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Schüler soll die Regeln aus der Lectüre abstrahiren, und diese soll vermehrt werden; man soll mehr auf Thatsachen als auf Reden geben; die Geschichte nicht fälschen. Vier mal jährlich öffentliche Prüfungen mit Concurs. Die Zurichtung auf diesen wird wesentlich Zweck des Unterrichts. Zum Schluss folgte das Urtheil des Times-Correspondenten, der für die Examina das englische Princip empfiehlt,

IV.

Hr. Lücking berichtet über „Der gothische Conjunktiv, verglichen mit den entsprechenden Modis des neutestamentlichen Griechisch, v. Dr. Ferd. Burckhardt". Die von dem Verf. aufgestellten Fragen: 1) „giebt es begrifflich einen Conjunktiv? 2) giebt es formell einen solchen im Gothischen?" verwirren die Sache, und die Antwort ,, es giebt einen Modus der Gewissheit und einen der Ungewissheit" ist gleich schief. Der Standpunkt, den Conjunktiv begrifflich erklären zu wollen, ist veraltet; der lat. Conj. z. B. enthält zugleich Optativelemente; beide aber werden in gleicher Bedeutung promiscue gebraucht. Der Verf. hat sich so auch der Schleicher'schen Bezeichnung „Optativ“ angeschlossen: derselbe habe die Functionen des verloren gegangenen Conjunktivs mit übernommen. Das Resultat der Untersuchung ist: der sogen. goth. Conjunktiv steht für griech. Futurum, in Urtheilsund Begehrungssätzen, für griech. Conjunkt, für Imperativ, für Indikativ indirect; für Modus irrealis: er ist ein Mischmodus und steht dem griech. Conjunktiv an Beweglichkeit sehr nach. Die Schrift ist sauber gearbeitet; sie kann aber nur als statistische Vergleichung gelten; dem Gegenstande wäre noch eine mehr historische und genetische Behandlung zu wünschen.

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Hr. Strack macht Mittheilung über ein von Neujahr 1873 ab erscheinendes „, Centralorgan für die Interessen des Realschulwesens“, setzt dessen Tendenz aus einander und fordert zur Betheiligung auf. Hr. Oury berichtet über Einrichtung, Lehrplan, Hülfsmittel, Prüfungen der französ. Lycées und Normalschulen, insbesondere der von Cluny.

Hr. Rauch empfiehlt angelegentlich „, Edda, Lieder germanischer Göttersage" von Werner Hahn. Das Werk enthält in zwei Theilen die Geschichte der Götter, den Eddaliedern nacherzählt, mit philologisch-historischen Erläuterungen; die Einleitung Bibliographisches über die Eddas; Leben in Island; Nachweis über die geistige Entwicklung dort; Uebergang des Landes zum Christenthum und Gründe, warum letzteres nicht polemisch auftrat. Das Ganze ist in 20 Lieder geordnet, nicht genau den Eddaliedern entsprechend. Die Schönheit der Form ist ausserordentlich, die der Simrock'schen Uebersetzung weit überragend; die Deutungen originell und oft höchst überraschend;

als Beispiel wird die des Mythus vom Ursprung der Dichtung mitgetheilt. Hr. Märker bemerkt, dass bei dieser Art Deutung durchaus Reflexion thätig sei, und alle Naivetät der Dichtung verloren gehe. Hr. Rauch erklärt dies daher, weil das Lied der jüngsten Periode angehöre.

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V.

