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Schere, um die Extremitäten des Genies zu säubern; ihre Aufklärung eine grosse Lichtputze für die Flamme des Enthusiasmus; und ihre Vernunft ein gelindes Laxativ gegen unmässige Lust und Liebe.

99.

Bey den Ausdrücken, Seine Philosophie, Meine Philosophie, erinnert man sich immer an die Worte im Nathan: 'Wem eignet Gott? Was ist das für ein Gott, der einem Menschen eignet?'

105.

Schellings Philosophie, die man kritisirten Mystizismus nennen 10 könnte, endigt, wie der Prometheus des Aeschylus, mit Erdbeben und Untergang.

116.

Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloss, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, 20 den Witz poetisiren, und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen, und durch die Schwingungen des Humors beseelen. Sie umfasst alles, was nur poetisch ist, vom grössten wieder mehre Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst, bis zu dem Seufzer, dem Kuss, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen Gesang. Sie kann sich so in das Dargestellte verlieren, dass man glauben möchte, poetische Individuen jeder Art zu charakterisiren, sey ihr Eins und Alles; und doch giebt es noch keine Form, die so dazu gemacht wäre, den Geist des Autors vollständig auszudrücken: so dass manche 30 Künstler, die nur auch einen Roman schreiben wollten, von ungefähr sich selbst dargestellt haben. Nur sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters werden. Und doch kann auch sie am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frey von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte

schweben, diese Reflexion immer wieder potenziren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen. Sie ist der höchsten und der allseitigsten Bildung fähig; nicht bloss von innen heraus, sondern auch von aussen hinein; indem sie jedem, was ein Ganzes in ihren Produkten seyn soll, alle Theile ähnlich organisirt, wodurch ihr die Aussicht auf eine gränzenlos wachsende Klassizität eröffnet wird. Die romantische Poesie ist unter den Künsten was der Witz der Philosophie, und die Gesellschaft, Umgang, Freundschaft und Liebe in Leben ist. Andre Dichtarten sind fertig, und können nun vollständig zergliedert werden. Die 10 romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, dass sie ewig nur werden, nie vollendet seyn kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisiren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frey ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, dass die Willkühr des Dichters kein Gesetz über sich leide. Die romantische Dichtart ist die einzige, die mehr als Art, und gleichsam die Dichtkunst selbst ist: denn in einem gewissen Sinn ist oder soll alle Poesie romantisch seyn.

247.

Dante's prophetisches Gedicht ist das einzige System der transcendentalen Poesie, immer noch das höchste seiner Art. Shakspeare's Universalität ist wie der Mittelpunkt der romantischen Kunst. Goethe's rein poetische Poesie ist die vollständigste Poesie der Poesie. Das ist der grosse Dreyklang der modernen Poesie, der innerste und allerheiligste Kreis unter allen engern und weitern Sphären der kritischen Auswahl der Klassiker der neuern Dichtkunst.

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LUDWIG ACHIM VON ARNIM.

[Scherer D. 636, E. II. 252.]

Geboren 1781 zu Berlin, studierte in Göttingen und Halle Naturwissenschaften; sammelte auf seinen Reisen und Wanderungen durch Deutschland Volkslieder, die er mit seinem Freunde Brentano herausgab, unter dem Titel 'Des Knaben Wunderhorn' 1806-1808; vermählte sich 1811 mit Bettina,

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Brentanos Schwester; lebte seit dem theils in Berlin, theils auf seinem Gute Wiepersdorf in der Mark, wo er 1831 starb. Von seinen Romanen sind 'Die Kronenwächter' besonders erwähnenswerth; er schrieb auch Novellen und Schauspiele. Seine Sämmtlichen Werke' wurden von Bettina mit einer Einleitung von W. Grimm herausgegeben 20 Bde. (Berlin 1839-48, neue Ausgabe 22 Bde., 1853-56).

AUS DIE KRONENWÄCHTER.

