Des Schlosses Felsengrund. Der Heiden Herz erkrankt; Der Sultan, übertäubt von so viel Wunderdingen, Sein Puls schlägt matt und endlich gar nicht mehr. Auf einmal schweigt der Sturm; ein lieblich säuselnd Wehen Und wie ein Engelsbild ob einer Todtengruft Lässt Oberon sich jetzt auf einem Wölkchen sehen. Ein lauter Schrei des Schreckens und der Lust Entfährt der Perserin; ein unfreiwillig Grauen Gefaltet, steht sie glühend neben Dem Jüngling da, dem sie ihr Herz gegeben, Und wagt, der süssen Schuld jungfräulich sich bewusst, Zu ihrem Retter kaum die Augen zu erheben. 'Gut, Hüon,' spricht der Geist, 'du hast dein Ehrenwort Gelöst, ich bin mit dir zufrieden. Zum Ritterdank ist dir dies schöne Weib beschieden. Doch eh' ihr euch entfernt von diesem Ort, Die rasche Wahl verführter Augen büsset. Zu bleiben oder gehn lässt ihr das Schicksal frei. 'So vieler Herrlichkeit entsagen, 10 20 Verlassen Hof und Thron, dem sie geboren ward, 30 Um sich auf ungewisse Fahrt Ins weite Meer der Welt mit einem Mann zu wagen; Des Erdenglücks, mit ihm des Schicksals Schläge tragen-- Noch steht's bei dir, den Wunsch der Liebe zu betrügen. Verzeihn, trotz dem was er dabei verlor, Von aller Welt sich angebetet sehen.' Hier schwieg der schöne Zwerg. Und bleicher als der Tod Steht Hüon da, das Urtheil zu empfangen, Womit ihn Oberon, der Grausame! bedroht. In Asche sinkt das Feuer seiner Wangen. Zu edel oder stolz, vielleicht ein zweifelnd Herz Mit Liebesworten zu bestechen, Starrt er zur Erde hin mit tief verhaltnem Schmerz Und lässt nicht einen Blick zu seinem Vortheil sprechen. In seinem Arm, indem, hoch schlagend von Entzücken, Sanft gegen sie, als wollt' er seinen Segen Auf ihrer Herzen Bündniss legen, Und eine Thräne fällt aus seinem Aug' herab Auf beider Stirn. 'So eil' auf Liebesschwingen,' Spricht er, 'du holdes Paar! Mein Wagen steht bereit, Wie einem Traum entwacht steht Hüon's schöne Braut, Der noch die Luft erfüllt. Drauf sinkt ein scheuer Blick Zu starren scheint. Sie seufzt, und wehmuthsvoller Kummer Sie hüllt sich ein. Herr Hüon, dem die Liebe Die Sinne schärft, sieht nicht so bald Ihr Herz beklemmt, ihr schönes Auge trübe, So drückt er sie mit zärtlicher Gewalt, Den rechten Arm um ihren Leib gewunden, Zum Saal hinaus. ' Komm', spricht er, 'eh' die Nacht Den uns zu Lieb' der Geist mit Zauberschlaf gebunden. Wird unser Schützer auch für diese Schläfer sorgen.' Den Oberon zu ihrer Flucht verschafft: Und eine süssre Last hat nie ein Mann getragen. Wie eine Gruft, und Leichen ähnlich liegen Nichts hemmt der Liebe Flucht, der Wagen wird bestiegen; Mit Scherasmin steigt auch die Amme hastig ein. Sie, die zum ersten mal so viele Wunder siehet, Die arme Frau weiss nicht, wie ihr geschiehet. Wie wird ihr, da sie rückwärts schaut Und sieht an Pferde Statt vier Schwanen vor dem Wagen, Da sie emporgelupft und durch die Luft getragen Sich fühlt, und kaum zu athmen sich getraut, Und, steter als ein Kahn, auf leichten Wolken schwebt! Was Wunder, dass die Furcht zuletzt die Scham besiegte, IO 20 30 Als wie zum Schlaf an ihren lieben