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feln, weil der Zweifel nur das subjective Moment der Gewißheit enthält. Denn, wie auch der objective Inhalt von Etwas angezweifelt werde, an dem Zweifeln kann man nicht wieder zweifeln; diese Wahrheit, so dürftig sie sei, ist des Zweifels eigener Inhalt, den er fich durch die Vermittelung seiner Negativität erwirbt. Der Dogmatismus erscheint ihm daher in Voraussegungen und Vorurtheilen befangen.

Es ist vermieden worden, bei seiner Beschreibung. den Ausdruck Glauben zu gebrauchen, weil derselbe bei uns auch die grundlose Gewißheit der absoluten Wahrheit in religiösem Sinn bezeichnet. Aristoteles ge= braucht das Wort nions auch für das unmittelbare Wissen, allein ohne alle Beziehung auf die Religion; dóga ist ihm, wie dem Platon, Meinung, und, der Form nach, Vorstellung. Leugnen läßt sich auch nicht, daß das unmittelbare religiöse Wissen wohl zu unterscheiden von dem theologischen der logischen Qualität nach, nur auf dem Standpunct der Meinung und Vorstellung steht, wenngleich es, dem Gehalt nach, einen unendlichen Werth, absolute Unfehlbarkeit in Anspruch nimmt. Der Zweifel ist aber nicht, wie manche denkfaule Theologen zu thun lieben, als ein hochverrätherisches Attentat an dem Glauben zu proscribiren, sondern in seiner Nothwendigkeit anzuerkennen. Er ist es, der nicht nur in allen positiven Wissenschaften, sondern auch in allen andern menschlichen Dingen, das Erkennen wie das Wollen promovirt. Ohne diesen Alles beweglich

machenden Spiritus familiaris ist keine menschliche Entwicklung, weder theoretisch noch praktisch möglich. Der Zweifel ist zwischen der Meinung als dem erst subjectiven Fürwahrhalten und dem wirklichen Wissen gerade eben so die Mitte, wie die Vorstellung zwischen dem Anschauen und dem Denken; wie das Wahrnehmen zwischen der sinnlichen Gewißheit und den Abstractionen des Empirismus; so daß auf der einen Seite die finnliche Gewißheit, die Anschanung und die Meinung; auf der an= dern die Erfahrungsallgemeinheit, das Denken und Wissen; in der Mitte zwischen beiden das Wahrnehmen, das Vorstellen und Zweifeln in einem inneren Zusammenhange stehen. Als die Mitte zwischen dem Meinen und dem Wissen theilt der Zweifel die Natur beider, die Zufälligkeit des ersteren und die Nothwendigkeit des Iepteren. Er ist daher entweder der relative oder der absolute.

Eine eigentliche Wissenschaft der Logik ist mithin für ihn als solchen nicht möglich. Er kann nicht durch Entwicklung einer Wissenschaft sich selbst widersprechen und vermag nur den Begriff des Widerspruchs aus feiner abstracten Allgemeinheit heraus in besondere Beziehungen zu zerlegen.

a. Der relative Zweifel.

Der relative Zweifel ist entweder der ganz unbe= stimmte oder der bestimmte. Der unbestimmte ist die ganz abstracte Negation einer Position. Er segt eine

gegebene Wirklichkeit, oder, wenn es ihm gerade einfällt, alle Wirklichkeit als Möglichkeit. Er applicirt allem Inhalt die monotone Tautologie: wer weiß, ob es wahr ist? Dies vage, vagabundirende Zweifeln ist das ernstlose, in die Frivolität ausartende, wie sie in der ironischen Frage des Pilatus: was ist Wahrheit? welthistorisch geworden ist. Dies Achselzucken über den, welcher sich der Wahrheit gewiß glaubt, ist die Afterweisheit alles blastrten Geschmeißes, das weder zum Beten des Glaubens noch zur Arbeit des Wissens die Kraft übrig behalten. Mitleidig belächelt ste die Schwärmerei des Gläubigen wie des Philosophen, der Wahrheit gewiß zu sein. Der gerechte Fluch dieser Unbestimmtheit, die Alles malcontent an= nagt, ist, daß sie, deren Altklugheit so hohl als wohlfeil ist, zulegt sich selber ein Ekel wird. — Der bestimmte Zweifel versucht die Widerlegung von Etwas aus bestimmten Gründen. Nicht in's Blaue hinein wird Etwas oder Alles in Frage gestellt, sondern in bestimmter Rücksicht nach Grund und Folge. Diese Bestimmung des Zweifels zur Bestimmtheit war der Zweck, welchen der antike Skepticismus mit seinen Epochen, Tropen, Topen oder Horen zu erreichen suchte. Da er das Wahre zum adŋlov machte, das weder von alodýtov noch vom voyτóv aus erfaßbar sein sollte, so erfanden sich seine Anhänger Kategorien des Widerspruchs, mit welchen sie das Denken auf seinem Gange gleichsam anhalten und zur Besinnung zwingen wollten, nicht in einen voreiligen Dogmatismus zu verfallen.

