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die Seele zaubern kann. Dieses Vorstellungsbild ersetzt dann für ihn geradezu das Wahrnehmungsbild, das der Laie braucht, wenn er Kunst geniessen will. Es ist so klar und deutlich, dass er seine Illusionskraft beurteilen kann, auch ehe er es materiell ausgeführt hat. Und das ist gerade das Charakteristische des künstlerischen Schöpfungsprozesses. Der Künstler hat im Laufe seines Lebens durch seine gesteigerte Rezeptionsfähigkeit eine grosse Menge von Erinnerungsbildern in sich aufgenommen, die er nach Belieben jederzeit in den Blickpunkt des Bewusstseins rücken kann. Er hat ferner eine so grosse Menge vollendeter Kunstwerke gesehen und sich über die ihnen innewohnende Illusionskraft Rechenschaft gegeben, dass er ein untrügliches Gefühl dafür hat, welche dieser Erinnerungsbilder in sichtbare oder hörbare Formen übersetzt Illusion erzeugen würden. Er stellt sich also beim Schaffen ein doppeltes vor, erstens jene Erinnerungsbilder und zweitens das zukünftige Kunstwerk, das er noch gar nicht geschaffen hat, wobei er sich in die Seele des Beschauers oder Hörers, der es geniessen wird, versetzt. Die Möglichkeit dieses komplizierten seelischen Aktes beruht erstens auf der Klarheit der Vorstellungen, die er, im Unterschied vom Laien, hat, zweitens auf seiner besonders starken Illusionsfähigkeit, die ohne Zweifel die der meisten Laien bei weitem übertrifft.

Es ist ja nun möglich, dass der Künstler durch seine früheren Wahrnehmungen und durch den fortwährenden Abklärungs- und Ausscheidungsprozess, den er bei der Anschauung der Natur von jeher vollzogen hat, in den Stand gesetzt ist die Formen, die Illusion erzeugen werden, fertig in seinem Bewusstsein vorzufinden, so dass er aus mehreren sich ihm aufdrängenden Erinnerungsbildern sofort dasjenige auswählen kann, das in dem betreffenden Falle die stärkste Illusion erzeugen muss. Es ist aber auch möglich, dass er erst verschiedene Vorstellungen miteinander kombinieren oder aus den Elementen verschiedener Erinnerungsbilder neue Formen entwickeln muss, wenn er das, was er im einzelnen Falle sagen will, mit Erfolg soll sagen können.

Der letztere Vorgang wird wohl im ganzen der häufigere sein. Denn die besondere Aufgabe, die dem Künstler gestellt ist, erfordert fast immer Formen, die nicht genau mit denen übereinstimmen, die er früher in der Natur und im Leben wahrgenommen hat. Da gilt es dann immer wieder von neuem um sich zu schauen, zu vergleichen, gegeneinander abzuwägen, zu kombinieren u. s. w., bis die richtige Form gefunden ist. Auch hierbei wandert

das Bewusstsein des Künstlers fortwährend zwischen zwei Vorstellungsreihen hin und her, erstens den Kunstformen, die er schaffen möchte, und zweitens der Natur und dem Leben, das er aus der Erinnerung kennt. Und da die Kunstform, die er sich vorstellt, für ihn ebenso deutlich ist wie das Wahrnehmungsbild des vollendeten Kunstwerks sein würde, so kann er dabei das Schaukelspiel der Vorstellungen ebenso kräftig und lebhaft vollziehen, wie er es einem wirklichen Kunstwerk gegenüber thun würde. Er eilt dabei gewissermassen der Vollendung des Kunstwerks voraus und prüft in seiner Phantasie die Illusionswirkung von Formen, die noch gar nicht geschaffen sind, sondern nur potentiell in seiner Seele liegen. Man könnte das ,,proleptische Illusion" nennen. Und der wesentliche Unterschied des Künstlers vom Laien besteht eben darin, dass er im stande ist, diese proleptische Illusion zu vollziehen, während der Laie ein sinnlich wahrnehmbares Objekt, ein Kunstwerk braucht, um sich in Illusion zu versetzen. Künstlerisches Geniessen und Schaffen unterscheiden sich darin voneinander, dass beim Geniessen eine sinnlich wahrnehmbare Schöpfung von Menschenhand vorliegt, die den Geniessenden zur Vorstellung der Natur, des organischen Lebens, der Stimmung u. s. w. anregt, während umgekehrt beim künstlerischen Schaffen das, was vorliegt, die Natur und das Leben ist, woraus dann erst die Vorstellung des zu schaffenden Kunstwerks entsteht. Und indem der Künstler vermöge seiner starken Vorstellungskraft diese beiden Bilder abwechselnd in den Blickpunkt seines Bewusstseins rückt, vollzieht er ein Spiel der Vorstellungen, das ihm natürlich denselben Genuss gewährt wie ihn der Laie bei der Wahrnehmung des fertigen Kunstwerks hat. Ja man darf sogar annehmen, dass dieser Genuss, das was man gewöhnlich die Wonne des künstlerischen Schaffens nennt, bedeutend grösser ist als der künstlerische Genuss des gewöhnlichen Menschen. Das geht wenigstens aus den Äusserungen vieler Künstler hervor, und darauf beruht es auch, dass die Unlustgefühle, denen ein Künstler in einer Schöpfung Ausdruck geben will, im Augenblick des Schaffens nicht mehr in voller Stärke, sondern abgeblasst, gemildert von ihm erlebt werden.

