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Demuth, deine Ruhe, dein kindlicher Sinn ist von Trotz, Wildheit und Uebermuth verschüttet.

Nein, sagte der Sohn, ich erinnere mich ganz deutlich, dass mir eine Pflanze zuerst das Unglück der ganzen Erde bekannt gemacht hat, seitdem verstehe ich erst die Seufzer und Klagen, die allenthalben in der ganzen Natur vernehmbar sind, wenn man nur darauf hören will; in den Pflanzen, Kräutern, Blumen und Bäumen regt und bewegt sich schmerzhaft nur eine grosse Wunde, sie sind der Leichnam vormaliger herrlicher Steinwelten, sie bieten unserm Auge die schrecklichste Verwesung dar. Jezt verstehe ich es to wohl, dass es dies war, was mir jene Wurzel mit ihrem tiefgeholten Aechzen sagen wollte, sie vergass sich in ihrem Schmerze und verrieth mir alles. Darum sind alle grünen Gewächse so erzürnt auf mich, und stehn mir nach dem Leben; sie wollen jene geliebte Figur in meinem Herzen auslöschen, und in jedem Frühling mit ihrer verzerrten Leichenmiene meine Seele gewinnen. Unerlaubt und tückisch ist es, wie sie dich, alter Mann, hintergangen haben, denn von deiner Seele haben sie gänzlich Besitz genommen. Frage nur die Steine, du wirst erstaunen, wenn du sie reden hörst.

Der Vater sah ihn lange an, und konnte ihm nichts mehr ant- 20 worten. Sie gingen schweigend zurück nach Hause, und der Alte musste sich jezt ebenfalls vor der Lustigkeit seines Sohnes entsetzen, denn sie dünkte ihm ganz fremdartig, und als wenn ein andres Wesen aus ihm, wie aus einer Maschine, unbeholfen und ungeschickt heraus spiele.

Das Erndtefest sollte wieder gefeiert werden, die Gemeine ging in die Kirche, und auch Elisabeth zog sich mit den Kindern an, um dem Gottesdienste beizuwohnen; ihr Mann machte auch Anstalten, sie zu begleiten, aber noch vor der Kirchenthür kehrte er um, und ging tiefsinnend vor das Dorf hinaus. Er setzte sich auf die 30 Anhöhe, und sahe wieder die rauchenden Dächer unter sich, er hörte den Gesang und Orgelton von der Kirche her, geputzte Kinder tanzten und spielten auf dem grünen Rasen. Wie habe ich mein Leben in einem Traume verloren! sagte er zu sich selbst; Jahre sind verflossen, dass ich von hier hinunter stieg, unter die Kinder hinein; die damals hier spielten, sind heute dort ernsthaft in der Kirche; ich trat auch in das Gebäude, aber heut ist ElisaVOL. II.

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beth nicht mehr ein blühendes, kindliches Mädchen, ihre Jugend ist vorüber, ich kann nicht mit der Sehnsucht wie damals den Blick ihrer Augen aufsuchen: so habe ich muthwillig ein hohes ewiges Glück aus der Acht gelassen, um ein vergängliches und zeitliches zu gewinnen.

Er ging sehnsuchtsvoll nach dem benachbarten Walde, und vertiefte sich in seine dichtesten Schatten. Eine schauerliche Stille umgab ihn, keine Luft rührte sich in den Blättern. Indem sah er einen Mann von ferne auf sich zukommen, den er für den Fremden erkannte; er erschrak, und sein erster Gedanke war, 10 jener würde sein Geld von ihm zurück fordern. Als die Gestalt etwas näher kam, sah er, wie er sich geirrt hatte, denn die Umrisse, welche er wahrzunehmen gewähnt, zerbrachen in sich selber; ein altes Weib von der äussersten Hässlichkeit kam auf ihn zu, sie war in schmuzige Lumpen gekleidet, ein zerrissenes Tuch hielt einige greise Haare zusammen, sie hinkte an einer Krücke. Mit fürchterlicher Stimme redete sie Christian an, und fragte nach seinem Namen und Stande; er antwortete ihr umständlich und sagte darauf: aber wer bist du? Man nennt mich das Waldweib, sagte jene, und jedes Kind weiss von mir zu erzählen; hast du mich 20 niemals gekannt? Mit den letzten Worten wandte sie sich um, und Christian glaubte zwischen den Bäumen den goldenen Schleier, den hohen Gang, den mächtigen Bau der Glieder wieder zu erkenEr wollte ihr nacheilen, aber seine Augen fanden sie nicht

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mehr.

