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Das Kriterium der Möglichkeit wird nun in dem Begriff der Identität gefunden; ober, negativ außge= drückt, in der Abwesenheit des Widerspruchs. Hingegen, was sich widerspricht, soll unmöglich sein.

Diese Begriffe find unter der Benennung der soge= nannten Denkgeseze oder Principien des Denkens zu vier Bestimmungen auseinandergesezt, welche man, seit Wolff, 1) als das principium contradictionis; 2) identitatis; 3) exclusi tertii oder medii; 4) rationis sufficientis aufzustellen pflegt.,

Ueber diese Begriffe ist seit einem Menschenalter in Deutschland mehr Papier verderbt worden, als, bei einiger Besinnung, nöthig gewesen wäre.

Man hat z. B. Heftig darüber gestritten, ob die Philosophie mit dem Begriff der Identität, die durch sich in den Unterschied übergeht, oder mit dem Begriff der Dualität, welche die Identität erst aus sich resultiren läßt, anfangen müsse. Ueberfluß der formalistischen Eristik! Dem wirklichen Wissen ist die Identität so nothwendig als die Dualität und das Segen der Iden= tität als des Anfangs daher sogleich die Widerlegung ihrer Bestimmtheit als einer unterschiedlosen.

Man hat ferner über den Begriff der Identität und des Widerspruchs selbst heftig geftritten.

Dieser Streit vermischte ganz verschiedene Bestimm mungen.

Die Identität nämlich ist entweder abstract; so ist sie die von dem in ihr möglichen Unterschied abstras hirende.

Oder ste ist concret; so seht sie den in ihrem Begriff an sich als möglich liegenden Unterschied..

Es kommt also für den Streit immer darauf an, ob von der unterschiedlosen oder in sich unterschiedenen Identität die Rede sein soll. Geschieht dies nicht, hält man beide Bestimmungen selbst wieder abstract außer einander, so ist kein Resultat des Streites zu erwarten.

Eben so ist es mit dem Begriff des Widerspruchs. Der abstracte Widerspruch ist der, welcher in der Entgegensehung von der Einheit abstrahirt; der con= crete der, welcher in der Einheit ihre Entgegensetzung gegen sich selbst sezt.

Der Begriff des Selbstwiderspruchs, daß ein Sein nicht es selbst, eine Bestimmtheit, nicht sie selbst, Eisen hölzern, ein odpokóλov sein soll, ist in der That das Kriterium. aller Absurdität, aller Unrealität.

Etwas ganz Anderes ist es aber, daß eine Bestimmung einer andern entgegengesezt ist. Dies ist vollkommen möglich. Daß das Sein als Sein eben Sein; das Weiße als Weißes eben weiß; der Tod als Tod eben Tod ist: u. s. f., dies ist ganz richtig. Sie, als solche, können nicht zugleich nicht sein, was sie sind. Allein hieraus folgt nicht, daß nicht dem Sein das Nichtsein, dem, Weißen das Schwarze, dem Tod das Leben wirklich entgegengesest wäre. Hier ist die Möglichkeit des Wi

derspruchs keine Absurdität, denn Alles, was an sich in derselben Gattung sein Anderes hat, kann als positiv negativ, als negativ positiv gesezt werden.

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Indem ferner ein und dasselbe Subject zugleich mehre Prädicate in sich schließen; indem diese Prädicate nicht blos eine Verschiedenheit ausdrücken, sondern als Posttion und Negation sich einander entgegengesezt sein können, so folgt, daß, wenn sie mit einander in Widerspruch treten, dadurch auch das Subject selbst mit sich in Widerspruch geräth. Da nun die Prädicate gar nicht außerhalb des Subjects als pure Prädicate eristiren, so ist ihre an sich im Subject gesezte Einheit der Grund, daß sie mit einander in eine sich widersprechende actuelle Beziehung treten. Nicht nur an sich sind sie einander entgegengesett, sondern, als in demselben Subject fich entgegengesezt, widersprechen sie sich und sehen durch ihren Kampf die Eristenz des Subjectes, dessen Prädicate sie sind, selbst auf das Spiel. Der Wider= spruch kann also objectiv vollkommen eristiren. Und er eristirt auch als thatsächliches Weltgeset, in der Natur als die Polarität, in der Geschichte als der Antagonismus. Und nur diese Erkenntniß versöhnt mit der Welt und läßt das Auf- und Abwogen ihrer Lebensfluthen, läßt die Stürme und Erdbeben der Natur, wie die Revolutionen und Blutströme der Geschichte ertragen.

