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kend erscheinen können. Ich rede hier wie aus dem Munde des Alterthums: Dieses lehren die Werke der Alten, und es würde von ihnen ähnlich geschrieben und gebildet werden, wenn ihre Schriften wie ihre Bilder betrachtet und untersucht würden. Der Stolz in dem Gesichte des Apollo äussert sich vornehmlich in dem Kinn und in der Unterlefze, der Zorn in den Nüstern seiner Nase, und die Verachtung in der Oeffnung des Mundes; auf den übrigen Theilen dieses göttlichen Haupts wohnen die Grazien, und die Schönheit bleibt bei der Empfindung unvermischt und rein, wie die Sonne, deren Bild er ist. Im Laokoon siehst du bei dem Schmerz den 10 Unmuth, wie über ein unwürdiges Leiden, in dem Krausen der Nase, und das väterliche Mitleiden auf den Augäpfeln wie einen trüben Duft schwimmen. Diese Schönheiten in einem einzigen Drucke sind wie ein Bild in einem Worte beim Homerus ; nur der kann sie finden, welcher sie kennt. Glaube gewiss, dass der alten Künstler so wie ihrer Weisen Absicht war, mit wenigem viel anzudeuten. Daher liegt der Verstand der Alten tief in ihren Werken ; in der neuern Welt ist es mehrentheils wie bei verarmten Krämern, die alle ihre Waaren ausstellen. Homerus giebt ein höheres Bild, wenn alle Götter sich von ihrem Sitze erheben, da Apollo unter 20 ihnen erscheint, als Callimachus mit seinem ganzen Gesange voller Gelehrsamkeit. Ist ein Vortheil nützlich, so ist es die Ueberzeugung von dem, was ich sage; mit derselben nähere dich zu den Werken des Alterthums, in Hoffnung viel zu finden, so wirst du viel suchen. Aber du musst dieselben mit grosser Ruhe betrachten; denn das Viele im Wenigen und die stille Einfalt wird dich sonst unerbaut lassen, wie die eilfertige Lesung des ungeschmückten grossen Xenophon....

Das zweite Augenmerk bei Betrachtung der Werke der Kunst soll die Schönheit sein. Der höchste Vorwurf der Kunst für den- 30 kende Menschen ist der Mensch, oder nur dessen äussere Fläche, und diese ist für den Künstler so schwer auszuforschen, wie von den Weisen das Innere desselben, und das schwerste ist, was es nicht scheint, die Schönheit, weil sie, eigentlich zu reden, nicht unter Zahl und Mass fällt. Eben daher ist das Verständniss des Verhältnisses des Ganzen, die Wissenschaft von Gebeinen und Muskeln, nicht so schwer und allgemeiner als die Kenntniss des

Schönen; und wenn auch das Schöne durch einen allgemeinen Begriff könnte bestimmt werden, welches man wünscht und sucht, so würde sie dem, welchem der Himmel das Gefühl versagt hat, nicht helfen. Das Schöne besteht in der Mannigfaltigkeit im Einfachen; dieses ist der Stein der Weisen, den die Künstler zu suchen haben, und welchen wenige finden; nur der versteht die wenigen Worte, der sich diesen Begriff aus sich selbst gemacht hat. Die Linie, die das Schöne beschreibt, ist elliptisch, und in derselben ist das Einfache und eine beständige Veränderung, denn sie kann mit keinem Cirkel beschrieben werden, und verän- 10 dert in allen Punkten ihre Richtung. Dieses ist leicht, gesagt und schwer zu lernen, welche Linie mehr oder weniger elliptisch, die verschiedenen Theile zur Schönheit formt, kann die Algebra nicht bestimmen; aber die Alten kannten sie, und wir finden sie vom Menschen bis auf ihre Gefässe. So wie nichts Zirkelförmiges. am Menschen ist, so macht auch kein Profil eines alten Gefässes einen halben Zirkel.

Wenn von mir verlangt würde, sinnliche Begriffe der Schönheit zu bestimmen, welches sehr schwer ist, so würde ich, in Ermangelung alter vollkommener Werke oder deren Abgüsse, kein Beden- 20 ken tragen, dieselbe, nach einzelnen Theilen von den schönsten Menschen genommen, an dem Orte, wo ich schriebe, zu bilden. Da nun dieses jetzt im Deutschen nicht geschehen kann, so müsste ich, wenn ich lehren wollte, die Begriffe der Schönheit verneinungsweise mich anzudeuten begnügen; ich müsste mich aber aus Mangel der Zeit auf das Gesicht einschränken.

