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Stieg sie herab, und brachte der ämsigen Mutter die Botschaft, Welche der Milch abschöpfte den Rahm zu festlichem Kaffe:

Mutter, es kommt wie ein Schlitten; ich weiss nicht sicher, doch glaub' ich!

Also Marie; da verlor die erschrockene Mutter den Löffel; Unter ihr bebten die Knie'; und sie lief mit klopfendem Herzen, Athemlos; ihr entflog im hastigen Lauf der Pantoffel.

Jene lief zu der Pfort', und öfnete. Näher und näher

Kam das Gekling', und das Klatschen der Peitsch', und der Pferde Getrampel.

Nun, nun lenkten herein die muthigen Ross' in den Hofraum, Blankgeschirrt; und der Schlitten mit halb schon ofnem Verdeckstuhl

Hielt an der Thür', und es schnoben, beschneit und dampfend, die Renner.

Mütterchen rief: Willkommen! daher: Willkommen, ihr Kindlein !

Lebt ihr auch noch? und reichte die Händ' in den schönen Ver

deckstuhl ;

ΤΟ

Lebt in dem grimmigen Ost mein Töchterchen? Dann von den 20

Kindern

Selbst sich zu schonen, ermahnt: Lasst, Kinderchen! sprach sie;

dem Sturmwind

Wehret das Haus! Ich bin ja vom eisernen Kerne der Vorwelt! Stets war unser Geschlecht steinalt, und Verächter des Wetters; Aber die jüngere Welt ist zart, und scheuet die Zugluft.

Sprachs; und der Sohn, der dem Schlitten entsprang, umarmte sie eilig,

Hüllte das Töchterchen dann aus bärenzottigem Fusssack,
Und liebkosete viel, mit Kuss und bedaurendem Streicheln,
Zog dann beid', in der Linken den Sohn, in der Rechten die
Tochter,

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Rasch in das Haus, dem Gesinde des Fahrzeugs Sorge vertrauend.

Aber wo bleibt mein Vater? Er ist doch gesund am Geburtstag? Fragte der Sohn. Schnell tuschte mit winkendem Haupte die

Mutter

Still! das Väterchen hält noch Mittagsschlummer im Lehnstuhl !

Lass mit kindlichem Kuss dein junges Gemahl ihn erwecken;
Dann wird wahr, dass Gott im Schlafe die Seinigen segnet !

Sprachs, und führte sie leis' in der Schule gesäubertes Zimmer, Voll von Tisch und Gestühl, Schreibzeug und bezifferten Tafeln : Wo sie an Pflöck' aufhängte die nordische Wintervermummung, Mäntel, mit Flocken geweisst, und der Tochter bewunderten Leibpelz,

Auch den Flor, der die Wangen geschirmt, und das seidene 10 Halstuch.

Und sie umschloss die enthüllten mit strömender Thräne der

Inbrunst:

Tochter und Sohn, willkommen! ans Herz willkommen noch
Einmal!

Ihr, uns Altenden Freud', in Freud' auch altet und greiset,
Stets einmüthiges Sinns, und umwohnt von gedeihenden Kindern!
Nun mag brechen das Auge, da dich wir gesehen im Amtsrock,
Sohn, und dich ihm vermählt, du frisch aufblühendes Herzblatt!
Armes Kind, wie das ganze Gesicht roth glühet vom Ostwind! 20
O du Seelengesicht! Denn ich duze dich, weil du es foderst!
Aber die Stub' ist warm, und gleich soll der Kaffe bereit sein!
Ihr um den Nacken die Arme geschmiegt, liebkoste die

Tochter:

Mutter, ich duze dich auch, wie die leibliche, die mich gebohren; Also geschahs in der Bibel, da Herz und Zunge vereint war: Denn du gebahrst und erzogst mir den wackeren Sohn Zacharias, Der an Wuchs und Gemüt, wie er sagt, nachartet, dem Vater. Mütterchen, habe mich lieb; ich will auch artiges Kind sein. Fröhliches Herz und rothes Gesicht, das hab' ich beständig, Auch wenn der Ost nicht weht. Mein Väterchen sagte mir oftmals,

Klopfend die Wang', ich würde noch krank vor lauter Gesundheit.

