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also jedes Stück beherrscht, und wie eine Weltseele durchströmt, zu bemerken. Wie es doch in Othello würklich mit zu dem Stücke gehört, so selbst das Nachtsuchen wie die fabelhafte Wunderliebe, die Seefahrt, der Seesturm, wie die brausende Leidenschaft Othellos, die so sehr verspottete Todesart, das Entkleiden unter dem Sterbeliedchen und dem Windessausen, wie die Art der Sünde und Leidenschaft selbst-sein Eintritt, Rede ans Nachtlicht u. s. w. wäre es möglich, doch das in Worte zu fassen, wie das Alles zu Einer Welt der Trauerbegebenheit lebendig und innig gehöreaber es ist nicht möglich. Kein elendes Farbengemälde lässt sich 10 durch Worte beschreiben oder herstellen, und wie die Empfindung Einer lebendigen Welt in allen Scenen, Umständen und Zaubereyen der Natur. Gehe, mein Leser, was du willt, Lear und die Richards, Cäsar und die Heinrichs, selbst Zauberstücke und Divertissements, insonderheit Romeo, das süsse Stück der Liebe, auch Roman in jedem Zeitumstande und Ort, und Traum und Dichtung-gehe es durch, versuche Etwas der Art wegzunehmen, zu tauschen, es gar auf ein französisches Bretterngerüste zu simplificiren-eine lebendige Welt mit allem Urkundlichen ihrer Wahrheit in dies Gerüste verwandelt schöner Tausch! schöne Wandlung! Nimm dieser 20 Pflanze ihren Boden, Saft und Kraft, und pflanze sie in die Luft: nimm diesem Menschen Ort, Zeit, individuelle Bestandheit - du hast ihm Othem und Seele genommen, und ist ein Bild vom Geschöpf.

Eben da ist also Shakespear Sophokles Bruder, wo er ihm dem Anschein nach so unähnlich ist, um im Innern, ganz wie Er, zu seyn. Da alle Täuschung durch dies Urkundliche, Wahre, Schöpferische der Geschichte erreicht wird, und ohne sie nicht blos nicht erreicht würde, sondern kein Element mehr (oder ich hätte umsonst geschrieben) von Shakespears Drama und dramatischem 30 Geist bliebe so sieht man, die ganze Welt ist zu diesem grossen Geiste allein Körper: alle Auftritte der Natur an diesem Körper Glieder, wie alle Charaktere und Denkarten zu diesem Geiste Züge -und das Ganze mag jener Riesengott des Spinoza 'Pan! Universum!' heissen. Sophokles blieb der Natur treu, da er Eine Handlung Eines Orts und Einer Zeit bearbeitete: Shakespear konnt ihr allein treu bleiben, wenn er seine Weltbegebenheit und

Menschenschicksal durch alle die Oerter und Zeiten wälzte, wo sie -nun, wo sie geschehen: und gnade Gott dem kurzweiligen Franzosen, der in Shakespears fünften Aufzug käme, um da die Rührung in der Quintessenz herunter zu schlucken. Bey manchen französischen Stücken mag dies wohl angehen, weil da Alles nur fürs Theater versificirt und in Scenen Schaugetragen wird; aber hier geht er eben ganz leer aus. Da ist Weltbegebenheit schon vorbey: er sieht nur die letzte, schlechteste Folge, Menschen, wie Fliegen fallen er geht hin und höhnt: Shakespear ist ihm Aegerniss und sein Drama die dummeste Thorheit.

3.

AUS DEN VOLKSLIEDERN.

Die kranke Braut.

(Litthauisch.)

Durchs Birkenwäldchen,

Durchs Fichtenwäldchen,

Trug mich mein Hengst, mein Brauner,

Zu Schwiegervaters Höfchen.

Schön Tag! Schön Abend !
Frau Schwieger, liebe,

Was macht mein liebes Mädchen?

Was macht mein junges Mädchen?

Krank ist dein Mädchen,

O! krank von Herzen,
Dort in der neuen Tenne,
In ihrem grünen Bettchen.

Da übern Hof ich,

Und herzlich weint' ich,

Und vor der Thüre

Wischt' ich die Thränen.

Ich drückt' ihr Händchen,

Streift' ihr den Ring auf:

Wirds dir nicht besser, Mädchen?

Nicht besser, junges Mädchen ?

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Mir wird nicht besser,

Nicht deine Braut mehr!
Du wirst mich nicht betrauren,
Nach andern wirst du gaffen.

Durch diese Thüre

Wirst du mich tragen;

Durch jene reiten Gäste.

Gefällt dir jenes Mädchen?

Gefällt dirs junge Mädchen?

Erlkönigs Tochter.
(Dänisch).

Herr Oluf reitet spät und weit,

Zu bieten auf seine Hochzeitsleut';

Da tanzen die Elfen auf grünem Land', Erlkönigs Tochter reicht ihm die Hand.

'Willkommen, Herr Oluf, was eilst von hier? Tritt her in den Reihen und tanz' mit mir!' 'Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag, Frühmorgen ist mein Hochzeittag.'

'Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir, Zwei güldne Sporne schenk ich dir.

Ein Hemd von Seide so weiss und fein,
Meine Mutter bleichts mit Mondenschein.'
'Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,
Frühmorgen ist mein Hochzeittag.'

'Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir,

Einen Haufen Goldes schenk ich dir.'

'Einen Haufen Goldes nähm ich wohl;

Doch tanzen ich nicht darf noch soll.'

'Und willt, Herr Oluf, nicht tanzen mit mir;

Soll Seuch und Krankheit folgen dir.'

Sie thät einen Schlag ihm auf sein Herz,
Noch nimmer fühlt' er solchen Schmerz.
Sie hob ihn bleichend auf sein Pferd,
'Reit heim nun zu dein'm Fräulein werth.'
Und als er kam vor Hauses Thür,

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Seine Mutter zitternd stand dafür.

'Hör an, mein Sohn, sag an mir gleich, Wie ist dein' Farbe blass und bleich?'

'Und sollt sie nicht seyn blass und bleich,
Ich traf in Erlenkönigs Reich.'

Hör' an, mein Sohn, so lieb und traut,
Was soll ich nun sagen deiner Braut?'
'Sagt ihr, ich sei im Wald zur Stund,
Zu proben da mein Pferd und Hund.'

Frühmorgen und als es Tag kaum war,
Da kam die Braut mit der Hochzeitschaar.
Sie schenkten Meet, sie schenkten Wein,
'Wo ist Herr Oluf, der Bräutgam mein?'
'Herr Oluf, er ritt' in Wald zur Stund,
Er probt allda sein Pferd und Hund.'

Die Braut hob auf den Scharlach roth,
Da lag Herr Oluf und er war todt.

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4.

AUS DEN IDEEN ZUR GESCHICHTE DER MENSCHHEIT.

(Einleitung zum 17. Buch.)

Siebenzig Jahre vor dem Untergange des jüdischen Staats ward in ihm ein Mann geboren, der sowohl in dem Gedankenreich der 20 Menschen, als in ihren Sitten und Verfassungen eine unerwartete Revolution bewirkt hat, Jesus. Arm geboren, ob er wohl vom alten Königshause seines Volks abstammte, und im rohesten Theil seines Landes, fern von der gelehrten Weisheit seiner äusserst verfallenen Nation erzogen, lebte er die grösseste Zeit seines kurzen Lebens unbemerkt, bis er, durch eine himmlische Erscheinung am Jordan eingeweihet, zwölf Menschen seines Standes als Schüler zu sich zog, mit ihnen einen Theil Judäa's durchreisete, und sie bald darauf selbst als Boten eines herannahenden neuen Reichs umher sandte. Das Reich, das er ankündigte, nannte er das Reich 30 Gottes, ein himmlisches Reich, zu welchem nur auserwählte Menschen gelangen könnten, zu welchem er also auch nicht mit Aufle

gung äusserlicher Pflichten und Gebräuche, desto mehr aber mit einer Aufforderung zu reinen Geistes- und Gemüthstugenden einlud. Die ächteste Humanität ist in den wenigen Reden enthalten, die wir von ihm haben; Humanität ist's, was er im Leben bewies, und durch seinen Tod bekräftigte; wie er sich denn selbst mit einem Lieblingsnamen den Menschensohn nannte. Dass er in seiner Nation, insonderheit unter den Armen und Gedrückten viele Anhänger fand, aber auch von denen, die das Volk scheinheilig drückten, bald aus dem Wege geräumt ward, so dass wir die Zeit, in welcher er sich öffentlich zeigte, kaum bestimmt angeben können: 10 beides war die natürliche Folge der Situation, in welcher er lebte.

Was war nun diess Reich der Himmel, dessen Ankunft Jesus verkündigte, zu wünschen empfahl, und selbst zu bewirken strebte ? Dass es keine weltliche Hoheit gewesen, zeigt jede seiner Reden und Thaten, bis zu dem letzten klaren Bekenntniss, das er vor seinem Richter ablegte. Als ein geistiger Erretter seines Geschlechts wollte er Menschen Gottes bilden, die, unter welchen Gesetzen es auch wäre, aus reinen Grundsätzen andrer Wohl beförderten und, selbst duldend, im Reich der Wahrheit und Güte als Könige herrschten. Dass eine Absicht dieser Art der einzige Zweck der 20 Vorsehung mit unserm Geschlecht seyn könne, zu welchem auch, je reiner sie denken und streben, alle Weisen und Guten der Erde mitwirken müssen und mitwirken werden; dieses ist durch sich selbst klar: denn was hätte der Mensch für ein andres Ideal seiner Vollkommenheit und Glückseligkeit auf Erden, wenn es nicht diese allgemein wirkende reine Humanität wäre?

Verehrend beuge ich mich vor deiner edlen Gestalt, du Haupt und Stifter eines Reichs von so grossen Zwecken, von so dauerndem Umfange, von so einfachen, lebendigen Grundsätzen, von SO wirksamen Triebfedern, dass ihm die Sphäre dieses Erdelebens 30 selbst zu enge schien. Nirgend finde ich in der Geschichte eine Revolution, die in kurzer Zeit so stille veranlasst, durch schwache Werkzeuge auf eine so sonderbare Art, zu einer noch unabsehlichen Wirkung allenthalben auf der Erde angepflanzt, und in Gutem und Bösem bebauet worden ist, als die sich unter dem Namen nicht Deiner Religion, d. i. Deines lebendigen Entwurfs zum Wohl der Menschen, sondern grösstentheils einer Religion an Dich d. i.

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