Die Form der wahren Schönheit hat nicht unterbrochene Theile. Auf diesen Satz gründet sich das Profil der alten jugendlichen Köpfe, welches nichts Linealmässiges, auch nichts Eingebildetes ist; aber es ist selten in der Natur, und scheint sich noch seltener 30 unter einem rauhen, als glücklichen Himmel zu finden ; es besteht in der sanftgesenkten Linie von der Stirn bis auf die Nase. Diese Linie ist der Schönheit dermassen eigen, dass ein Gesicht, welches, von vorn gesehen, schön scheint, von der Seite erblickt, vieles verliert, je mehr dessen Profil von der sanften Linie abweicht. Diese Linie hat Bernini, der Kunstverderber, in seinem grössten Flor nicht kennen wollen, weil er sie in der gemeinen Natur,

welche nur allein sein Vorwurf gewesen, nicht gefunden, und seine Schule folgt ihm. Aus diesem Satze folgt ferner, dass weder das Kinn noch die Wangen, durch Grübchen unterbrochen, der Form der wahren Schönheit gemäss sein können; es kann also auch die mediceische Venus, die ein solches Kinn hat, keine hohe Schönheit sein; und ich glaube, dass ihre Bildung von einer bestimmten schönen Person genommen ist, so wie zwei andere Venus in dem Garten hinter dem Palast Farnese offenbare Porträtköpfe haben.

Die Form der wahren Schönheit hat die erhobenen Theile nicht stumpf und die gewölbten nicht abgeschnitten; der Augenknochen 10 ist prächtig erhaben, und das Kinn völlig gewölbt. Die besten Künstler der Alten haben daher dasjenige Theil, auf welchem die Augenbrauen liegen, scharf geschnitten gehalten, und in dem Verfalle der Künste im Alterthume, und in dem Verderbnisse neuerer Zeiten ist dieses Theil rundlich und stumpf vertrieben, und das Kinn ist insgemein zu kleinlich. Aus dem stumpf gehaltenen Augenknochen kann man unter andern urtheilen, dass der berühmte, fälschlich so genannte, Antinous im Belvedere zu Rom nicht aus der höchsten Zeit der Kunst sein kann, so wenig wie die Venus. Dieses ist allgemein gesprochen von dem Wesentlichen der Schön- 20 heit des Gesichts, welches in der Form besteht, die Züge und Reizungen, welche dieselbe erhöhen, sind die Grazie, von welcher besonders zu handeln ist. . .

Eine männliche Figur hat ihre Schönheit wie eine jugendliche; aber da alles einfache Mannigfaltige in allen Dingen schwerer ist, als das Mannigfaltige an sich, so ist eben deswegen, eine schöne jugendliche Figur gross zu zeichnen (ich verstehe in dem möglichen Grade der Vollkommenheit), das schwerste. Die Ueberzeugung ist für alle Menschen auch von dem Kopfe allein. Nehmt das Gesicht der schönsten Figur in neueren Gemälden, so werdet ihr 30 fast allezeit eine Person kennen, die schöner ist, ich urtheile nach Rom und Florenz, wo die schönsten Gemälde sind.

Ist ein Künstler mit persönlicher Schönheit, mit Empfindung des Schönen, mit Geist und Kenntniss des Alterthums begabt gewesen, so war es Raphael; und dennoch sind seine Schönheiten unter dem Schönsten in der Natur. Ich kenne Personen, die schöner sind, als seine unvergleichliche Madonna im Palaste Pitti

zu Florenz, und als Alcibiades in der Schule von Athen; die Madonna des Corregio ist keine hohe Idee, noch die von Maratta in der Galerie zu Dresden, ohne Nachtheil von den ursprünglichen Schönheiten in der 'Nacht' des erstern zu reden, die berühmte Venus von Tizian in der Tribüne zu Florenz ist nach der gemeinen Natur gebildet. Die Köpfe kleiner Figuren von Albano scheinen schön; aber vom Kleinen ins Grosse zu gehen, ist hier fast, als wenn man, nach Erlernung der Schiffskunst aus Büchern, die Führung eines Schiffes im Ocean unternehmen wollte. Poussin, welcher das Alterthum mehr als seine Vorgänger untersucht, hat sich 10 gekannt, und sich niemals ins Grosse gewagt.

