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er es so schön ausdrückt, mit der frommen, mütterlichen Erde gläubig gestifteten Bund verweilte seine Phantasie vorzugsweise gern. Was die Mythologie hiermit Verwandtes darbot, hielt er mit Begierde fest. Ganz den Spuren der Fabel getreu bleibend, bildete er Demeter, die Hauptgestalt in diesem Kreis, indem er sich in ihrer Brust menschliche Gefühle mit göttlichen gatten liess, zu einer eben so wundervollen, als tief ergreifenden Erscheinung aus. Es war lange ein Lieblingsplan Schillers, die erste Gesittung Attika's durch fremde Einwanderungen episch zu behandeln. Das Eleusische Fest ist an die Stelle dieses unausgeführt gebliebenen 10 Planes getreten.

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Das bloss Rührende, Schmelzende, einfach Beschreibende, kurz die ganz unmittelbar aus der Anschauung und dem Gefühl genommene Gattung der Dichtung findet sich bei Schiller in unzähligen einzelnen Stellen und in ganzen Gedichten. . . . . Die wundervollste Beglaubigung vollendeten Dichtergenie's aber enthält das Lied von der Glocke, das in wechselnden Sylbenmassen, in Schilderungen der höchsten Lebendigkeit, wo kurz angedeutete Züge das ganze Bild hinstellen, alle Vorfälle des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens durchläuft, die aus jedem entspringenden Gefühle ausdrückt, 20 und diess Alles symbolisch immer an die Töne der Glocke heftet, deren fortlaufende Arbeit die Dichtung in ihren verschiedenen Momenten begleitet. In keiner Sprache ist mir ein Gedicht bekannt, das in einem so kleinen Umfang einen so weiten poetischen Kreis eröffnet, die Tonleiter aller tiefsten menschlichen Empfindungen durchgeht, und auf ganz lyrische Weise das Leben mit seinen wichtigsten Ereignissen und Epochen, wie ein durch natürliche Gränzen umschlossenes Epos zeigt. Die dichterische Anschaulichkeit wird aber noch dadurch vermehrt, dass jenen der Phantasie von ferne vorgehaltenen Erscheinungen ein als un- 30 mittelbar wirklich geschilderter Gegenstand entspricht, und die beiden sich dadurch bildenden Reihen zu gleichem Ende parallel neben einander fortlaufen......

Er wurde der Welt in der vollendetsten Reife seiner geistigen Kraft entrissen, und hätte noch Unendliches leisten können. Sein Ziel war so gesteckt, dass er nie an einen Endpunct gelangen konnte, und die immer fortschreitende Thätigkeit seines Geistes

hätte keinen Stillstand besorgen lassen; noch sehr lange hätte er die Freude, das Entzücken, ja wie er es in einem der hier folgenden Briefe bei Gelegenheit des Plans zu einer Idylle, so unnachahmlich beschreibt, die Seligkeit des dichterischen Schaffens geniessen können. Sein Leben endete vor dem gewöhnlichen Ziele; aber so lange es währte, war er ausschliesslich und unablässig im Gebiete der Ideen und der Phantasie beschäftigt; von Niemand lässt sich vielleicht mit so viel Wahrheit sagen, dass er die Angst des Irdischen von sich geworfen hatte, aus dem engen, dumpfen Leben in das Reich des Ideales geflohen war'; er lebte nur von den höch- 10 sten Ideen und den glänzendsten Bildern umgeben, welche der Mensch in sich aufzunehmen und aus sich hervorzubringen vermag. Wer so die Erde verlässt, ist nicht anders als glücklich zu preisen.

FRIEDRICH SCHLEIERMACHER.

[Scherer D. 626, E. II. 241.]

Geboren 1768 zu Breslau, studierte in Halle Theologie und Philologie, 1794 Hilfsprediger in Landsberg an der Warthe, 1796 Prediger an der Charité in Berlin, 1802 Hofprediger in Stolpe, 1804 Universitätsprediger und Professor der Theologie in Halle. Nach der unglücklichen Schlacht bei Jena 1806 gieng er nach Berlin, hielt hier Vorlesungen vor einem gemischten 20 Publicum, wurde 1809 Prediger an der Dreifaltigkeitskirche, 1810 Professor an der Universität. Er starb 1834. Eine Sammlung seiner zahlreichen Werke, mit Ausschluss der Übersetzung des Plato, erschien in Berlin seit 1835 in drei Abtheilungen (zur Theologie, Predigten, zur Philosophie). Seine Briefe wurden von Dilthey herausgegeben, 4 Bde (Berlin 1810-13).

