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der Erdbildung durchblättert, wie wir die gewaltigen Kräfte der Natur, Hausthieren gleich, für unsre Zwecke gezähmt haben, wie uns der galvanische Strom mit Gedankenschnelligkeit auf die weitesten Entfernungen Botschaft trägt, wie wir das Sonnenlicht abgerichtet haben, uns Bilder von unübertrefflicher Wahrheit zu zeichnen, wie Gase uns die Nacht zum Tag machen und uns hoch über die Wolken und alle Berge empor tragen, so sind dies Beweise von dem Eindringen des menschlichen Geistes in das tiefste Wesen der Natur.

Aber, wie noch nie eine Zeit ihre geistige Kraft einer bestimmten Richtung zugewandt hat, ohne daß sich dieses geistige Leben, dieses Dichten, wie der Deutsche bezeichnend sagt, wie in andern Künsten so besonders in der Dichtkunst abgespiegelt hätte, und wie alle Wissenschaften und Zustände auf ihrem höchsten Tabor die poetische Verklärung annehmen," *) so stehen, um das Bündniß zu erneuen, welches schon im Jugendalter der Menschheit Philosophie, Physik und Dichtkunst mit einem Band umschlang" **) diesen Forschern unsres Zeitalters zahlreiche Dichter zur Seite, die, wie jene ihren Scharfsinn, so ihr Gefühl in den Anschauungen der Natur versenken. „Sie hängen den Kopf wieder mit dem Herzen zusammen.“ ***)

*) Jean Paul. **) Humboldt. ***) Jean Paul.

Ihre Gedanken und Worte sind der Spiegel, in dem sich die Poesie des großen Natur-Ganzen wieder faßt:

„Was die Natur auf ihrem großen Gange

zu weiten Fernen auseinander zieht,

Wird im Gesange

Der Ordnung leicht gefaßtes Glied.“ *)

Ihre Divinationen, ihre Gesänge, ihre Lieder find der stille, friedliche Feierabend, der nach all' der ermüdenden rauschenden, brausenden Arbeit zu dem erhabenen Urquell aller Dinge zurückführt.

Lassen wir sie selbst reden, wie sie, des Olymps geliebtes, auserwähltes Völkchen, sich abwendend von dem abstrakten Forschen sowohl, als dem lauten frostigen Markt der Welt sich wieder der reinen ursprünglichen Natur an den stets erwärmenden Busen werfen.

Während der Mann der Wissenschaft, was er in dunkler Nacht auf seiner Warte am Himmel beobachtet hat, nun mit gefurchter Stirne kunstreich in Zahlen bringt, liegt einer jener Jünger des Apoll unter demselben Himmel und singt:

Laßt mich in Gras und Blumen liegen
Und schau'n dem blauen Himmel zu,
Wie goldne Wolken ihn durchfliegen,

In ihm ein Falke kreist in Ruh.
Die blaue Stille stört dort oben
Kein Dampfer und kein Segelschiff,

*) Schiller.

Nicht Menschentritt, noch Pferdetoben,
Nicht des Dampfwagens wilder Pfiff;
Laßt jatt mich sehn in diese Klarheit,

In diesen stillen, sel'gen Raum 2c. *)

Indem hier einer jener Forscher mit dem Senkblei die dunkeln Tiefen des Meeres mißt und ein Anderer das Wesen der Polypen zu studiren, sich zur Lebensaufgabe sett, schaukelt sich einer jener liebenswürdigen Müßiggänger im Nachen und singt:

„Im Kahne, den Himmel beschauend, sich wiegen,

An grünenden Ufern vorüber zu fliegen,

Die Fische zu schauen, die glücklichen Thoren,
Die golden gefleckten, die blauen, die Mohren,

Zu hören das tolle Geplauder der Wellen,

Der langjamen Murren, das Lachen der schnellen,

Wie süß in so buntem, unendlichem Gnügen,

Halb wachend, halb träumend die Zeit zu betrügen.“ **)

Während hier ein Mann der Wissenschaft im Walde spaziert, lediglich um sein Herbarium zu bereichern, spricht einer jener Glücklichen sein ebenfalls genügsames Naturgefühl in den Worten aus:

„Am Waldsaum kann ich lange Nachmittage,
Dem Kukuk horchend, in dem Grase licgen;
Er scheint das Thal gemächlich einzuwiegen
Im friedevollen Gleichklang seiner Klage.
Da ist mir wohl und meine schlimmste Plage,
Den Fragen der Gesellschaft mich zu fügen,

*) Just. Kerner. **) G. Pfizer.

Hier wird sie mich doch endlich nicht bekriegen,
Wo ich auf eigne Weise mich behage.

Und, wenn die feinen Leute nur erst dächten,
Wie schön Poeten ihre Zeit verschwenden,
Sie würden mich zuletzt noch gar beneiden.
Denn des Sonetts gedrängte Kränze flechten
Sich wie von selber unter meinen Händen,

Indeß die Augen in der Ferne weiden." *)

Während der Geognost, mit dem Hammer in der Hand, Berge erklimmt, lediglich mit dem mineralischen Charakter des Gesteins, seiner Lagerung und seinen Petrefacten beschäftigt, faßt einer unsrer Sänger das ganze Hochgefühl, das uns auf den Bergen ergreift, in die Worte zusammen:

"Auf den Bergen ist Freiheit!

Der Hauch der Grüfte

Steigt nicht hinauf in die reinen Lüfte;

Die Welt ist vollkommen überall

Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.“ **)

Sie, unsre Dichter sind es daher, die uns von den Büchern, Laboratorien und Maschinen wieder zu Gottes frischem Athem, zu andächtigem Betrachten seines hohen Waltens, unter seine lebendige Creatur, in das farbige Reich der Schönheit zurückführen.

Wenn nun allerdings längst bekannt war, wie viel Erhabenes, Schönes, Tiefgedachtes über die Natur und

*) Mörike. **) Schiller.

ihre Erscheinungen in unsern deutschen Dichtungen zerstreut liegt, so werden die Freunde der Natur und Dichtkunst doch durch die vorliegende Sammlung, die eine Auswahl daraus bietet, wahrnehmen, daß auch aus dieser geistigen Welt, aus diesen zerstreuten Gedanken sich ein Natur-Ganzes herausbildet, daß auch die Dichter Seher sind und daß es seine Begründung hat, wenn einer aus ihrer Reihe im edlen Selbstgefühl singt:

,,Was hat ein Denker denn ergründet und begründet

Was nicht ein Sehermund in Ahnung vorverkündet.“ *)

Indem wir dies in's Auge fassen und zugleich hinblicken auf das berühmte Buch des Heros der NaturWissenschaften, werden wir wohl keinen Anstand nehmen dürfen, vorstehender Sammlung den Namen zu geben: Poetischer Kosmos.

Natur und Mensch

im Spiegel deutscher Dichtungen.

*) Rückert.

Frity Mayer

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