Hr. Beck erstattet Bericht über einige pädagogische Schriften, welche den Unterricht in den modernen Sprachen berühren; nämlich „Die akademischen Gutachten über die Zulassung der Realschulabiturienten" etc., Ueber nationale Erziehung", "Die Bildungsfrage gegenüber der höheren Schule. Von einem Schulmann". Es sei ergötzlich, entgegen dem unverkennbaren Bedürfniss, die Schüler vor allem mit ihrer eignen Zeit, dem modernen Geist, bekannt zu machen, in diesen Schriften hinsichtlich des Unterrichts in der Muttersprache Warnungen wie die folgenden zu lesen: Der deutsche Unterricht dürfe nicht „in leichtfertiger Breite" behandelt werden. Der Muttersprache könne der Schüler sich nicht objectiv genug gegenüberstellen. Die Lectüre mo

derner Dichter, selbst Schillers, sei aus der Schule zu verbannen und durch lesen mittelhochdeutscher Dichtwerke su ersetzen; die moderne Literatur sei leicht zu verstehen, enthalte daher nicht Bildungsstoff genug.

In ähnlicher Weise treten jene Schriften unserer dem Realismus zugewendeten Zeitrichtung nach allen Seiten hin entgegen. Die französ. und engl. Literatur enthalten, den Akadem. Gutachten zufolge, nicht den für die Schule geeigneten Culturstoff; es sei zu viel Unreifes, zu viel Gährung darin. Die Schrift über nationale Erziehung hält den französ. und engl. Unterricht für ganz überflüssig; denn die Literatur beider Völker sei flach. In zwei wöchentlichen Lehrstunden lasse sich überdies nichts leisten. Der Vortragende weist aus den Ministerialverfügungen vom Jahre 1837 und 31 nach, dass die Regierung nicht ganz unschuldig an der Nährung derartiger Vorurtheile sei.

Hr. Schulze spricht über die Etymologie von fr. tête (lat. testa, Scherbe, Schale) und nhd. Kopf (mittelat. cuppa, Becher). Er bestreitet sowohl die Behauptung von Diez, dass die Bezeichnung des Hauptes als einer runden Schale auf einer „gröblich volksmässigen Anschauung" beruhe, als auch die Annahme von Weigand und von Benecke- Müller, dass dieser Bedeutungswandel mit der heidnischen Sitte, aus den Schädeln erschlagener Feinde zu trinken, im Zusammenhang stehe. Vielmehr finde sich ein ganz analoger Uebergang der Bedeutungen nicht nur in einigen andern Wörtern moderner Sprachen (altspan. coca, sard. conca, it. coccia „Kopf“, zu griech. xóyzn,,Muschel" etc., span. casco „Schädel“, zu mittelat. ca discus, griech. xadíoxos „Fass"), sondern die gebräuchlichsten Wörter sämmt

licher indogermanischer Sprachen für „Kopf", welche der Vortragende durchgeht, zeigen neben sich wurzelverwandte Wörter in der Bedeutung ,,rundes Gefäss, Schale, Kübel" oder dergl. Der Vortragende folgert daraus, dass das gemeinsame Etymon in allen diesen Wörtern für ,,Kopf" der Begriff des Runden sei. Auch bei französ. tête und nhd. Kopf liege daher nicht eine gröblich volksmässige, vulgäre Ausdrucksweise zu Grunde; am allerwenigsten aber sei an die von Weigand vorgeschlagene Vermittlung der Bedeutungen zu denken. Vielmehr seien die genannten Wörter moderner Sprachen ein interessanter Beleg dafür, dass alle indogermanischen Sprachen alter wie neuer Zeit zur Bezeichnung des Hauptes" ein und dasselbe Merkmal, die runde Form, herausgehoben haben; dass allen diesen verschiedenen Wörtern ein und dasselbe Etymon zu Grunde liege.

