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genständen, welche dem Willen drohend und furchtbar sind, die Ideen auf. In diesem Kontrast eben liegt das Gefühl des Erhabenen.

Aber noch mächtiger wird der Eindruck, wenn wir den Kampf der empörten Naturkräfte im Grossen vor Augen haben, wenn in jener Umgebung ein fallender Strom durch sein Toben uns die Möglichkeit die eigene Stimme zu hören benimmt ;-oder wenn wir am weiten, im Sturm empörten Meere stehen: häuserhohe Wellen steigen und sinken, gewaltsam gegen schroffe Uferklippen geschlagen, spritzen sie den Schaum hoch in die Luft, der Sturm 10 heult, das Meer brüllt, Blitze aus schwarzen Wolken zucken und Donnerschläge übertönen Sturm und Meer. Dann erreicht im unerschütterten Zuschauer dieses Auftritts die Duplicität seines Bewusstseyns die höchste Deutlichkeit er empfindet sich zugleich als Individuum, als hinfällige Willenserscheinung, die der geringste Schlag jener Kräfte zertrümmern kann, hülflos gegen die gewaltige Natur, abhängig, dem Zufall Preis gegeben, ein verschwindendes Nichts, ungeheuren Mächten gegenüber; und dabei nun zugleich als ewiges ruhiges Subjekt des Erkennens, welches, als Bedingung des Objekts, der Träger eben dieser ganzen Welt ist und der 20 furchtbare Kampf der Natur nur seine Vorstellung, es selbst in ruhiger Auffassung der Ideen, frei und fremd allem Wollen und allen Nöthen. Es ist der volle Eindruck des Erhabenen. Hier veranlasst ihn der Anblick einer dem Individuo Vernichtung drohenden, ihm ohne allen Vergleich überlegenen Macht.

Auf ganz andere Weise kann er entstehen bei der Vergegenwärtigung einer blossen Grösse in Raum und Zeit, deren Unermesslichkeit das Individuum zu Nichts verkleinert. Wir können die erstere Art das Dynamisch-, die zweite das MathematischErhabene nennen, Kants Benennungen und seine richtige Ein- 30 theilung beibehaltend, obgleich wir in der Erklärung des innern Wesens jenes Eindrucks ganz von ihm abweichen und weder moralischen Reflexionen, noch Hypostasen aus der scholastischen Philosophie einen Antheil dabei zugestehen.

Wenn wir uns in die Betrachtung der unendlichen Grösse der Welt in Raum und Zeit verlieren, den verflossenen Jahrtausenden und den kommenden nachsinnen, oder auch, wenn der nächtliche

Himmel uns zahllose Welten wirklich vor Augen bringt, und so die Unermesslichkeit der Welt auf das Bewusstseyn eindringt,— so fühlen wir uns selbst zu Nichts verkleinert, fühlen uns als Individuum, als belebter Leib, als vergängliche Willenserscheinung, wie ein Tropfen im Ocean, dahin schwinden, in Nichts zerfliessen. Aber zugleich erhebt sich gegen solches Gespenst unserer eigenen Nichtigkeit, gegen solche lügende Unmöglichkeit, das unmittelbare Bewusstseyn, dass alle diese Welten ja nur in unserer Vorstellung dasind, nur als Modifikationen des ewigen Subjekts des reinen Erkennens, als welches wir uns finden, sobald wir die 10 Individualität vergessen, und welches der nothwendige, der bedingende Träger aller Welten und aller Zeiten ist. Die Grösse der Welt, die uns vorher beunruhigte, ruht jetzt in uns: Abhängigkeit von ihr wird aufgehoben durch ihre Abhängigkeit von uns.-Dieses Alles kommt jedoch nicht sofort in die Reflexion, sondern zeigt sich als ein nur gefühltes Bewusstseyn, dass man, in irgend einem Sinne (den allein die Philosophie deutlich macht), mit der Welt Eines ist und daher durch ihre Unermesslichkeit nicht niedergedrückt, sondern gehoben wird. Es ist das gefühlte Bewusstseyn Dessen, was die Upanischaden der Veden in so 20 mannigfaltigen Wendungen wiederholt aussprechen, vorzüglich in dem schon oben beigebrachten Spruch: Hae omnes creaturae in totum ego sum, et praeter me aliud ens non est. (Oupnek'hat, Bd. 1. S. 122.). Es ist Erhebung über das eigene Individuum, Gefühl des Erhabenen.

