichkeit seiner Logik sprach Kant be= kanntlich in dem Problem aus, wie synthetische Urtheile a priori möglich seien? Er machte sich den Unterschied des analytischen Urtheils von dem synthetischen zurecht, der zu so vielen Streitigkeiten Anlaß gab. Das analytische Urtheil soll das Prädicat dem Subject entnehmen,

das synthetische zu ihm hinzusehen; das erste soll es unmittelbar gegeben finden, das zweite es durch Vermittelung suchen. Weil das analytische und synthetische Urtheil durch sich selbst mit einander zusammenhängen, so wurden Kant's Beispiele angefochten und an jedem die entgegengesette Bestimmung aufgewiesen; 7+5 follte ein synthetisches Urtheil sein, weil in 12 weder 7 noch 5 unmittelbar gegeben seien; Ausgedehntheit, Undurchdringlichkeit, Gestalt, sollten für den Begriff des Körpers Prädicate eines analytischen Urtheils, Schwere dagegen das Prädicat eines synthetischen sein. Allein war auch Kant's Unterschied zwischen Erläuterungs- und Erweite= rungsurtheilen unzureichend, so meinte er doch etwas ganz Richtiges, wie nämlich das Allgemeine durch sich felbft sich als Besonderes bestimme, wie also die Einheit sich selbst zum Anderssein in sich, zum eigenen Unterschied auseinanderlege. Der Unterschied zwischen bloßer Nothwendigkeit und zwischen objectiver Nothwendigkeit ist immer anerkannt worden. Erdmann a. a. O. macht darauf aufmerksam, daß selbst Wolff die Bestimmung habe, wirkliche Prädicate müßten durch das Subject gesezt werden. In der Schrift eines Ungenannten: Diffe= renz der Schelling'schen und Hegel'schen Philosophie, Leipzig 1842, S. 84, findet sich in dieser Hinsicht folgende interessante Bemerkung: Wäre Kant ein gelehrter Kenner der Geschichte der Philosophie gewesen, so würde er den Aristoteles als Zeugen für die Richtigkeit seiner Unterscheidung angeführt haben. Dieser nämlich löst in seinen

Anal. posterior. ganz dieselbe Aufgabe, welche Kant glaubt lösen zu müssen, um über die metaphysischen Fragen entscheiden zu können. Wodurch Nothwendigkeit in das Erkennen komme, ist auch bei ihm der Mittelpunct der Untersuchung (1, 2) und er macht zu diesem Endzwecke dieselbe Unterscheidung, welche auch Kant für nöthig findet. Was nämlich Kant analytische Urtheile nennt, δαβ nennt lriftotelos τὸ κατὰ παντὸς, δαβ 206ftractallgemeine. Gr fagt (I, 4): Κατὰ παντὸς μὲν οὖν τοῦτο λέγω, ὃ ἂν ἦ, μὴ ἐπί τινος μὲν τινὸς δὲ μή· μηδὲ ποτὲ μὲν, ποτὲ δὲ μή. Οἷον, εἰ, κατὰ παντὸς ἀνθρώπου ζῶον· εἰ ἀληθὲς, τόνδ' εἰπεῖν ἄνθρωπον, ἀληθές καὶ ζῶον· καὶ, εἰ νῦν θάτερον, καὶ εἰ ἐν πάσῃ γραμμή στιγμή, ὡσαύτως. Σημεῖον δέ· καὶ γάρ τὰς ἐνστάσεις οὕτω φέρομεν, ὡς κατὰ παντὸς ἐρωτώμενοι, ἢ, εἰ ἐπί τινι, μή, εἰ ποτὲ μή. Diefes 206ftractallge= meine führt Aristoteles, wie Kant, in seiner legten Analyse auf den Saß des Widerspruchs zurück und zeigt, daß er die nothwendige formelle Bedingung alles Erkennens sei. Was Kant das A posteriori nennt, heißt bei lriftoteles καθ ̓ αὑτό, ὅσα ὑπάρχει ἐν τῷ τί ἐστιν. (Ι, 4). Um diesen Zusammenhang zu begreifen, muß man sich erinnern, daß omnis determinatio negatio ist, daß, was Etwas seinem Sinn, seinem Wesen nach ist, nichts Anderes ist, als was seinen Unterschied von Anderem, und damit seine Beziehung auf Anderes ausmacht. Das A posteriori Kant's geht nur auf die Beziehung auf den Menschen, das ti sotiv des Aristoteles auf das

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Dasein schlechthin, welches freilich in legter Analyse wieder identisch ist. Die synthetischen Urtheile a priori Sant's enblid feifen bei ulriftoteles τὸ καθόλου. Καθόλου δὲ λέγω, δ ἂν κατὰ παντός τε ὑπάρχη, καὶ καθ' αὑτὸ, καὶ ᾗ αὑτό. Φανερὸν ἄρα, ὅτι, ὅσα καθόλου, ἐξ ἀνάγκης ὑπάρχει τοῖς πράγμασιν (1, 4). 2lrifto= teles zeigt hierauf, daß wissenschaftliches Wissen auf der Erkenntniß des Kadóλov beruhe, und lehrt denn auch, wie man dies findet, d. h. wie synthetische Urtheile a priori möglich sind."

Daß Kant die Kategorientafel so ordnete, wie er gethan, war ein großes Verdienst, gegen welches die po= sitiven Wissenschaften, die eine so fruchtbare, aufräumende Anwendung davon machten, oft undankbar gewesen sind. Auch reinigte Kant die Kategorien von allem fremden Beiwesen, allem Nichtlogischen, welches er, wie den in die Aristotelischen Kategorien verschleppten Begriff des Raumes und der Zeit, der Transcendentalästhetik überwies. Ja, er machte selbst schon darauf aufmerksam, wie die Kategorie der Relation eigentlich den übrigen Kategorien zu Grunde liege und als ihre logische Summirung angesehen werden könne. Die Deduction der Kategorien war freilich noch keine logische, nur erst eine psychologische, vorzüglich mittelst des Zeitbegriffs. Aber gegen das sorglose Besprechen der einzelnen Kategorien bei Aristoteles, auch in der weitläufigeren Aufzählung der= selben in der Metaphysik, war die Abgeschloffenheit der Tafel und die Trichotomie der Hauptkategorien ein grø

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