Hr. Püttmann bespricht einige Quellen von Milton's ,,Paradise lost". Dass Milton ältere Bearbeitungen seines Stoffs, so den Adamus exsul von Hugo Grotius und andere von Haley, Ampère, Guizot nachgewiesene Werke gekannt und benutzt habe, ohne darum zum Plagiator zu werden, folgert der Vortragende aus der Belesenheit des Dichters. Er weist ausserdem auf zwei noch nicht genügend berücksichtigte Quellen hin, nämlich des Avitus, Bischofs von Vienne, „Paradisus perdita" und die „Semaines" des Du Bartas. Aus der Uebereinstimmung in mehreren kleineren und grösseren Zügen, welche sich anderweitig nicht finden, wird die Bekanntschaft Milton's mit beiden Dichtungen geschlossen. So ist die Auffassung des Satan nicht als Princip des Bösen, sondern als gefallnen Engels Milto'n mit Avitus, die Schilderung des Chaos als eine Vermischung der vier Elemente, die Anrede an das Licht, die Verspottung der gefallnen Engel mit Du Bartas gemeinsam. Gewiss sei Milton auch ein dem Vortragenden unbekannt gebliebenes holländischss Drama des seiner Zeit viel gerühmten Jost von Vondel bekannt gewesen.

In der Debatte über den Vortrag hebt Herr Märker hervor, dass auch Dante und Ovid als Quellen Milton's zu nennen seien. Herr Boyle erinnert daran, dass Milton seinen Stoff ursprünglich zu einem Mystery habe gestalten wollen. Hr. Herrig hält das „Paradise lost" für ein Product von Milton's ganzer Bildung; eigentliche,,Quellen" würden schwer nachweisbar sein, einzelne Gemeinsamkeiten der Auffassung dürfen nicht als Beweis einer Entlehnung gelten; sie zeigen nur, dass gewisse Gedanken ein Gemeingut des Mittelalters gewesen seien. Hr. Marelle hält Milton's Werk für eine Zusammenfassung alles vor ihm über den Stoff gedachten. Herr Breslau verweist auf eine demnächst erscheinende Arbeit von Dr. Stern in Göttingen über Milton. Hr. Püttmann vertheidigt sich gegen die Auffassung, als habe er Milton eines Plagiats zeihen wollen; er habe nur zwei, und, wie er glaube, zwei der wichtigsten Quellen Milton's nachzuweisen versucht.

VI.

Hr. Körner gab eine numerische Zusammenstellung der verschiedenen Flexionsformen in der spanischen, schwedischen und russischen Sprache; woran der Vorsitzende einige kritische Bemerkungen knüpfte.

Hr. Bieling besprach die Namen der bekannten Riesen in der Guildhall von London ,Gog und Magog'. Personen des Namens figurirten früher im Lord Mayor's Show und andren Festaufzügen; die Stadt hielt Riesen in ihrem Dienste; 1415 wird ein Riesenpaar als Wächter von London Bridge erwähnt; ausgestopfte und bemalte Figuren von Riesen 1589 (Puttenham, Art of Engl. Poesie); die Bilder im Guildhall selbst bei Stow, Survey of London, 1598 (er nennt sie einen Sachsen und einen Briten); ein lat. Gedicht aus 1667 Aetnaei fratres, d. h. Cyklopen; Pennant, Some Account of London nennt die Namen Gog und Magog. Nares giebt den Namen des einen als Gogmagog, der an die Gogmagog Hills bei Cambridge erinnere; den andren als Corinaeus, Riesenheros von Cornwall, so erwähnt in einem Gedicht aus 1660. Es sind also die Namen der von Geoffrey of Monmouth (Historia Regum Britanniae), danach von Wace, Roman du Brut, Layamon, Robert v. Gloucester u. A. erwähnten alten Kämpen, des trojanischen Corinaeus und des von ihm überwundenen Goëmagot (sonst Goggomagog, Goëmagot), Königs von Cornwall. London nahm sie dann als Sinnbilder für tapfere Vertheidigung der städtischen Privilegien; doch verschwindet Corinaeus aus dem Volksbewusstsein. Letzterer Name erscheint auch in Gottfr. v. Strassburg, Tristan v. 1695 vor Corinêis jâren“. In der Schrift erscheint