Die Griechen aber scheinen Schönheiten entworfen zu haben, wie ein Topf gedreht wird, denn fast alle Münzen ihrer freien Staaten zeigen Köpfe, die vollkommener sind von Form, als was wir in der Natur kennen, und diese Schönheit besteht in der Linie, die das Profil bildet. Sollte es nicht leicht scheinen, den Zug dieser Linie zu finden? Und in allen Münzbüchern ist von derselben abgewichen. Hätte nicht Raphael, der sich beklagte, zur Galathee keine würdige Schönheit der Natur zu finden, die Bildung derselben von den besten syrakusanischen Münzen nehmen 20 können, da die schönsten Statuen, ausser dem Laocoon, zu seiner Zeit noch nicht entdeckt waren? Weiter, als die Münzen, kann der menschliche Begriff nicht gehen, und ich hier auch nicht. Ich muss dem Leser wünschen, den Kopf des schönen Genii in der Villa Borghese, die Niobe und ihre Töchter, die Bilder der höchsten Schönheit, zu sehen, ausser Rom müssen ihn die Abgüsse oder die geschnittenen Steine lehren. Zwei der schönsten jugendlichen Köpfe sind die Minerva von Aspasius, jetzt zu Wien, und ein jugendlicher Herkules in dem Stoschischen Museum zu Florenz. Wer die besten Werke des Alterthums nicht hat kennen lernen, 30 glaube nicht zu wissen, was wahrhaftig schön ist; unsere Begriffe werden ausser dieser Kenntniss einzeln und nach unserer Neigung gebildet sein; von Schönheiten neuerer Meister kann ich nichts vollkommneres angeben, als die griechische Tänzerin von Herrn Mengs, gross wie die Natur, halbe Figur, in Pastell auf Holz gemalt, für den Marquis Croimar zu Paris. . .

Mein Leser! Es ist diese Erinnerung nöthig. Denn da die mehr

sten Menschen nur an der Schale der Dinge umhergehen, so zieht auch das Liebliche, das Glänzende, unser Auge zuerst an, und die blosse Warnung für Irrungen, wie hier nur geschehen können, macht den ersten Schritt zur Kenntniss.

...

2.

DER VATIKANISCHE APOLLO.

Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Alterthums, welche der Zerstörung entgangen sind. Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal gebauet, und er hat nur ebenso viel von der Materie dazu 10 genommen, als nöthig war, seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen. Dieser Apollo übertrifft alle anderen Bilder desselben so weit, als der Apollo des Homerus den, welchen die folgenden Dichter malen. Ueber die Menschheit erhaben ist sein Gewächs, und sein Stand zeugt von der ihn erfüllenden Grösse. Ein ewiger Frühling, wie in dem glücklichen Elysium, bekleidet die reizende Männlichkeit vollkommener Jahre mit gefälliger Jugend und spielt mit sanften Zärtlichkeiten auf dem stolzen Gebäude seiner Glieder. -Gehe mit deinem Geiste in das Reich unkörperlicher Schönheiten und versuche ein Schöpfer einer himmlischen Natur zu werden, 20 um den Geist mit Schönheiten, die sich über die Natur erheben, zu erfüllen: denn hier ist nichts Sterbliches, noch was die menschliche Dürftigkeit erfordert. Keine Adern noch Sehnen erhitzen und regen diesen Körper, sondern ein himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strom ergossen, hat gleichsam die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllet. Er hat den Python, wider welchen er zuerst seinen Bogen gebraucht, verfolgt, und sein mächtiger Schritt hat ihn erreicht und erlegt. Von der Höhe seiner Genügsamkeit geht sein erhabener Blick, wie ins Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus: Verachtung sitzt auf seinen Lippen, und der 30 Unmuth, welchen er in sich zieht, blähet sich in den Nüstern seiner Nase und tritt bis in die stolze Stirn hinauf. Aber der Friede, welcher in einer seligen Stille auf derselben schwebt, bleibt ungestört, und sein Auge ist voll Süssigkeit, wie unter den Musen, die ihn zu umarmen suchen. In allen uns übrigen Bildern des Vaters der Götter, welche die Kunst verehrt, nähert er sich nicht der Grösse, in

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