unsere

Auf eine ganz unmittelbare Weise erhalten wir diesen Eindruck des Mathematisch-Erhabenen schon durch einen Raum, der zwar gegen das Weltgebäude betrachtet klein ist, der aber dadurch dass er uns unmittelbar ganz wahrnehmbar geworden ist, nach allen drei Dimensionen mit seiner ganzen Grösse auf uns wirkt, 30 welche hinreicht, das Maass unsers eigenen Leibes fast unendlich klein zu machen. Dies kann ein für die Wahrnehmung leerer Raum nie, daher nie ein offener, sondern nur ein durch die Begränzung nach allen Dimensionen unmittelbar warnehmbarer, also ein sehr hohes und grosses Gewölbe, wie das der Peterskirche in Rom, oder der Paulskirche in London. Das Gefühl des Erhabenen entsteht hier durch das Innewerden des verschwindenden

Nichts unseres eigenen Leibes vor einer Grösse, die andererseits selbst wieder nur in unserer Vorstellung liegt und deren Träger wir als erkennendes Subjekt sind, also hier wie überall durch den Kontrast der Unbedeutsamkeit und Abhängigkeit unseres Selbst als Individuums, als Willenserscheinung, gegen das Bewusstseyn unserer als reinen Subjekts des Erkennens. Selbst das Gewölbe des gestirnten Himmels wirkt, wenn es ohne Reflexion betrachtet wird, nur eben so wie jenes steinerne Gewölbe, und nicht mit seiner wahren, sondern nur mit seiner scheinbaren Grösse.— Manche Gegenstände unserer Anschauung erregen den Eindruck 10 des Erhabenen dadurch, dass, sowohl vermöge ihrer räumlichen Grösse, als ihres hohen Alters, also ihrer zeitlichen Dauer, wir ihnen gegenüber uns zu Nichts verkleinert fühlen, und dennoch im Genuss ihres Anblicks schwelgen: der Art sind sehr hohe Berge, Aegyptische Pyramiden, kolossale Ruinen von hohem Alterthume.

Ja, auch auf das Ethische lässt unsere Erklärung des Erhabenen sich übertragen, nämlich auf Das, was man als den erhabenen Charakter bezeichnet. Auch dieser nämlich entspringt daraus, dass der Wille nicht erregt wird durch Gegenstände, welche aller- 20 dings geignet wären, ihn zu erregen; sondern das Erkennen auch dabei die Oberhand behält. Ein solcher Charakter wird demnach die Menschen rein objektiv betrachten, nicht aber nach den Beziehungen, welche sie zu seinem Willen haben könnten: er wird z. B. ihre Fehler, sogar ihren Hass und ihre Ungerechtigkeit gegen ihn selbst, bemerken, ohne dadurch seinerseits zum Hass erregt zu werden; er wird ihr Glück ansehen, ohne Neid zu empfinden; er wird ihre guten Eigenschaften erkennen, ohne jedoch nähere Verbindung mit ihnen zu wünschen; er wird die Schönheit der Weiber wahrnehmen, ohne ihrer zu begehren. Sein 30 persönliches Glück oder Unglück wird ihn nicht stark affiziren, vielmehr wird er seyn, wie Hamlet den Horatio beschreibt:

for thou hast been

As one, in suffering all, that suffers nothing;
A man, that fortune's buffets and rewards

Hast ta'en with equal thanks, etc. (A. 3, sc. 2.)

Denn er wird in seinem eigenen Lebenslauf und dessen Unfällen

weniger sein individuelles, als das Loos der Menschheit überhaupt erblicken, und demnach sich dabei mehr erkennend als leidend verhalten.

ALEXANDER VON HUMBOLDT.

[Scherer D. 622, E. II. 237.]

Geboren 1769 in Berlin, studierte in Frankfurt a. O. und Göttingen, bereiste 1790 mit Georg Forster den Rhein, Holland, England; setzte 1791 in der Bergakademie zu Freiberg seine geognostischen und botanischen Studien fort, wurde 1792 Oberbergmeister in Bayreuth, bereiste, mit Aufgabe des Amtes, 1797 die Schweiz und Italien, 1799-1804 mit Bonpland 10 Amerika, lebte bis 1825 meistens in Paris, nahm seit 1827 seinen ständigen Wohnsitz in Berlin, machte 1829 mit Professor Ehrenberg und Rose eine Reise nach Sibirien und an das kaspische Meer. Starb 1859. Seine 'Ansichten der Natur' erschienen 1808; sein Kosmos' 1845-58. Eine Auswahl seiner Werke erschien in 5 Bänden (Stuttgart 1874).