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1. Mos. 10, 2 Magog als Sohn Japhets; Hesekiel c. 38, 39 Gog als König des Landes Magog, dem Volk des Herrn feindlich gesinnt; Apocal. 20, 8 versinnbildlichen G. und M. die der heiligen Stadt feindlichen Heiden. In der Alexandersage erscheinen sie als unreine Völker, die Al. mit einer hohen Mauer und eisernen Thoren abschliesst (gemeint ist die. Derbend'sche Mauer, Sedd Eskender, zwischen schw. Meer und kasp. See), und damit pflanzen sich die Namen in die westeuropäische Literatur fort, als Symbol eines wilden, kulturfeindlichen Volkes, namentlich in den bretonischen Sagenkreis. Hr. Boyle bemerkt, dass von den beiden Figuren des Guildhall die eine durch einen Lorbeerkranz gekennzeichnet sei, beide auch als Römer und Brite bezeichnet werden: Gog und Magog seien wol nur aus biblischer Erinnerung für verloren gegangene Namen substituirt.

Hr. Breslau berichtet über die Thätigkeit der Cornell-Universität zu Ithaca (U.-S.), 1868 gegründet und ausserordentlich dotirt (sie besitzt über 1,100,000 Doll.), hat sie 31 ansässige Professoren,

ausserdem solche, die mit Vorträgen Gastrollen geben, 10 Facultäten, ein Labor Department, in dem der Student Gelegenheit zu lohnender Arbeit erhält. Agricultur wird vorzugsweise berücksichtigt, doch soll auch universelle Bildung gegeben werden. Neben den zwangsweisen kann man facultative Vorlesungen hören; den vorschriftsmässigen Prüfungen aber müssen sich Alle unterwerfen. Nach ihrem Ausfall werden die akadem. Grade ertheilt. Die sämmtlichen Examinationpapers sind im Programm mit abgedruckt und zeugen für das niedre Maas der Anforderungen. Bei den Sprachen wird nur darauf gehalten, dass der Studirende zum Verständniss der Schriftsteller gelange. Auf weitre wissenschaftliche, namentlich kritische Thätigkeit, wird zichtet. Obligatorisch ist das Tragen von Uniformen und Theilnahme an militärischen Uebungen.

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Hr. Sachse theilt den Prospect eines „Archivs für die Geschichte der deutschen Sprache und Dichtung", von J. M. Wagner, mit und fordert dringend zur Theilnahme auf.

VII.

Hr. Sachse giebt eine Erklärung des Namens Roland, „der im Lande berühmt", welche er mit einer sehr reichen Zahl von Analogien stützt, indem er zugleich eine Uebersicht über die gesammte einschlagende Literatur gab und den Wunsch aussprach, dass bald ein umfassendes wissenschaftliches Werk, das alle Namen begreift, erscheinen möge.

Hr. Hoppe besprach die Ausgabe des Dickens'schen Cricket on the Hearth, von Werner (Hamburg bei O. Meissner, 1872). Indem er die Reichhaltigkeit der Noten anerkannte, rügte er eine Anzahl sprachlicher und sachlicher Irrthümer und tadelte es, dass in den Anmerkungen sich eine grosse Menge aus dem Lexikon und der Grammatik Bekanntes, viel Verworrenes, Weitläufiges finde, endlich, dass durch dieselben der Schüler zu einer oberflächlichen dilettantischen Behandlung des Sprachlichen verleitet werde.

Hr. Wilmanns sprach über die Fabel von der Spinne und dem Podagra. Jacob Grimm erklärte die Verbindung zweier so verschiedenartiger Wesen wie Spinne und Podogra, an deren Stelle bei Boner Fieber und Floh stehen, aus der naiven Anschauungsweise früherer Zeit, welche die Krankheiten auf Thiere im Körper zurückführte. Die Fabel selbst hielt Grimm für deutschen Ursprungs. Diese Meinung schien sich zu bestätigen, als aus einer St. Galler Handschrift des 10. Jahrh. ein kleines lat. Gedicht bekannt wurde, welches denselben Gegenstand behandelt. Aber die Composition der Fabel weist deutlich darauf hin, dass man eine einfachere Gestalt voraussetzen

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