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nur als Baustücke, nicht als Gebäude betrachten fann. Während ich eine Arbeit producire, halte ich sie für so vollendet, als sie nur einstweilen gemacht werden könnte; ist sie aber fertig, habe ich sie preisgegeben, bin ich gewiß der erste, der mit ihr unzufrieden ist. Ich erinnere mich, daß ich nach Beendigung meines Commentares der Hegel'schen Psychologie an einen Freund schrieb: ich hätte allerdings einen Tempel zu bauen im Sinne gehabt und es sei nur ein Dorfkirchlein geworden.

Ich habe den Arbeiten die Zeit ihrer Entstehung hinzugefügt. Die Naturforscher pflegen dies immer so zu halten. Es bewahrt vor unnüßen Anforderungen der Kritik, welche oft Vorausseßungen mitbringt, die noch gar nicht eristirten, als man schrieb, die nicht selten erst durch unsere Arbeiten bewirkt wurden.

Ich kann, was ich einmal schreibe, nicht verändern, Kleinigkeiten ausgenommen, die sich auf Unrichtigkeiten oder stylistische Unebenheiten beziehen. Denselben Gedanken ganz von Frischem noch einmal entwickeln, wird mir leicht, aber nur nicht, was man umarbeiten nennt. Eine Abhandlung oder Rede oder Charakteristik kann ich daher zu nichts weiter

gebrauchen. Ich kann sie nie einem größeren Ganzen integriren. Sie würden nicht hineinpassen. So kann ich z. B. die Rede über Schiller und Kant für meine jezige Arbeit über die Geschichte der Kant'schen Philosophie gar nicht brauchen, weil hier ganz andere Zusammenhänge da sind.

Einzelne der hier mitgetheilten Auffäße würden manche Erweiterung, manche Rücksichtsnahme gefordert haben. In der Abhandlung über die poetische Bedeutung des Ehebruchs werden die Wahlverwandtschaften berührt und könnte jeßt wohl an Rötscher's treffliche Entwicklung derselben erinnert werden; in der über die Religionsphilosophie wäre wohl Anlaß, mich weitläufiger über Strauß zu äußern; die zur Charakteristik des literarischen Gewissens unserer Zeit ging bei mir aus einer Anregung hervor, die mir A. Jung's enthusiastische Briefe über die neuste Literatur gaben und müßte mich jetzt zum Besprechen der großen Verdienste veranlassen, welche der würdige Hißig um diese Sache sich erworben hat; bei der Schilderung der romantischen Schule wäre die im Vorwort angedeutete Literatur genauer in's Auge zu fassen und mit dem, was Varnhagen im An

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hang seiner Sammlung: zur Literatur und Geschichte; über Tieck und Arnim gesagt hat, zu vermehren u.s.f.

Muß man denn nicht Alles in sich in stetem Fluß

erhalten, kann man denn irgend ein Element des Geistes, der Bildung, ein für allemal in sich abschlieBen, abmachen?

Ja, zu Ercursen aller Art, etwa in Anmerkungen, hätte ich den reichlichsten Stoff gefunden, wenn ich den ersten Gestaltungsproceß mit neuen Schichten hätte durchseßen wollen. Indessen werden diese sich ihrer Zeit schon selbstständig ablagern. So habe ich z. B. in dem Aufsatz über die poetische Bedeutung des Ehebruchs die Darstellung der Geschichte der Cenci für unmöglich gehalten. Und wie bin ich von dieser Meinung durch Shelley's unvergleichliche Arbeit enttäuscht worden! Von dieser wußte ich damals nichts und rechne jeßt ihre Kenntniß zu meinen schönsten Besißthümern. Wahrlich, Byron hat diese wunderbare Composition nicht überschäßt, wenn er sie das beste Trauerspiel der jüngsten Zeit nennt. Charaktere, Handlung, dramatische Dekonomie, Sprache, Alles ist zum Erstaunen vollendet. Große Luft auch hätte ich gehabt, zu dem Aufsaß über den

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Begriff der Naturverklärung noch einen Ercurs über die unsinnige Aufbürdung zu schreiben, die man der Hegel'schen Philosophie wegen der Schönheit der Natur macht, als wenn sie zur Verachtung ders selben zwinge, ja den Sinn dafür ertödte. Hegel soll die Natur nur als todte Masse kennen, er, welcher ihr den Rang der Idee zugesteht, er, welcher von Wien aus seiner Frau mit so herzlicher Freude schreibt, welch' einen schönen Birnbaum er auf einer Spazierfahrt gesehen habe und in seiner Aesthetik auf das Naturschöne, auf die Landschafterei u. s. w. so behaglich sich einläßt. H. Marggraf behauptet in seinem Buch: Deutschlands jüngste Literatur- und Culturepoche; S. 423, er habe mehrfach von Hege= lianern den Ausspruch gehört, daß sie vor einer schönen Gegend ein wahrhaftes Grauen empfinden müßten. Ich widerspreche dem Berichterstatter nicht, uns ein wahres Factum zu erzählen. Ich räume auch die Möglichkeit solcher Abnormitäten, solcher tollhäuslerischen Idiosynkrasieen ein. Was kann der menschliche Geist nicht Alles aus sich machen! Allein das bestreite ich, daß das Grauen, was solche aus Sand und Sumpf geknetete Menschen, solche Stuben

verweser, Buchstabenknechte, Papierverderber, solche kraftlose Subjecte, vor einer schönen Gegend empfinden, seinen zureichenden Grund in der Hegel'schen Philosophie habe. Das ist schier unmöglich. Mag man mich halten, wofür man will, für einen von Hegel's Philosophie Ergriffenen muß man mich gewiß gelten lassen. Erfahrung also gegen Erfahrung. Ich wüßte nicht, warnm das Grün der Wiesen, der Glanz des Wassers, der Duft der Berge, die Einsamkeit des Waldes, wenn der Specht am Baum pickt, eine Eidechse durchs Laub raschelt, weithin der Holzschlag hallt und über dem schilsdurchwachsenen Bach die Eichen mit ihren flüsternden Aesten ein geheimnißvolles Gespräch halten ich wüßte nicht, warum mir das Alles nicht noch eben so theuer wäre, eben so unendliches Entzücken bereitete, als vordem, wo ich von Hegel'scher Philosophie kein Wort wußte!

Ist denn diese Philosophie mit dem, was jeder Hegelianer oder jeder, der sich so zu nennen beliebt, für sich Apartes hat und ist, schlechthin Dasselbe? Doch genug für diesmal.

Königsberg, am 19. März 1839.

Karl Rosenkranz.

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