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128.

Viele Kranke, wenn sie erwachen, sehen alles in der Farbe des Morgenroths, wie durch einen rothen Flor; auch wenn sie am Abend lesen, und zwischendurch einnicken und wieder aufwachen, pflegt es zu geschehen. Dieses bleibt minutenlang und vergeht allenfalls, wenn das Auge etwas gerieben wird. Dabei sind zuweilen rothe Sterne und Kugeln. Dieses Rothsehen dauert auch wohl eine lange Zeit.

129.

Die Luftfahrer, besonders Zambeccari und feine Gefähr= ten, wollen in ihrer höchsten Erhebung den Mond blutroth gesehen haben. Da sie sich über die irdischen Dünste emporgeschwungen hatten, durch welche wir den Mond und die Sonne wohl in einer solchen Farbe sehen; so läßt sich ver= muthen, daß diese Erscheinung zu den pathologischen Farben gehöre. Es mögen nämlich die Sinne durch den ungewohnten Zustand dergestalt afficirt seyn, daß der ganze Körper und besonders auch die Retina in eine Art von Unrührbarkeit und Unreizbarkeit verfällt. Es ist daher nicht unmöglich, daß der Mond als ein höchst abgestumpftes Licht wirke, und also das Gefühl der rothen Farbe hervorbringe. Den Hamburger Luftfahrern erschien auch die Sonne blutroth.

Wenn die Luftfahrenden zusammen sprechen und sich kaum hören, sollte nicht auch dieses der Unreizbarkeit der Nerven eben so gut als der Dünne der Luft zugeschrieben werden können?

130.

Die Gegenstände werden von Kranken auch manchmal vielfärbig gesehen. Boyle erzählt von einer Dame, daß sie nach einem Sturze, wobei ein Auge gequetscht worden, die

Gegenstände, besonders aber die weißen, lebhaft bis zum Unerträglichen, schimmern gesehen.

131.

Die Aerzte nennen Chrupsie, wenn in typhischen Krankheiten, besonders der Augen, die Patienten an den Rändern der Bilder, wo Hell und Dunkel an einander gränzen, farbige Umgebungen zu sehen versichern. Wahrscheinlich entsteht in den Liquoren eine Veränderung, wodurch ihre Achromasie aufgehoben wird.

132.

Beim grauen Staar läßt eine starkgetrübte Krystalllinse den Kranken einen rothen Schein sehen. In einem solchen Falle, der durch Elektricität behandelt wurde, veränderte sich der rothe Schein nach und nach in einen gelben, zuleßt in einen weißen, und der Kranke fing an wieder Gegenstände gewahr zu werden; woraus man schließen konnte, daß der crübe Zustand der Linse sich nach und nach der Durchsichtigkeit nähere. Diese Erscheinung wird sich, sobald wir mit den physischen Farben nähere Bekanntschaft gemacht, bequem ableiten lassen.

133.

Kann man nun annehmen, daß ein gelbsüchtiger Kranker durch einen wirklich gelbgefärbten Liquor hindurchsehe; so werden wir schon in die Abtheilung der chemischen Farben verwiesen, und wir sehen leicht ein, daß wir das Capitel von den pathologischen Farben nur dann erst vollkommen ausarbeiten können, wenn wir uns mit der Farbenlehre in ihrem ganzen Umfang bekannt gemacht; deßhalb sey es an dem gegenwärtigen genug, bis wir später das Angedeutete weiter ausführen können.

134.

Nur möchte hier zum Schlusse noch einiger besondern Dispositionen des Auges vorläufig zu erwähnen seyn.

Es giebt Maler, welche, anstatt daß sie die natürliche Farbe wiedergeben sollten, einen allgemeinen Ton, einen warmen oder kalten über das Bild verbreiten. So zeigt sich auch bei manchen eine Vorliebe für gewisse Farben, bei andern ein Ungefühl für Harmonie.

135.

Endlich ist noch bemerkenswerth, daß wilde Nationen, ungebildete Menschen, Kinder eine große Vorliebe für lebhafte Farben empfinden; daß Thiere bei gewissen Farben in Zorn gerathen; daß gebildete Menschen in Kleidung und sonstiger Umgebung die lebhaften Farben vermeiden und sie durchgängig von sich zu entfernen suchen.

Bweite Abtheilung.

Physische Farben.

136.

Physische Farben nennen wir diejenigen, zu deren Hervorbringung gewisse materielle Mittel nöthig sind, welche aber selbst keine Farbe haben, und theils durchsichtig, theils trüb und durchscheinend, theils völlig undurchsichtig seyn können. Dergleichen Farben werden also in unserm Auge durch solche äußere bestimmte Anlässe erzeugt, oder, wenn fie schon auf irgend eine Weise außer uns erzeugt sind, in unser Auge zurückgeworfen. Ob wir nun schon hiedurch denselben eine Art von Objektivität zuschreiben, so bleibt doch das Vorübergehende, Nichtfestzuhaltende meistens ihr Kennzeichen.

137.

Sie heißen daher auch bei den frühern Naturforschern Colores apparentes, fluxi, fugitivi, phantastici, falsi, variantes. Zugleich werden sie speciosi und emphatici, wegen ihrer auffallenden Herrlichkeit, genannt. Sie schließen sich unmittelbar an die physiologischen an, und scheinen nur um einen geringen Grad mehr Realität zu haben. Denn wenn bei jenen vorzüglich das Auge wirksam war, und wir die Phänomene derselben nur in uns, nicht aber außer uns darzustellen vermochten; so tritt nun hier der Fall ein, daß zwar Farben im Auge durch farblose Gegenstände erregt werden,

daß wir aber auch eine farblose Fläche an die Stelle unserer Retina seßen und auf derselben die Erscheinung außer uns gewahr werden können; wobei uns jedoch alle Erfahrungen auf das bestimmteste überzeugen, daß hier nicht von fertigen, sondern von werdenden und wechselnden Farben die Rede sey. 138.

Wir sehen uns deßhalb bei diesen physischen Farben durchaus im Stande, einem subjectiven Phänomen ein objec tives an die Seite zu seßen, und öfters, durch die Verbin: dung beider, mit Glück tiefer in die Natur der Erscheinung einzudringen.

139.

Bei den Erfahrungen also, wobei wir die physischer Farben gewahr werden, wird das Auge nicht für sich als wirkend, das Licht niemals in unmittelbarem Bezuge auf das Auge betrachtet; sondern wir richten unsere Aufmerksam: keit besonders darauf, wie durch Mittel, und zwar farblose Mittel, verschiedene Bedingungen entstehen.

140.

Das Licht kann auf dreierlei Weise unter diesen Umstanden bedingt werden. Erstlich, wenn es von der Oberfläche eines Mittels zurückstrahlt, da denn die katoptrischen Versuche zur Sprache kommen. Zweitens, wenn es an dem Rande eines Mittels herstrahlt. Die dabei eintretenden Erscheinungen wurden ehemals perioptische genannt, wir nennen sie paroptische. Drittens, wenn es durch einen durchscheinenden oder durchsichtigen Körper durchgeht, welches die dioptrischen Versuche sind. Eine vierte Art physischer I Farben haben wir epoptische genannt, indem sich die Er scheinung, ohne vorgängige Mittheilung (say), auf einer

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