Page images
PDF
EPUB

Zeigt überall, auch an den Gränzen des heiligen Landes der Religion, dem Kinde anbetende und heilige Empfindungen; diese gehen über und entschleiern ihm zuletzt den Gegenstand, so wie es mit euch erschrickt, ohne noch zu wissen wovor. Newton, der sein Haupt entblösste, wenn der grösste Namen genannt wurde, wäre ohne Worte ein Religionlehrer von Kindern geworden.-Nicht mit ihnen, sondern nur vor ihnen dürft ihr euere Gebete beten, d. h. Gott laut denken ; aber wol mit ihnen ihre eigenen. Eine verordnete Erhebung und Rührung ist eine entweihete ;-Kindergebete sind leer und kalt, und eigentlich nur Ueberreste des jüdisch-christ- 10 lichen Opferglaubens, der durch Unschuldige, statt durch Unschuld, versöhnen und gewinnen will; und heimlich behandelt das Kind den Gott, den ihr ihm mündlich gebt, gerade so wie der Kamtschadale und jeder Wilde den seinigen. Ein Tischgebet vor dem Essen muss jedes Kind verfälschen. Auch später sei der Bettag und jeder Religiontag ein seltener; aber darum feierlicher; was das ergreifende erste Abendmal für das Kind ist, das lasset jede Stunde sein, worin ihr sein Herz zur Religion heiligt. Nur selten lasset Kinder in die Kirche gehen; denn ihr könnt ihnen eben so gut ein Klopstocks oder Händels Oratorium zu hören geben, als das kirch- 20 liche; aber wenn ihr's thut, so weihet sie in die Würde einer Theilnahme an den Erhebungen ihrer Eltern ein. Ja ich wollte lieberda es noch keinen besondern Gottesdienst blos für Kinder gibt, und keine Kinderprediger-ihr führtet sie an grossen Tagen der Natur oder des Menschenlebens bloss in den leeren Tempel, und zeigtet ihnen die heilige Stätte der Erwachsenen. Wollt ihr Dämmerung, Nacht, Orgel, Lied, Vaters Predigt dazu setzen: so werdet ihr wenigstens durch Einen Kirchgang mehr religiöse Einweihung in jungen Herzen zurücklassen, als ein ganzes Kirchenjahr in alten. Wehe thut dem Herzen nach diesen Ansichten die schon ziemlich 30 abgewöhnte Gewohnheit, welche man gutmüthig zurück wünscht, nämlich die, dass die Kindheit und Jugend die Predigten, d. h. deren Entwürfe im Tempel nachschreibe und zu Hause oder im Gymnasium richtig vorlege. Obwol hier dem Scherze sehr nahe, wollen wir blos im Ernste fragen: wird denn hier die religiöse Innigkeit des Zusammenfühlens nicht in ein logisches Abfleischen und Verknöchern entnervt und das Heilige und der Herzens-Zweck nicht zu

einem Mittel der Kopf-Uebung herabgezogen und jede Rührung entfernt gehalten, weil diese etwan durch das Nachfühlen das Nachschreiben verdunkeln könnte? Etwas eben so Gutes wär' es vielleicht, wenn eine Jungfrau von der Liebeserklärung ihres Geliebten sich einen kurzen pragmatischen Auszug machte, oder ein Soldat von der Feuerrede seines Anführers vor der Schlacht, oder ein Evangelist von Christi Bergpredigt eine nette Disposizion mit allen Unterabtheilungen.-Wenn so die Lehrer alle höchsten Ziele in neue Mittel und Wege, nämlich Rückwege verwandeln: gehen sie da nicht geistig so mit dem Geistigen um, wie die neuen Römer 10 leiblich mit Triumphbogen und Jupiters Tempeln, welche sie zu Wäschstangen vernützten ?

Für die armen Volkkinder, deren Eltern selber noch Zöglinge des Sonntags sind, und denen gegen den tiefen Wochen-Wust unter ihrem niedrigen Wolkenhimmel eine daraus emporziehende Hand nicht fehlen darf, gilt mehr als für Kinder höherer Stände äusserlicher Kirchdienst; die Kirchenmauern, die Kanzel, die Orgel sind ihnen Symbole des Göttlichen; es ist aber als Symbol einerlei, ob's eine Dorfkirche oder der Natur-Tempel ist; und wissen denn wir selber, ob und wo der Unausforschliche die Steigerung seiner 20 Symbole endigen kann? Braucht nicht der höhere Geist wieder ein höheres ?—

Lasset in das Allerheiligste der Religion-welches der Kirchengänger erst in die Kirche als den Tempelvorhof des Herzens mitbringt das Auge des Zöglings überall blicken, wo er nur äussere Mauern und Formen erblickt.—Jede fremde Religionübung sei ihm so heilig, wie die eigne, und jedes äussere Gerüste dazu. Das protestantische Kind halte das katholische Heiligenbild am Wege für so ehrwürdig, wie einen alten Eichenhain seiner Voreltern; es nehme die verschiedenen Religionen so liebend, wie die verschiedenen 30 Sprachen auf, worin doch nur Ein Menschen-Gemüth sich ausdrückt. Jedes Genie aber ist in seiner Sprache, jedes Herz in seiner Religion allmächtig.

