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Jedem doch die Sünde angeboren:
Dieses ist ein ernstes Gottgeheimniß.

Die Sprache.

Im Lippenrosenbett geboren

Scheffel.

Ward uns das freie Wort, ein Held;
Wer sieht's dem Weichling an, erkoren
Sei er zu herrschen ob der Welt?

Wie lang, daß festen Tritt er lerne,

Ist er an's Gängelband verdammt,
Bis ihn, gediehn zu Mark und Kerne,
Des Gottes Funke ganz durchflammt!
In Kindesunschuld würgt er spielend,

Alciden gleich, der Schlangen Schwall,
Vom Firmamente holt ihm zielend
Manch schönen Stern sein Kinderball.
Am Haupt den Kranz von Blüthenflocken
Der Glieder Bau so schön geschwellt,
Weiß er als Jüngling süß zu locken
Die Liebe, wie es ihm gefällt.

Gereift zum Manne tritt an Throne
In Erz gerüstet fordernd er,

Da springt entzwei manch' eine Krone,
Da flammt manch' andre doppelt hehr.

Welch' ein Geheimniß liegt in diesen Wundertönen! Die Sprache bleibt ein reiner Himmelshauch, Empfunden nur von stillen Erdensöhnen;

Fest liegt der Grund, bequem ist der Gebrauch.

Göthe.

Nicht dies' und jene Sprach entzückt, erfreuet mich; Was mich erfreut, entzückt, das ist die Sprach an sich : Daß eine Sprach es gibt, die was du fühlst und denkest, Dir deutlich macht, je mehr du dich in sie versenkest; Daß eine Sprach es gibt, kraft deren du verkündest Der Welt geheimen Sinn, so weit du sie ergründest.

Die Red ist uns gegeben,
Damit wir nicht allein
Für uns nur sollen leben
Und fern von Menschen sein;
Wir sollen uns befragen
Und sehn auf guten Rath,
Das Leid einander klagen
So uns betreten hat.
Was kann die Freude machen
Die Einsamkeit verhehlt?
Das gibt ein doppelt Lachen,
Was Freunden wird erzählt.
Der kann sein Leid vergessen,
Der es von Herzen sagt:
Der muß sich täglich fressen,
Der in geheim sich nagt.

Rückert.

Cim. Da ch

Des Gedankens Zwilling, das Wort scheint Hall nur,
Der in die Luft hinfließt: heiliges Band
Des Sterblichen ist es; erhebt

Die Vernunft ihm und das Herz ihm!

Herz und Zunge sind vermählt,

Zeugen Kinder immerfort;

Klopstoc.

Doch wenn ihnen Eintracht fehlt,
Wird zum Bastard jedes Wort.

Logan.

Sieh, es gleicht der Mensch dem Baume, schlicht und schmucklos grünt er fort:

Doch wie schön, wenn der Gedanke dran als bunte
Blüthe hängt,

Und hervor das Wort, das frcie, reif als goldne
Frucht sich drängt.

Und es gleicht der Mensch dem Strome, unbelebt und
öde nur,

Eine todte Wasserhaide dehnt er flach sich durch die Flur; Doch wie herrlich, wenn darüber frei und fröhlich, her und hin

Die Gedanken, gleich wie Schifflein und wie Silberschwäne ziehn.

Frei das Wort, frei der Gedanke! Wackre Schiffer sind es schier,

Will nicht aus dem Meer die Sonne, segeln sie ent

gegen ihr!

Bis dann flammt die Morgenröthe, und es klingt in ihrem Schein

Mehr als eine Memnonsfäule hell durch's Land und voll und rein!

A. Grün.

Selbst Seelenloses lebt in Lauten;

Jm todten Reiche der Natur

Vernimmt der Mensch die Sinnvertrauten
Und sindet froh des Lebens Spur.
Wer hört nicht die Dryaden klagen,
Wenn Flüstern durch die Bäume weht,

Das, von den Zephyrn fortgetragen,
Mitfühlend jeder Baum versteht?
Doch erst in eines Menschen Munde
Erhält es Deutung und Gewicht,
Vom innern Leben gibt es Kunde,
Du sprichst und jedes Siegel bricht.

M. Döring.

Phantasie und Kunst göttliche Geschenke des Menschen.

Welcher Unsterblichen

Soll der höchste Preis sein?

Mit Niemand streit ich,
Aber ich geb ihn

Der ewig beweglichen,
Immer neuen,

Seltsamen Tochter Jovis,
Seinem Schooskinde:

Der Phantasie.

Denn ihr hat er

Alle Launen,

Die er sonst nur allein

Sich vorbehält,

Zugestanden,

Und hat seine Freude

An der Thörin.

Sie mag rosenbekränzt

Mit dem Lilienstängel
Blumenthäler betreten,
Sommervögeln gebieten,

Und leicht nährenden Thau

Mit Bienenlippen

Von Blüthen jaugen.

Oder sie mag

Mit fliegendem Haar
Und düsterm Blicke
Im Winde sausen
Um Felsenwände
und tausendfarbig,

Wie Morgen und Abend,
Immer wechselnd,
Wie Mondesblicke,
Den Sterblichen scheinen.

Laßt uns alle

Den Vater preisen !

Den alten, hohen,

Der solch eine schöne
Unverwelkliche Gattin
Dem sterblichen Menschen

Gesellen mögen!

Denn uns allein

Hat er sie verbunden

Mit Himmelsband,

Und ihr geboten,

In Freud' und Elend,
Als treue Gattin

Nicht zu entweichen.

Alle die andern

Armen Geschlechter
Der kinderreichen
Lebendigen Erde

Wandeln und weiden
In dunkelm Genuß
Und trüben Schmerzen
Des augenblicklichen

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