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§ 50. Und ihr habt alle guten Eigenschaften eines Elementarbuchs sowol für Kinder, als für ein kindisches Volk.

§ 51. Aber jedes Elementarbuch ist nur für ein gewisses Alter. Das ihm entwachsene Kind länger, als die Meinung gewesen, dabey zu verweilen, ist schädlich. Denn um dieses auf eine nur einigermaassen nützliche Art thun zu können, muss man mehr hineinlegen, als darinn liegt; mehr hineintragen, als es fassen kann. Man muss der Anspielungen und Fingerzeige zu viel suchen und machen, die Allegorieen zu genau ausschütteln, die Beyspiele zu umständlich deuten, die Worte zu stark pressen. Das giebt dem 10 Kinde einen kleinlichen, schiefen, spitzfindigen Verstand; das macht es geheimnissreich, abergläubisch, voll Verachtung gegen alles Fassliche und Leichte.

§ 52. Die nehmliche Weise, wie die Rabbinen ihre heiligen Bücher behandelten! Der nehmliche Charakter, den sie dem Geiste ihres Volks dadurch ertheilten !

§ 53. Ein bessrer Pädagog muss kommen, und dem Kinde das erschöpfte Elementarbuch aus den Händen reissen.-Christus kam. $54. Der Theil des Menschengeschlechts, den Gott in Einen Erziehungsplan hatte fassen wollen-Er hatte aber nur denjenigen 20 in Einen fassen wollen, der durch Sprache, durch Handlung, durch Regierung, durch andere natürliche und politische Verhältnisse in sich bereits verbunden war-war zu dem zweyten grossen Schritte der Erziehung reif.

§ 55. Das ist dieser Theil des Menschengeschlechts war in der Ausübung seiner Vernunft so weit gekommen, dass er zu seinen moralischen Handlungen edlere, würdigere Bewegungsgründe bedurfte und brauchen konnte, als zeitliche Belohnung und Strafen waren, die ihn bisher geleitet hatten. Das Kind wird Knabe. Leckerey und Spielwerk weicht der aufkeimenden Begierde, eben 30 so frey, eben so geehrt, eben so glücklich zu werden, als es sein älteres Geschwister sieht.

§ 56, Schon längst waren die Bessern von jenem Theile des Menschengeschlechts gewohnt, sich durch einen Schatten solcher edlern Bewegungsgründe regieren zu lassen. Um nach diesem Leben auch nur in dem Andenken seiner Mitbürger fortzuleben, that der Grieche und Römer alles.

§ 57. Es war Zeit, dass ein andres wahres, nach diesem Leben zu gewärtigendes Leben Einfluss auf seine Handlungen gewönne.

§ 58. Und so ward Christus der erste zuverlässige, praktische Lehrer der Unsterblichkeit der Seele.

§ 59. Der erste zuverlässige Lehrer.-Zuverlässig durch die Weissagungen, die in ihm erfüllt schienen; zuverlässig durch die Wunder, die er verrichtete ; zuverlässig durch seine eigene Wiederbelebung nach einem Tode, durch den er seine Lehre versiegelt hatte. Ob wir noch itzt diese Wiederbelebung, diese Wunder 10 beweisen können: das lasse ich dahin gestellt seyn. So, wie ich es dahin gestellt seyn lasse: wer die Person dieses Christus gewesen. Alles das kann damals zur Annehmung seiner Lehre wichtig gewesen seyn: itzt ist es zur Erkennung der Wahrheit dieser Lehre so wichtig nicht mehr.

§ 60. Der erste praktische Lehrer.-Denn ein anders ist die Unsterblichkeit der Seele, als eine philosophische Speculation, vermuthen, wünschen, glauben: ein anders, seine innern und äussern Handlungen darnach einrichten.

§ 61. Und dieses wenigstens lehrte Christus zuerst. Denn ob es 20 gleich bey manchen Völkern auch schon vor ihm eingeführter Glaube war, dass böse Handlungen noch in jenem Leben bestraft würden: so waren es doch nur solche, die der bürgerlichen Gesellschaft Nachtheil brachten, und daher auch schon in der bürgerlichen Gesellschaft ihre Strafe hatten. Eine innere Reinigkeit des Herzens in Hinsicht auf ein andres Leben zu empfehlen, war ihm allein vorbehalten.