Nur keine Furcht erschaffe den Gott der Kindheit; sie selber ist vom bösen Geiste geschaffen; soll der Teufel der Grossvater Gottes werden?

Wer etwas Höheres im Wesen, nicht blos im Grade sucht, als

das Leben geben oder nehmen kann, der hat Religion, glaub' er dabei immerhin nur ans Unendliche, nicht an den Unendlichen, nur an Ewigkeit ohne Ewigen, gleichsam, als Widerspiel anderer Maler, die Sonne zu keinem Menschenantlitz ausmalend, sondern dieses zu jener abründend. Denn wer alles Leben für heilig und wundersam hält, es wohne bis ins Thier und in die Blume hinab; wer, wie Spinoza, durch sein edles Gemüth weniger auf der Stufe und Höhe, als auf Flügeln schwebt und bleibt, von wo aus das All rings umher-das stehende und das geschichtlich bewegliche sich in Ein ungeheueres Licht und Leben und Wesen verwandelt und 10 ihn umfliesst, so dass er sich selber in das grosse Licht aufgelöset fühlt, und nun nichts sein will, als ein Stral im unermesslichen Glanze der hat, und gibt folglich Religion, da das Höchste stets den Höchsten, wenn auch formlos, spiegelt und zeigt hinter dem Auge.

Der rechte Unglaube bezieht sich auf keine einzelnen Sätze und Gegensätze, sondern auf die Erblindung gegen das Ganze. Macht im Kinde den allmächtigen Sinn des Ganzen rege gegen selbstischen Sinn der Theile: so erhebt sich der Mensch über die Welt, die ewige über die wechselhafte.

20

Gebt dem Kinde unser Religionbuch in die Hand; aber schickt die Erklärung dem Lesen nicht nach, sondern voraus, damit in die junge Seele die fremde Form als ein Ganzes dringe. Warum soll erst der Missverstand der Vorläufer des Verstandes sein?— Ohne Wunder gibt's keinen Glauben; und der Wunderglaube selber ist ein innres. Allem Grossen, was euch vorkommt, müsst ihr einen Sonnenblitz des Ursprungs zugestehen, dem Genius, der Liebe, jeder Kraft; nur die Schwäche und Sünde entstehen auf Stufen, Treppen und Folterleitern; die rechte Himmelleiter hat keine Sprossen. Wenigstens zwei Wunder oder Offenbarungen 30 bleiben euch in diesem, die Töne mit dumpfen Materien erstikkenden Zeit-Alter, unbestritten, gleichsam ein ältestes und ein neuestes Testament, nämlich die Geburt der Endlichkeit, und die Geburt des Lebens mitten in's dürre Holz der Materie hinein; dann aber ist mit Einer Unerklärlichkeit jede andere gesetzt, und Ein Wunder vernichtet die ganze Philosophie; folglich heuchelt ihr nicht, wenn ihr das Kind aus dem Religionbuche und aus dem

Geheimbuche der Natur alles ziehen lasset, was ihr nicht erklären könnt. Nicht durch die Lehrsätze, sondern durch die Geschichten der Bibel keimet lebendige Religion auf; die beste christliche Religionlehre ist das Leben Christi, und dann das Leiden und Sterben seiner Anhänger, auch ausserhalb der h. Schrift erzählt.

In der schönen Frühlingzeit der religiösen Aufnahme des Kindes unter Erwachsene-eine so wichtige, da es vor dem Altare zum erstenmale öffentlich und mit allen Rechten eines Ich auftritt und forthandelt-in dieser einzigen Zeit, wo plötzlich das dämmernde Leben in ein Morgenroth auf bricht, und dadurch das Neue der 10 Liebe und der Natur verkündigt, gibt's keinen schönern Priester für die junge Seele, der sie vor den Hoch-Altar der Religion gleichsam unter Tänzen und Entzückungen führe und geleite, als der Dichter ist, welcher eine sterbliche Welt einäschert, um auf ihr eine unsterbliche zu bauen, damit das Erdenleben gleich bleibe den Polar-Ländern, welche, so thier- und blumenleer, so kalt und ohne Farben, doch über sich nach dürftigen Tagen reiche Nächte tragen, worin der Himmel die Erde aussteuert, und wo der Nord- oder Polar-Schein das ganze Blau mit Feuer-Garben, Edelsteinen, Donnern, üppigen Gleicher-Gewittern füllet und den Menschen des 20 kalten Bodens an das erinnert, was über ihm lebt.