Indem zog etwas Glänzendes seine Blicke in das grüne Gras nieder. Er hob es auf und sahe die magische Tafel mit den farbigen Edelgesteinen, mit der seltsamen Figur wieder, die er vor so manchem Jahr verloren hatte. Die Gestalt und die bunten Lichter drückten mit der plötzlichsten Gewalt auf alle seine Sinne. 30 Er fasste sie recht fest an, um sich zu überzeugen, dass er sie wieder in seinen Händen halte, und eilte dann damit nach dem Dorfe zurück. Der Vater begegnete ihm. Seht, rief er ihm zu, das, wovon ich euch so oft erzählt habe, was ich nur im Traum zu sehn glaubte, ist jezt gewiss und wahrhaftig mein. Der Alte betrachtete die Tafel lange und sagte: mein Sohn, mir schaudert recht im Herzen, wenn ich die Lineamente dieser Steine betrachte

und ahnend den Sinn dieser Wortfügung errathe; sieh her, wie kalt sie funkeln, welche grausame Blicke sie von sich geben, blutdürstig wie das rothe Auge des Tiegers. Wirf diese Schrift weg, die dich kalt und grausam macht, die dein Herz versteinern muss:

Sieh die zarten Blüthen keimen,
Wie sie aus sich selbst erwachen,
Und wie Kinder aus den Träumen
Dir entgegen lieblich lachen.

Ihre Farbe ist im Spielen
Zugekehrt der goldnen Sonne,
Deren heissen Kuss zu fühlen,
Das ist ihre höchste Wonne:

An den Küssen zu verschmachten,

Zu vergehn in Lieb' und Wehmuth;
Also stehn, die eben lachten,

Bald verwelkt in stiller Demuth.

Das ist ihre höchste Freude,
Im Geliebten sich verzehren,
Sich im Tode zu verklären,
Zu vergehn in süssem Leide.

Dann ergiessen sie die Düfte,
Ihre Geister, mit Entzücken,
Es berauschen sich die Lüfte
Im balsamischen Erquicken.

Liebe kommt zum Menschenherzen,
Regt die goldnen Saitenspiele,

Und die Seele spricht: ich fühle

Was das Schönste sei, wonach ich ziele,

Wehmuth, Sehnsucht und der Liebe Schmerzen.

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Wunderbare, unermessliche Schätze, antwortete der Sohn, muss 30 es noch in den Tiefen der Erde geben. Wer diese ergründen, heben und an sich reissen könnte! Wer die Erde so wie eine geliebte Braut an sich zu drücken vermöchte, dass sie ihm in Angst und Liebe gern ihr Kostbarstes gönnte! Das Waldweib

hat mich gerufen, ich gehe sie zu suchen. Hier neben an ist ein alter verfallener Schacht, schon vor Jahrhunderten von einem Bergmanne aufgegraben; vielleicht, dass ich sie dort finde !

Er eilte fort. Vergeblich strebte der Alte, ihn zurück zu halten, jener war seinen Blicken bald entschwunden. Nach einigen Stunden, nach vieler Anstrengung gelangte der Vater an den alten Schacht. Er sah die Fussstapfen im Sande am Eingange eingedrückt, und kehrte weinend um, in der Ueberzeugung, dass sein Sohn im Wahnsinn hinein gegangen, und in alte gesammelte Wässer in Untiefen versunken sei.

2.

AUS: REISEGEDICHTE EINES KRANKEN.

VERONA.

Kleines Theater in der Arena.

Werther und Charlotte wird gespielt.

Wie neugierig strömt das Volk

Das Lieblingsstück zu sehn,

ΙΟ

Wie ungeduldig sucht Jeder Platz

Den Liebling als Werther zu vernehmen.

Die kleine Bude

Steht ohne Vorhang,

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Das volle Sonnenlicht scheint hinein.

Unten der gemeine Mann,

In zweien Logen die Vornehmen und Kranken.
Wie sonderbar

Strecken sich die grossen runden weiten Stufen

Der Steinzirkel aus.

Ein Sechstheil nur des grossen Amphitheaters

Ist eingehegt,

Um auch von dort zu schaun.

Hieher ziehn die Frauen und Mägdlein,

Mit Schmuck angethan,

In farbig seidenen Kleidern,

Sie nehmen lachend die hohen Sitze ein,

Und spannen über sich bunte Sonnenschirme.

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Wie ein Tulpenbeet glänzt die Versammlung,

Wie leuchtende Edelsteine

Bewegen sich die Farben im wechselnden Schimmer.

Alles ist aufmerksam,

Und wie das Leiden der Dichtung steigt,

Erröthen die staunenden Hörer gerührt.
Carlota piange! ruft Werther

Im süssesten Schmerze melodischen Lauts,

Und alle Hände, Fächer, Tücher, Beine, Stöcke
Erregen das lauteste Getümmel freudigen Beifalls,
Und tausend Thränen fliessen.

Glückseliger Dichter,

Der du nur die schwache Feder

In den Wohllaut der süssesten Sprache
Nachlässig tauchen darfst!

Wozu noch Bilder, Gedanken, Gefühle,

Wenn dein Mutterton

Schon für dich dichtet und die Herzen bewegt?

Doch Heil dir, Werther,

Denn nie vernahm ich wieder

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Was mischt sich in die Leiden der Liebenden ?

Ein ferner Donner ertönt vernehmlich,

Die leuchtenden Farben bewegen sich unruhig,
Auch das Parterre murrt schon.

Und wieder ein Schlag,

Und der Regen strömt schwer in grossen Tropfen.
Da drängen sich Weiber und Mädchen herbei,

Sie springen die Stufen herab,

Ein Flammenmeer bunter Farben,

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