Wenn sich die Logik oft auf Aristoteles als auf denjenigen berufen hat, der das Princip der Identität

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und des Widerspruchs an die Spise des Erkennens ge= stellt habe, so muß dies nur nicht so genommen werden, als sei ihm irgend eine besondere Bestimmung dieses Begriffs nach seiner abstracten wie nach seiner_con= creten Seite zu unbekannt gewesen. Er sagt Anal. pr. Ι. 32: δεῖ πᾶν τὸ ἀληθὲς αὐτὸ ἑαυτῷ ὁμολογούμενον sivaι navτy. Dies ist ganz richtig, denn die Identität ist nothwendig. Etwas, ohne nicht dieses zu sein, könnte nicht wahr sein. Metaph. IV. 3: Tò autò aμa ὑπάρχειν τε καὶ μὴ ὐπάρχειν ἀδύνατον τῷ αὐτῷ καὶ κατὰ τὸ αυτὸ ἡ τοιαύτη πασῶν βεβαιότατη ἄρχη ἀδύνατον γὰρ ὁντινοῦν ταυτὸν ὑπολαμβάνειν εἶναι xai μǹ ɛival. Dafsselbe kann nicht in derselben Be= ziehung nicht dasselbe sein und nichtsein; z. B. das Weiße kann nicht, als Weißes, schwarz oder grün sein. Aber etwas ganz Anderes ist es, daß dasselbe zugleich die Einheit sich widersprechender Bestimmungen ist, nicht als neben, sondern als ineinander eristirender, wie im Grün das Gelb und Blau, im Sterben das Leben und der Tod, im Werden das Sein und Nichtsein, im Verzweifeln das Wollen und Nichtkönnen, in der Bewegung das Hier und Dort u. f. f. zugleich gesezt sind. Und so ist auch ein grünliches Weiße oder ein weißliches Grün kein Widerspruch. Daß der Kanon der Denkbarkeit, der Möglichkeit, in der Formel ausge= drückt werden kann, daß dasselbe demselben in derselben Hinsicht xarà tò autó, nicht zugleich zukommen und nicht zukommen können, bleibt also, richtig verstanden,

richtig. Das Zua erläutert Aristoteles Analyt. post. I. 3. durch den Zusag des Früheren und des Späs teren: ἀδύνατον γάρ ἐστι, τὰ ἀυτὰ τῶν αὐτῶν ἅμα πρότερα καὶ ὕστερα εἶναι. Daffelbe Subject fann febr wohl in verschiedenen Zeiten dieselbe Prädicate haben, nicht aber kann es den Unterschied der Zeit, das Frühere und Spätere, zugleich zum Prädicat haben. Aristoteles fordert auch, daß die Entgegenseßung in derselben Gattung stattfinde und veranschaulicht die Identität der fich Entgegengesezten durch die Folge der Zahlen. Die Zahl ist Zahl, sei fie die gerade oder ungerade. Ift fie aber in concreto die gerade, so ist sie nicht die ungerade und umgekehrt. Es ist unmöglich, daß sie eine andere sei. Die Numeration schreitet stets durch diese Entgegensehung des Geraden und Ungeraden fort, so daß die gerade Zahl nicht von einer geraden, sondern ungeraden, die ungerade nicht von einer ungeraden, sondern geraden gefolgt wird. Die gerade und ungerade Zahl find mithin nicht darin sich entgegengesezt, daß ste Zahlen, vielmehr darin, daß sie gegen einander in dem bestimmten Unterschiede sind, nach welchem die eine die andere an sich hat. Das Entgegengesezte bezieht sich auf sein nothwendig an sich ihm Entgegengeseztes, denn ἢ ἐξ ἐναντίων ἢ εἰς τὰ ἐναντία καὶ τὰ τουτῶν μεταξύ alles Entgegengesezte entsteht und vergeht aus Ents gegengeseztem oder zu Entgegengeseztem.

Die scholastischen Regeln, in welchen die Begriffsbestimmung der Identität und des Widerspruchs als

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