Dieser lusterregende Wechsel zweier Vorstellungsreihen ist nun beim künstlerischen Schaffen ganz ähnlich wie beim künstlerischen Geniessen. Er besteht darin, dass der Künstler sich abwechselnd in den Inhalt seines Kunstwerks versetzt und sich dessen formale Gestaltung provisorisch vorstellt. Und die Momente, in

denen er das letztere thut, sind die, wo er, allerdings unter stetem. Mithineinwirken der ersteren, die Form schafft. Diese Form schaut er dann wieder wie etwas Objektives von einem anderen Geschaffenes an, indem er versucht, sich bei ihrer Anschauung in die Illusion der Natur und des Lebens zu versetzen. Und das Gelingen wird dabei wesentlich von seiner Fähigkeit abhängen, sich seiner eigenen Schöpfung objektiv gegenüberzustellen, sich in die Persönlichkeit derer hineinzudenken, die er sich als Publikum seiner Kunst vorstellt. Vermag er unter dieser Voraussetzung sich selbst in Illusion zu versetzen, so ist für ihn das Kunstwerk gut, vermag er es nicht, so kann er es nur für schlecht halten. Natürlich haben die so gefundenen Formen zunächst nur einen provisorischen Charakter, aber es ist klar, dass die Anschauung dieser provisorischen Schöpfung um so genussreicher sein wird, je stärker und lebhafter das Schaukelspiel der Vorstellungen ist, das sie erzeugt. Das Ziel der Entwickelung, das erst nach längerem Herumprobieren erreicht wird, ist dann diejenige Form, der die stärkste Illusionskraft innewohnt.

Diese Annäherung an das vorschwebende Ziel, dieses Ausprobieren der Illusionskraft provisorisch geschaffener Formen kann nun in zwei verschiedenen Weisen geschehen, nämlich erstens in der Form einer Phantasievorstellung und zweitens in der einer wirklichen Darstellung. Im ersteren Falle rückt der Künstler alle möglichen Vorstellungen, die sich auf den dargestellten Inhalt beziehen, nur vermittelst seiner Phantasie in den Blickpunkt seines Bewusstseins, im letzteren führt er sie provisorisch in Form von Skizzen, Entwürfen u. s. w. aus. So macht z. B. der Maler und Architekt flüchtige Zeichnungen, der Bildhauer kleine Thonmodelle, der Dichter schreibt probeweise seine Verse nieder, der Komponist macht Versuche am Klavier, formuliert auch wohl die Rhythmen und Harmonien, die ihm einfallen, in flüchtiger Notenschrift.

Diese zwei Arten entsprechen offenbar einer verschiedenen Art von Begabung. Ein Künstler, der ein sehr starkes Vorstellungsvermögen hat, ist ohne Zweifel im stande, die provisorischen Formulierungen, die er dem Kunstwerk giebt, im Kopfe zu behalten. Leichter ist es jedenfalls einer schon sinnlich wahrnehmbaren Formulierung gegenüber zu erproben, ob sie illusionskräftig ist, auch wohl mehrere solche Formulierungen nach ihrer Illusionskraft gegeneinander abzuwägen. Aber die Grösse eines Künstlers hängt nicht davon ab, ob er dieses oder jenes Verfahren bevorzugt. Wir wissen

von Künstlern, die ihre Schöpfungen alle schon im Kopf fertig hatten, ehe sie den ersten Federstrich zur Ausführung ansetzten, und es sind uns solche bekannt, die ihre Bilder sorgfältig mit Studienzeichnungen vorbereiteten, ihre Manuskripte immer wieder durchkorrigierten, ehe sie die definitive Fassung fanden. Und unter den einen und den anderen sind Meister ersten Ranges. Der Sache nach kommt beides auf dasselbe hinaus. Denn beide Male handelt es sich um provisorische Formulierungen. Nur werden diese im einen Falle vor, im anderen nach der ersten Objektivierung des Kunstwerks gemacht. Das Ziel der Entwickelung ist unter allen Umständen diejenige Form, die einerseits der Vorstellung des Künstlers den treffendsten und adäquatesten Ausdruck giebt, andererseits nach seinem Urteil die stärkste Illusionskraft besitzt.