UEBER DIE VERSCHIEDENARTIGKEIT DES NATURGENUSSES.

... Wenn wir zuvörderst über die veschiedenen Stufen des Genusses nachdenken, welchen der Anblick der Natur gewährt, so finden wir, dass die erste unabhängig von der Einsicht in das Wirken der Kräfte, ja fast unabhängig von dem eigenthümlichen 20 Charakter der Gegend ist, die uns umgiebt. Wo in der Ebene, einförmig, gesellige Pflanzen den Boden bedecken und auf grenzenloser Ferne das Auge ruht, wo des Meeres Wellen das Ufer sanft bespülen und durch Ulven und grünenden Seetang ihren Weg bezeichnen überall durchdringt uns das Gefühl der freien Natur, ein dumpfes Ahnen ihres 'Bestehens nach inneren, ewigen Gesetzen'. In solchen Anregungen ruht eine geheimnissvolle Kraft ; sie sind erheiternd und lindernd, stärken und erfrischen den ermüdeten Geist, besänftigen oft das Gemüth, wenn es schmerzlich in seinen Tiefen erschüttert oder vom wilden Drange der 30 Leidenschaften bewegt ist. Was ihnen ernstes und feierliches beiwohnt, entspringt aus dem fast bewusstlosen Gefühle höherer Ordnung und innerer Gesetzmässigkeit der Natur; aus dem Eindruck ewig wiederkehrender Gebilde, wo in dem Besondersten des Organismus das Allgemeine sich spiegelt; aus dem Contraste

zwischen dem sinnlich Unendlichen und der eigenen Beschränktheit, der wir zu entfliehen streben. In jedem Erdstriche, überall wo die wechselnden Gestalten des Thier- und Pflanzenlebens sich darbieten, auf jeder Stufe intellectueller Bildung sind dem Menschen diese Wohlthaten gewährt.

Ein anderer Naturgenuss, ebenfalls nur das Gefühl ansprechend, ist der, welchen wir, nicht dem blossen Eintritt in das Freie (wie wir tief bedeutsam in unserer Sprache sagen), sondern dem individuellen Charakter einer Gegend, gleichsam der physiognomischen Gestaltung der Oberfläche unseres Planeten verdanken. 10 Eindrücke solcher Art sind lebendiger, bestimmter und deshalb für besondere Gemüthszustände geeignet. Bald ergreift uns die Grösse der Naturmassen im wilden Kampfe der entzweiten Elemente oder, ein Bild des Unbeweglich-Starren, die Oede der unermesslichen Grasfluren und Steppen, wie in dem gestaltlosen Flachlande der Neuen Welt und des nördlichen Asiens; bald fesselt uns, freundlicheren Bildern hingegeben, der Anblick der bebauten Flur, die erste Ansiedelung des Menschen, von schroffen Felsschichten umringt, am Rande des schäumenden Giessbachs. Denn es ist nicht sowohl die Stärke der Anregung, welche die Stufen des individuellen 20 Naturgenusses bezeichnet, als der bestimmte Kreis von Ideen und Gefühlen, die sie erzeugen und welchen sie Dauer verleihen.

Darf ich mich hier der eigenen Erinnerung grosser Naturscenen überlassen, so gedenke ich des Oceans, wenn in der Milde tropischer Nächte das Himmelsgewölbe sein planetarisches, nicht funkelndes Sternenlicht über die sanftwogende Wellenfläche ergiesst; oder der Waldthäler der Cordilleren, wo mit kräftigem Triebe hohe Palmenstämme das düstere Laubdach durchbrechen und als Säulengänge hervorragen, 'ein Wald über dem Walde'; oder des Pics von Teneriffa, wenn horizontale Wolkenschichten den Aschen- 30 kegel von der unteren Erdfläche trennen, und plötzlich durch eine Oeffnung die der aufsteigende Luftstrom bildet, der Blick von dem Rande des Kraters sich auf die weinbekränzten Hügel von Orotava und die Hesperidengärten der Küste hinabsenkt. In diesen Scenen ist es nicht mehr das stille, schaffende Leben der Natur, ihr ruhiges Treiben und Wirken, die uns ansprechen; es ist der individuelle Charakter der Landschaft, ein Zusammenfliessen der Umrisse von

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