EINLEITUNG.

DICHTUNG UND GESCHICHTE.

Wieder ein Tag vorüber in der Einsamkeit der Dichtung! Die 10 Glocke läutet Feierabend, und die Pflüger ziehen heim mit dem Gespann, führen und tragen behaglich die Kinder die ihnen entgegen gegangen, und freuen sich ihrer Mühe in der Ruhe. Der Pflug ruht nicht verlassen auf der letzten Erdscholle die er überstürzte, denn nothwendig wie die Sonnenbahn scheint der Bedürftigkeit sein Furchenzug und ein heilig strenges Gesetz bewacht ihn in der Nacht gegen Frevel. Am Morgen setzt der Pflüger seinen Weg ohne Störung fort, misst nach der Länge seiner Furchen den trüben Morgen, wie er die helle Mitte des Tages an seinem eignen Schatten zu ermessen versteht, und theilt nach seinen 20 Morgenwerken die Erdfläche in selbstbegrenzte Morgen, wie er nach dem Tagewerke der Sonne die unendliche Zeit in Stunden theilt. Die Sonne und der Pflüger kennen einander und thun beide vereint das Ihre zum Gedeihen der Erde. Fest fortschreitend, von allen geschätzt und geschützt, sehen wir die Thätigkeit die sich zur Erde wendet; sie ist auch dauernd bezeichnet, und gründet so lange sie sich selbst treu bleibt, mit unbewusster Weisheit das Rechte, das Angemessene, im Bau des Ackers, wie des Hauses, in der Beugung des Weges, wie in der Benutzung des Flusses. Die Zerstörung kommt von der Thätigkeit, die sich von 30 der Erde ablenkt und sie doch zu verstehen meint. Aber nach Jahrhunderten der Zerstörung erkennen die einwandernden Anbauer des Waldes mit Theilnahme die Unvergänglichkeit der Ackerfurchen und Grundmauern untergangener Dörfer und achten sie als wiedergefundenes Eigenthum ihres Geschlechts, das der Gaben dieser Erde nie genug zu haben meint. Gleichgültig werden

daneben die aufgefundenen Werke des Geistes früherer Jahrhunderte als unverständlich und unbrauchbar aufgegeben, oder mit sinnloser Verehrung angestaunt. Das Rechte will da errungen sein, und wie die eine Zeit ihre geistigen Gaben über alles schätzt und zusammenhält, so meint eine andere, alles schon selbst im Ueberflusse zu besitzen und lässt es zu, dass die Sybille ihre heiligen Bücher verbrennt, um ihr nicht Dank und Lohn geben zu müssen. Wer misst die Arbeit des Geistes auf seinem unsichtbaren Felde? Wer bewacht die Ruhe seiner Arbeit? Wer ehrt die Grenzen, die er gezogen? Wer erkennt das Urspüngliche 10 seiner Anschauung? Wer kann den Thau des Paradieses von dem ausgespritzten Gifte der Schlange unterscheiden? Kein Gesetz bewacht Geisteswerke gegen Frevel, sie tragen kein dauerendes äusseres Zeichen, müssen in sich den Zweifel dulden, ob böse oder gute Geister den Samen ins offene Herz streueten; ja die anmassende Frömmigkeit nennt oft böse, was aus der Fülle der Liebe und Einsicht hervorgegangen ist. Der Arbeiter auf geistigem Felde fühlt am Ende seiner Tagewerke nur die eigene Vergänglichkeit in der Mühe; und eine Sorge, der Gedanke, der ihn so innig beschäftigte, den sein Mund nur halb auszuspechen vermochte, sei 20 wohl auch in der geistigen Welt, wie für die Zeitgenossen untergegangen. Diese härteste aller Prüfungen öffnet ihm das Thor einer neuen Welt. Indem er diese geistige Welt gleich der umgebenden als nichtig und vergänglich aufgiebt, da fühlt er erst, dass er nicht hinaus zu treten vermag, dass sein ganzes Wesen nicht nur von ihr umschlossen, sondern dass sogar ausser ihr nichts vorhanden sei, dass kein Wille vernichten könne, was der Geist geschaffen. Darum sei uns lieb diese träumende Freude und Sorge aller schaffenden Kräfte als ein Zeichen der höheren Ewigkeit, in die sich der Geist arbeitend versenkt und der Zeit ver- 30 gisst, die immer nur Weniges zu lieben versteht, alles aber fürchten lernt und mit Aengstlichkeit dingt, was mittheilbar sei, oder was verschwiegen bleiben müsse. Das Verschwiegene ist darum nicht untergegangen, thörigt ist die Sorge um das Unvergängliche. Aber der Geist liebt seine vergänglichen Werke als ein Zeichen der Ewigkeit, nach der wir vergebens in irdischer Thätigkeit, vergebens in Schlüssen des Verstandes trachten, auf die uns der Glaube