Jezo sagte der Sohn, sein Weib darstellend der Mutter: Mütterchen, nehmt sie auf Glauben. So zart und geschlank, wie sie dasteht,

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Ist sie mit Leib und Seele vom edelsten Kerne der Vorwelt. Dass sie der Mutter nur nicht das Herz abschwaze des Vaters! Komm denn, und bring als Gabe den zärtlichsten Kuss zum Geburtstag.

Schalkhaft lächelte drob, und sprach die trefliche Gattin: Nicht zur Geburtstagsgabe.! Was besseres bring' ich im Koffer Unserem Vater zur Lust, und dem Mütterchen, ohne dein Wissen! Sprachs, und fasste dem Manne die Hand; die führende Mutter

Oefnete leise die Thür', und liess die Kinder hineingehn.

Aber die junge Frau, voil Lieb' im lächelnden Antliz,
Hüpfte voraus, und küsste den Greis. Mit verwunderten Augen
Sah er empor, und hing in der trautesten Kinder Umarmung.

2.

MAILIED EINES MÄDCHENS.

Seht den Himmel, wie heiter!
Laub und Blumen und Kräuter
Schmücken Felder und Hain;
Balsam athmen die Weste;
Und im schattigen Neste
Girren brütende Vögelein.
Über grünliche Kiesel
Rollt der Quelle Geriesel
Purpurblinkenden Schaum;
Und die Nachtigall flötet;
Und vom Abend geröthet,

Wiegt sich spiegelnd der Blütenbaum.
Kommt, Gespielen, und springet,
Wie die Nachtigall singet;

Denn sie singet zum Tanz!
O geschwinder, geschwinder!
Rund herum, wie die Kinder!
Ringel Ringelein Rosenkranz !

ΙΟ

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Geboren 1748 zu Molmerswende bei Harzegrode als Sohn eines Predigers, auf dem Pädagogium in Halle erzogen; studierte Philologie in Halle, dann die Rechte in Göttingen. Er führte ein unglückliches Leben, theilweise durch eigene Schuld; war eine Zeit lang Amtmann, dann Professor 30 in Göttingen starb 1794. Er ist das hervorragendste Talent des Göttinger Hainbundes. Seine Gedichte erschienen zuerst Göttingen 1778; neu herausgegeben von Sauer (Berlin und Stuttgart o. J.); Seine Sämmtlichen Schriften' erschienen in 4 Bänden (Göttingen 1796-98); ' Briefe von und an G. A. Bürger' gab Strodtmann heraus, 4 Bde. (Berlin 1874).

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LENORE.

Lenore fuhr ums Morgenrot
Empor aus schweren Träumen :
'Bist untreu, Wilhelm, oder tot?
Wie lange willst du säumen ?'
Er war mit König Friedrichs Macht
Gezogen in die Prager Schlacht,
Und hatte nicht geschrieben:
Ob er gesund geblieben.

Der König und die Kaiserin,
Des langen Haders müde,
Erweichten ihren harten Sinn,
Und machten endlich Friede;

Und jedes Heer, mit Sing und Sang,

Mit Paukenschlag und Kling und Klang,
Geschmückt mit grünen Reisern,

Zog heim zu seinen Häusern.

Und überall all überall,

Auf Wegen und auf Stegen,

Zog alt und jung dem Jubelschall

Der Kommenden entgegen.

Gottlob

rief Kind und Mutter laut,

Willkommen! manche frohe Braut.
Ach! aber für Lenoren

War Gruss und Kuss verloren.

Sie frug den Zug wohl auf und ab,

Und frug nach allen Namen ;

Doch keiner war, der Kundschaft gab,

Von allen, so da kamen.

Als nun das Heer vorüber war,

Zerraufte sie ihr Rabenhaar

Und warf sich hin zur Erde,

Mit wütiger Gebärde.

Die Mutter lief wohl hin zu ihr :

'Ach, dass sich Gott erbarme !

Du trautes Kind, was ist mit dir?'

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20

ΤΟ

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