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GERMAN CLASSICS.

DAS ZEITALTER FRIEDRICHS DES GROSSEN.

CHRISTIAN FÜrchtegott gellert.

[Scherer D. 400, E. II. 8.]

Geboren 1716 zu Haynichen im Erzgebirge als der Sohn eines Predigers. Er ward auf der Schule zu Meissen erzogen, studierte in Leipzig Theologie and ward später Professor an der Universität. Seine Vorlesungen versammelten einen grossen Zuhörerkreis und sein Ansehen in ganz Deutschland war ausserordentlich. Starb 1769. Er schrieb Schäferspiele; Lustspiele; einen Roman Das Leben der schwedischen Gräfin von G.' (1746). Aber die Grundlage seines Ruhmes waren die poetischen Fabeln und Erzählungen (Leipzig 1746 und 1748) und die Geistlichen Oden und Lieder' (Leipzig 1757). Gellert sowie Rabener waren zuerst Mitarbeiter an der Zeitschrift der Gottschedianer Belustigungen des Verstandes und Witzes', traten aber später (seit 1742) mit Adolf Schlegel, Gärtner, Zachariae, Hagedorn, Gleim und Klopstock u. a. zur Herausgabe der sogenannten Bremer Beiträge zusammen. Gellerts Werke wurden herausgegeben von Klee 10 Bde. (Leipzig 1839); Briefe (Leipzig 1861); Tagebuch (Leipzig

1862).

·

VOL. II.

I.

DER BLINDE UND DER LAHME.

Von ungefehr muss einen Blinden
Ein Lahmer auf der Strasse finden,
Und jener hofft schon freudenvoll,
Dass ihn der andre leiten soll.

Dir, spricht der Lahme, beyzustehen?
Ich armer Mann kann selbst nicht gehen;
Doch scheints, dass du zu einer Last
Noch sehr gesunde Schultern hast.

Entschliesse dich, mich fortzutragen,
So will ich dir die Stege sagen:

B

ΙΟ

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Die Krempen hingen flach herab;
Und dennoch wusst' er ihn zu tragen,
Dass ihm der Hut ein Ansehn gab.

Er starb und liess bei seinem Sterben
Den runden Hut dem nächsten Erben.
Der Erbe weiss den runden Hut
Nich recht gemächlich anzugreifen.
Er sinnt und wagt es, kurz und gut,
Er wagt's, zwo Krempen aufzusteifen.
Drauf lässt er sich dem Volke sehn.

30

Das Volk bleibt vor Verwundrung stehn

Und schreit: 'Nun lässt der Hut erst schön!'
Er starb und liess bei seinem Sterben

Den aufgesteiften Hut dem Erben.
Der Erbe nimmt den Hut und schmählt.
'Ich', spricht er, 'sehe wohl, was fehlt!'
Er setzt darauf mit weisem Muthe

Die dritte Krempe zu dem Hute.
'O!' rief das Volk, der hat Verstand!
Seht, was ein Sterblicher erfand!
Er, er erhöht sein Vaterland!'

Er starb und liess bei seinem Sterben
Den dreifach spitzen Hut dem Erben.
Der Hut war freilich nicht mehr rein;
Doch sagt, wie konnt' es anders sein?
Er ging schon durch die vierten Hände.

Der Erbe färbt' ihn schwarz, damit er was erfände.
'Beglückter Einfall!' rief die Stadt;

'So weit sah keiner noch, als der gesehen hat.
Ein weisser Hut liess lächerlich ;
Schwarz, Brüder, schwarz! so schickt es sich!'

Er starb und liess bei seinem Sterben
Den schwarzen Hut dem nächsten Erben.
Der Erbe trägt ihn in sein Haus,
Und sieht, er ist sehr abgetragen.

Er sinnt und sinnt das Kunststück aus,
Ihn über einen Stock zu schlagen.
Durch heisse Bürsten wird er rein;
Er fasst ihn gar mit Schnüren ein.
Nun geht er aus, und alle schreien:
'Was sehn wir? Sind es Zaubereien?
Ein neuer Hut!-O glücklich Land,
Wo Wahn und Finsterniss verschwinden!
Mehr kann kein Sterblicher erfinden,

Als dieser grosse Geist erfand!'

Er starb und liess bei seinem Sterben
Den umgewandten Hut dem Erben.

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