HEINRICH von kleIST.

[Scherer D. 679. E. II. 294.]

Geboren 1777 zu Frankfurt an der Oder, trat 1795 in das Potsdamer Garde Infanterieregiment, nahm 1799 Abschied, um sich dem Studium zu widmen, zuerst in Frankfurt, dann in Berlin. 1801 gieng er nach Paris, dann in die Schweiz, wo seine dichterische Schaffenskraft erwachte. Nach Genesung von einer schweren Krankheit, kehrte er nach Deutschland zurück, stellte sich Goethe in Weimar vor und besuchte Wieland in Osmannstedt. 1803 unternahm er von Dresden aus in Begleitung seines 30 Freundes, des späteren Generals von Pfuel, eine zweite Reise in die Schweiz und machte nach der Rückkehr eine neue schwere Krankheit durch. 1804 nahm er eine untergeordnete Stellung als Diätar in Königsberg an. Nach der Schlacht bei Jena gab er dieses Amt, das ihn wenig befriedigte, auf, gieng 1807 nach Dresden, wo er im Verkehr mit Tieck und andern Schriftstellern lebte und eine Zeitschrift herausgab. 1809 gieng er

nach Prag, um in dem Kriege Österreichs gegen Frankreich als Schriftsteller für die deutsche Sache zu wirken. Nach der unglücklichen Schlacht bei Wagram kehrte er nach Berlin zurück und lebte hier als Journalist. Innerlich zerrüttet und auch von äusserer Noth bedrängt machte er am 21. November 1811 in Wannsee bei Potsdam seinem Leben durch Selbstmord ein Ende, nachdem er vorher einer Freundin das Versprechen, sie zu tödten, gelöst hatte. Die erste bedeutendere Dichtung Kleists, das Trauerspiel 'Die Familie Schroffenstein' erschien 1803, sein Trauerspiel 'Penthesilea' 1808, seine Erzählungen' 1810 f., das romantische Ritterschauspiel 'Käthchen von Heilbronn' 1810, das Lustspiel 'Der zerbrochene Krug' 1811. 10 Seine beiden letzten grossen Werke sind das Drama 'Die Hermannsschlacht' und das Schauspiel Prinz Friedrich von Homburg'. Sein 'Robert Guiscard' blieb Fragment. Seine Gesammelten Schriften' wurden zuerst herausgegeben von Tieck, 3 Bde. (Berlin 1826) dann revidiert und eingeleitet von Julian Schmidt (Berlin 1859 f., 1874). Eine neue Gesammtausgabe veranstaltete Zolling (Stuttgart, 1884 ff). Briefe wurden herausgegeben von E. v. Bülow, 'H. v. Kl. Leben und Briefe' (Berlin 1848); von Koberstein (Berlin 1860) ‘An seine Schwester Ulrike'; von Biedermann ‘An seine Braut' (Breslau 1884).

I.

AUS MICHAEL KOHLHAAS.

20

Fünf Tage nach Zersprengung dieser beiden Haufen stand er vor Leipzig, und steckte die Stadt an drei Seiten in Brand.—Er nannte sich in dem Mandat, das er bei dieser Gelegenheit ausstreute, 'einen Statthalter Michaels des Erzengels, der gekommen sei, an Allen, die in dieser Streitsache des Junkers Parthei ergreifen würden, mit Feuer und Schwert die Arglist, in welche die ganze Welt versunken sei, zu bestrafen.' Dabei rief er von dem Lützner Schloss aus, das er überrumpelt und worin er sich festgesetzt hatte, das Volk auf, sich zur Errichtung einer besseren Ordnung der 30 Dinge an ihn anzuschliessen; und das Mandat war mit einer Art von Verrückung unterzeichnet: 'Gegeben auf dem Sitz unserer provisorischen Weltregierung, dem Erzschlosse zu Lützen.' Das Glück der Einwohner von Leipzig wollte, dass das Feuer wegen eines anhaltenden Regens, der vom Himmel fiel, nicht um sich griff, dergestalt dass bei der Schnelligkeit der bestehenden Löschanstalten nur einige Kramläden, die um die Pleissenburg lagen, in Flammen aufloderten. Gleichwohl war die Bestürzung in der

« PreviousContinue »