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Und die weissen, weiten Wellen,

Von der Fluth gedrängt,

Schäumten und rauschten näher und näher-
Ein seltsam Geräusch, ein Flüstern und Pfeifen,
Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sausen,
Dazwischen ein wiegenliedheimliches Singen-
Mir war als hört' ich verscholl'ne Sagen,
Uralte, liebliche Mährchen,

Die ich einst, als Knabe,

Von Nachbarskindern vernahm,

Wenn wir am Sommerabend,

Auf den Treppensteinen der Hausthür,
Zum stillen Erzählen niederkauerten,
Mit kleinen, horchenden Herzen
Und neugierklugen Augen;
Während die grossen Mädchen,
Neben duftenden Blumentöpfen,
Gegenüber am Fenster sassen,
Rosengesichter,

Lächelnd und mondbeglänzt.

3.

LIEDER.

Ich wollt', meine Schmerzen ergössen

Sich all' in ein einziges Wort,

Das gäb' ich den lustigen Winden,

Die trügen es lustig fort.

Sie tragen zu dir, Geliebte,

Das schmerzerfüllte Wort;
Du hörst es zu jeder Stunde,

Du hörst es an jedem Ort.

Und hast du zum nächtlichen Schlummer

Geschlossen die Augen kaum,

So wird dich mein Wort verfolgen

Bis in den tiefsten Traum.

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Das ist ein schlechtes Wetter,

Es regnet und stürmt und schnei't;
Ich sitze am Fenster und schaue
Hinaus in die Dunkelheit.

Da schimmert ein einsames Lichtchen, Das wandelt langsam fort;

Ein Mütterchen mit dem Laternchen

Wankt über die Strasse dort.

Ich glaube, Mehl und Eier

Und Butter kaufte sie ein;
Sie will einen Kuchen backen
Fürs grosse Töchterlein.

Die liegt zu Haus im Lehnstuhl,
Und blinzelt schläfrig in's Licht;
Die goldnen Locken wallen

Ueber das süsse Gesicht.

Das Meer erglänzte weit hinaus

Im letzten Abendscheine;

Wir sassen am einsamen Fischerhaus,

Wir sassen stumm und alleine.

Der Nebel stieg, das Wasser schwoll,

Die Möve flog hin und wieder;
Aus deinen Augen, liebevoll,

Fielen die Thränen nieder.

Ich sah sie fallen auf deine Hand,

Und bin auf's Knie gesunken;

Ich hab' von deiner weissen Hand

Die Thränen fortgetrunken.

Seit jener Stunde verzehrt sich mein Leib,

Die Seele stirbt vor Sehnen ;

Mich hat das unglücksel'ge Weib

Vergiftet mit ihren Thränen.

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JOHANN HEINRICH PESTALOZZI.

[Scherer D. 670, E. II. 287.]

Geboren 1746 zu Zürich, studierte Theologie, dann die Rechte. Da er sich durch eine Schrift gegen die Regierung eine Anstellung verscherzt hatte, widmete er sich dem Landbau. Durch verschiedene unglückliche Unternehmungen in Bedrängniss gerathen, beschloss er endlich, sich der Bildung und Erziehung des Volks zu widmen und begründete auf seinem Besitztum Neuenhof eine Armenschule auf Subscription' 1775. Doch musste er dieselbe schon 1780 aufgeben und wurde nun durch Noth zu schriftstellerischer Thätigkeit geführt, als deren Hauptfrucht 1781-85 'Lienhard und Gertrud, 10 ein Buch für das Volk', der erste Vorläufer der Dorfgeschichten, erschien. Später gründete er mit Unterstützung der Regierung die Erziehungsantalt zu Stanz in Unterwalden, die er 1804 nach Yvern verlegte. Obwol sich seine Erziehungsgrundsätze bald einen grossen Ruf erwarben, sah er sich doch 1825 gezwungen, seine Institut aufzulösen. Er starb 1827. Eine Gesammtausgabe seiner Werke hat Seyffarth veranstaltet, 16 Bde. (Brandenburg 1869-72), eine Auswahl F. Mann, 4 Bde. (Langensalza 1879–83).

AUS 'LIENHARD UND GERTRUD.'

Es wohnt in Bonnal ein Maurer. Er heisst Lienhard und seine Frau Gertrud. Er hat sieben Kinder und einen guten Verdienst; aber er hat den Fehler, dass er sich im Wirthshaus oft verführen lässt. Wenn er da ansitzt, so handelt er wie ein Unsinniger, und es sind 20 in unserm Dorfe schlaue, abgefeimte Burschen, die darauf losgehen und daraus leben, dass sie den Ehrlichern und Einfältigern auflauern und ihnen bei jedem Anlass das Geld aus der Tasche locken. Diese kannten den guten Lienhard und verführten ihn oft beim Trunke noch zum Spiel und raubten ihm so den Lohn seines Schweisses. Aber allemal, wann das am Abend geschehen war, reute es Lienharden am Morgen; und es ging ihm an's Herz, wenn er Gertrud und seine Kinder Brod mangeln sah, dass er zitterte, weinte, seine Augen niederschlug und seine Thränen verbarg.

Gertrud ist die beste Frau im Dorf; aber sie und ihre blühenden 30 Kinder waren in Gefahr, ihres Vaters und ihrer Hütte beraubt, getrennt, verschupft', in's äusserste Elend zu sinken, weil Lienhard den Wein nicht meiden konnte.

