soll ich dir das Lied singen, das ich immer unter dieser Eiche singe? Mycon. Wenn du mir das Lied singest, dann will ich diese neunstimmige Flöte dir schenken; ich selbst habe die Rohre mit langer Wahl am Ufer geschnitten, und mit wolriechendem Wachs vereint. Idas sang izt: Die ihr euch über mir wölbt, schlanke Äste ! ihr streut mit euerm Schatten ein heiliges Entzüken auf mich. Ihr Winde! wenn ihr mich kühlt, dann ists als rauscht' eine Gottheit unsichtbar neben 10 mir hin. Ihr Ziegen und ihr Schaafe! schonet, o schonet! und reisst das junge Epheu nicht vom weissen Stamm, dass es empor schleiche und grüne Kränze flechte, rings um den weissen Stamm. Kein Donnerkeil, kein reissender Wind soll dir schaden, hoher Baum! Die Götter wollens, du sollst der Redlichkeit Denkmal seyn. Hoch steht sein Wipfel empor; es siehet ihn fernher der Hirt, und weist ihn ermahnend dem Sohn; es sieht ihn die zärtliche Mutter, und sagt Palemons Geschichte dem horchenden Kind auf der Schoos. O pflanzt der Redlichkeit so manch Denkmal, ihr Hirten! dass wir einst voll heiligen Entzükens in dunkeln Hainen 20 einhergehn. So sang Idas, er hatte schon lange geschwiegen, und Mycon sass noch wie horchend. Ach Idas! Mich entzükt der thauende Morgen, der kommende Frühling entzükt mich, noch mehr des Redlichen Thaten. So sprach Mycon, und gab ihm die neunstimmige Flöte. CHRISTOPH MARTIN WIELAND. [Scherer D. 431 (514), E. ii. 40 (129).] Geboren 1733 als Sohn eines Predigers in Ober-Holzheim in Schwaben, entwickelte sich schnell unter der Hand seines Vaters und kam 1747 auf die Schule Kloster-Bergen bei Magdeburg, später, 1749 nach Erfurt. Die Eindrücke seiner Jugend waren sehr gemischt: theils pietistisch, im elterlichen Hause und auf der Schule zu Kloster-Bergen, theils rationalistisch in seiner Lectüre der Classiker und der neueren Philosophen. Hierzu kam eine jugendliche schwärmerische Liebe, die ihn, als er 1750 nach Tübingen gieng um die Rechte zu studieren bald von seinen Studien zur Poesie hinzog. 1751 erschien von ihm ein philosophisches Lehrgedicht 'die Natur der Dinge', dem bald andere moralische und religiöse Dichtungen folgten. 1752 gieng er nach Zürich zu Bodmer, und gab 1753 'den geprüften Abraham' heraus. In Folge der Verheiratung seiner Jugendgeliebten verfiel er in mystische Schwärmerei, wovon seine Sympathien' und 'die Empfindungen des Christen' (1755) Zeugnis gaben. 1759 verliess Wieland Zürich und ward Hauslehrer in Bern. 1760 kehrte er nach Biberach zurück und ward nun, namentlich seit 1762 durch die Bekanntschaft mit dem Grafen Stadion und durch die Lectüre leichtfertiger und sittenloser Schriftsteller in eine seiner frühern Denk- und Lebensweise ganz entgegengesetzte Richtung geworfen. 1766 erschien sein Agathon', 1768 Musarion' u. s. w. Verdienstlich war damals seine Uebersetzung des Shakespeare. 1769 wurde er Professor der Philosophie in Erfurt; 1772 Erzieher der beiden Söhne der Herzogin Regentin von Weimar. In Weimar oder in der Nähe blieb er bis zu seinem Tode 1813. 1773-1810 erschein sein Teutscher Merkur'. In dieser Zeitschrift veröffentlichte er seinen satirischen Roman 'die Abderiten' und seinen 'Oberon' (1780), das einzige von seinen Gedichten, das noch heute beliebt ist, neu herausg. von Köhler (Leipzig 1868). Seine sämmtlichen Werke wurden herausgegeben von Gruber 53 Bde. (Leipzig 1818-28.) Sein 'Hermann' ist erst durch Muncker bekannt geworden (Heilbronn 1882). Der Gegenstand von unsrer Liebe seyn; Die grosse Kunst ist nur, vom Stoff es abzuscheiden. Doch diese stürzen sich, vom körperlichen Schönen Der Sinnensclave klebt, wie Vögel an der Stange, An einem Lilienhals, an einer Rosenwange; Der Seele Fittich wächst in diesen geist'gen Strahlen, Die, aus dem Ursprungsquell des Lichts Ergossen, die Natur bis an den Rand des Nichts Mit fern nachahmenden, nicht eignen, Farben mahlen. Ihr thut nichts Sterbliches genug, Ja, Götterlust kann einen Durst nicht schwächen Den nur die Quelle stillt. So, meine Freunde, wird, Der höhern Scheidekunst, gleich einer Flieg' am Angel, So wird es für den echten Weisen Ein Flügelpferd zu überird'schen Reisen. 