§ 62. Seine Jünger haben diese Lehre getreulich fortgepflanzt. Und wenn sie auch kein ander Verdienst hätten, als dass sie einer Wahrheit, die Christus nur allein für die Juden bestimmt zu haben 30 schien, einen allgemeinern Umlauf unter mehrern Völkern verschaft hätten ; so wären sie schon darum unter die Pfleger und Wohlthäter des Menschengeschlechts zu rechnen.

§ 63. Dass sie aber diese Eine grosse Lehre noch mit andern Lehren versetzten, deren Wahrheit weniger einleuchtend, deren Nutzen weniger erheblich war: wie konnte das anders seyn ? Lasst uns sie darum nicht schelten, sondern vielmehr mit Ernst

untersuchen: ob nicht selbst diese beygemischten Lehren ein neuer Richtungsstoss für die menschliche Vernunft geworden.

§ 64. Wenigstens ist es schon aus der Erfahrung klar, dass die Neutestamentlichen Schriften, in welchen sich diese Lehren nach einiger Zeit aufbewahret fanden, das zweyte bessre Elementarbuch für das Menschengeschlecht abgegeben haben, und noch abgeben.

§ 65. Sie haben seit siebzehnhundert Jahren den menschlichen Verstand mehr als alle andere Bücher beschäftiget; mehr als alle andere Bücher erleuchtet, sollte es auch nur durch das Licht seyn, 10 welches der menschliche Verstand selbst hineintrug.

§ 66. Unmöglich hätte irgend ein ander Buch unter so verschiednen Völkern so allgemein bekannt werden können: und unstreitig hat das, dass so ganz ungleiche Denkungsarten sich mit diesem nehmlichen Buche beschäftigten, den menschlichen Verstand mehr fortgeholfen, als wenn jedes Volk für sich besonders sein eignes Elementarbuch gehabt hätte.

§ 67. Auch war es höchst nöthig, dass jedes Volk dieses Buch eine Zeit lang für das Non plus ultra seiner Erkenntnisse halten musste. Denn dafür muss auch der Knabe sein Elementarbuch 20 vors erste ansehen; damit die Ungeduld, nur fertig zu werden, ihn nicht zu Dingen fortreisst, zu welchen er noch keinen Grund gelegt hat.

§ 68. Und was noch itzt höchst wichtig ist :- Hüte dich, du fähigeres Individuum, der du an dem letzten Blatte dieses Elementarbuches stampfest und glühest, hüte dich, es deine schwächere Mitschüler merken zu lassen, was du witterst, oder schon zu sehn beginnest.

§ 69. Bis sie dir nach sind, diese schwächere Mitschüler ;— kehre lieber noch einmal selbst in dieses Elementarbuch zurück, 30 und untersuche, ob das, was du nur für Wendungen der Methode, für Lückenbüsser der Didaktik hältst, auch wohl nicht etwas Mehrers ist.

§ 70. Du hast in der Kindheit des Menschengeschlechts an der Lehre von der Einheit Gottes gesehen, dass Gott auch blosse Vernunftswahrheiten unmittelbar offenbaret; oder verstattet und einleitet, dass blosse Vernunfts wahrheiten als unmittelbar geoffenbarte

Wahrheiten eine Zeit lang gelehret werden: um sie geschwinder zu verbreiten, und sie fester zu gründen.

§ 71. Du erfährst, in dem Knabenalter des Menschengeschlechts, an der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, das Nehmliche. Sie wird in dem zweyten bessern Elementarbuche als Offenbarung geprediget, nicht als Resultat menschlicher Schlüsse gelehret.

§ 72. So wie wir zur Lehre von der Einheit Gottes nunmehr des Alten Testaments entbehren können; so wie wir allmälig, zur Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, auch des Neuen Testa- 10 ments entbehren zu können anfangen könnten in diesem nicht noch mehr dergleichen Wahrheiten vorgespiegelt werden, die wir als Offenbarungen so lange anstaunen sollen, bis sie die Vernunft aus ihren andern ausgemachten Wahrheiten herleiten und mit ihnen verbinden lernen?