1 Schweizerischer Provinzialismus-jemanden von einem Orte zum anderen mit Verachtung verstossen.

Gertrud sah die nahe Gefahr und war davon in ihrem Innersten durchdrungen. Wann sie Gras von ihrer Wiese holte, wann sie Heu von ihrer Bühne' nahm, wann sie die Milch in ihren reinlichen Becken besorgte: ach, bei Allem, bei Allem ängstigte sie immer der Gedanke, dass ihre Wiese, ihr Heustock und ihre halbe Hütte ihnen bald würden entrissen werden. Und wann ihre Kinder um sie her standen und sich an ihren Schooss drängten, so war ihre Wehmuth immer noch grösser, und allemal flossen dann Thränen über ihre Wangen.

Bis jetzt konnte sie zwar ihr stilles Weinen vor den Kindern ver- 10 bergen; aber am Mittwoch vor der letzten Ostern, da ihr Mann auch gar zu lange nicht heim kam, war ihr Schmerz zu mächtig, und die Kinder bemerkten ihre Thränen. 'Ach Mutter,' riefen sie alle aus einem Munde, 'du weinest!' und drängten sich enger an ihren Schooss. Angst und Sorge zeigten sich in jeder Geberde. Banges Schluchzen, tiefes niedergeschlagenes Staunen und stille Thränen umrangen die Mutter, und selbst der Säugling auf ihrem Arme verrieth ein bisher ihm fremdes Schmerzensgefühl. Sein erster Ausdruck von Sorge und von Angst, sein starres Auge, das zum erstenmal ohne Lächeln hart und steif und bang nach ihr blickte, 20 alles dieses brach ihr gänzlich das Herz. Ihre Klagen brachen jetzt in lautes Schreien aus, und alle Kinder und der Säugling weinten mit der Mutter, und es war ein entsetzliches Jammergeschrei, als eben Lienhard die Thüre öffnete.

Gertrud lag mit ihrem Antlitz auf ihrem Bette, hörte das Oeffnen der Thüre nicht und sah nicht den kommenden Vater. Auch die Kinder wurden seiner nicht gewahr; sie sah'n nur die jammernde Mutter und hingen an ihren Armen, an ihrem Hals und an ihren Kleidern. So fand sie Lienhard.

Gott im Himmel sieht die Thränen der Elenden und setzt ihrem 30 Jammer ein Ziel.

Gertrud fand in ihren Thränen Gottes Erbarmen. Gottes Erbarmen führte den Lienhard zu diesem Anblick, der seine Seele durchdrang, dass seine Glieder bebten. Todesblässe stieg in sein Antlitz, und schnell und gebrochen konnte er kaum sagen: 'Herr Jesus, was ist das!'-Da erst sah ihn die Mutter, da erst sah'n ihn

1 Boden.

die Kinder, und der laute Ausbruch der Klage verlor sich. ‘O Mutter, der Vater ist da!' riefen die Kinder aus einem Munde, und selbst der Säugling weinte nicht mehr.

So wie wenn ein Waldbach oder eine verheerende Flamme nun nachlässt, so verliert sich auch das wilde Entsetzen und wird stille, bedächtliche Sorge.

Gertrud liebte den Lienhard, und seine Gegenwart war ihr auch im tiefsten Jammer Erquickung, und auch Lienhard verliess jetzt das erste bange Entsetzen.

'Was ist, Gertrud,' sagte er zu ihr, 'dieser erschreckliche 10 Jammer, in dem ich dich treffe?'

'O, mein Lieber!' erwiederte Gertrud. 'Finstre Sorgen umhüllen mein Herz, und wenn du weg bist, so nagt mich mein Kummer noch tiefer.'

'Gertrud,' erwiederte Lienhard, 'ich weiss, was du weinestich Elender!'

Da entfernte Gertrud ihre Kinder, und Lienhard hüllte sein Antlitz in ihren Schooss und konnte nicht reden.

Auch Gertrud schwieg eine Weile und lehnte sich in stiller Wehmuth an ihren Mann, der immer mehr weinte und schluchzte und 20 sich ängstigte auf ihrem Schoosse.

Indessen sammelte Gertrud alle ihre Stärke und fasste Muth, nun in ihn zu dringen, dass er seine Kinder nicht ferner diesem Unglück und Elend aussetze.

Gertrud war fromm und glaubte an Gott, und ehe sie redete, betete sie still für ihren Mann und für ihre Kinder, und ihr Herz war sichtbarlich heiterer; da sagte sie: 'Lienhard, trau auf Gottes Erbarmen und fasse doch Muth, ganz recht zu thun!'

'O Gertrud, Gertrud!' sagte Lienhard, und weinte, und seine Thränen flossen in Strömen.

'O, mein Lieber, fasse Muth!' sagte Gertrud, 'und glaube an deinen Vater im Himmel, so wird alles wieder besser gehen! Es geht mir an's Herz, dass ich dich weinen mache. Mein Lieber, ich wollte dir gern jeden Kummer verschweigen; du weisst, an deiner Seite sättigt mich Wasser und Brod, und die stille Mitternachtsstunde ist mir viel und oft frohe Arbeitsstunde für dich und meine Kinder. Aber, mein Lieber, wenn ich dir meine Sorge

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