vergebens eine Anwartschaft gäbe, wenn sie nicht die irdische Thätigkeit lenkte, das Spiel des Verstandes übte, und dem Glauben aus der thätigen Erhöhung in Anschauung und Einsicht beglaubigt entgegen träte. Nur das Geistige können wir ganz verstehen und wo es sich verkörpert, da verdunkelt es sich auch. Wäre dem Geist die Schule der Erde überflüssig, warum wäre er ihr verkörpert, wäre aber das Geistige je ganz irdisch geworden, wer könnte ohne Verzweiflung von der Erde scheiden. Dies sei unserer Zeit ernstlich gesagt, die ihr Zeitliches überheiligen möchte mit vollendeter, ewiger Bestimmung, mit heiligen Kriegen, ewigem Frieden und Weltun- 10 tergang. Die Geschicke der Erde, Gott wird sie lenken zu einem ewigen Ziele, wir verstehen nur unsere Treue und Liebe in ihnen und nie können sie mit ihrer Äusserlichkeit den Geist ganz erfüllen. Die Erfahrung müsste es wohl endlich jedem gezeigt haben, dass bei dem traurigsten, wie beim freudigsten Weltgeschicke ein mächtgeres Gegengewicht von Trauer und Freude uns selbst verliehen ist, dass sich alles in der Kraft des Geistes überleben lässt und in seiner Schwäche uns nichts zu halten vermag. Es gab zu allen Zeiten eine Heimlichkeit der Welt, mehr werth in Höhe und Tiefe der Weisheit und Lust, als alles, was in der Geschichte laut ge- 20 worden. Sie liegt der Eigenheit des Menschen zu nahe, als dass sie den Zeitgenossen deutlich würde, aber die Geschichte in ihrer höchsten Wahrheit giebt den Nachkommen ahnungsreiche Bilder und wie die Eindrücke von Fingern an harten Felsen, im Volke die Ahnung einer seltsamen Urzeit erwecken, so tritt uns aus jenen Zeichen in der Geschichte das vergessene Wirken der Geister die der Erde einst menschlich angehörten, in einzelnen erleuchteten Betrachtungen, nie in der vollständigen Uebersicht eines ganzen Horizonts vor unsre innere Anschauung. Wir nennen diese Einsicht wenn sie sich mittheilen lässt, Dichtung, sie ist aus Vergan- 30 genheit in Gegenwart, aus Geist und Wahrheit geboren. Ob mehr Stoff empfangen als Geist ihn belebt hat, lässt sich nicht unterscheiden, der Dichter erscheint ärmer oder reicher, als er ist, wenn er nur von einer dieser Seiten betrachtet wird; ein irrender Verstand mag ihn der Lüge zeihen in seiner höchsten Wahrheit, wir wissen, was wir an ihm haben und dass die Lüge eine schöne Pflicht des Dichters ist. Auch das Wesen der heiligen Dich

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