Page images
PDF
EPUB

BRÜDER GRIMM.

[Scherer D. 637, E. II. 253.]

Beide zu Hanau geboren, Jacob 1785, Wilhelm 1786, studierten in Marburg die Rechte, Jacob bis 1805, Wilhelm bis 1807. Jacob gieng 1805 nach Paris, um seinen Lehrer Savigny bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten zu unterstützen; 1806 am Kriegscollegium in Cassel, 1808 Bibliothekar des Königs von Westfalen, 1814 zu diplomatischen Sendungen verwandt. Wilhelm inzwischen kränklich und daher ohne feste Stellung. Seit 1814 lebten beide Brüder ununterbrochen im engsten Verbande, zuerst als Bibliothekare in Cassel, 1830 Professoren in Göttingen, 1837 entlassen und zurück 10 nach Cassel, 1841 nach Berlin berufen. Wilhelm starb 1859, Jacob 1863. Sie gaben gemeinsam 1812 und 1815 ihre Kinder- und Hausmärchen, 1816 und 1818 die Deutschen Sagen' und seit 1852 das 'Deutsche Wörterbuch' heraus. Jacob veröffentlichte seit 1819 seine Deutsche Grammatik,' 1828 seine Deutschen Rechtsaltertümer' 1835 seine Deutsche Mythologie.' Wilhelms Hauptforschung betraf die deutsche Heldensage. Jacobs Kleinere Schriften' erschienen in 6 Bänden (Berlin 1864-82), Wilhelms erscheinen seit 1881. Freundesbriefe von Wilhelm und Jacob G.' wurden von Reifferscheid herausgegeben (Heilbronn 1878), der Briefwechsel des Freiherrn K. H. G. v. Meusebach mit ihnen von Wendeler (Heilbronn 20 1880), Briefwechsel zwischen ihnen aus der Jugendzeit von H. Grimm und Hinrichs (Weimar 1881).

[ocr errors]

1.

AUS DER VORREDE ZU DEN KINDER- UND HAUSMÄRCHEN.

Wir suchen die Reinheit in der Wahrheit einer geraden nichts Unrechtes im Rückhalt bergenden Erzählung. Dabei haben wir jeden für das Kindesalter nicht passenden Ausdruck in dieser neuen Auflage sorgfältig gelöscht. Sollte man dennoch einzuwenden haben, dass Eltern eins und das andere in Verlegenheit setze und ihnen anstössig vorkomme, so dass sie das Buch Kindern 30 nicht geradezu in die Hände geben wollten, so mag für einzelne Falle die Sorge begründet sein, und sie können dann leicht eine Auswahl treffen im Ganzen, das heisst für einen gesunden Zustand, ist sie gewis unnöthig. Nichts besser kann uns vertheidigen als die Natur selber, welche diese Blumen und Blätter in

solcher Farbe und Gestalt hat wachsen lassen; wem sie nicht zuträglich sind nach besonderen Bedürfnissen, der kann nicht fordern, dass sie deshalb anders gefärbt und geschnitten werden sollen. Oder auch, Regen und Thau fällt als eine Wohlthat für alles herab, was auf der Erde steht, wer seine Pflanzen nicht hineinzustellen getraut, weil sie zu empfindlich sind und Schaden nehmen könnten, sondern sie lieber in der Stube mit abgeschrecktem Wasser begiesst, wird doch nicht verlangen, dass Regen und Thau darum ausbleiben sollen. Gedeihlich aber kann alles werden was natürlich ist und danach sollen wir trachten. Uebrigens wissen 10 wir kein gesundes und kräftiges Buch, welches das Volk erbaut hat, wenn wir die Bibel obenan stellen, wo solche Bedenklichkeiten nicht in ungleich grösserem Maass einträten: der rechte Gebrauch aber findet nichts Böses heraus, sondern, wie ein schönes Wort sagt, ein Zeugniss unseres Herzens. Kinder deuten ohne Furcht in die Sterne, während andere nach dem Volksglauben, die Engel damit beleidigen.

2.

MÄRCHEN.

DER FROSCHKÖNIG ODER DER EISERNE HEINRICH.

In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war so schön, dass die Sonne selber, die schon so vieles gesehen hat, sich verwunderte so oft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe bei dem Schlosse des Königs lag ein grosser dunkler Wald, und in dem Walde unter einer alten Linde war ein Brunnen: wenn nun der Tag recht heiss war, so gieng das Königskind hinaus in den Wald, und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens, und wenn sie Langeweile hatte, so nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fieng sie wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk.

Nun trug es sich einmal zu, dass die goldene Kugel der Königstochter nicht in das Händchen fiel, das sie in die Höhe gehalten hatte, sondern vorbei auf die Erde schlug, und geradezu ins Wasser hinein rollte. Die Königstochter folgte ihr mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand, und der Brunnen war tief, und gar

20

30

kein Grund zu sehen. Da fieng sie an zu weinen, und weinte immer lauter, und konnte sich gar nicht trösten. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu 'was hast du vor, Königstochter, du schreist ja dass sich ein Stein erbarmen möchte.' Sie sah sich um, woher die Stimme käme, da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken hässlichen Kopf aus dem Wasser streckte. 'Ach, du bists, alter Wasserpatscher,' sagte sie, 'ich weine über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen hinab gefallen ist.' 'Lass dein Jammern,' antwortete der Frosch, ‘ich kann wohl Rath schaffen, aber was giebst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder herauf- 10 hole?' 'Was du willst, lieber Frosch,' sagte sie, 'meine Kleider, meine Perlen und Edelsteine, dazu die goldene Krone, die ich trage.' Der Frosch antwortete deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine, deine goldene Krone, die mag ich nicht: aber wenn du mich lieb haben willst, und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen: wenn du mir das versprichst, so will ich hinunter steigen, und dir die goldene Kugel wieder aus dem Grunde herauf holen.' 'Ach ja,' sagte sie, 'ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du 20 mir nur die Kugel wieder bringst.' Sie dachte aber 'was der einfältige Frosch schwätzt, der sitzt im Wasser bei seines Gleichen, und quackt, und kann keines Menschen Geselle sein.'

Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sank hinab, und über ein Weilchen kam er wieder herauf gerudert, hatte die Kugel im Maul, und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielwerk wieder erblickte, hob es auf, und sprang damit fort. 'Warte, warte,' rief der Frosch, 'nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wie du.' Aber was half ihm dass er ihr sein quack quack so laut nachschrie 30 als er konnte! sie hörte nicht darauf, eilte nach Haus, und hatte bald den armen Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinab steigen musste.

Am andern Tage, als sie mit dem König und allen Hofleuten an der Tafel sass, und von ihrem goldenen Tellerlein ass, da kam, plitsch platsch, plitsch platsch, etwas die Marmortreppe herauf gekrochen, und als es oben angelangt war, klopfte es an der Thür,

und rief 'Königstochter, jüngste, mach mir auf.' Sie lief und wollte sehen, wer draussen wäre, als sie aber aufmachte, so sass der Frosch davor. Da warf sie die Thür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch, und war ihr ganz angst. Der König sah wohl dass ihr das Herz gewaltig klopfte, und sprach 'mein Kind, was fürchtest du dich, steht etwa ein Riese vor der Thür, und will dich holen?' 'Ach nein,' antwortete sie, ‘es ist kein Riese, sondern ein garstiger Frosch, der hat mir gestern im Wald meine goldene Kugel aus dem Wasser geholt, dafür versprach ich ihm er sollte mein Geselle werden, ich dachte aber nimmermehr dass er aus 10 seinem Wasser heraus könnte nun ist er draussen, und will zu mir herein.' Indem klopfte es zum zweitenmal und rief:

Königstochter, jüngste,

mach mir auf,

weisst du nicht was gestern

du zu mir gesagt

bei dem kühlen Brunnenwasser?

Königstochter, jüngste,

mach mir auf.'

Der Frosch

Da sagte der König 'hast dus versprochen, so musst dus auch 20 halten; geh nur und mach ihm auf.' Sie gieng und öffnete die Thüre, da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fusse nach, bis zu ihrem Stuhl. Da sass er und rief 'heb mich herauf zu dir.' Sie that es nicht bis es der König befahl. Als der Frosch auf den Stuhl gekommen war, sprach er 'nun schieb mir dein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen.' Das that sie nun, aber man sah wohl dass sies nicht gerne that. liess sichs gut schmecken, aber ihr blieb fast jedes Bisslein im Halse. Endlich sprach er 'nun hab ich mich satt gegessen, und bin müde, trag mich hinauf in dein Kämmerlein, und mach dein 30 seiden Bettlein zurecht, da wollen wir uns schlafen legen.' Da fieng die Königstochter an zu weinen, und fürchtete sich vor dem kalten Frosch, den sie nicht anzurühren sich getraute, und der nun in ihrem schönen reinen Bettlein schlafen sollte. Der König aber ward zornig, und sprach 'wer dir geholfen hat, als du in der Noth warst, den musst du hernach nicht verachten, und was du versprochen hast, das musst du auch halten.' Da packte sie ihn mit

zwei Fingern, trug ihn hinauf, und setzte ihn in eine Ecke. Als sie aber im Bett lag, kam er gekrochen, und sprach 'ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du, heb mich herauf, oder ich sags deinem Vater.' Da ward sie bitterböse, fasste ihn und warf ihn aus allen Kräften wider die Wand; nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch.'

Da er

Als aber der Frosch herab fiel, stand da ein Königssohn mit schönen und freundlichen Augen. Der war nun von Recht und mit ihres Vaters Willen ihr lieber Geselle und Gemahl. zählte er ihr, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, 10 und hätte nur von ihr aus dem Brunnen erlöst werden können, und morgen wollten sie zusammen in sein Reich gehen. Dann schliefen sie ein, und am andern Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen herangefahren, mit acht weissen Pferden bespannt, die waren mit Federn geschmückt, und giengen in goldenen Ketten, und hinten stand der Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt worden, dass er drei eiserne Bande hatte müssen um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. Der Wagen aber sollte den 20. jungen König in sein Reich abholen; der treue Heinrich hob beide hinein, und stellte sich wieder hinten auf, voller Freude über die Erlösung. Und als sie ein Stück Weges gefahren waren, hörte der Königssohn dass es hinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte er sich um, und rief

'Heinrich, der Wagen bricht.'
Nein, Herr, der Wagen nicht,

es ist ein Band von meinem Herzen,

das da lag in grossen Schmerzen,

als ihr in dem Brunnen sasst,

als ihr eine Fretsche (Frosch) wast. (wart).'

Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Königssohn meinte immer der Wagen bräche, aber es waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr wieder erlöst und glücklich war.

30

« PreviousContinue »