AUS DEN REDEN ÜBER DIE RELIGION.

Anschauung ohne Gefühl ist nichts und kann weder den rechten Ursprung noch die rechte Kraft haben, Gefühl ohne Anschauung ist auch nichts: beide sind nur dann und deswegen etwas, wenn und weil sie ursprünglich Eins und ungetrennt sind. Jener erste 30 geheimnissvolle Augenblik, der bei jeder sinnlichen Wahrnehmung vorkommt, ehe noch Anschauung und Gefühl sich trennen, wo der Sinn und sein Gegenstand gleichsam in einander geflossen und Eins geworden sind, ehe noch beide an ihren ursprünglichen Plaz

zurükkehren-ich weiss wie unbeschreiblich er ist, und wie schnell er vorüber geht, ich wollte aber Ihr könntet ihn festhalten und auch in der höheren und göttlichen religiösen Thätigkeit des Gemüths ihn wieder erkennen. Könnte und dürfte ich ihn doch aussprechen, andeuten wenigstens, ohne ihn zu entheiligen! Flüchtig ist er und durchsichtig wie der erste Duft womit der Thau die erwachten Blumen anhaucht, schamhaft und zart wie ein jungfräulicher Kuss, heilig und fruchtbar wie eine bräutliche Umarmung ; ja nicht wie dies, sondern er ist alles dieses selbst. Schnell und zauberisch entwikelt sich eine Erscheinung, eine Begebenheit zu 10 einem Bilde des Universums. So wie sie sich formt die geliebte und immer gesuchte Gestalt, flieht ihr meine Seele entgegen, ich umfange sie nicht wie einen Schatten, sondern wie das heilige Wesen selbst. Ich liege am Busen der unendlichen Welt: ich bin in diesem Augenblik ihre Seele, denn ich fühle alle ihre Kräfte und ihr unendliches Leben, wie mein eigenes, sie ist in diesem Augenblike mein Leib, denn ich durchdringe ihre Muskeln und ihre Glieder wie meine eigenen, und ihre innersten Nerven bewegen sich nach meinem Sinn und meiner Ahndung wie die meinigen. Die geringste Erschütterung, und es verweht die heilige Umarmung, 20 und nun erst steht die Anschauung vor mir als eine abgesonderte Gestalt, ich messe sie, und sie spiegelt sich in der offnen Seele wie das Bild der sich entwindenden Geliebten in dem aufgeschlagenen Auge des Jünglings, und nun erst arbeitet sich das Gefühl aus dem Innern empor, und verbreitet sich wie die Röthe der Schaam und der Lust auf seiner Wange. Dieser Moment ist die höchste Blüthe der Religion. Könnte ich ihn Euch schaffen, so wäre ich ein Gott-das heilige Schiksal verzeihe mir nur, dass ich mehr als Eleusische Mysterien habe aufdeken müssen-Er ist die Geburtsstunde alles Lebendigen in der Religion. Aber es ist damit wie mit dem ersten 30 Bewusstsein des Menschen, welches sich in das Dunkel einer ursprünglichen und ewigen Schöpfung zurükzieht, und ihm nur das hinterlässt was es erzeugt hat. Nur die Anschauungen und Gefühle kann ich Euch vergegenwärtigen, die sich aus solchen Momenten entwikeln.

JOHANNES VON MÜLLER.

[Scherer D. 630, E. II. 246.]