Wer diese Schilderung liest, wird sich vielleicht wundern, dass ich den künstlerischen Schöpfungsakt für etwas vollkommen Bewusstes halte. Allein ich wüsste nicht, wie die Ästhetik der bewussten Selbsttäuschung zu einem anderen Resultat kommen sollte. Wenn das Wesen des Kunstgenusses auf einer bewussten Selbsttäuschung, d. h. einer vollkommen freiwilligen geistigen Thätigkeit beruht, aus der man nach Belieben heraustreten und in die man sich nach Belieben wieder versetzen kann, so ist natürlich auch der schöpferische Akt etwas Freiwilliges und Bewusstes. Ja der Grad der Bewusstheit ist hier ohne Zweifel ein noch höherer, da es ja die Aufgabe des Künstlers ist, aus dem Nichts Formen zu schaffen, die eine bestimmte gewollte und beabsichtigte Wirkung auf andere ausüben. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass neben dem wissenschaftlichen Forschen das künstlerische Schaffen den höchsten Grad bewusster Thätigkeit repräsentiert, dessen der Mensch überhaupt fähig ist.

Da die Begriffe Bewusstsein, Seele u. s. w. bekanntlich von allen Psychologen verschieden erklärt werden, will ich hier genau sagen, was ich darunter verstehe. Dass das Bewusstsein etwas Relatives ist, habe ich schon oben (S. 337) ausgeführt. Ich fasse dasselbe auf als ein Zusammenwirken der verschiedenen geistigen Arbeitszentren derart, dass jedes einzelne von ihnen eine Kontrolle über die anderen ausübt. Diese Auffassung ergiebt sich aus den Thatsachen, die uns die bekannten halbbewussten oder unbewussten Zustände bieten. Traum, Hypnose, Rausch, Delirium, Irrsinn u. s. w. sind Zustände, bei denen nur bestimmte Teile des Gehirns normal funktionieren, andere dagegen durch besondere

Umstände in ihrer Thätigkeit gelähmt, gewissermassen aus dem Organismus ausgeschaltet sind. Die Folge dieser Ausschaltung ist der Mangel an klaren Willensimpulsen, die Unfähigkeit freiwillig und zielbewusst über Geist und Körper zu verfügen. Der Irre denkt nicht, sondern ,,es denkt in ihm". Der Träumende, der Nachtwandler hat die Vorstellungen, die sich ihm aufdrängen, nicht in der Gewalt, der Betrunkene kann nicht thun und lassen, was er will, weil ihm die Fähigkeit der Wahrnehmung, der objektiven Beurteilung seiner Umgebung teilweise verloren gegangen ist.

Da es nun zahlreiche Gehirnzentren giebt, von denen jeweilig verschiedene in Bezug auf ihre Thätigkeit ausgeschaltet werden können, so giebt es auch verschiedene Grade der Bewusstheit. Je mehr Gehirnzentren gleichzeitig in Thätigkeit treten, um so klarer ist das Bewusstsein, je weniger, um so unklarer. Unter dieser Voraussetzung ist natürlich der künstlerische Schöpfungsprozess eine der bewusstesten Thätigkeiten, die es giebt. Denn er enthält, wie wir gesehen haben, die grösste Zahl von Vorstellungen und Gefühlen, die die menschliche Seele gleichzeitig erleben kann, und zwar in Form einer Zweiteilung, die der Ermüdung vorbeugt. Durch das fortwährende Hinundheroszillieren zwischen ganz heterogenen Vorstellungs- und Gefühlsreihen wird eine fortwährende Kontrolle des einen Gehirnzentrums über das andere bewirkt, und dies ist der höchste Grad von Bewusstheit, den man sich überhaupt denken kann.

Natürlich wird das denen nicht einleuchten, die einem angeborenen Bedürfnis nach mystischer Unklarheit folgend das künstlerische Schaffen als eine Äusserung göttlicher Inspiration, als eine völlig unbewusste instinktive Handlung, eine Art ,,Rausch", einen ,,göttlichen Wahnsinn", eine,,Autosuggestion" u. s. w. auffassen. Diese Leute glauben geradezu, man degradiere die Kunst, wenn man in ihr eine bewusste Thätigkeit sieht, wenn man bei dem, der sie ausübt, die höchste Stufe derjenigen Vernunftthätigkeit voraussetzt, durch die sich der Mensch vom Tier unterscheidet. Mit ihnen ist nicht zu rechten. Sie stehen unter dem Einfluss romantischer Anschauungen, die längst überwunden sind. Es ist ja gewiss zuzugeben, dass der Künstler gerade seine höchsten Wirkungen weniger durch verstandesmässige Klügelei, durch vorsichtiges Überlegen, durch ängstliches Hinundherprobieren als durch Intuition erreicht. Aber dass er selbst auf dem Höhepunkt seiner schöpferischen Thätigkeit vollkommen bewusst verfährt, ist mir nie zweifel

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