Page images
PDF
EPUB

einmal fiel sie in die alte himmelsüsse Melodie ein, so auf einmal, und mir durch die Seele gehn ein Trostgefühl, und eine Erinnerung des Vergangenen, der Zeiten, da ich das Lied gehört, der düstern Zwischenräume, des Verdrusses, der fehlgeschlagenen Hoffnungen, und dann-Ich ging in der Stube auf und nieder, mein Herz erstickte unter dem Zudringen. Um Gottes willen, sagte ich, mit einem heftigen Ausbruch hin gegen sie fahrend, um Gottes willen hören Sie auf! Sie hielt, und sah mich starr an. Werther, sagte sie mit einem Lächeln, das mir durch die Seele ging, Werther, Sie sind sehr krank, Ihre Lieblingsgedichte widerstehen 10 Ihnen. Gehn Sie! Ich bitte Sie, beruhigen Sie sich! Ich riss mich von ihr weg, und-Gott! du siehst mein Elend, und wirst es enden.

Am 6. December.

Wie mich die Gestalt verfolgt! Wachend und träumend füllt sie meine ganze Seele! Hier, wenn ich die Augen schliesse, hier in meiner Stirne, wo die innere Sehkraft sich vereinigt, stehn ihre schwarzen Augen. Hier! ich kann dir es nicht ausdrücken. Mache ich meine Augen zu, so sind sie da; wie ein Abgrund ruhen sie vor mir, in mir, füllen die Sinne meiner Stirn.

Was ist der Mensch, der gepriesene Halbgott! Ermangeln ihm 20 nicht eben da die Kräfte, wo er sie am nöthigsten braucht? Und wenn er in Freude sich aufschwingt, oder im Leiden versinkt, wird er nicht in beiden eben da aufgehalten, eben da zu dem stumpfen, kalten Bewusstseyn wieder zurückgebracht, da er sich in der Fülle des Unendlichen zu verlieren sehnte ?

[blocks in formation]

Aug', mein Aug', was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr wieder?
Weg, du Traum! so Gold du bist;
Hier auch Lieb' und Leben ist.

Auf der Welle blinken

Tausend schwebende Sterne;

Weiche Nebel trinken
Rings die thürmende Ferne,

Morgenwind umflügelt

Die beschattete Bucht
Und im See bespiegelt

Sich die reifende Frucht.

IO.

VOM BERGE.

Wenn ich, liebe Lili, dich nicht liebte,
Welche Wonne gäb' mir dieser Blick!

Und doch wenn ich, Lili, dich nicht liebte,
Fänd' ich hier und fänd' ich dort mein Glück?

II.

HERBSTGEFÜHL.

Fetter grüne, du Laub',

Am Rebengeländer

Hier mein Fenster herauf!

Gedrängter quellet,
Zwillingsbeeren, und reifet

Schneller und glänzend voller!
Euch brütet der Mutter Sonne
Scheideblick, euch umsäuselt
Des holden Himmels
Fruchtende Fülle;

Euch kühlet des Mondes
Freundlicher Zauberhauch,

Und euch bethauen, ach!

10

20

Aus diesen Augen

Der ewig belebenden Liebe
Vollschwellende Thränen.

12.

AUS DER EWIGE JUDE.

Fragmentarisch.

Als er sich nun hernieder schwung

Und näher die weite Erde sah,

Und Meer und Länder weit und nah :
Ergriff ihn die Erinnerung,

Die er so lange nicht gefühlt,

Wie man da drunten ihm mitgespielt.

Er auf dem Berge stille hält,
Auf den in seiner ersten Zeit
Freund Satanas ihn aufgestellt
Und ihm gezeigt die volle Welt
Mit aller ihrer Herrlichkeit.

Wie man zu einem Mädchen fliegt,
Das lang an unserm Blute sog
Und endlich treulos uns betrog:
Er fühlt in vollem Himmelsflug
Der irdischen Atmosphäre Zug,

Fühlt wie das reinste Glück der Welt
Schon eine Ahnung von Weh enthält.
Er denkt an jenen Augenblick,
Da er den letzten Todesblick
Vom Schmerzen-Hügel herabgethan,
Fing vor sich hin zu reden an:
Sey, Erde, tausendmal gegrüsst!
Gesegnet all', ihr meine Brüder!
Zum ersten Mal mein Herz ergiesst
Sich nach dreitausend Jahren wieder,
Und wonnevolle Zähre fliesst

Von meinem trüben Auge nieder.

10

20

30

O mein Geschlecht, wie sehn' ich mich nach dir!
Und du mit Herz- und Liebesarmen

Flehst du aus tiefem Drang zu mir!
Ich komm', ich will mich dein erbarmen!
O Welt! voll wunderbarer Wirrung,
Voll Geist der Ordnung, träger Irrung,
Du Kettenring von Wonn' und Wehe,
Du Mutter, die mich selbst zum Grab gebar,
Die ich, obgleich ich bei der Schöpfung war,
Im Ganzen doch nicht sonderlich verstehe.
Die Dumpfheit deines Sinns, in der du schwebtest,
Daraus du dich nach meinem Tage drangst,
Die schlangenknotige Begier, in der du bebtest,
Von ihr dich zu befreien strebtest,

Und dann befreit, dich wieder neu umschlangst:
Das rief mich her aus meinem Sternensaal,
Das lässt mich nicht an Gottes Busen ruhn;
Ich komme nun zu dir zum zweiten Mal,

Ich säete dann und ernten will ich nun.

Er sieht begierig rings sich um,

Sein Auge scheint ihn zu betrügen:

Ihm scheint die Welt noch um und um

In jener Sauce da zu liegen,

Wie sie an jener Stunde lag,

Da sie bei hellem lichten Tag

Der Geist der Finsterniss, der Herr der alten Welt,
Im Sonnenschein ihm glänzend dargestellt,

Und angemasst sich ohne Scheu,

Dass er hier Herr im Hause sey.

13.

PROMETHEUS.

Bedecke deinen Himmel, Zeus,

Mit Wolkendunst,

Und übe, dem Knaben gleich,

Der Disteln köpft,

An Eichen dich und Bergeshöhn;

10

20

30

[blocks in formation]
« PreviousContinue »