Geboren 1752 zu Schaffhausen, erhielt eine vorzügliche Schulbildung, bezog 1769 die Universität Göttingen, wo er Theologie studieren sollte, sich aber hauptsächlich historischen Studien widmete. Bereits 1771 Professor der griechischen Sprache in seiner Vaterstadt. Seit 1774 häufig Stellung und Ort wechselnd, 1786 kurfürstlicher Bibliothekar in Mainz, 1788 geheimer Legationsrath und geheimer Conferenzrath, 1791 vom Kaiser geadelt, 17921804 in Wien, dann in Berlin, 1807 westphälischer Minister-Staatssecretär zu Cassel im Dienste König Jérômes, 1808 Generaldirector des öffentlichen 10 Unterrichts. Er starb 1809. Er hat sich besonders berühmt gemacht durch die Geschichten der schweizerischen Eidgenossenschaft', deren erster Theil bereits 1780 erschien. Seine Sämmtlichen Werke' erschienen in 40 Bänden (Stuttgart 1831-35).

I.

PHILOSOPHEN.

Die kleinen Schriften der weisen Männer und Weiber, die den Grundsätzen des Pythagoras folgten, malen diese ehrwürdige Sittenschule auf eine dem Gefühl wohlthuende Weise; aber drei Philosophen sind vor anderen dem Geschichtschreiber wichtig.

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Plato enthält nicht nur viele Sittenzüge und politische Nachrichten, und nicht nur schildert er das literarische Leben und die in seinen besten Jahren blühenden Gelehrten; er ist besonders wichtig für die Geschichte des menschlichen Geistes, als der zeigt, wie weit bei den Alten Hoffnungen und Vorstellungen unserer Unsterblichkeit ins Reine gediehen; keiner brachte es weiter. Plato selbst fühlte, dass, um uns gewiss zu machen, ein Gott die Finsternisse zerstreuen müsste. Bei ihm ist der Keim einer Menge Vorstellungen und Gebräuche, die in das Christenthum übergegangen sind. Philo der Jude lernte von ihm die allegorische Deutungsmanier. 30 Die mit mehr Einbildungskraft als Sprachkunde, mit wärmerm Gefühl als richtigem Urtheil begabten Kirchenväter priesen den göttlichen, dichterischen, erhebenden Plato, der zur Symbolik, zu Geheimnissen geneigt macht.

Wie der Verstand vom Witz, wie ein reifer, kaltvernünftiger Mann von einem feurigen Jüngling, so ist Aristoteles von ihm verschieden. Für uns enthält was von seinem Werk über die Politik vorhanden ist, vortreffliche Belehrungen; sehr viel ist in einigen Schriften, die zwar mit Unrecht in der Sammlung seiner Werke stehen; aber hauptsächlich ist Aristoteles als derjenige merkwürdig, dessen (oft schlecht begriffene) Lehre in arabischen und christlichen Schulen viele Jahrhunderte geherrscht; obwohl der Ursprung mancher Irrthümer nicht bei ihm, sondern in Commentarien zu finden ist, deren Verfasser ihn selbst nicht verstanden. Einen tiefsinnigern, 10 umfassendern Geist, einen richtiger sehenden Philosophen, einen genauern Schriftsteller, wird man im Alterthum nicht, in allen Zeiten wenige, antreffen. Seine Moral ist ein Meisterstück; in seiner Geschichte der Thiere sind eine Menge Beobachtungen, die man kaum für wahrscheinlich hielt, durch neuere Entdeckungen bestätigt worden.

Theophrastus, in der Geschichte der Pflanzen, hat die Deutlichkeit und einnehmende Grazie, die jener, sein Lehrer, nicht so besass. Er ist für die Kentniss der asiatischen und griechischen Landesproducte wichtig.

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2.

DICHTER.

Obwohl des Orpheus Schriften viel jünger sind als er, so verliert die im Argonautengedicht herrschende antike Einfalt hiedurch nur wenig von ihrem Bezaubernden, und das Buch bleibt wichtig für die Bestimmung der Begriffe, die man um die Zeiten des Perserkrieges vom Norden hatte.

Aelter als dieses Werk sind Anakreon's liebliche Lieder, aus denen man lernt; wie verfeinert schon zu Pisistratus Zeiten der Genuss der Wollust war. Den Griechen macht er so viele Ehre 30 als Homer; für das Grosse haben auch Wilde Gefühl, das sie mit eigenthümlicher Kraft ausdrücken: Anakreons niedliche Einfalt gehört einem zur sanftesten Humanität aufgeblüheten Volk.

Theognis, in den Sprüchen, gibt eine Probe der uralten Form, Weisheitslehren zu tradiren, als Bücher noch sehr selten waren;

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