Die Geschichte der Epochen ist bekannt. wie sie von zehn empirisch und zufällig zusammengerafften, den Pyrrhonischen, durch Agrippa zu fünf vereinfacht wurden, bis sie endlich zu dreien zusammenschmolzen, die eigentlich nichts Anderes als das Geständniß enthielten, daß der Begriff des Verhältnisses, der Relativität, die einzig mögliche Kategorie der Skepsis set, auf welche die andern zurückkämen. Diese Tropen: der der Ver= schiedenheit; der auf das Unendliche treibenden ó els άπεiрov ¿xßáλλwv; der des Verhältnisses; der hypothetische; und der diallelische oder gegenseitige; müssen allerdings als die Logik des Skepticismus angesehen werden, als die Rüstkammer, aus welcher er seine Waffen gegen den Dogmatismus holte.

Jedoch hat nicht nur der antike Skepticismus diese Wendungen gehabt, sondern auch der moderne hat sie wiederholt, wie man bei La Mothe le Vayer, bei Hirnhaimb, Agrippa von Nettesheim und dem Skepticismus der Französischen Naturalisten sehen kann. Besonders hat die Flachheit nicht müde werden können, den flachsten Tropus, den der empirischen Verschiedenheit, mit eitler Geschwäßigkeit zu wiederholen und sich namentlich gegen den Begriff der Religion auf solche Seichtigkeit etwas einzubilden. Die Hauptschrift für das Verhältniß der Skepsis zur Logik bleibt immer, was Sertus Empirikus in den zwei ersten Büchern apòs doɣpatixoõs uns darüber hinterlassen hat, in der Ausgabe von Bekker, Berlin 1842, S. 191 391.

b. Der abfolute Zweifel.

Der relative Zweifel hebt sich zum absoluten auf, als welcher nicht mehr relativ auf diese oder jene Wahrheit sich bezieht, sondern die Möglichkeit, der Wahrheit gewiß zu werden, an und für sich für unmöglich hält. Er ist der Zweifel, der, über alle Endlichkeit hinaus, das Wissen selbst problematisch macht. Nicht dies oder fenes, sondern die Wahrheit und Gewißheit als solche bezweifelt er. Daher ist er nicht nur die Negation einer Pofiiton, vielmehr wird er consequent zur Negation der Negation, zum Zweifel am Zweifel.

Der bestimmte Zweifel macht eine bestimmte Erkenntniß durch bestimmte Gründe problematisch und ents hält darin die Möglichkeit der Widerlegung durch andere Gründe. Er geht aber nicht auf den Grund schlechthin, auf die lezte, einfachste Basts, welche die Sache felbft ist. Es werden oft die Gründe zur Feststellung einer Behauptung aufgezählt und nach ihrem Gewicht ges schägt, aber, weil die Schäzung der skeptischen wie dogmatischen Logik subjectiv ist, wird bei irgend einer Beftimmung abgebrochen. Man beruhigt sich bei gewiffen Gründen und geht grundlos nicht über sie hinaus. Nach einer andern Beziehung, die gemacht wird, kann etwas ganz anders begründet werden, ganz anders aussehen. Von solchem Begründen gelten Fallstaffs bekannte Worte:

Sprichst du von Grund? O so sei still und stumm,
Mit Gründen werf ich jeden Grund dir um.

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