§ 73. Z. E. die Lehre von der Dreyeinigkeit.-Wie, wenn diese Lehre den menschlichen Verstand, nach unendlichen Verirrungen rechts und links, nur endlich auf den Weg bringen sollte, zu erkennen, dass Gott in dem Verstande, in welchem endliche Dinge eins sind, unmöglich eins seyn könne; dass auch seine Einheit 20 eine transcendentale Einheit seyn müsse, welche eine Art von Mehrheit nicht ausschliesst?-Muss Gott wenigstens nicht die vollständigste Vorstellung von sich selbst haben? d. i. eine Vorstellung, in der sich alles befindet, was in ihm selbst ist. Würde sich aber alles in ihr finden, was in ihm selbst ist, wenn auch von seiner nothwendigen Wirklichkeit, so wie von seinen übrigen Eigenschaften, sich blos eine Vorstellung; sich blos eine Möglichkeit fände? Diese Möglichkeit erschöpft das Wesen seiner übrigen Eigenschaften: aber auch seiner nothwendigen Wirklichkeit? Mich dünkt nicht.-Folglich kann entweder Gott gar keine vollständige 30 Vorstellung von sich selbst haben: oder diese vollständige Vorstellung ist eben so nothwendig wirklich, als er es selbst ist u. s. w. -Freylich ist das Bild von mir im Spiegel nichts als eine leere Vorstellung von mir, weil es nur das von mir hat, wovon Lichtstrahlen auf seine Fläche fallen. Aber wenn denn nun dieses Bild alles, alles ohne Ausnahme hätte, was ich selbst habe: würde es sodann auch noch eine leere Vorstellung, oder nicht vielmehr eine

wahre Verdopplung meines Selbst seyn ?—Wenn ich eine ähnliche Verdopplung in Gott zu erkennen glaube: so irre ich mich vielleicht nicht so wohl, als dass die Sprache meinen Begriffen unterliegt; und so viel bleibt doch immer unwidersprechlich, dass diejenigen, welche die Idee davon populär machen wollen, sich schwerlich fasslicher und schicklicher hätten ausdrücken können, als durch die Benennung eines Sohnes, den Gott von Ewigkeit zeugt.

$ 74. Und die Lehre von der Erbsünde.- Wie, wenn uns endlich alles überführte, dass der Mensch auf der ersten und niedrigsten Stufe seiner Menschheit, schlechterdings so Herr 10 seiner Handlungen nicht sey, dass er moralischen Gesetzen folgen könne ?

$75. Und die Lehre von der Genugthuung des Sohnes.-Wie, wenn uns endlich alles nöthigte, anzunehmen: dass Gott, ungeachtet jener ursprünglichen Unvermögenheit des Menschen, ihm dennoch moralische Gesetze lieber geben, und ihm alle Uebertretungen, in Rücksicht auf seinen Sohn, d. i. in Rücksicht auf den selbstständigen Umfang aller seiner Vollkommenheiten, gegen den und in dem jede Unvollkommenheit des Einzeln verschwindet, 20 lieber verzeihen wollen; als dass er sie ihm nicht geben, und ihn von aller moralischen Glückseligkeit ausschliessen wollen, die sich ohne moralische Gesetze nicht denken lässt?

§ 76. Man wende nicht ein, dass dergleichen Vernünfteleyen über die Geheimnisse der Religion untersagt sind.-Das Wort Geheimniss bedeutete, in den ersten Zeiten des Christenthums, ganz etwas anders, als wir itzt darunter verstehen; und die Ausbildung geoffenbarter Wahrheiten in Vernunfts wahrheiten ist schlechterdings nothwendig, wenn dem menschlichen Geschlechte damit geholfen seyn soll. Als sie geoffenbaret wurden, waren sie freylich 30 noch keine Vernunfts wahrheiten; aber sie wurden geoffenbart, um es zu werden. Sie waren gleichsam das Facit, welches der Rechenmeister seinen Schülern voraus sagt, damit sie sich im Rechnen einigermaassen darnach richten können. Wollten sich die Schüler an dem voraus gesagten Facit begnügen: so würden sie nie rechnen lernen, und die Absicht, in welcher der gute Meister ihnen bey ihrer Arbeit einen Leitfaden gab, schlecht erfüllen.

§ 77. Und warum sollten wir nicht auch durch eine Religion,

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