'Auch die Musik, so roh und mangelhaft Sie unterm Monde bleibt-denn, ihrer Zauberkraft Muss man, wie Scipio, die Sfären (Zum wenigsten im Traume) singen hören, Auch die Musik bezähmt die wilde Leidenschaft, Verfeinert das Gefühl, und schwellt die Seelenflügel; 20 Sie stillt den Kummer, heilt die Milzsucht aus dem Grund, Und wirkt (zumahl aus einem schönen Mund) Mehr Wunderding' als Salomonis Siegel.' 2. OBERON. Aus dem fünften Gesange. Schon tönen Cymbeln, Trommeln, Pfeifen, Gesang und Saitenspiel vom Hochzeitsaale her; Schon nickt des Sultans Haupt von Weindunst doppelt schwer Und freier schon beginnt die Freude auszuschweifen; Der Braut allein theilt sich die Lust nicht mit, Die in des Bräut'gams Augen glühet: 30 Ziehn sich erstaunt empor, den Fremden anzuschauen. Die schöne Rezia, die ihre Träume denkt, Hält auf den Teller noch den ernsten Blick gesenkt; Beschäftigt, lässt sich nichts in seinem Opfer stören ; Kein guter Geist verwarnt, dreht seinen langen Hals. Er ist's, der links am goldnen Stuhle sitzt Und seinen Nacken selbst der Straf' entgegenbieget. Der reiche Säbel auf, der Kopf des Heiden flieget, Sein Blut den Tisch und den, der ihm zur Seite lieget. Wie der Gorgone furchtbars Haupt In Perseus' Faust den wildempörten Scharen Das Leben stracks durch seinen Anblick raubt; Noch dampft die Königsburg, noch schwillt der Aufruhr, schnaubt Die Mordlust ungezähmt im Busen der Barbaren; Doch Perseus schüttelt kaum den Kopf mit Schlangenhaaren, So starrt der Dolch in jeder blut'gen Hand, Und jeder Mörder steht zum Felsen hingebannt: So stockt auch hier, beim Anblick solcher kecken Verrätherischen That, des frohen Blutes Lauf In jedem Gast. Sie fahren allzuhauf, Als sähn sie ein Gespenst, von ihren Sitzen auf Und greifen nach dem Schwert. Allein, gelähmt vom Schrecken, Erschlafft im Ziehn der Arm, und jedes Schwert blieb stecken; Ohnmächt'gen Grimm im starren Blick Sank sprachlos der Kalif in seinen Stuhl zurück. Der Aufruhr, der den ganzen Saal empöret, Schreckt Rezien aus ihrer Träumerei. Sie schaut bestürzt sich um, was dessen Ursach' sei; Wie wird ihm, da er sie erblickt! 'Sie ist's, sie ist's!' ruft er und lässt entzückt Den blut'gen Stahl und seinen Turban fallen, Und wird von ihr erkannt, wie seine Locken wallen. 'Er ist's!' beginnt auch sie zu rufen, doch die Scham Erstickt den Ton in ihrem Rosenmunde. Wie schlug das Herz ihr erst, da er geflogen kam, Sie liebeskühn in seine Arme nahm Und, da sie, glühend bald, bald blass wie eine Büste, In seinen Armen wand, sie auf die Lippen küsste ! Wo aber nun den Trauring herbekommen? Zwar wenig noch mit dessen Werth vertraut, Schien ihm, dem Ansehn nach, der schlechtste kaum geringer ; Doch steckt er ihn aus Noth itzt an des Fräuleins Finger Und spricht: 'So eign' ich dich zu meiner lieben Braut!' Er küsst mit diesem Wort die sanft bezwungne Schöne 10 Zum dritten mal auf ihren holden Mund. 20 'Ha!' schreit der Sultan auf und knirscht und stampft den Grund Vor Ungeduld, 'ihr leidet, dass der Hund Von einem Franken so mich höhne? Ergreift ihn! Zaudern ist Verrath! Und, tropfenweis' erpresst, versöhne Sein schwarzes Blut die ungeheure That!' In Hüon's Aug', und kaum erhascht er noch, Eh' sie im Sturm auf ihn von allen Seiten dringen, Sein hingeworfnes Schwert. Er schwingt es dräuend. Doch Die schöne Rezia, von Lieb' und Angst entgeistert, Schlingt einen Arm um ihn, macht ihre Brust zum Schild Der seinigen, der andre Arm bemeistert Sich seines Schwerts. 'Zurück, Verwegne!' schreit sie wild. 'Zurück! Es ist kein Weg zu diesem Busen Als mitten durch den meinen!' ruft sie laut; Und ihr, noch kaum so sanft, wie Amor's holde Braut, 30 |