Pfühl! Vermuthlich, dass der Mann dazu sich willig fügte ; Dass er wie reines Gold dies Feuer ausgehalten. Davonzuführen schien. Ob auf gewohnten Bahnen Ob durch die Luft, ob's rollet oder schwimmt, Ob langsam oder schnell, mit Pferden oder Schwanen, Sie werden nichts von allem dem gewahr. Ein neuer Wonnetraum, ein seliges Entzücken Ins Paradies dünkt sie ihr gegenwärt'ger Stand; Sie können nichts als stumm, mit nimmer satten Blicken, Und, während Himmel und Erd' aus ihren Augen schwand, 'Ist's? oder träumt uns noch? Sind wir in einem Wagen?' 'War's Hüon, und ein Gott hat dich mich finden lassen?' So wundervoll vereint, uns nimmer nimmermehr Zu trennen! Kann das Herz so viele Wonne fassen?' Nacht ist nicht Nacht für sie; Elysium Und Himmelreich ist alles um und um; ΙΟ 20 30 Allmählich wiegt die Wonnetrunkenheit Das volle Herz in zauberischen Schlummer; Die Augen sinken zu, die Sinne werden stummer, Die Seele dünkt vom Leibe sich befreit, In ein Gefühl beschränkt, so fest von ihm umschlungen! GOTTHOLD EPHRAIM LESSING. [Scherer D. 438, E. II. 47.] Geboren den 22. Januar 1729 zu Camenz in der Oberlausitz. Er erhielt seine erste Erziehung im Hause seines Vaters, eines Predigers, und auf der Schule zu Camenz, kam 1741 auf die Fürstenschule nach Meissen und gieng 1746 nach Leipzig um Theologie zu studieren, wovon er bald durch andere Interessen abgezogen wurde. Schon damals begannen seine eigenen schriftstellerischen Arbeiten, und 1748 kam sein erstes Lustspiel 'Der junge Gelehrte' auf dem Neuberschen Theater in Leipzig zur Aufführung. Sein Vater, dem der Umgang des jungen Theologen mit den Schauspielern in Leipzig misfiel, rief ihn nach Haus; doch der junge Dichter kehrte bald nach Leipzig zurück, gieng dann nach Wittenberg und liess sich 1748 als Student der Medicin immatriculieren. Er entschloss sich jedoch bald seinem schriftstellerischen Berufe zu folgen und gieng zu diesem Zwecke, obgleich von allen Mitteln entblösst, nach Berlin. Hier erhielt er sich durch literarische Thätigkeit und schrieb die gelehrten Beiträge für die Vossische Zeitung. 1751 erschien eine Sammlung seiner Gedichte ('Kleinigkeiten '); 1753 konnte er die Herausgabe seiner Schriften in sechs Banden beginnen; 1755 schrieb er sein Trauerspiel 'Miss Sara Sampson' und gieng noch in demselben Jahre nach Leipzig zurück. Hier blieb er mit wenigen Unterbrechungen bis 1757 und ernährte sich durch seine Arbeiten über Kunst und Geschichte. Von 1758 bis 1760 war Lessing in Berlin, begann 1759 seine 'Litteraturbriefe' und gab seine Fabeln und andere Sachen heraus, ward 1760 Mitglied der Academie und gieng dann als Secretär des Generals von Tauenzien nach Breslau. Während seines dortigen Aufenthalts gab er wenig heraus, lebte viel in der Gesellschaft, sammelte aber Material für spätere Arbeiten. 1763 dichtete er 'Minna von Barnhelm' (1767 erschienen). Von Breslau gieng er 1765 nach Berlin; hier arbeitete er am 'Laokoon', der 1766 erschien. 1767 gieng er nach Hamburg, um daselbst ein deutsches Nationaltheater zu gründen und zu leiten. Der Versuch misglückte, |